Luftfracht

Luftfracht Lieber langsam und billig Luftfracht oder Seefracht? Immer mehr Industrie- und Handelsunternehmen stellen aus ökologischen, vor allem aber aus ökonomischen Gründen die Wahl ihrer Verkehrsträger auf den Prüfstand. Welche Folgen das hat, lesen Sie hier. Auf den ersten Blick klingen die Zahlen, als habe hier jemand ein Faible für Luftfracht: Husqvarna Logistics mit Sitz in Ulm schickte im Auftrag ihrer weltweit operierenden Muttergesellschaft Husqvarna-Group im Jahr 2013 insgesamt 23.500 Pakete mit einem Gewicht von durchschnittlich 23 Kilogramm sowie knapp über 4000 Sendungen von im Schnitt etwa 600 Kilogramm per Luftfracht rund um den Globus. Der Inhalt: Alles, was man für Arbeiten draußen benötigt – von der Kettensäge bis zu Geräten für die Bautechnik und den jeweils nötigen Ersatzteilen. Doch Dieter Pollaschek, Leiter Transportmanagement von Husqvarna Logistics für Südwesteuropa, bewertet die nackten Fakten anders. Denn er kennt die Vorgeschichte und ihr Ergebnis: „Die Anzahl der Luftfracht-Sendungen ist im Zeitraum von 2010 bis 2013 um 60 Prozent gesunken. Diese Entwicklung ist kein Zufall. Denn im Jahr 2009, nachdem die schwedische Husqvarna-Gruppe den deutschen Gartengeräte-Hersteller Gardena gekauft hatte, haben Pollaschek und seine Kollegen das Transportmanagement der Gruppe neu aufgesetzt – und dabei auch die in ihren Augen zu hohen Kosten für Luftfracht zwischen den einzelnen Standorten des Unternehmens sowie Lieferanten und Kunden unter die Lupe genommen. Ihr Fazit: „Oft passten Pläne und Ziele zeitlich einfach nicht zusammen“, erläutert der Transportmanagement-Leiter. „Da musste man in der Not viel zu oft auf Luftfracht zurückgreifen.“ Insbesondere in den Verkehren von und nach Asien und Nord-amerika entdeckten die Transportspezialisten Optimierungsmöglichkeiten. Trend zur Verlagerung Mit diesen Maßnahmen liegen Dieter Pollaschek und seine Kollegen voll im Trend (siehe Interview Seite 39). „Wir sehen eine Verlagerung des Transportvolumens von der Luft- zur Seefracht“, sagt nicht nur José Sánchez, National Airfreight Manager von Röhlig Deutschland in Bremen. „Die Unternehmen haben in den letzten Jahren verstärkt daran gearbeitet, die Steuerung ihrer Warenströme zu optimieren, sie führen ihre Lager heute wesentlich effizienter.“ Die Logistikprozesse im Visier Das Potenzial der Verlagerung von Verkehren aus der Luft auf das Schiff lotet derzeit auch der Schweizer Pharmakonzern F. Hoffmann-La Roche AG (Roche) mit Sitz in Basel aus. Spielraum ist vorhanden: Im Jahr 2012 betrug der Anteil der über den Luftweg transportierten Waren 15 Prozent, der Seefrachtanteil lag ein Prozent niedriger. In mehreren Pilotprojekten steht jetzt die Reduzierung von CO2-Emissionen im Vordergrund. Erste Ergebnisse seien vielversprechend, heißt es aus der Presseabteilung des Unternehmens. Allerdings betont man auch, dass der Prozess noch längst nicht abgeschlossen sei. Mit einer einfachen Devise hält Wilo SE, der weltweit tätige Pumpen- und Pumpensysteme-Hersteller mit Hauptsitz in Dortmund, den Anteil der Luftfracht klein: „Das Wort Luftfracht wird bei uns nicht gerne gehört“ erläutert Uwe Spitzenfeil, Leiter Logistik am Standort Dortmund. „Deshalb wird Luftfracht auch nur im Ausnahmefall genehmigt.“ Den Hauptanteil des Transportgeschäftes der Wilo SE in Dortmund macht mit rund 95 Prozent der Landverkehr aus. Die verbleibenden Frachtanteile sind See- und Luftfracht, wovon nur rund drei Promille der 28.000 Tonnen Fracht jährlich das Zentrallager des Unternehmens als Luftfracht verlassen. Die Herausforderung für die Wilo-Logistiker: In den letzten Jahren wurde die Produktion im Haus so umgestellt, dass nicht mehr fast ausschließlich Lagerware, sondern im großen Umfang auch auf Bestellung produzierte Güter versandt werden mussten. Oft kommt genau dabei die Luftfracht ins Spiel. Um das zu vermeiden, haben Dirk Winkelhage, Vice Wilo-President Group Logistik, und seine Kollegen ein Lieferkonzept entwickelt, das die aktuellen Seefracht-Laufzeiten als Ausgangspunkt nimmt. Die Messungen Lieferperformance zeigen, dass das Konzept greift: Bei der Auslieferung liegt die Quote der eingehaltenen Liefertermine sowohl für Lagerware als auch für on demand produzierte Güter aktuell bei 97 Prozent. Gleichzeitig konnten die Wilo-Logistiker den Luftfrachtanteil der weltweiten Transporte auf etwa zwei Prozent halten. Seinen Beitrag dazu leistet auch ein „Global Forwarder-Konzept“. Es basiert auf der engen Verzahnung der hauseigenen Logistik mit wenigen ausgewählten Transportdienstleistern, um Reibungsverluste zu vermeiden. In Verkehren von und nach China wurde es bereits erfolgreich umgesetzt – und soll jetzt weiter ausgeweitet werden. „Wir werden dies kurzfristig auf Länder wie Indien und Korea anwenden“, betont Winkelhage. Integrators profitieren vom Wandel Warum immer mehr Firmen von Luft- auf Seefracht umstellen, liegt laut den Logistikexperten von Röhlig Logistics in Bremen auf der Hand: „Die Unternehmen sind stark daran interessiert, ihre Kosten zu reduzieren, umso mehr vor dem Hintergrund der allgemeinen schwierigen Wirtschaftslage“, sagt National-Airfreight -Manager José Sanchez. In der Seefracht seien die Raten nun einmal niedrig – auch bedingt durch die deutliche Überkapazität bei den Carriern, führt er aus. Dirk Schneider, Röhlig Global Airfreight Director, macht noch einen anderen Faktor für die Entwicklung verantwortlich: „Der Handel erlebt gerade einen grundsätzlichen Wandel, die Bedeutung des Online-Handels und damit des B-to-C-Sektors wächst“, erläutert Schneider. „Davon profitieren die Integrators, sie wachsen und dringen dabei auch verstärkt in den Markt der traditionellen Carrier vor, zum Beispiel, indem sie eigene Fluggeräte nutzen.“ Die Folge: „Kleinere Sendungen, die früher per Luftfracht verschickt wurden, werden heute von Integrators transportiert. Auf einigen Routen auch größere Sendungen.“ Auch das Management des Skiherstellers Kästle im österreichischen Salzburg hat sein Augenmerk in den letzten Jahren verstärkt auf die Reduzierung der Transportkosten gelegt und versucht konsequent, mit Seefracht statt Luftfracht zu arbeiten. „In der Vergangenheit haben wir das leider oft nicht geschafft und haben im letzten Moment switchen müssen“, erzählt Oliver Binder, Operations-Chef bei Kästle. Jetzt setzt das Unternehmen im Vor- und im Nachlauf an, um im Überseegeschäft so häufig wie möglich die Ware aufs Schiff verladen zu können: Seit kurzer Zeit werden die Basis-Skier mit großem Vorlauf produziert. Die Konfektionierung erfolgt separat und „dadurch kann man nach Amerika Seefracht machen.“ Außerdem hat Kästle seine Vertriebstochter von Chicago nach Colorado verlegt – und damit deutlich näher an 85 Prozent des Absatzmarktes in den USA. „So gewinnen wir bei der Domestic Freight extrem viel Zeit und können uns damit Seefracht eher erlauben,“ führt Binder aus. Vorausschauende Logistikplanung Bei dem Unternehmen Husqvarna haben die Logistiker ebenfalls an mehreren Stellen angesetzt, um den Frachtanteil zugunsten der Seefracht zu verschieben: Einerseits „versuchten wir, zum Beispiel auf den Einkauf einzuwirken, um dort die Grundhaltung zu verändern“, erzählt Dieter Pollaschek. Das Prinzip: Bei entsprechender Planung und Organisation lassen sich viele Transporte auch über Seefracht abwickeln. „Da zeigen wir auch konkret auf, wie sich das kostenmäßig auswirkt.“ Andererseits „haben wir auch beim Management darauf hingewirkt, die Genehmigungsverfahren für Transporte anders aufzuhängen.“ Das Ergebnis ist: Heute müssen die Kollegen schlichtweg höhere administrative Hürden überwinden, um Transporte per Luftfracht genehmigt zu bekommen. Auch der Münchener Automobilhersteller BMW-Group arbeitet nach Angaben seiner Sprecherin Saskia Essbauer seit Jahren daran, Transporte auf ökologisch günstigere Verkehrsträger zu verlagern. Doch im Zeitraum 2009 bis 2012 (aktuellere Zahlen liegen noch nicht vor) ist der Seefracht-Anteil an der Transportleistung mit knapp 80 Prozent auf Basis von Tonnenkilometern relativ konstant geblieben, während sich der Anteil der Luftfracht trotz aller Bemühungen von 0,2 Prozent auf 1,2 Prozent erhöht hat. Ein Grund dafür ist die Veränderungsdynamik, die der Entwicklung mancher Bauteile unterliegt. So müssen zum Beispiel Software-Updates in der Produktion zeitnah berücksichtigt werden und bei einem Seefrachttransport von Asien nach Europa würde manches Bauteil schon während der Überfahrt veralten, heißt es bei BMW. Ohne Luftfracht geht es nicht Auch Dieter Pollaschek von Husqvarna ist sich bewusst, dass es „natürlich nicht ohne Luftfracht geht. Neu entwickelte Modelle müssen sie manchmal sehr schnell in die Läden bringen.“ Dank vorausschauender Produktions- und Logistikplanung stellten er und seine Kollegen viele Transportwege indes auf Seefracht um und konnten so die Logistikkosten deutlich senken. „Damit können wir sehr zufrieden sein.“ Ob der Hersteller bei diesem Mix indes dauerhaft bleibt, wird sich weisen. Denn die Entscheidung Luftfracht versus Seefracht sollte regelmäßig auf den Prüfstand – zumindest wenn man dem Ansatz eines Autorenteams um Professor Jörg Schlüchtermann von der Universität Bayreuth glaubt. Die Autoren haben für einen Artikel in der Zeitschrift „Supply Chain Management“ im vergangenen Jahr See- und Luftfracht im Hinblick auf die anfallenden Kapitalkosten analysiert und meinen: „Wenn in der Seefracht viele Anbieter zum Slow-Steaming übergehen, sinken möglicherweise auch die Marktpreise für Luftfracht.“ Aus diesem Grund sollten, empfehlen die Autoren, „beide Märkte kontinuierlich beobachtet werden.“ Und dass sich dies lohnen kann, hat Oliver Binder gerade erlebt. „Es gibt immer wieder Absurditäten im Markt,“ meint der Head of Operations beim Skihersteller Kästle. „Aktuell fahren wir mit Luftfracht nach Australien günstiger als mit Seefracht – und bei den Vollkosten werden wir etwa beim gleichen Preis landen. Aber wir gewinnen neun Wochen.“ ❙❚■ Florian Beck, freier Journalist Daten + Fakten BAG-Prognose: Deutliche Aufhellung Nach einem verhaltenen Jahr 2013 geht es in der Luftfracht wieder aufwärts: Drei Prozent Mengenplus in 2014 erwartet das Bundesamt für Güterverkehr (BAG) in seiner soeben veröffentlichten Mittelfristprognose für Güter- und Personenverkehr – Winter 2013/2014. Für die Jahre bis 2017 rechnet das BAG in der Luftfracht ebenfalls mit einem jährlichen Mengenanstieg um 3,1 Prozent. Für den Containerverkehr rechnet die Mittelfristprognose sogar mit einem „erheblich höheren Anstieg“ der Mengen als in 2013 – dank des deutlich beschleunigten Wachstumstempos im deutschen Außenhandel. 2013 hatte der Seeverkehr insgesamt ein Minus von 0,6 Prozent eingefahren – bedingt durch das drastische Minus bei Kohle und Rohöl in 2013. Von 2015 bis 2017 rechnet das BAG ebenfalls mit einem jährlichen Anstieg um 2,5 Prozent. eh Interview „Die Industrie plant ihre Abläufe anders“ Hält die Verlagerung von Luftfracht zur Seefracht an? Das beantwortet Vojslav Jevtic, Corporate Manager für Air & Sea von Gebrüder Weiss. Gibt es in der weltweiten Logistik tatsächlich eine Verlagerung von Luft- auf Seefracht? Welche Entwicklung stellen Sie als Logistikdienstleister fest? Vojslav Jevtic: Wir erleben das auch so. Ge-trieben von der Krise im Jahr 2009 zieht sich diese Verlagerung seit 2012 durch. Können Sie dies mit konkreten Zahlen untermauern? Das lässt sich nicht genau quantifizieren. Aufstellungen zum Jahr 2012 sprechen von 11,2 Prozent Umsatzsteigerungen bei der Seefracht und von 6,1 Prozent bei der Luftfracht. Im letzten Jahr konnten wir uns von diesem Trend etwas erholen, die Seefracht steigt, aber die Luftfracht hält proportional mit. Sehen Sie außer der Wirtschaftskrise und dem damit einhergehenden größeren Kostenbewusstsein noch weitere Gründe für diese Entwicklung? Einerseits sind die Seefrachtlinien trotz verminderter Reisegeschwindigkeit – Stichwort Slow Steaming – viel besser geworden. Wir kommen heute in 28 Tagen von Shanghai bis nach Hamburg – zuverlässig. Und die Industrie hat schlicht ihre Abläufe anders geplant. Heute sind die Planungen effizienter. Trauen Sie der Seefracht noch weitere Qualitätssprünge zu? Wir sind seit ein paar Jahren sehr stark getrieben von Begriffen wie Grüne Logistik. Und da entwickelt sich die Schifffahrt aus meiner Sicht schneller. Denn ein Flugzeug zu konzipieren und auf den Markt zu bringen, dauert zehn Jahre, bei einem Schiff geht das in drei bis vier Jahren. Dann wird sich der Trend Ihrer Ansicht nach also fortsetzen? Es gibt viele Prognosen. Das Problem ist, dass sich der Markt ständig ändert – und mit ihm die Prognosen. Es ist ein bisschen wie in einer Glaskugel zu lesen – auch für uns Logistikdienstleister. fb Bei Husqvarna sank die Anzahl der Luftfrachtsendungen in den letzten drei Jahren um 60 Prozent Luftfracht Kleinere Sendungen, die früher mit Airlines verschickt wurden, befördern verstärkt Integrators „Früher war im Grunde alles auf Lager. Heute wird ein Teil der Produkte erst auf Bestellung gebaut“ Uwe Spitzenfeil, Leiter Versand der Wilo-Standorte Dortmund und Unna

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