Merkel entdeckt die Logistik

v. l. Raimund Klinkner (BVL-Vorsitzender), Bundeskanzlerin Angela Merkel, Hugo Fiege (Fiege Gruppe), Thomas Wimmer (BVL-Hauptgeschäftsführer) Merkel entdeckt die Logistik 3500 Besucher, eine logistikversierte Bundeskanzlerin Angela Merkel und 49 Nationen: Auf dem 24. Deutschen Logistik-Kongress in Berlin feierte sich die Branche wieder selbst. Manche Teilnehmer vermissten allerdings aktuelle Trends. Um ein Haar hätte sich Merkel-Vorredner Matthias Wissmann in Erwartung des hohen Politbesuchs um Kopf und Kragen geredet. „Mehr noch als über die Tante, die zum Klavierspielen kommt“, setzte der Präsident des Verbands der Automobilindustrie (VDA) in der Kanzler-Sequenz an, „freut man sich über den Onkel, der die Geschenke mitbringt.“ Bundeskanzlerin Angela Merkel, die sich zu diesem Zeitpunkt bereits im überfüllten Saal des Berliner Hotels Interconti befand, wurde sicher schon charmanter begrüßt. Dabei wollte Wissmann mit seiner Anspielung nur unterstreichen, wie stark die Logistikbranche auf verlässliche Investitionszusagen in die Verkehrsinfrastruktur hofft. Geschenke hatte Merkel allerdings nicht zu verteilen, dafür hob sie die Bedeutung der Branche heraus: „Logistik ist eine spannende Branche, die unterschiedliche Bereiche zusammenführt – und die darüber entscheiden wird, wie Deutschland in der Welt dasteht“, sagte die Kanzlerin in ihrer Ansprache. Mit 2,8 Millionen Beschäftigten und 188 Milliarden Euro Jahresumsatz sei die Logistik „eine wirkliche Wachstumsbranche“. Deshalb werde die Bundesregierung in den kommenden Jahren jährlich elf Milliarden Euro in den Ausbau der Verkehrssysteme investieren. Gleichzeitig unterstrich die Kanzlerin, wie abhängig Deutschland als Exportnation von einer funktionierenden Logistik sei. Laut Merkel müssten die vorhandenen Mittel daher effizient eingesetzt werden: „Wir stehen in Konkurrenz zu den Nachbarn, wenn es uns nicht gelingt mitzuhalten, werden wir umgangen werden“, warnte sie. Hohe Besucherzahlen Kritik übten einige Teilnehmer am Kongressprogramm. So monierten manche die Themenauswahl und -tiefe. Auch die europäische Komponente bei der Auswahl der Themen wurde vereinzelt vermisst – trotz der diesjährigen Kooperation mit der European Logistics Association. „Besser wäre es gewesen“, schlug Kühne-Stiftungs-Geschäftsführer Martin Willhaus vor, „wenn man auf dem Logistik-Kongress einzelne europäische Regionen vorgestellt“ hätte. Auch die hohen Besucherzahlen – 3500 in diesem Jahr – stießen nicht überall auf Wohlgefallen. So beklagte so manches zahlende BVL-Mitglied, nicht zur Ansprache der Bundeskanzlerin zugelassen worden zu sein. „Gut 500 Leute standen vor der Tür und wurden nicht reingelassen.“ Ansonsten zeigten sich aber sowohl Besucher als auch Aussteller wieder sehr zufrieden. Allein der Besuch der Bundeskanzlerin war für die meisten „ein echtes Highlight“, da dies die Bedeutung der Branche in der Politik deutlich unterstreiche. Und: „Als Networking-Gelegenheit ist der Logistik-Kongress einfach unschlagbar“, hieß es überall. An nahezu keinem anderen Kongress habe man, loben viele, so viel Gelegenheit zum Austausch, zu Kundengesprächen, aber auch schlichtweg zum Branchenklatsch. Gesprächsthema Nummer 1 unter den Spediteuren war, wie nicht anders zu erwarten, die Großrazzia vor zwei Wochen bei namhaften Playern der Branche. Fast jeder spekulierte darüber, durch wessen Selbstanzeige der Stein ins Rollen gekommen sei, und ob die erfolgten Durchsuchungen erst der Anfang einer großen Aktion seien. So mancher fürchtete: „Die werden sicher was finden.“ Dann könne sich das Ganze Jahre hinziehen. Unabhängig davon wurde über diverse größere Übernahmen in der Stückgutbranche spekuliert. Maßgebliche Treiber, die hier genannt wurden: DSV-Konzern, Hellmann Worldwide Logistics und Kühne + Nagel. Kräftig für Spekulationen sorgte, auch in diesem Jahr, das Phantom „Red Parcel Post“. So fragen sich Insider, ob der längst überfällige Paketdienst mit einem einzigen Depot überhaupt in der Lage sei, seine Pläne zu realisieren. „Red Parcel wird wohl alles werden“, so böse Zungen, „nur kein Paketdienst.“ Für Gesprächsstoff unter den Telematik-anbietern sorgte indes die Ankündi- gung des Bundesverkehrsministeriums (BMVBS), das Mautsystem zu einer Plattform für Mehrwertdienste weiterentwickeln zu wollen. Allerdings prophezeien jetzt schon einige Telematikanbieter, dass die hohen Sicherheitsanforderungen des Ministeriums in keinem Verhältnis zum Nutzen stünden. Abgesehen davon gehe es der Regierung vor allem darum, den bislang recht erfolglosen Exportschlager „Mautsystem“ in Ausschreibungen durch die Ankündigung von Mehrwertdiensten aufzuhübschen. So interessant die Gespräche am Rande des Kongresses waren, beklagt wurde indes von einigen Besuchern hinter vorgehaltener Hand: „Die BVL hat zu wenig Trends gesetzt.“ So sei auf dem Kongress nur angeklungen, dass künftig – neben der Globalisierung – das Thema Nachhaltigkeit zunehmend zum Treiber der Logistik werde. Da habe auch der Vortrag von Deutsche-Post-Chef Klaus Zumwinkel nur wenig gebracht, der sein Unternehmen offenbar nun von der gelben zur grünen Post wandeln will. Und zu guter Letzt wurde von den Organisatoren gefordert: „Die BVL muss sich endlich Gedanken über neue Räumlichkeiten für ihren Kongress machen.“ 3500 Besucher seien effektiv für das Hotel Intercontinental in Berlin zu viel. ❙❚■ Eva Hassa und Dietmar Winkler „Wir starten Tag der Logistik“ Welche Ziele er als neuer Vorsitzender des Vorstands der Bundesvereinigung Logistik (BVL) vorantreiben will, sagt Knorr-Bremsen-Chef Raimund Klinkner. Seit Mitte Juni 2007 sind Sie neuer Vorsitzender des Vorstands der BVL. Was wollen Sie anders machen als Ihr Vorgänger? Raimund Klinkner: Peer Witten hat in dieser Funktion sehr viel bei der BVL bewirkt. Im Grundsatz werden wir den Kurs nicht verlassen. Es gibt aber einige neue Initiativen: So werden wir ab 2008 bundesweit einen „Tag der Logistik“ starten. Dieser Tag wird nächstes Jahr am 17. April stattfinden, also einen Tag vor unserem 30-jährigen Jubiläum, ansonsten jeweils jeden dritten Donnerstag im April. Wir konnten dafür sowohl die Regionalgruppen der BVL einbinden als auch den BDI, den Deutschen Speditions- und Logistikverband sowie den Verband der Automobilindustrie. Mit weiteren Verbänden sind wir im Gespräch. Will die BVL damit näher an die Basis als in der Vergangenheit? Entscheidend ist, dass wir mit dem „Tag der Logistik“ die breite Öffentlichkeit und insbesondere Schüler und Studenten erreichen, um sie für die Logistik zu begeistern. Die Logistik leidet unter eklatantem Fachkräftemangel. So benötigt sie Jahr für Jahr 12.000 junge Akademiker, es gibt aber nur 3000 Absolventen. eh Interview Raimund Klinkner Logistikpreis 2007 Der Landmaschinenhersteller Claas aus dem ostwestfälischen Harsewinkel erhielt für sein Konzept „Zusammenwachsen, um zusammen zu wachsen“, den diesjährigen Deutschen Logistikpreis der Bundesvereinigung Logistik (BVL). Prämiert wurde eine im Jahr 2004 gestartete Supply-Chain-Initiative des mittelständischen Familienunternehmens. In dieses bereits seit drei Jahren verwirklichte Konzept wurden die Bereiche Einkauf, Produktion, Transportlogistik und Ersatzteillogistik inklusive Service gleichermaßen einbezogen. „Die internationale Supply-Chain-Initiative bei Claas erscheint der Jury als Motor und Herz des Erfolges in den vergangenen Jahren“, begründet der Jury-Vorsitzende und Ex-BDI-Präsident Hans-Olaf Henkel das Votum seines Gremiums. „Alle unsere Produkte werden Make-to-Order produziert. Dabei spielt das Customizing unserer Geräte eine große Rolle“, erklärte Claas-Geschäftsführungsmitglied Hermann Garbers. Während zuvor jede Claas-Niederlassung ihre Logistik eigenständig organisierte, steuert jetzt die Zentrale die Prozesse in den Bereichen Lieferantenmanagement, Beschaffungs-, Produktions-, Distributions- und Ersatzteillogistik. Ein Ergebnis: In der Beschaffungslogistik konnte Claas die Zahl der Spediteure von 244 auf zwei Dienstleister reduzieren. Zudem wurde die Anlieferung von frei Haus auf ab Werk umgestellt. sb Zentrale Organisation der Logistikprozesse spart Dienstleister ein Der mittelständische Landmaschinenhersteller Claas gewinnt den BVL-Logistikpreis 2007 für Verbesserung der Lieferkette auf allen Ebenen.