Mit virtuellen Tricks an reale Ladung

Der Mönchengladbacher Autofahrer traute seinen Augen nicht. Direkt vor seinen Augen spielte sich am 13. August auf der A61 in Höhe der Anschlussstelle Rheydt eine Szene ab, die er bis dahin nur in schlechten Actionfilmen vermutet hätte. Zwei PKW hatten sich hinter einen Sattelzug geklemmt. Plötzlich kletterte aus dem ersten PKW ein Mann durch das Schiebedach nach außen. Nachdem das Fahrzeug nahe genug auf den Sattelzug aufgefahren war, stieg der Mann auf den Sattelauflieger um und öffnete die Ladungstüren. Der zweite PKW versuchte, diese Umsteigeaktion nach hinten zu verdecken. Unterdessen bediente sich der Dieb mit Computern und Computerteilen, die er einem Komplizen in den PKW weiterreichte. Der nach dem Muster rumänischer Gangsterbanden ausgeführte Coup war zwar äußerst spektakulär, aber keineswegs einmalig. Nach Schätzung der Verladervereinigung Tapa (Transported Asset Protection Association) werden in Deutschland jährlich LKW-Ladungen im Wert von einer Milliarde Euro gestohlen. Die Opfer beladen noch den LKW Europaweit sind es 8,2 Milliarden Euro. Stuntreife Aktionen wie auf der A61 sind dabei in der Minderheit. Ein Großteil der Waren wird aus abgestellten Lastzügen oder Trailern geklaut. Doch manche Kriminelle machen es sich noch leichter: Sie holen die Ware beim Empfänger, dessen Spediteur oder dem Hauptfrachtführer ab und lassen sich sogar noch bei der Beladung helfen - bevor sie die Ladung in dunkle Kanäle umleiten. Das Rezept: Sie erschleichen sich mit gefälschten Unterlagen einen Transportauftrag. Das Fachwort für dieses Delikt heißt Ladungsbetrug und ist eine große Unbekannte in jeder Kriminalitätsstatistik. Lediglich zwei, Hessen und Bremen, von 16 Landeskriminalämtern können im gewissen Rahmen Fallzahlen zu Ladungsdiebstählen und -unterschlagungen melden. Die Delikte werden statistisch nicht gesondert erfasst, sondern unter Fallgruppen wie Diebstahl, schwerer Diebstahl oder Betrug subsumiert. Diese Wissenslücke wollte das Institut für Logistikrecht- und Logistikmanagement (ILRM) an der Hochschule Bremerhaven schließen. Im Rahmen einer Masterarbeit befragte Stefan Siuda 53 Speditionen und Transportunternehmen sowie Transportversicherer und Polizeibehörden. Seine Erkenntnisse: 49 Prozent der befragten Unternehmen gaben an, seit 2011 zumindest einmal Opfer eines Ladungsdiebstahls geworden zu sein. 54 Prozent der bestohlenen Unternehmen fielen einer Täuschung zum Opfer, die ein Merkmal für den Ladungsbetrug ist. Und: 71 Prozent der Betrugsfälle stehen im Zusammenhang mit der Transportvergabe über eine Internet-Frachtenbörse. Bei anderen Studien zum Thema liegt der Anteil der Ladungsbetrügereien an den gesamten Ladungsdiebstählen niedriger - zwischen sieben und zehn Prozent. Kampfpreise sind ein Alarmsignal Die einzelnen Fallkonstellationen sind unterschiedlich, aber offenbar gelingt es Betrügern immer wieder, sich bei einer Frachtenbörse als ladungssuchendes Transportunternehmen anzumelden. Dabei werden mitunter Adressen von tatsächlich existierenden Frachtführern verwendet. Die falschen "Transportunternehmen" bewerben sich oft mit Kampfpreisen um die Ladung. Dabei ziehen sie nicht immer das große Los. Neben Fahrzeugteilen, EDV-Geräten oder Lebensmitteln kommt auch mal eine Ladung Pflastersteine weg. Unter dem Strich scheint sich das Geschäft jedoch zu lohnen: Die mittlere Schadenhöhe in den von Siuda untersuchten 160 Fällen lag bei 51.000 Euro. Haben sich die Täter den Auftrag gesichert, holt ein Fahrer unter Vorlage gefälschter Papiere die Ladung ab - und lässt sie sich mitunter noch von Lagermitarbeitern in den LKW laden. Laut Siudas Analyse suchen sie sich dafür diejenigen Zeiten aus, in denen der Stress in den Frachtunternehmen am größten ist: Auf den Montag und den Freitag entfallen fast 50 Prozent der Ladungsbetrugsfälle. Die Täter schlagen dabei zwei Fliegen mit einer Klappe. Sie hoffen, dass die Speditionsmitarbeiter unter dem hohen Zeitdruck nicht so genau hinsehen. Und sie gewinnen Zeit, weil am Wochenende bekanntlich selten zugestellt werden kann. "Kriminelle lieben Engpasssituationen", sagt Siuda. 45 Prozent der unterschlagenen Ladung kamen auf internationalen Relationen weg. Die Bestimmungsländer Italien und Tschechien wurden besonders häufig genannt. Innerhalb Deutschlands ist das Grenzgebiet zu den Niederlanden oft der Tatort. Viele Transportunternehmen und Speditionen machen es den Betrügern allerdings auch zu leicht. So sollte besonders diebstahlgefährdete Ladung nicht unbedingt an einen Frachtführer oder Unterfrachtführer vergeben werden, mit dem man vorher nie zusammengearbeitet hat. Außerdem gibt es bei den Frachtenbörsen erhebliche Unterschiede. Bevor man über eine Frachtenbörse Ladung vergibt, sollten man sich mit ihrem Qualitätsmanagement auseinandersetzen. Gute Frachtenbörsen führen Background-Checks bei ihren Nutzern durch, bevor diese sich auf Ladungen bewerben dürfen. Neulinge gehören auf den Prüfstand Manche Unternehmen sind bei den eigenen Mitarbeitern zu vertrauensselig. "An 70 Prozent der Delikte sind Insider beteiligt", sagt Thorsten Neumann, Europa-Vorsitzender der Tapa. Es kommt nicht selten vor, dass Kriminelle von Mitarbeitern heiße Tipps über wertvolle Ladung bekommen oder ein Disponent dafür sorgt, dass die Ladung in die richtigen "falschen Hände" gerät. Ein Tipp von Siuda: den Fokus bei Kontrollen auf neue oder unbekannte Frachtführer legen. Um potenziellen Betrügern auf die Schliche zu kommen, sei es besonders wichtig, die Angaben neuer Auftragnehmer umfassend auf Plausibilität zu prüfen. Einen Beitrag hat der frischgebackene Logistikmaster mit seiner Arbeit dazu geleistet. Der Spezialversicherer Kravag griff das Thema auf und erstellte zwei Broschüren zum Thema Ladungsklau- und Unterschlagung. Einfache Regeln schützen vor Ladungsbetrug Sicherheit ist meist eine Frage der Organisation - Transportunternehmer prüfen: Referenzen einholen, Lizenzen und Genehmigungen prüfen, Versicherungsbestätigung einholen und vom Versicherer bestätigen lassen; Handelsregisterauszug anfordern, Identitätsnachweis des im Handelsregister genannten Geschäftsführers oder Inhabers vorlegen lassen. Überprüfungen regelmäßig wiederholen - vor allem bei Eigentümerwechsel.- Wirtschaftsauskunft einholen (zum Beispiel: Creditreform, Schufa).- Weitergabe an weiteren Unterfrachtführer verbieten. Feste Ansprechpartner und Kommunikationswege für Auftragsvergabe vereinbaren.- Vor Übergabe Auftragsnummer vergeben, die der Fahrer vorlegen muss. Weitere Dokumente wie Führerscheinkopie des Fahrers und Kopie der Fahrzeugpapiere übermitteln lassen und die Originaldokumente durch den Fahrer vorlegen lassen.- Änderungen insbesondere auf telefonischem Weg misstrauisch betrachten.- Änderungen des Ablieferortes durch den Auftraggeber rückbestätigen lassen.- Notfallplan mit Telefonnummern von Versicherern und Behörden sowie internen Ansprechpartnern erstellen.- Eigene Mitarbeiter schulen und regelmäßig überprüfen (Führungszeugnis).- Vorsicht bei Kontakten über Mobilfunk und bei der Verwendung von Free-Mail-Adressen. Firmeninternetadressen auf Buchstabendreher und Übereinstimmung mit Angaben auf der Firmenhomepage prüfen.- Plausibilitätsprüfungen auf den Dokumenten durchführen. Insbesondere müssen auf allen personenbezogenen Dokumenten die Angaben zur Person übereinstimmen; gleiches gilt für Angaben auf den Fahrzeugdokumenten und dem Fahrzeug. hel Quelle: Kravag

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