Logistik im Wüstensand

Der Landweg nach Saudi-Arabien ist beschwerlich. Von Berlin bis in die saudische Hauptstadt Riad sind es 56.000 Kilometer. Die Spedition Reibel Logistics aus Garching bei München setzt bei Transporten auf die arabische Halbinsel als eines der wenigen Unternehmen dennoch stark auf den Landweg. Der Lkw habe durchaus Vorteile, so Emre Yetistirici, der bei Reibel Logistics für die Region zuständig ist. Normalerweise sei man schneller als das Schiff und billiger als die Luftfracht. Doch der ohnehin beschwerliche Weg ist aktuell fast unmöglich geworden. In Syrien ist wegen des Bürgerkrieges kein Durchkommen. Auch über den Irak ist es kompliziert, da viele Gebiete für die Durchfahrt zu gefährlich sind. Eine Alternative wäre eine Fähre von der Türkei nach Saudi-Arabien. Doch weil diese durch den Suezkanal muss, verliert der Lkw einen Großteil seiner Kostenvorteile. Öl und Chemie dominieren Bedarf an Transportleistungen wäre reichlich vorhanden. Saudi-Arabien ist die größte Volkswirtschaft im arabischen Raum. Für 2014 rechnen Volkswirte mit einem Wachstum von etwas über vier Prozent. Die Wirtschaft ist allerdings stark abhängig vom Erdöl. Saudi-Arabien ist einer der größten Erdölproduzenten weltweit und größter Exporteur des flüssigen Goldes. Der staatliche Ölsektor dominiert das Bruttosozialprodukt des Landes noch fast zur Hälfte. Allerdings bauen Nicht-Ölbranchen aus der Privatwirtschaft ihre Rolle im Land stetig aus. Nach den Zahlen von Germany Trade and Invest (GTAI) stellte die Privatwirtschaft 2013 bereits knapp über 50 Prozent der Bruttoanlageinvestitionen. Das Geld floss vor allem in den Ausbau der Infrastruktur, in den Wohnungsbau sowie in Maschinen und Ausrüstungen. Neben der Ölförderung spielt die saudiarabische Chemieindustrie eine wichtige Rolle im Land. Laut GTAI verdoppelten sich die Produktionskapazitäten der Polymersparte zwischen 2008 und 2014 auf 18,3 Millionen Tonnen. Die staatliche Ölgesellschaft Aramco plant, die Sparten Fein- und Spezialchemie mittels ausländischer Partnerunternehmen deutlich auszubauen. So soll im kommenden Jahr ein 20 Milliarden Euro teures Projekt zusammen mit dem US-Konzern Dow Chemical an den Start gehen. Starkes Wachstum ist zudem vom Bausektor und vom Gesundheitswesen zu erwarten. Laut GTAI sind derzeit allein 57 Krankenhäuser in Planung. Auch in Logistik wird investiert. Der Sektor gehörte in den letzten Jahren zu den Wirtschaftsbereichen mit den höchsten Wachstumsraten. Das Straßennetz ist bereits gut ausgebaut. Nun soll in den kommenden Jahren ein ehrgeiziges Schienenprojekt verwirklicht werden. Vor wenigen Jahren gab es nur zwei veraltete Strecken zwischen Riad und Dammam. In den letzten vier Jahren kamen zahlreiche neue Verbindungen hinzu. Fast 100 Milliarden Dollar sollen in den weiteren Ausbau gesteckt werden. Ziel ist eine Vernetzung des gesamten arabischen Raumes auf der Schiene. "Das würde erstmals echte intermodale Angebote möglich machen", sagt Michel de Kramer. Der Holländer war für Hoyer Global Transport lange in Saudi-Arabien tätig und koordiniert die Aktivitäten nun von den Niederlanden aus. Der Ausbau der Schiene würde auch der Containerisierung im Land Vorschub leisten. Schon jetzt baut Saudi-Arabien die Containerkapazitäten an den Häfen deutlich aus. So soll der Millennium Seaport der King Abdullah Economic City (KAEC) den bisher wichtigsten Hafen Jeddah an der Westküste entlasten. Das Projekt gehört zum Bau der Retortenstadt KAEC, die zu einem Handelszentrum des Landes werden soll. In der Endausbaustufe sollen im Hafen 20 Millionen Standardcontainer im Jahr umgeschlagen werden. Über den King Abdullah Hafen soll künftig ein großer Teil des Seeverkehrs zwischen Asien, Afrika und Europa abgewickelt werden. Dazu will die KAEC die Logistik und die Zollabfertigung am Tiefseehafen beschleunigen. Das zieht mittlerweile internationale Unternehmen wie Pfizer oder Mars an und macht das Projekt damit für Logistikdienstleister interessant. Auch der King Abdul Aziz Port in Dammam und der Industriehafen Yanbu bekommen derzeit neue Containerterminals. Es fehlt an gut ausgebildeten Fahrern Während für den zügigen Transport bis an die Landesgrenzen alles bereitet scheint, fehlt es im Land derzeit vor allem an Fahrern, berichtet de Kramer. Diese kommen aus Ländern wie Thailand, den Philippinen, Indien, Bangladesch und Pakistan. Nachdem die saudische Regierung mit dem 2011 beschlossenen "Saudisierungsprogramm" die Zahl der inländischen Arbeitnehmer zu erhöhen versucht, sei es schwierig geworden, Visa für ausländische Fahrer zu bekommen. Saudische Arbeitnehmer meiden aber immer noch Branchen mit einem ausgeprägten Niedriglohnsektor. Dabei ist die Arbeitslosigkeit unter der saudischen Bevölkerung mit fast 12 Prozent und unter den Jugendlichen mit über 25 Prozent hoch (die offizielle Arbeitslosenquote wird mit 5,5 Prozent angegeben). Dennoch fehlen ausgebildete Fahrer, vor allem für Gefahrgut, völlig. Auch entsprechende Gesetze oder Verordnungen, etwa Vergleichbares zum Übereinkommen über die Beförderung gefährlicher Güter auf der Straße (ADR), sind unbekannt. "Man braucht unbedingt Leute, die sich vor Ort mit den Gesetzen auskennen", rät de Kramer. Viele Vorschriften sind nur in arabischer Sprache verfügbar und lassen zudem viel Raum für Interpretationen. Lange Wartezeiten an den Grenzen Auf der anderen Seite gilt Saudi-Arabien, dank drakonischer Strafen, als eines der sichersten Länder der Region. Lkw-Fahrer sperren ihre Fahrzeuge in der Regel nicht mal ab, da es kaum zu Diebstählen kommt. Diese Sicherheit führt aber auch immer wieder zu langen Wartezeiten an der Grenze. Auf der Suche nach verbotenen Waren wie Alkohol können schon mal einige Wochen vergehen, bevor der Zoll die Ladung freigibt. Das Problem daran: Über Nacht können sich die Einreisebestimmungen ändern oder die Einfuhr von Produkten verboten werden. Solche Überraschungen seien keine Seltenheit, weiß de Kramer. Viele Logistiker konzentrieren sich darum auf liberalere Länder in der Region wie Dubai. Andere setzen auf die Chancen in Saudi-Arabien. So hat Hoyer schon ein Joint Venture mit der Sharaf Group und Globe Marine Group gegründet. Das Gemeinschaftsunternehmen wickelt intermodale Transporte von flüssigen Produkten, hauptsächlich aus der petrochemischen Industrie, in Saudi Arabien und den Staaten des Golf-Kooperationsrates ab. DHL hat im vergangenen Jahr für 95 Millionen Dollar drei neue Lieferzentren mit insgesamt fast 37.000 Quadratmetern Fläche in Damman, Riad und Jeddah gebaut. Seit September hat DHL Express seinen Sitz in Riad und ein Lieferzentrum am King Khalid International Airport. 2012 wickelte DHL Express nach eigenen Angaben in Saudi Arabien 300.000 Expresssendungen über sein Netzwerk ab. Zahlreiche Menschenrechtsverletzungen Die Schattenseiten des Landes dürfen dennoch nicht übersehen werden. Das Land gilt als Verbündeter des Westens gegenüber den islamistischen und anti-jüdischen Kräften in der Golfregion und dem Nahen und Mittleren Osten. Dafür wird gerne über die Verfehlungen des Regimes, etwa im Hinblick auf Menschenrechtsverletzungen, hinweggesehen. Für Politiker und Unternehmen ist das eine Gratwanderung. Von Rechtsstaatlichkeit kann in dem autoritären System keine Rede sein. Unterdrückung von Andersdenkenden, Ausbeutung von ausländischen Arbeitern, fehlende Frauenrechte und das umstrittene und grausame Recht der Scharia sollten eigentlich scharfe Reaktionen hervorrufen. Wie nachtragend die saudische Regierung allerdings sein kann, zeigt sich am Beispiel Schwedens. Die Regierung kritisierte die Menschenrechtsverletzungen. Die Quittung bekommen schwedische Geschäftsleute, denen seitdem die Einreise verweigert wird. Die Serie Länder mit Potenzial Wenn es um Staaten geht, die als Wachstumsmärkte gelten, werden oft Länder wie China, Rumänien oder Bulgarien genannt. Unsere Serie lässt den Blick über den Rand der EU schweifen und stellt eher unbekannte Länder vor. Wir gehen auf deren Stärken, Schwächen und Besonderheiten ein und geben Hinweise, worauf zu achten ist, wenn man hier Fuß fassen will. Nach Marokko (VR 43/2014), Kasachstan (VR 47/2014), Russland (VR 4/2015), Tunesien (VR 8/2015), Weißrussland (14/2015) und Saudi-Arabien folgt Türkei (VR 25/2015). cd Chancen und Risiken Chancen- Konsumfreudige und kaufkräftige Bevölkerung- Starke petrochemische Industrie, verarbeitende Industrie im Aufbau- Gut ausgebautes Straßennetz, Häfen und Schienennetz werden massiv ausgebaut- Sehr hohe Investitionsbereitschaft und Investitionsfähigkeit, vor allem in Infrastruktur und BildungRisiken- Absolutistisches System mit massiven Menschenrechtsverletzungen- Unsichere Rechtslage mit eigenwilligen Auslegungen- Schwieriger Arbeitsmarkt mit einer hohen Abhängigkeit von Gastarbeitern- Hohe Bürokratie mit teilweise unvorhersehbaren staatlichen Eingriffen in die Privatwirtschaft- Extreme klimatische Bedingungen- Restriktive Visapolitik ah