Nahles macht Ernst

In gut zwei Monaten ist es soweit: Am 1. Januar 2017 treten die neuen gesetzlichen Regelungen zu Leiharbeit und Werkverträgen in Kraft. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles hatte lange darauf hingearbeitet und am 21. Oktober 2016 hat der Bundestag das Gesetz gegen den Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen beschlossen. Nur 18 Monate auf einer Position Ausgeliehene Arbeitskräfte sollen laut dem Gesetz künftig ab dem ersten Einsatztag den gleichen Lohn erhalten wie vergleichbare Stammarbeitnehmer - wenn die Zeitarbeitsfirma an einen Tarifvertrag gebunden ist, gilt das Prinzip "Equal Pay" nach neun Monaten. Daneben darf ein Leiharbeiter in einem Unternehmen lediglich 18 Monate lang am Stück auf einer Position eingesetzt werden. Außerdem gelten ab kommendem Jahr neue Regeln für den Einsatz von externen Mitarbeitern auf Werkvertragsbasis, zum Beispiel was die Informationspflichten gegenüber dem Betriebsrat angeht. Besonders stark betroffen dürfte die Automobilbranche von den Neuerungen sein, denn hier kommen auf 763.000 Stammbeschäftigte 100.000 Leiharbeiter und 250.000 Werkverträge, hat die IG Metall ermittelt. Vor allem in Logistik und Produktionsversorgung haben die Hersteller in den vergangenen Jahren viele Arbeiten ausgelagert. Gefährden Nahles' neue Regeln nun dieses Outsourcing-Geschäft? Teile der Branche sind zumindest alarmiert. "Das könnte zu Preisen führen, die wir beim Kunden nicht mehr erzielen können", sagt der Personaldirektor eines großen deutschen Logistikdienstleisters. Er will aufgrund aktuell laufender Verhandlungen nicht namentlich genannt werden. Hintergrund: Viele Kontraktlogistiker sitzen momentan mit der IG Metall am Tisch. Es geht um neue Haustarifverträge mit Lohnforderungen, die - so sagen die Arbeitgeber - zu einer Erhöhung der Stückkosten um 30 bis 40 Prozent führen könnten. Wenn jetzt noch die Equal-Pay-Regelung für Zeitarbeiter hinzukäme, könnte das für die Logistiker ein Kostensprung zu viel sein. Der von der VerkehrsRundschau befragte Personalmanager sieht in der Regelung außerdem einen Nachteil für die Leiharbeiter. Sein Argument: Durch Equal Pay nach nur neun Monaten würden Kräfte schneller ausgetauscht und seltener in eine dauerhafte Stellung übernommen. "Der Zeitarbeiter schafft es nicht, in dieser kurzen Zeit zu zeigen, dass er dafür infrage kommt", so der Personalleiter. Er prognostiziert, dass die Logistikunternehmen angesichts der kürzeren Einsatzdauer ihre Zeitarbeiter weniger intensiv fortbilden. Administrativer Aufwand steigt Verbände teilen die Bedenken. "Die Kosten des Personaleinsatzes werden infolge der geplanten gesetzlichen Neuregelung steigen", sagt Jan Wulfetange, Leiter des Referats Arbeits-, Sozial- und Tarifrecht beim Deutschen Speditions- und Logistikverband (DSLV). In welcher Höhe, sei noch unklar. Zu den Zusatzkosten durch Equal Pay käme außerdem noch der erhöhte administrative, finanzielle und personelle Aufwand wegen des 18-Monats-Limits - für Verleiher und Entleiher. "Bei langfristigen Projekten, die sich über mehrere Jahre hinziehen und in denen Spezialisten eingesetzt werden, wird es aber schwierig werden, passende Ersatzkräfte zu finden, die das Projekt fortsetzen. Das trifft Automobilhersteller und Kontraktlogistiker", so Wulfetange. Neutrale Marktbeobachter sehen die gesetzlichen Neuerungen eher gelassen. "An der Praxis in der Zeitarbeit wird sich kaum etwas ändern", meint Jörg Schulte von der Unternehmensberatung Schulte Bender & Partner, Münster. Seine Prognose: Die 18-Monats-Höchstgrenze führt dazu, dass Leiharbeiter - gerade wenn es um einfache Tätigkeiten geht - öfter zwischen den Auftraggebern oder Konzerngesellschaften wechseln werden. Die Wirkung von Equal Pay schätzt Schulte ebenfalls moderat ein. Natürlich könne es in Einzelfällen dazu kommen, dass Leiharbeiter gezielt nach 8,5 Monaten wieder abgezogen und in die Arbeitslosigkeit geschickt werden. "Aber in vielen Gegenden sind Mitarbeiter ohnehin knapp. Dann werden die Auftraggeber den Leiharbeiter im Zweifel übernehmen." Schulte weist außerdem darauf hin, dass bei Tätigkeiten zur Überbrückung saisonaler Spitzen oder ungeplanter Ausfälle die Ausleihdauer ohnehin kürzer als neun Monate sei und der Abstand zum Mindestlohn oft gering. Was können Kontraktlogistikdienstleister tun, um die Folgen der neuen Regeln zur Zeitarbeit abzuschwächen? Logistikdienstleister mit Verleiherlaubnis sind gut beraten, mit den Gewerkschaften beim Kunden einen Tarifvertrag abzuschließen. Darin kann nämlich eine Abweichung von der 18-Monats-Frist vereinbart werden, so steht es im Gesetz. Detailänderungen mit Tücken Große Dienstleister wie Schnellecke Logistics arbeiten schon lange mit solchen Verträgen (siehe Interview oben). Abweichende Regelungen zu Equal Pay sind auch möglich, wenn es andere, tariflich vereinbarte Zuschläge gibt. Das neue Gesetz lässt ferner zu, dass der Verleiher seinem überlassenen Mitarbeiter das Gehalt stufenweise erhöht, erstmals nach sechs Wochen, bis dann nach 15 Monaten das Niveau eines vergleichbaren Stammarbeitnehmers erreicht ist. Bei den Werkverträgen ändert sich ab kommendem Januar zweierlei: Zum einen muss die Geschäftsführung den Betriebsrat genau informieren, in welcher Art und in welchem Umfang Dienstleistungen ausgelagert werden sollen. Zum anderen hat Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles die Abtrennung zwischen Werkverträgen und Leiharbeit verschärft. Hier wurde zwar nur eine kleine Formulierung geändert, diese hat es aber in sich: Bislang gehen Gerichte davon aus, dass Leiharbeit vorliegt, wenn die Person voll in die Arbeitsorganisation eingebunden ist und allein den Weisungen des Arbeitgebers folgt. Die Worte "voll" und "allein" fehlen jedoch im neuen Entwurf, wodurch Werkvertragsmitarbeiter leichter in die Zeitarbeitsecke gerückt werden können. "Die Dienstleister sind künftig immer in der Sorge, etwas zu übersehen", warnt Hansjürgen Tuengerthal, erster Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Werkverträge und Zeitarbeit in Mannheim. Hauchdünne Trennlinie Ein Beispiel dafür: Nimmt ein Werkvertragler auch nur eine einzige Weisung vom Vorarbeiter des Kunden an, könnte das der Zoll in Zukunft schon als Anzeichen für eine illegale Arbeitnehmerüberlassung deuten. Erklärtes Ziel der Arbeitsministerin ist, den Missbrauch von Werkverträgen einzudämmen. Dass es diese Fälle gibt, ist unbestritten, wenngleich dazu keine offiziellen Statistiken existieren. Die schwarzen Schafe machten es sich bislang zum Beispiel zunutze, dass es nicht mitbestimmungspflichtig ist, Aufgaben per Werkvertrag zu vergeben - im Gegensatz zur Zeitarbeit. Ein üblicher Trick: Arbeiten werden von einem externen Dienstleister per Werkvertrag ausgeführt, doch der setzt selbst nur Zeitarbeiter ein - wodurch die ganze Aktion für den Betriebsrat unsichtbar wird. Seriöse Outsourcing-Dienstleister, die ihre Leistungen auf Werkvertragsbasis anbieten, sehen die neuen Regeln daher gelassen. "Für uns wird sich - Status heute - nichts ändern", sagt Björn Svanström, Geschäftsführer von Benway Solutions in Bremen. Der Mittelständler Benway ist auf logistische und industrielle Dienstleistungen spezialisiert und unter anderem für große Automobilzulieferer tätig. Der Dienstleister organisiert zum Beispiel die Intralogistik bei einem Spritzgusswerk im Raum Berlin. Benway agiert hier autark und stellt auch das nötige Equipment: Die Aufträge kommen aus dem System und gehen direkt an den Leitstand von Benway Solutions. Die Aufträge werden durch eigene kaufmännische und gewerbliche Kräfte bearbeitet und - wie beim Werkvertrag üblich - auf der Basis der verladenen Einheiten abgerechnet. "Wir achten darauf, dass die Schnittstellen zum Kunden sauber abgegrenzt sind", betont Benway-Geschäftsführer Svanström. Dass die Branche zusätzlich Regeln braucht, findet er nicht. "Die heutigen Mittel reichen aus, um schwarze Schafe zu überführen." Insgesamt rechnet der Branchenkenner aber nicht damit, dass das neue Gesetz gegen Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen zu großen Umbrüchen in der Automobillogistik führen wird: "Alle großen, tariflich gebundenen Unternehmen werden Vereinbarungen finden, die das Thema entschärfen", ist sich der Geschäftsführer sicher. Mehr finden Sie im Dossier Automobillogistik www.verkehrsrundschau.de/dossiers

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