Neues aus der Zukunft

Der Paketbote, der vor der Tür mit Handscanner und Sendung jongliert, könnte bald der Vergangenheit angehören. In Zukunft trägt er eine Datenbrille mit eingebauter Kamera, die das Paket automatisch bei der Übergabe scannt und hat so die Hände frei. Auf diese Vision bereitet sich der Paketdienst DHL vor.Das Unternehmen hat unlängst ein Pilotprojekt mit Datenbrillen abgeschlossen. Bei einem Kunden in den Niederlanden wurden zehn Lagerarbeiter damit ausgerüstet. Statt mit Pickzettel und Handscanner loszuziehen, lotste sie die neue Technik zum richtigen Regalplatz. Das Ergebnis nach drei Wochen: Dank deutlich kürzerer Suchzeiten stieg die Produktivität um 25 Prozent. Jetzt denkt DHL darüber nach, die Brillen auch in anderen Unternehmensbereichen anzuwenden. "Es gibt ein starkes Interesse von anderen Kunden. Wir überlegen, ob das Teil unseres Serviceangebots wird", sagt Matthias Heutger, Senior Vice President Stragegy, Marketing and Development bei DHL, unter dessen Ägide der Versuch stattfand. Auch ein Einsatz auf der letzten Meile sei vorstellbar.Paketdienst betreibt eigenes TestlaborTechnik wie aus dem Terminator-Film in der Logistik? Das ist nur eines von vielen Szenarien, mit denen sich DHL derzeit beschäftigt. Entwickelt werden sie im Innovation-Center in Troisdorf bei Bonn, eine Art Testlabor, das der Konzern seit 2007 betreibt. Am 19. Mai 2015 wurde es nach einer Runderneuerung wiedereröffnet.Daran, dass neue Technologien der Logistikbranche in den kommenden Jahren einen Riesenschub geben, hat man bei DHL keine Zweifel. Allein durch das sogenannte "Internet der Dinge", also die Ausrüstung von Gegenständen mit Sensoren und Datenfunk, würden Logistikdienstleister 1,9 Billionen US-Dollar mehr umsetzen, sagt die Deutsche-Post-Tochter voraus.Zu den wichtigsten Neuerungen, mit denen sich die Experten in Troisdorf beschäftigen, gehört die sogenannte Augmented Reality (AR), also der schon erwähnte Einsatz von Datenbrillen. Kunden und Besucher können im Innnovation-Center Datenbrillen des Typs Google Glass aufsetzen und so aus erster Hand erfahren, worin der große Vorteil der - zu Deutsch - "angereicherten Realität" liegt: Der Träger sieht ein vom Computer erzeugtes Bild, das über dem realen zu schweben scheint.Beim Einsatz im Lager erscheint zum Beispiel eine Karte, die sich verändert - je nachdem, wo man steht und wohin man blickt. So weist die Brille den Weg zum richtigen Regalplatz. Auch das Scannen übernimmt die aufgerüstete Sehhilfe - mittels einer eingebauten Kamera. Dadurch hat der Träger immer die Hände frei.Auswertung des Pilotversuchs läuft nochDerzeit arbeitet DHL noch daran, den Test, der zusammen mit dem Druckerhersteller Ricoh durchgeführt wurde, auszuwerten. Doch es scheint so gut wie sicher: Weitere Anwendungen werden folgen. Zuerst könnten Datenbrillen in den Lagern der Pharmaindustrie zum Einsatz kommen. Denn Arzneimittelverpackungen sehen sehr ähnlich aus, sodass sehr schnell Pickfehler passieren; Ein automatischer Scan per elektronischer Brille würde das verhindern. Zudem könnte die neue Technik die Produktivität von Mitarbeitern verbessern, die die jeweilige Landessprache nicht so gut beherrschen - Symbole und Lagepläne sind leichter zu verstehen als Gang- und Regalnummern.Auf der letzten Meile, also bei den Paketboten, ist deren Einsatz laut DHL ebenfalls denkbar. Zum Scannen der Sendungen und - fast noch wichtiger - zur Suche nach dem richtigen Packstück im Fahrzeug. Gerade dabei geht nämlich viel Zeit verloren. Künftig könnte das richtige Paket in der Datenbrille des Fahrers mit einer roten Fläche unterlegt werden, sobald er in den Laderaum schaut. "AR gehört zu den Technologien, die sich rasch verbreiten werden - nicht zuletzt, weil die nötigen Investitionen so niedrig sind", resümiert Heutger.Günstig in der Anschaffung ist auch eine andere Technologie, die DHL derzeit im industriellen Umfeld testet: Sensoren aus der Unterhaltungselektronik. Als Beispiel ist im Troisdorfer Showroom ein Gerät aufgebaut, das das Volumen eines Packstücks ermittelt. Normalerweise würde man einen Laserscanner einsetzen, der mehrere 1000 Euro kostet. Stattdessen verwendet man zwei sogenannte Tiefensensoren aus einer Spielkonsole vom Typ Xbox Kinect. Die pro Stück 85 Euro teuren Komponenten erfassen binnen einer Sekunde bis auf die Nachkommastelle die Ausmaße eines Pakets. Derart hohe Präzision zu so niedrigen Kosten bringt DHL auf Ideen. "Wir planen Pilotprojekte im Fracht- und Paketgeschäft", sagt Markus Kückelhaus, bei DHL für Innovation und Trendforschung zuständig.Tiefensensoren sollen Effizienz erhöhenEin wahrscheinliches Anwendungsszenario: Installiert in der Decke von Lagerhäusern lokalisieren die Tiefensensoren freie Flächen und messen sie aus. So könnte der Nutzer auf festgelegte Stellflächen verzichten und den Platz noch flexibler nutzen. Auch in Lieferfahrzeugen ließe sich die Technik einsetzen, um den vorhandenen Raum besser auszunutzen.Interessant sind die Sensoren darüber hinaus, weil sie zunehmend in Handys eingebaut werden. Zum Beispiel, um Gesten zu erkennen. Das heißt, jeder hat bald einen Scanner in der Tasche, mit dem sich das Volumen eines Pakets genau bestimmen lässt. Das könnte zu einem neuen Preismodell im KEP-Geschäft führen. Statt vor allem nach Gewicht abzurechnen, könnte es künftig auf das Volumen ankommen. Eine weiteres Trendthema ist Big Data, also das Auswerten großer Datenmengen. Dass dieses etwa abstrakt klingende Prinzip echten Nutzen für das Geschäft bringen kann, zeigt ein Versuch: Zusammen mit Wissenschaftlern des Fraunhofer Instituts ging DHL der Frage nach, wie sich das Transportaufkommen vor Weihnachten entwickelt. Auf der Suche nach einer Antwort schauten sich die Experten an, wie häufig Internetnutzer am Tag nach "Amazon" suchen. Denn die Erfahrung zeigt, dass auf vermehrte Google-Anfragen nach dem Onlineversandhändler in der Regel größere Bestellmengen folgen und sich so das Sendungsvolumen erhöht.Sogar die Zahl der Grippeerkrankungen berücksichtigte DHL - schließlich shoppen Bettlägerige öfter im Internet. Ergebnis der Analyse war eine Prognose zum weihnachtlichen Paketaufkommen, die dank Big Data wesentlich präziser ausfiel. "Die Fehlerrate sank von zwölf auf neun Prozent", sagt Kückelhaus. Das klingt nicht nach viel, doch gerade im teuren Luftfrachtgeschäft kann eine genauere Kapazitätsplanung helfen, erhebliche Summen einzusparen.Das DHL-Innovation-CenterStandort: Troisdorf bei BonnMitarbeiter: cirka 20Besucher pro Jahr: rund 5000Ziel: In seinem Innovation-Center führt DHL neue Technologien vor - sowohl seinen Kunden als auch interessierten Dritten. In der Praxis vorgestellt werden zum Beispiel Augmented-Reality-Anwendungen (Datenbrillen), autonome Lagertechnik, Elektromobilität (E-Scooter). Das Zentrum ist außerdem Sitz der konzerneigenen Trendforschungsabteilung DHL Trend Research. Wichtige neue Entwicklungen erfassen die Experten in einem sogenannten Trend-Radar. Auf dem Schirm sind aktuell zum Beispiel:- Vorausschauende Logistik: Schnellere Computer ermöglichen es, den Bedarf an Transportdienstleistungen vorherzusagen. Das ermöglicht eine bessere Planung und Kapazitätsauslastung.- Computer am Körper: Datenbrillen oder -uhren sind auf dem Vormarsch. Sie werden künftig zum Beispiel in der Kommissionierung eingesetzt. Auf der letzten Meile könnten sie Handscanner ersetzen.- Autonome Logistik: Immer mehr Technologie entlang der Supply Chain steuert sich selbst. Zum Beispiel autonome Lkw, Drohnen, selbst fahrende Regalroboter, die zum Kommissionierer kommen.- Big Data: Unternehmen verfügen über immer mehr Daten, gleichzeitig wird Rechenleistung ständig billiger. Mittels umfangreicher Auswertungen lassen sich Geschäftsabläufe genauer vorhersagen und optimieren.- Tiefensensoren: Die Preise für Sensortechnik wie 3D-Scanner sinken. Das erleichtert neue Anwendungen in der Logistik. DHL hat etwa den Sensor einer Xbox zu einem Gerät umgebaut, das Paketvolumina erfasst. cg

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