Luftfrachtsicherheit

Luftfrachtsicherheit Ein Montag im Frühling Am 29. April beginnt ein neues Zeitalter für die Luftfracht-sicherheit. Mit diesem Datum müssen Verlader behördlich als Bekannter Versender zugelassen sein – oder sämtliche Aircargo ist vom Reglementierten Beauftragten zu röntgen. Am 29. April ist es nun endgültig soweit. Mit diesem Montag mitten im Frühling erhält Luftfracht nur noch dann vom Reglementierten Beauftragten (RegB) automatisch den Sicherheitsstatus „SPX“, wenn die Fracht von einem in der Europäischen Union behördlich zugelassenen „Bekannten Versender (BV)“ kommt. Die bis dahin ausreichende Sicherheitserklärung des Industrie- oder Handelsunternehmens reicht ab diesem Datum nicht mehr aus. Verlader, die sich nicht vom Luftfahrtbundesamt (LBA) haben auditieren lassen, müssen ab sofort die Sicherheit ihrer Fracht durch den RegB feststellen lassen. Und das sind eine Menge. Stefan Pokrantz vom Luftfrachtabfertiger Pfister Logistic am Hamburger Flughafen berichtet, dass derzeit 20 Prozent der Sendungsmengen, die sein Unternehmen umschlage, unsicher seien. Mit dem Auslaufen der Sicherheitserklärungen zum 29. April werde sich dies drastisch ändern. Der Geschäftsführer schätzt, dass künftig 50 bis 60 Prozent der Sendungsmenge „unsicher“ an das Lager im World Cargo Center (WCC) am Hamburger Flughafen angeliefert werden. 50 bis 60 Prozent unsichere Fracht Bei THS Aircargo Services, die ebenfalls über das Hamburger WCC Luftfracht abfertigen und als RegB „sicher“ machen, beträgt der Anteil der unsicheren Fracht derzeit rund zehn Prozent des Sendungsvolumens. „Zum Stichtag Ende April wird sich das Verhältnis aber umdrehen, dann werden 90 Prozent unsicher sein“, schätzt Geschäftsführer Rüdiger Suhrke. In zwei Jahren könnte der Wert dann auf ein Niveau von 50 bis 60 Prozent sinken, schätzt der Experte, der auch Verlader und Spediteure in Sachen Luftfrachtsicherheit berät und schult. Suhrke geht davon aus, dass es Ende April zu Engpässen bei der Abfertigung kommen wird. Denn bisher holten die Spediteure im Laufe des Tages die Luftfracht bei den Versendern ab und lieferten diese zwischen 16 und 18 Uhr im WCC an. Zwischen 19 und 21 Uhr ging es dann weiter zum Flugzeug oder per LKW zu anderen Flughäfen wie Frankfurt oder Amsterdam. „Ein enges Zeitfenster, um die Waren sicher zu machen“, sagt Suhrke. Denn alle Sendungen, die ab 29. April nicht von einem BV oder RegB kommen, müssen geröntgt werden. Probleme beim Röntgen Dies dauert zwar in der Regel nur ein paar Minuten – aber wenn ein so genannter Dunkelalarm registriert wird, kann sich die Kontrollzeit deutlich erhöhen. Bei Dunkelalarmen können die Röntgenstrahlen die Waren insgesamt oder einzelne Bereiche nicht eindeutig durchleuchten. „Dies geschieht nicht selten, vor allem bei dickeren Metallteilen und Flüssigkeiten“, so Suhrke. Dann heißt es: Kiste aufmachen, Sichtkontrolle durchführen und mit einem Spürgerät (Sniffer) nach Spuren von Sprengstoffen suchen. Und wurden dann noch Korrosionsschutzmittel mit Glyzerinanteil verwendet, springt der Sprengstoffdetektor an und nicht selten muss die gesamte Lagerhalle aufgrund des Fehlalarms geräumt werden, bis Experten von Behörden Entwarnung geben. „Der Aufwand für das Öffnen der Sendungen ist sehr unterschiedlich“, berichtet auch Pfister-Experte Pokrantz. Lässt sich die Kiste einfach aufschrauben, benötige man nur wenige Minuten. Kommt es aber zum Fehlalarm, könnten auch schnell ein paar Stunden vergehen. Viel häufiger als ein „Bombenalarm“ sind aber komplizierte Verpackungen. Diese übergeben Pfister und THS oftmals den Verpackungsexperten von AKF Siemers, die ebenfalls im WCC angesiedelt sind. Mit Spezialwerkzeugen können auch komplexe Verpackungen geöffnet und fachgerecht wieder verschlossen werden. „Unser großer Vorteil ist, dass wir hier im WCC kurze Wege haben und damit Sicherheitsprüfung und Verpackungsservice Hand in Hand laufen“, sagt AKF-Geschäftsführer Marc Briese. Dennoch: Das Öffnen und Prüfen von Luftfracht kostet auch im WCC Zeit und Geld und das kann dazu führen, dass die Luftfracht erst einen Tag später auf Reisen geht. Haftungsrisiko für alle Seiten Und noch ein weiteres Problem ergibt sich durch das Aufmachen der Kisten: Logistik- und Verpackungsdienstleister öffnen die Verpackung nur, wenn der Versender eine Enthaftungserklärung unterschreibt – denn durch das Öffnen geht der Versicherungsschutz für die Ware verloren. Und selbst Verpackungsspezialist AKF Siemers kann beim Wiederverschließen keine Garantie für die Ware geben, da die Sendung ja zuvor von einem anderen Verpacker versandfertig gemacht wurde. Kommt es dann beispielsweise zu Korrosionsschäden, zahlt keine Transportversicherung. Der Versender bleibt auf seinem Schaden sitzen. „Ob aber die Enthaftungserklärung auch bei Fahrlässigkeit des Dienstleisters wirklich gilt, wird eines Tages wohl erst ein Gericht feststellen müssen“, gibt Pfister-Geschäftsführer Pokrantz zu bedenken. Ein Haftungsrisiko also für alle Seiten. Haftungsrisiken existieren aber auch, wenn Verlader die behördliche Zulassung zum Bekannten Versender erhalten. Denn mit der amtlichen Auditierung ist der BV rechtlich nicht mehr Verrichtungsgehilfe des RegB. Bisher haftete durch die Anerkennung der Sicherheitserklärung der RegB für den BV – zum Beispiel, wenn es durch fahrlässige oder vorsätzliche Vernachlässigung der Sicherheitsvorschriften zu Schäden durch terroristische Anschläge kommen würde. „Mit der behördlichen Zulassung erhält der Bekannte Versender einen öffentlich-rechtlichen Status“, sagte Professor Elmar Giemulla auf den 4. Dekra Aviation Tagen Anfang März in Hamburg. Daraus ergebe sich, so die Auffassung des Luftfahrtrechtsexperten von der TU Berlin, dass der BV bei nachgewiesenem Verschulden ebenso unbegrenzt hafte wie schon heute der RegB. Der Professor verwies aber darauf, dass diese Rechtsauffassung erst noch von einem Gericht bestätigt werden müsste. Eine Haftungsbegrenzung für Spediteure und Verlader könne hier nur ein neues Abkommen der internationalen Luftfahrtorganisation ICAO bringen, das aber noch umstritten sei und deshalb noch nicht von den Mitgliedsstaaten mehrheitlich unterzeichnet wurde. Alternative Geschäftlicher Versender? Haftungsrechtliche Probleme sehen die Experten auch bei der oftmals genannten Alternative zum BV, dem „Geschäftlichen Versender (GV)“. Im Gegensatz zum BV reicht beim GV auch weiterhin eine Sicherheitserklärung des Verladers aus, damit der RegB die Ware als „sicher“ einstufen kann. Aber auch der GV muss Luftfracht in seinen Gebäuden vor unautorisiertem Zugang schützen. Im Gegensatz zum behördlich anerkannten BV muss aber der RegB dies kontrollieren und dafür geradestehen. „Dafür möchte ich nicht der zuständige Sicherheitsbeauftragte sein“, sagt Jan Bender, der beim Speditionshaus Dachser für die Luftfrachtsicherheit verantwortlich ist. Die meisten RegB werden deshalb den Geschäftlichen Versender nicht anerkennen, meinen Branchenexperten. Ein weiteres Problem beim GV: Die Sendungen dürfen nicht in Passagierflugzeugen transportiert werden, was durch den Status „SCO“ gekennzeichnet wird. Da aber viele Frachtfluggesellschaften ihre Sendungen sowohl mit reinen Frachtern als auch als Belly-Fracht fliegen, kann es hier schnell zu organisatorischen Schwierigkeiten kommen und so Fracht vielleicht auch gerne mal stehen bleiben. Außerdem wird so mancher Flughafen gar nicht von Nurfrachtflugzeugen angeflogen. Viele Experten empfehlen deshalb den Versendern, eine behördliche Zulassung anzustreben, auch wenn dies mit einigem Aufwand verbunden ist. So muss im Unternehmen beispielsweise mindestens ein Sicherheitsbeauftragter ernannt und geschult werden. Die Schulung dauert dabei 35 Stunden. Sicherheitskonzepte sind zu erstellen und bei den Behörden einzureichen. Am Ende steht dann die Vorort-Auditierung durch die LBA-Beamten. Eigentlich würde das LBA für die gesamte Prüfung auch Gebühren verlangen. Da aber die passende Gebührenverordnung noch nicht vorliegt, ist die Auditierung noch kostenlos und eine nachträgliche Gebührenforderung laut Rechtsexperten nicht zulässig. Künftige behördliche Zulassungen können aber durchaus 5000 bis 15.000 Euro kosten, schätzen Experten. Hinzu kommen bauliche und organisatorische Maßnahmen (siehe Kasten links oben). Aus diesem Grund lassen auch große Luftfrachtversender nicht alle Standorte auditieren. Denn nicht selten langt es, den RegB die komplette Arbeit machen zu lassen. Das ginge natürlich am besten, wäre dieser direkt im Versandlager des Versenders positioniert und man nähme hier ein Röntgenscreening der Ware vor. Eine solche Lösung kann sich zumindest Dachser-Experte Bender vorstellen. Eine interessante Lösung, aber sicherlich eher für Großkunden interessant, denn eine Röntgenanlage (für maximale Warengröße von 1,80 mal 1,80 Meter) kostet um die 250.000 Euro, hinzu kommen vierteljährliche Wartungen und der Energieverbrauch. Außerdem fallen die Kosten für die Ausbildung der Luftsicherheitskontrollkräfte an, die 102 Schulungsstunden absolvieren müssen – und dann sind noch mal rund 60.000 Euro für einen „Sniffer“ fällig, der ja auch bereitliegen muss. Neuer Markt für Logistikdienstleister Aber ein RegB muss ja nicht unbedingt im Lager des Versenders angesiedelt sein. Der Verlader kann ja bestimmte Waren wie zum Beispiel eilig benötigte Ersatzteile „unsicher“ beim Logistikdienstleister einlagern. Der Dienstleister mit RegB-Status verpackt die Ware dann und macht sie „sicher“ und damit versandfertig. „Das ist sicherlich ein neuer Markt für uns“, sagt THS-Mann Suhrke. Und auch Marc Briese vom Verpacker AKF sieht neue Geschäftsfelder: „Einige Kunden überlegen, ihre „unsicheren“ Waren bei uns hier im WCC für den Export verpacken zu lassen“. Die Sicherheitsüberprüfung könne dann gleich vor Ort erfolgen. Ein Geschäftsfeld für so manchen Lagereibetrieb und Verpacker – auch jenseits des Flughafens. Das zeigt auch das jüngste Ansteigen der Zulassungen zum RegB. Das LBA geht davon aus, dass hier schon bald die Tausender-Marke überschritten wird. Derzeit verfügten in Deutschland 770 Spediteure über den Sicherheitsstatus, weitere 300 Neuanträge befänden sich in der Bearbeitung, so der zuständige Referatsleiter Marco Jentsch. „Immer mehr Lagerhalter streben die Zulassung zum Reglementierten Beauftragten an“, so Jentsch. Auch wollten immer mehr Unternehmen jenseits der Flughäfen den Status erlangen. Mehr Transportzeit einplanen Wer weder eine behördliche Zulassung zum BV anstrebt noch neue Logistikkonzepte umsetzen möchte, der muss sich darauf einstellen, dass seine Luftfracht auch mal ein paar Tage länger zum Ziel brauchen kann, wenn die Ware erst spät beim Abfertiger angeliefert wird. Wer das vermeiden will, sollte die Sendungen früher anliefern oder für „schnelles Überprüfen“ tiefer in die Tasche greifen. Für eine solche „Fast Lane“ verlangen Logistikdienstleister nicht selten das Doppelte, aber nicht jeder Spediteur bietet diesen Service an. Und was können Verlader und Spediteure in den verbleibenden Tagen vor dem frühlingshaften Stichtag für Luftfracht Ende April tun? „Lassen Sie ihre Waren mal probeweise röntgen“, so der dringende Appell fast aller Dienstleister. Nur so lassen sich böse Überraschungen am 29. April vermeiden und lässt sich die Frühlingssonne unbeschwert genießen. ❙❚■ Andre Kranke Nach dem 29. April können Aircargo-Transporte schnell ein paar Tage länger dauern „Fraglich, ob die Enthaftungserklärung auch bei Fahrlässigkeit des Dienstleisters gilt“ Stefan Pokrantz, Geschäftsführer Pfister Logistic VR-Fachkonferenz Luftfrachtsicherheit ohne BV-Status Am 12. Juni veranstaltet die VerkehrsRundschau in Hamburg die Fachkonferenz „Luftfrachtsicherheit“. Im Mittelpunkt der Veranstaltung steht das Thema „Luftfracht problemlos versenden, ohne behördliche Zulassung zum Bekannten Versender“. Namhafte Referenten aus Logistikdienstleistung, Beratung und Verladerschaft erläutern die Vor- und Nachteile des Versands von Luftfracht ohne den Sicherheitsstatus des Bekannten Versenders. Dabei wird auch auf haftungs- und versicherungsrechtliche Aspekte eingegangen. Neben der Fachkonferenz erfolgt eine Besichtigung des World Cargo Centers (WCC) am Hamburger Flughafen. Hier erläutern Vertreter der Unternehmen THS Aircargo Services, Pfister Logistic und AKF Siemers in einer Live-Vorführung die Schwierigkeiten und Lösungsmöglichkeiten beim Verpacken, Röntgen sowie bei einer Sprengstoffuntersuchung von Luftfracht. Programm und Anmeldung finden Sie unter www.verkehrsrundschau.de/events ak „Dafür möchte ich nicht der zuständige Sicherheitsbeauftragte sein“ Jan Bender, Luftfrachtsicherheits-Experte bei Dachser „Mit behördlicher Zulassung erhält der Bekannte Versender einen öffentlich-rechtlichen Status“ Professor Elmar Giemulla, Technische Universität Berlin Luftfrachtsicherheit in Zahlen Bekannter Versender und Reglementierter Beauftragter 60.000 und mehr Verlader haben gegenüber ihrem Spediteur eine Sicherheitserklärung abgegeben, um als Bekannter Versender (BV) anerkannt zu sein, so die ersten Zahlen des Luftfahrtbundesamtes (LBA) vor zwei Jahren. Aufgrund von technischen Fehlern und Doppelzählungen war diese Zahl aber nicht korrekt 40.000 Unternehmen haben laut aktuellen Angaben des LBA eine Sicherheitserklärung zum BV abgegeben, aber auch hier können noch Doppelzählungen enthalten sein – und von einem Unternehmen (Rechtseinheit) sind oftmals auch mehrere Niederlassungen aufgeführt 10.000 Unternehmen (Rechtseinheiten), so viele Betriebe kommen laut Expertenschätzungen für ein BV-Audit in Deutschland infrage 3600 Unternehmen (Rechtseinheiten), so viele Betriebe werden laut LBA maximal bis Ende des Jahres den BV-Status beantragen und erhalten 1279 Unternehmen (Rechtseinheiten) sind derzeit als BV vom LBA zugelassen (Stand 4. März 2013) 770 Unternehmen mit 1540 Standorten verfügen derzeit in Deutschland über den Status Reglementierter Beauftragter (RegB) 300 Unternehmen haben eine Zulassung zum RegB beantragt, vor allem Lager- und Verpackungsunternehmen 220 Röntgenanlagen zum Durchleuchten von Luftfracht sind vom LBA in Deutschland zugelassen, rund doppelt so viele wie noch vor einem Jahr Praxislösung bei Robert Bosch Investition in Sicherheit Das Maschinenbau- und Gebrauchsgüterunternehmen Robert Bosch hat rund eine halbe Million Euro aufgewendet, um 57 Betriebsstätten in Deutschland als Bekannter Versender behördlich zuzulassen. Neben den Schulungskosten von 700 bis 2000 Euro pro Person fielen vor allem bauliche Maßnahmen ins Gewicht. Denn lässt sich im Produktions- oder Logistikbereich Luftfracht identifizieren, dann darf diese nur noch autorisierten Personen zugänglich sein. Für jeden Standort musste deshalb in Zugangskontrollen und spezielle Stahlkäfige, wo Luftfracht eingeschlossen werden kann, investiert werden. Und je Standort kamen hier schnell 10.000 bis 20.000 Euro zusammen. Geschickter sei es da, so Bosch-Luftfrachtsicherheits-Projektleiter Werner Geheeb Anfang März auf den 4. Dekra Aviation Tagen in Hamburg, möglichst spät Luftfracht identifizierbar zu machen. Das heißt, wenn normale Mitarbeiter im Produktions- und Logistikbereich anhand der Warenkennzeichnung nicht erkennen können, dass es sich um Luftfracht handelt, dann muss diese auch nicht speziell gesichert werden. Über diese elegante Methode der „Unwissenheit“ konnte Bosch die Notwendigkeit des Warenverschlusses um rund 50 Prozent verringern. Notwendig waren dazu aber IT-technische und organisatorische Veränderungen. So wurden aus den Packlisten im Kommissionierbereich jegliche Hinweise auf Luftfracht entfernt und entsprechende Informationen nur autorisiertem Personal zugänglich gemacht. Auch durch spezielle Stellflächen im Versand darf nicht mehr hervorgehen, ob die Fracht geflogen oder verschifft wird. ak

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