Neue Anbieter am Start

Steht eine konjunkturelle Delle, Wirtschaftkrise oder gar Rezession bevor? Von solchen Szenarien wollen die großen Frachtenbörsen nichts wissen: Sie melden weiterhin eine wachsende oder wenigstens stabile Nachfrage nach ihren Fracht- und Laderaumangeboten. So freut sich Marktführer Timocom über derzeit rund 100.000 Nutzer in 44 Ländern, die jährlich ungefähr 516 Millionen Tonnen Fracht vermitteln. An manchen Hochtagen werden bis zu 450.000 Fracht- und Laderaumangebote platziert. "Wir haben 2014 rund neun Prozent mehr Nachfrage als 2013", meldet Timocom-Sprecher Marcel Frings. Einen kleinen Wermutstropfen gibt es trotzdem. Im vierten Quartal 2014 liegen die Frachtangebote leicht unter denen des Vorjahres: Auch an der erfolgsverwöhnten Timocom gehen die aktuellen konjunkturellen Turbulenzen nicht spurlos vorbei. Portale mit eigenem Geschäftskonzept Allen Unkenrufen zum Trotz funktioniert das Geschäftskonzept der etablierten Frachtenbörsen also weiterhin gut. Wer freien Laderaum und unvermittelte Frachten ins Internet stellt, findet fast immer Speditionen und Frachtführer als Auftraggeber beziehungsweise -nehmer. Außer den "großen Fünf" - Timocom, Teleroute, Trans.eu, Wtransnet und Raaltrans - die europaweit von zahlreichen nationalen und internationalen Dienstleistern vor allem fürs tagesaktuelle Spotgeschäft genutzt werden, gibt es rund 160 weitere Plattformen. Diese Zahl nennt jedenfalls der Branchendienst Brummifreund des Internet-Unternehmers Stephan Kotthaus, der die Szene seit Jahren beobachtet. Im Grunde genommen sind es sogar ein paar Namen mehr. Portale, die den Frachtenbörsen mit einem eigenständigen Geschäftskonzept Kunden abjagen wollen, erfasst Kotthaus nämlich nicht. Ein Beispiel ist die Plattform "Gorilla" des 2010 gegründeten Start-Ups Truckload 24 in Hamburg. "Wir sind keine Frachtenbörse, sondern eine Spedition", wird Geschäftsführer Hanno Behrens nicht müde zu betonen. Tatsächlich ist "Gorilla" keine offene Plattform, auf der jeder registrierte Teilnehmer Ladungen einstellen und abrufen kann. Das machen Behrens und seine zwölf Mitarbeiter im direkten Kontakt mit den Frachtführern. Dafür wollen sie möglichst viele Daten erfassen. "Während jedes Transports messen wir die Performance des Frachtführers", versichert Behrens. Pünktliche Ankunft beim Versender, treibstoffsparendes Fahren ohne Umwege, höfliches Auftreten beim Kunden - solche und andere Daten erfassen die Truckload-24-Mitarbeiter per Fahrer-App, Telefon und anderen Kommunikationsmitteln. "Jede Sendung produziert Daten und macht unsere Dienstleistungen noch smarter", betont Behrens. Mithilfe von Analyse-Tools will der Dienstleister den Auftritt der Frachtführer verbessern und auf dieser Basis künftige Touren zusammenstellen. Das Ziel sind "aggregierte Supply Chains" (Behrens), die Rückfrachten mit einschließen und Leerkilometer vermeiden. Anhand von Beispielrechnungen will Behrens nachweisen, dass er die Fahrtkosten um 10 bis 20 Cent pro Kilometer senken kann. Stärken gezielt ausspielen Leerkilometer durch Rückfrachten vermeiden ist freilich auch das Ziel von Timocom & Co. Allerdings werden viele Sendungen ad hoc abgerufen, wenn der LKW längst gestartet ist. Der Nutzer muss sich mit den Angeboten begnügen, die andere Teilnehmer aktuell platziert haben. Im Gegensatz dazu greift Gorilla auf Transportunternehmen zurück, die sich von der Plattform offenbar maßgeschneiderte Angebote versprechen. Rund 15.000 Frachtführer im In- und Ausland haben sich Behrens zufolge auf der Plattform registriert. Wie häufig diese Frachten für das Hamburger Unternehmen fahren, bleibt unklar. Grundsätzlich kann das Truckload-24-Konzept seine Stärken vor allem bei Spotverkehren ausspielen. Deshalb arbeitet das Hamburger Unternehmen fast ausschließlich mit mittelständischen Auftraggebern zusammen, die im Gegensatz zu großen Auftraggebern in der Regel keine durchgetakteten Supply Chains haben. Jetzt will Behrens sein Konzept auf Franchise-Basis auch an Speditionen vermarkten und hat erste Interessenten im Ruhrgebiet gefunden. Der Erfolg von "Gorilla" steht und fällt aber mit der Bereitschaft der Frachtführer, möglichst viele Daten über ihr Unternehmen zur Verfügung zu stellen. Genau an dieser Bereitschaft haben manche neuen Frachtenbörsen wie Clickapoint erhebliche Zweifel. Sie sichern jedem Teilnehmer zu, so wenig Daten wie möglich zu erheben. Bei der Registrierung müssen lediglich Name, Anschrift, E-Mail-Adresse und Passwort mitgeteilt werden. Ansonsten empfiehlt die Betreibergesellschaft GPS-over-IP in Schweinfurt weitere freiwillige Angaben, wenn Vertrauen zu anderen Nutzern aufgebaut werden soll. Ab 2015 soll dies anders werden. Dann nämlich will Gründer André Jurleit besondere Tools für Schüttgut, Stückgut und andere Sendungsformen aufmachen. Clickapoint-Interessenten, die diese nutzen wollen, müssen dann wahrscheinlich auch Gewerbeschein, Versicherungsbescheinigung und andere Unterlagen, die die etablierten Frachtenbörsen längst fordern, vorlegen. Endverbraucher rücken in den Fokus "Wir wollen uns verstärkt professionellen Nutzern öffnen", versichert Jurleit, Geschäftsführer von GPS-over-IP. Rund 3500 Teilnehmer haben sich laut Jurleit bereits registriert, jede Woche kommen 30 bis 40 weitere hinzu. Allerdings sind offenbar auch Endverbraucher dabei, die auf Clickapoint ihr Privatfahrzeug für Transporte oder Mitfahrgelegenheiten anbieten. Die Frachtenbörse hat hier Neuland betreten: Mit B-to-C- oder gar C-to-C-Dienstleistungen wirbt bislang kaum eine Plattform - wohl auch, weil die Aussichten auf nennenswerte Umsätze nicht sonderlich groß sind. Mit My-Lorry tritt nach Tiramizoo innerhalb von wenigen Jahren nun aber die zweite Plattform an, die sich auf B-to-C-Transporte konzentriert. Wie Tiramizoo versteht sich auch My-Lorry nicht als klassische Frachtenbörse: Wer ad hoc einen gewerblichen Transport im Nahbereich sucht, ruft übers Internet oder eine App die 2013 gegründete Plattform auf und bucht den Fahrer, der sofort oder zum gewünschten Termin frei ist. "In sieben Ballungsgebieten vermittelt My-Lorry monatlich über 4000 Touren im 30-Kilometer-Radius", berichtet Gründer Max von Waldenfels. "Über 50 Prozent der Sendungen gehen an Endkunden." Für hohe Auftragszahlen sorgen vor allem Nutzer wie Ebay oder die Baumarktkette Hellweg, die alle Transporte von sperrigen Gütern an My-Lorry vergeben. Von Tiramizoo unterscheidet sich diese Plattform in einem wichtigen Punkt. Sie kooperiert nicht mit KEP-Unternehmen, sondern mit selbstständigen Fahrern, die seit fünf Jahren einen Gewerbeschein führen. Wenn diese Kapazitäten frei haben, schalten sie die My-Lorry-App ein und warten Aufträge ab. "Ich verdiene mir so zusätzlich zu meinen Touren für zwei Stadtkurierdienste ein kleines Taschengeld hinzu", begründet Kaj Sander, einer der mittlerweile über 100 My-Lorry-Fahrer im Bundesgebiet, seine Teilnahme. Allerdings bestätigt er Einschätzungen, dass Endkundentouren ein margenarmes Geschäft bleiben dürften. So gibt es für eine Zehn-Kilometer-Fahrt mit einem Transporter bei My-Lorry rund 35 Euro brutto, wovon 20 Prozent Provision fällig werden. Trotzdem können solche Portale auch Frachtenbörsen Konkurrenz machen, wenn sie ihr Geschäftsfeld auf das ganze Bundesgebiet oder gar ins Ausland ausweiten. Das Vorbild hierfür liefert die britische Plattform Any Van. Seit ihrer Gründung 2009 vermittelte diese vor allem Möbeltransporte und Umzüge für Endkunden. Über 38.000 Transportunternehmen haben sich bis 2014 hier registriert. Nun ist Any Van - auf Wunsch der Teilnehmer, wie Gründer Angus Elphinstone ausdrücklich versichert - in den gewerblichen Transportmarkt eingestiegen und hat die Frachtenbörse Any Van Pro gegründet. Und schon jetzt sollen sich, vier Monate nach dem Start, nach Angaben des Anbieters 1500 Frachtführer und Speditionen registriert haben, wovon rund die Hälfte die Börse regelmäßig einsetzen. Ein Jahr lang können Speditionen und Transportunternehmen diese Plattform kostenfrei nutzen, anschließend müssen sie abhängig von Einsatzgebiet, Plattformdienstleistungen sowie Fracht- und Tourenzahlen zwischen 31 und 75 Euro monatlich zahlen. 2015 will Elphinstone ein Netzwerk von mindestens 10.000 nationalen und internationalen Speditionsdienstleistern und Frachtführern aufbauen. Ziel ist es also in den kommenden Jahren zu den ganz großen Playern der Branche zu werden. Luftfracht-Plattformen Hebel gegen die Mengenflaute Während außerhalb Europas die Sendungsmengen in der Luftfracht wieder zulegen, läuft die Entwicklung auf dem alten Kontinent in die entgegengesetzte Richtung. Aus vielen unterschiedlichen Gründen schrumpften hier die Volumina allein im September laut dem Dachverband der Fluggesellschaften Iata um 1,6 Prozent.Das ist schlecht für den Markt, aber schön für die Frachtenbörsen. Vor allem Plattformen, die sich auf die Vermittlung von langfristigen Kontrakten spezialisiert haben, melden eine wachsende Nachfrage nach ihren Dienstleistungen für Luftfracht. "Bei den Verladern wächst das Bedürfnis, den steigenden Preisen einen Riegel vorzuschieben und Prozesskosten bei der Vergabe einzusparen", sagt Ewa Zawadzka, Key Account Managerin von Transporeon. Der Plattform-Betreiber hat aus weltweit 44.000 registrierten Spediteuren einen Pool von Dienstleistern zusammengestellt, die sich auf Luftfracht spezialisiert haben und als reglementierte Beauftragte zugelassen sind. Auch Cargoclix meldet ein wachsendes Interesse an Luftfrachtspediteuren." Die Verlader wollen aber deutlich kürzere Kontrakte als im Straßengüterverkehr abschließen, wo ein Jahr die Regel ist", sagt Cargoclix-Geschäftsführer Victor Meier. bot Praxislösung Speed-Dating für die Frachtenbörsen-Teilnehmer Reiner Kühlen zieht hochzufrieden Bilanz: "An einem Tag habe ich mit über 30 potenziellen Geschäftspartnern gesprochen", freut sich der Manager des Logistikunternehmens Frigosped. "Bei allen konnte ich mich von vornherein auf ihre Zuverlässigkeit verlassen." Kühlen hat am Kundentreffen Wconnecta von Wtransnet teilgenommen. Einmal im Jahr lädt die spanische Frachtenbörse nach Barcelona oder Madrid ein. In diesem Jahr kamen 523 Teilnehmer aus rund einem Dutzend Ländern. In zehn Minuten langen Speed-Datings tauschen sie sich mit potenziellen Geschäftspartnern aus. Wenn Interesse an einer Zusammenarbeit besteht, können gleich an Ort und Stelle Termine vereinbart werden."Bei wenigstens ein oder zwei Erstkontakten springen sofort dauerhafte Geschäftsbeziehungen heraus", weiß Kühlen - bei den übrigen kann späteres Nachfassen zum Erfolg führen.Wconnecta ist ein Beispiel, wie auch die Frachtenbörsen selbst neue Geschäftsfelder erschließen. Die Basis dafür bieten ihre Datenbanken. Über 10.000 Mitglieder in 23 Ländern zählt Wtransnet nach eigenen Angaben als Mitglieder. Alle wurden erst nach einem Ausleseprozess aufgenommen. Außer EU-Gemeinschaftslizenz und Gewerbeanmeldung beziehungsweise Handelsregistereintrag erwartet Wtransnet drei Kundenreferenzen und wünscht zudem Informationen über Märkte, Routen und Mitarbeitersprachen des Antragstellers.Solche Daten bilden die Basis für den umfassenden Kundenservice. Jedes neue Laderaum- und Transportangebot wird mit den hinterlegten Profilen der Mitglieder verglichen und diese bei Übereinstimmungen sofort informiert. So will Wtransnet neuen Plattformen wie Gorilla Paroli bieten. Wconnecta rundet dieses Angebot ab: Als Kontaktbörse tritt die Frachtenbörse hier in Konkurrenz zu Messen und Kongressen. "Bei einer Messe brauche ich drei bis vier Tage, um gleich viel Kontakte zu knüpfen", hebt César Romera, Transportmanager von Hellmann, den Unterschied hervor."Ich muss zudem Informationen über meine Gesprächspartner sammeln und habe deutlich höhere Kosten." bot

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