LKW-Navigationsgeräte

LKW-Navigationsgeräte Staufrei durch den Pott Kommunen im Ruhrgebiet sammeln für die Navi-Hersteller Kartendaten für bessere LKW-Navigationsgeräte. Das Ziel: stau- und hindernisfreie Routen durch den Pott. Frühjahr 2013, Kamen im Ruhrgebiet. Der 40-Tonner rollt durch die Stadt. Der Fahrer am Steuer übersieht ein Schild, das vor der nahenden Oberleitung der Straßenbahn warnt: Die Antenne auf dem Fahrerhaus berührt das Kabel, 750 bis 1000 Volt schießen durch die Antenne, sie brennt augenblicklich ab. Übrig bleibt nur ein rußiger Fleck am Dach. Der Blitz frisst sich weiter ins Innere der Kabine. Der Fahrer hat Glück, zehn Zentimeter neben seinem Kopf stoppt der Brand. Solche Unfälle ereignen sich regelmäßig: LKW bleiben unter Brücken stecken, Sattelzüge fahren sich auf engen Straßen fest, Schwerlastverkehr quält sich durch Wohngebiete. Diese Probleme haben oft eine simple Ursache: Vier von fünf LKW-Fahrern sind mit einem Navigationsgerät für PKW unterwegs. Und das schlägt stur die für Autos schnellste Route vor, ganz egal, ob es hier Hindernisse für LKW gibt oder nicht. Dieses Problem wollen Kommunen im Ruhrgebiet in einem gemeinsamen Kraftakt lösen. Die Städte, darunter Dortmund, Duisburg und Essen, haben zweierlei vor: Zum einen wollen sie alle LKW-Beschränkungen erfassen, die es im Stadtgebiet gibt. Zum anderen wollen sie Vorrangstrecken für LKW ausweisen, auf denen es keine Hindernisse gibt. Die Kommunen verschenken die Daten an Hersteller digitaler Karten, um so zu erreichen, dass diese ihren Weg in die Navis finden. Bislang läuft das Projekt ordentlich: 36 Kommunen sind schon dabei, darunter auch jene mit der größten Verkehrsdichte. Wirkliche Lücken gibt es nur noch in Recklinghausen und Herten. Ein Großteil der Verkehrsdaten ist bereits erfasst und mit Here/Nokia wurde ein führender Kartenhersteller als Kooperationspartner gewonnen. Die Nummer zwei soll bald folgen. „Wir sind schon in Gesprächen mit Tom-Tom“, sagt Andrea Hoppe von der Wirt-schaftsförderung Metropole Ruhr, Mülheim, die das Projekt steuert. Noch 2014 wird der Service in der Region beworben. „Wir würden uns über eine Ausdehnung in den Rhein-Ruhr-Raum freuen“, plant Hoppe. Dieser Wunsch dürfte bald in Erfüllung gehen, denn nach Insider-Informationen plant auch Köln, spezielle LKW-Routen einzurichten. Die Fuhrunternehmen im Ruhrgebiet stehen der Idee offen gegenüber. „So ließe sich eine Menge Geld sparen“, meint Peter Vierig, Geschäftsführer der RKL Eurocargo, Kamen. Das Logistikunternehmen ist mit 50 eigenen Fahrzeugen im Ruhrgebiet unterwegs. Von den momentan am Markt verfügbaren LKW-Navis hält Vierig nichts. Die sind „oft nicht praxisverträglich und trotzdem sehr teuer“, urteilt er. Deshalb sei es wichtig, dass die elektronisch ausgewiesenen Vorrangrouten möglichst bald und möglichst flächendeckend kämen. Zwei Wochen die Straßen abgefahren Zu den Kommunen, die Trucks den Weg weisen wollen, gehört auch Witten. Die Stadt am südlichen Rand des Ruhrgebiets ist verkehrstechnisch ein schwieriges Pflaster: Große Stahlbetriebe müssen sich den Platz mit Wohngebieten teilen. Wer durch Witten fährt, erreicht fast auf jeder Straße schnell eine Brücke mit Höhenbeschränkung, das führt immer wieder zu Unfällen. „Wir haben versucht, mit Beschilderung zu arbeiten, aber das hat nur kleine Erfolge gebracht“, sagt Annette Schröder vom Planungsamt der Stadt. „Wenn die Information nicht im Navi ist, nützt uns das gar nichts.“ Deshalb entschied sich Witten zu einer großen Inventur: Schröder fuhr zusammen mit einer Kollegin zwei Wochen lang alle Straßen im Stadtgebiet ab und erfasste die Beschränkungsschilder. Eine weitere Woche war nötig, um die Informationen in eine digitale Karte einzutragen. Nach der Bestandsaufnahme ging es an die Umsetzung: Die politisch ausgehandelten Vorrangrouten wurden in die Karte eingezeichnet und Maßnahmen ergriffen, die für flüssigeren LKW-Verkehr sorgen. „Besonders schwierige Punkte wurden schon beseitigt“, so Schröder. Weitere Verbesserungen stünden noch auf der Agenda. Witten ist von dem Projekt schon jetzt begeistert. Vorher waren die Informationen, wo welches Schild steht, auf mehrere Ämter verteilt. Auf der neuen Karte lässt sich die Verkehrslandschaft nun auf einen Blick erkennen. Das werde überflüssige politische Diskussionen verhindern, freut sich Schröder. „Wenn ein Politiker ein Fahrverbot für eine Straße fordert, können wir jetzt auf den Plan schauen und sofort sagen: Nein, die LKW müssen dort entlang.“ Hauptziel des Projekts bleibe jedoch die Lenkung des Güterverkehrs, so Schröder. „Wir hoffen, dass LKW künftig nicht mehr durch restriktive Gebiete fahren.“ Über dem Projekt schwebt die Frage: Wozu fahren die Kommunen mit dem Fotoapparat durch die Gegend, wenn Google & Co. das längst getan haben? „Wir erfassen Restriktionen nur bis zur Kreisstraßenebene“, erklärt Christian Kleine von Here/Nokia. Das Unternehmen ist Weltmarktführer bei digitalem Kartenmaterial, vier von fünf fest eingebauten Navis nutzen seine Daten. Wenn die Kommunen künftig etwa Brückenbeschränkungen in den Innenstädten meldeten, würde auch der Kartenanbieter davon profitieren. „Dann hätten wir detaillierte Datensätze bis runter auf die Gemeindestraßen“, so Kleine. Ein weiterer Nachteil der kommerziellen Karten ist, dass sie nicht immer aktuell sind. Firmen wie Here fahren im Schnitt mit ihren Erfassungswagen nur alle zwei Jahre durch eine Straße, die Städte dagegen könnten wesentlich häufiger Daten liefern. „Irgendwann könnte es sogar tagesgenaue Updates geben“, freut sich Kleine. Sperrt dann die Stadt überraschend eine Brücke, erfährt der Kartenanbieter davon sofort – und könnte eine Umleitungsstrecke an die Navis weiterreichen. Die Vorrangrouten würden natürlich auch in den Karten ständig aktualisiert, so Kleine. Bei aller Begeisterung über die neue, ver-meintlich staufreie LKW-Navigation bleiben jedoch Fragen. Vor allem: Wer garantiert, dass die Spediteure ihre Fahrzeuge mit Navis ausrüsten, die die Vorrangrouten kennen? Und werden sich die Fahrer auch daran halten? Vermutlich ja – weil die Verlader in Zukunft darauf drängen könnten. Das war zumindest der Tenor auf einem Fachkongress, der am 20. Februar in Bochum stattfand. Gerd Deimel, Logistik-Experte beim Chemiekonzern Lanxess: „Wir müssen solche Dinge in den Anforderungskatalog für unsere Dienstleister aufnehmen.“ Wenn keine tauglichen Navigationsgeräte genutzt würden, müsse über Konsequenzen nachgedacht werden, zum Beispiel wenn es zur Frage von Standgeldern komme, so Deimel. Der Verlader werde sich dafür einsetzen, dass solche LKW-Navigationsgeräte mit Vorrangrouten forciert ausgebaut würden. Spediteure müssen sich also darauf einrich-ten, künftig für ihre Flotte die rund 200 Euro für ein Truck-Navi zu investieren. Ob das große Ziel erreicht wird und wirklich weniger Schwerlastverkehr durch Wohngebiete rollt, bleibt abzuwarten. Prognosen dazu gibt es nicht: In Frankfurt am Main läuft zwar schon länger ein Projekt zur besseren Truck-Navigation, LKW-Lotse, doch ob es etwas gebracht hat, wurde vom öffentlichen Auftraggeber bisher nicht nachgeprüft. Und was ist, wenn die empfohlenen LKW-Routen verstopft sind? Zu dieser Frage äußern sich die Macher des Projekts kaum. Spediteur Vierig aus Kamen bringt das Grundproblem auf den Punkt: „Das beste Navi kann keine verbesserte Verkehrsinfrastruktur liefern.“ ❙❚■ Constantin Gillies, freier Journalist Verlader wollen Druck auf die Spediteure ausüben, dass diese richtige LKW-Navis einsetzen Projekt-Steckbrief Stadtverträgliche LKW-Navigation in der Metropole Ruhr Initiator: Wirtschaftsförderung Metropole Ruhr gemeinsam mit den Industrie- und Handelskammern des Ruhrgebiets Der Plan: 1. Die Kommunen erfassen Beschränkungen, die für den LKW-Verkehr gelten, wie zum Beispiel Brückendurchfahrtshöhen, Gewichts- und Geschwindigkeitsbeschränkungen oder Umweltzonen. 2. Die Kommunen legen sogenannte LKW-Vorrangrouten fest, die möglichst außerhalb der Siedlungsbereiche liegen und keine Restriktionen aufweisen. 3. Diese Daten werden kostenlos an die kom-merziellen Hersteller von digitalen Karten und interessierte Dritte weitergegeben. Das Ziel: Weniger Schwerlastverkehr in Wohngebieten, weniger Unfälle Die Kosten: Das Projekt hat kein eigenes Budget, allerdings bindet es bei den betei-ligten Kommunen einiges an Personal, zumal die Daten regelmäßig aktualisiert werden müssen. Der Status: 36 von 53 Kommunen wurden gewonnen, die meisten haben die Erfassung der LKW-Beschränkungen schon abgeschlossen. Im Lauf des Jahres sollen die Vorrangrouten beworben werden. Eine Ausdehnung des Projekts auf die Rheinschiene ist wahrscheinlich. Mehr Informationen: Im Internet unter www.lkw-navigation.metropoleruhr.de cg

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