Krisen-Tipps für das Chaos am Kanal

Die Ruhe trügt. Seit Anfang des Monats sind die Autobahnen in Richtung des Ärmelkanals wieder weitestgehend frei. Noch vor drei Wochen ging rund um die Häfen von Calais in Nordfrankreich und dem englischen Dover mitunter nichts mehr: Bis zu 60 Stunden mussten Lkw-Fahrer in kilometerlangen Schlangen vor den Sicherheitsbereichen der Fährhäfen und des Eurotunnels ausharren. Glaubt man Daniel Torres, gehört dieses Szenario in Kürze wieder zum Alltag der Güterverkehrsunternehmen im Großbritannien-Verkehr. Für die plötzliche Normalisierung der Abfertigung an den Terminals und das Verschwinden der Rückstaus hat der Sprecher des Bundesverbandes Güterverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) eine simple Erklärung: "Viele Fabriken in Europa haben derzeit Betriebsferien und deshalb gibt es weniger Güter zu transportieren", berichtet der Experte. Im September ist es vorbei mit der Ruhe Die vorübergehende Entspannung dürfe nicht davon ablenken, dass das Flüchtlingsproblem am Ärmelkanal nach wie vor ungelöst sei. "Wir rechnen damit, dass die Situation sich im September wieder zuspitzt, weil das Verkehrsaufkommen dann steigt." Zwar hat Großbritannien mehr Unterstützung und umgerechnet 32 Millionen Euro zugesagt, um den Fährhafen von Calais und den Eurotunnel nebenan sicherer zu machen. Dennoch hat sich die Lage weiter verschärft. Allein Ende Juli zählten die Behörden teilweise pro Nacht 2000 abgewehrte Versuche, über die Zäune vor dem Eurotunnel zu gelangen. Das mittlerweile höhere Aufgebot an Polizisten und Sicherheitsleuten oder zusätzliche Stacheldrahtzäune und Spürhunde schrecken die schätzungsweise bis zu 5000 Flüchtlinge bisher kaum ab. Das Aufrüsten führt eher dazu, dass sie immer höhere Risiken eingehen, um versteckt in Lkw nach Großbritannien zu kommen. Umso wichtiger ist es, dass die betroffenen Unternehmer entsprechende Sicherheitsmaßnahmen ergreifen oder sich diese ins Gedächtnis rufen, um sich vor Bußgeldern wegen der Einfuhr illegaler Einwanderer zu schützen und die Einbußen durch Verzögerungen, Fahrzeug- und Warenschäden zumindest zu begrenzen. Home Office gibt genaue Anweisungen Das britische Innenministerium (Home Office) stellt online umfangreiche Verhaltensregeln zur Abwehr illegaler Einwanderer zur Verfügung sowie Checklisten bereit, wie man Fahrzeuge richtig schützt (eine Zusammenfassung finden Sie rechts im Kasten). Die aufgeführten Maßnahmen sollten Fuhrunternehmen und deren Fahrer möglichst genau einhalten und dabei darauf achten, dass sie alle Sicherheitsvorkehrungen, Schulungen und Unterweisungen dokumentieren, um später Ärger zu vermeiden. Denn derzeit durchleuchtet die Einwanderungs- und Zollbehörde (UK Border Force) alle Frachtverkehre, die Nordfrankreich in Richtung England verlassen - mit allen Mitteln. Wenn ein Lkw unzureichend gesichert ist und sie blinde Passagiere darin findet, droht eine Strafe von bis zu 2000 britischen Pfund (2800 Euro) pro aufgefundener Person. Die können die Kontrolleure gegen den Fahrer, Halter oder Mieter des Fahrzeugs verhängen. Beihilfe zu illegaler Einreise ins Vereinigte Königreich ist zudem mit Haftstrafen von bis zu zehn Jahren belegt. Das Bußgeld muss man innerhalb von 60 Tagen ab Ausstellungsdatum bezahlen. Passiert dies nicht, können die Grenzbeamten das Fahrzeug beschlagnahmen. Es ist möglich, gegen die Strafe Einspruch einzulegen und weitere Dokumente zur Entlastung beizubringen. Die Frist hierfür beträgt 28 Tage. Das entsprechende Formblatt mit der Nummer "N161" findet sich auch auf der Internetseite des Home Office. Was genau zu tun ist, steht auf dem Bescheid "IS11".Die Handlungsanweisungen, Formblätter und eine Checklisten-Vorlage findet man im Netz mit den Schlagworten "Secure your vehicle to help stop illegal immigration". Akkreditierung soll Vertrauen schaffen Güterverkehrsunternehmen können sich darüber hinaus beim Home Office akkreditieren und bereits im Vorfeld auf einem Formblatt darlegen, dass alle Mitarbeiter nach einem wirksamen Sicherheitssystem handeln und dies auch protokollieren. Dadurch lassen sich die Strafen im Ernstfall angeblich reduzieren, wenn kein begründeter Verdacht gegen den Fahrer besteht. Schleicht sich trotz aller Vorsicht ein blinder Passagier an Bord, sollten die Fahrer diesen unverzüglich der örtlichen Polizei oder der UK Border Force am Hafen Calais melden. Auch den bloßen Verdacht sollten sie mitteilen (Telefonnummern siehe Kasten auf Seite 42). Das Innenministerium in London empfiehlt, nichts zu unternehmen und im Lkw zu bleiben. Es kann durchaus vorkommen, dass Flüchtlinge gewalttätig werden. Die Betroffenen sollten warten und nicht auf die Fähre oder den Shuttlezug fahren, bis der Fall geklärt ist. Polizei in Kent ruft Operation Stack aus Auf der anderen Seite des Ärmelkanals hat die Polizei Kent auf das zeitweise Chaos am Kanal reagiert und in Hochphasen die Lkw aufgrund des Platzmangels vor den Terminals im Hafen Dover auf Seitenstreifen der Autobahn M20 verwiesen. Operation Stack heißt diese Aktion. Fuhrunternehmer, deren Fahrzeuge in diese polizeilich geregelten Warteschlangen geraten, sollten ihre Fahrer vorher angewiesen haben, auf die Beamten zu hören. Wer ausschert, riskiert ein Bußgeld und muss sich wieder ganz hinten anstellen. Um Verzögerungen vor den Häfen von Calais und Dover besser einplanen zu können, lohnt sich nicht nur ein Blick auf die Twitter-Portale der Fährgesellschaften und des Betreibers des Euro-Shuttle, sondern auch auf die Accounts der Polizei Kent und der britischen Autobahngesellschaft Highways England. Dort erhalten Fuhrunternehmen die aktuellsten Verkehrsinformationen. Zum Beispiel erfahren sie, wie viel Zeit sie zum Einschiffen mitbringen müssen und ob die Operation Stack auf der M20 in Kraft ist. Verstöße gegen die Lenk- und Ruhezeiten lassen sich dadurch allerdings leider häufig nicht vermeiden. Aber keine Sorge: Das britische Verkehrsministerium drückt ein Auge zu, wenn Lkw-Fahrer aufgrund der Verzögerungen im nordfranzösischen Fährhafen Calais und am Eurotunnel nicht pünktlich Feierabend machen. Die Regeländerung gilt aber nur während der Operation Stack auf der Autobahn M20 in Richtung des Hafens Dover. Bis zum Monatsende wird die tägliche Lenkzeitbegrenzung bei Fahrern, die von Kent auf das europäische Festland oder umgekehrt wollen, von neun Stunden auf elf Stunden erweitert. Zeitgleich ist es erlaubt, die tägliche Ruhezeit von elf auf neun Stunden zu reduzieren. Die Verpflichtung, nach viereinhalb Stunden Lenkzeit eine 45-minütige Pause einzulegen, bleibt jedoch bestehen und wird auch kontrolliert. Das britische Verkehrsministerium betont zudem, dass auch die Arbeitszeitregelungen in Kraft bleiben. Die Kontrollbeamten in Deutschland sind über die zeitweiligen Erleichterungen bei der Einhaltung der Sozialvorschriften informiert. Auch die französischen Kollegen wissen Bescheid. In beiden Ländern wurden Verstöße gegen das Wochenendfahrverbot zuletzt nicht geahndet, wenn der Lkw nachweislich über den Ärmelkanal zurück auf das europäische Festland gefahren ist. Ob auch bis Ende des Monats so verfahren wird, war zu Redaktionsschluss ungewiss. Mehrkosten an Verlader weitergeben Selbst wer im Großbritannien-Verkehr derzeit alles richtig macht, muss wohl oder übel Mehrkosten in Kauf nehmen. Krisengeplagte Spediteure und Transporteure sollten deshalb versuchen diese an ihre Auftraggeber weiterzugeben, rät BGL-Referent Daniel Torres. Mit großem Widerstand rechnet er mittlerweile nicht mehr. "Die Industrie- und Handelsunternehmen wissen ja, wie brenzlig die Lage in Calais ist", sagt er. Spätestens wenn sie niemanden mehr fänden, der Güter über den Ärmelkanal befördern will, müssten sie einlenken. Mehr unter Verkehrssicherheit im Lkw-Verkehr www.verkehrsrundschau.de/dossiers 10 Massnahmen, um Ärger zu vermeiden 1 Das britische Innenministerium stellt eine Reihe von Richtlinien, Formblättern und Checklisten für Speditions- und Transportunternehmen zur Verfügung, die illegale Einwanderung verhindern sollen. Um das Risiko, eine Geldstrafe aufgebrummt zu bekommen, so gering wie möglich zu halten, empfiehlt es sich, diese als Präventionsvorschläge zu lesen und sich daran zu halten. Sie finden diese online unter: www.gov.uk/secure-your-vehicle-to-helpstop-illegal-immigration/2 Erstellen Sie vor Beginn der Tour eine Checkliste mit Maßnahmen, die der Fahrzeugsicherheit und der Prävention gegen Strafen wegen blinder Passagiere an Bord dienen, und geben Sie den Fahrern genaue Instruktionen, was sie unbedingt tun und vermeiden sollen. Am besten schulen Sie Mitarbeiter, die über Nordfrankreich fahren, wie sie das System anwenden sollen. Lassen Sie von ihnen alle Sicherheitsmaßnahmen und Kontrollen vor und während der Tour in diese Liste eintragen.3 Beobachten Sie den Lkw, wenn er beladen wird, um sicherzustellen, dass keine unautorisierten Personen einsteigen. Die Fahrer sollen während der Beladung die Karosserie und Plane prüfen und die Kontrolle und jegliche Schäden in die Checkliste eintragen. Lassen Sie beschädigte Komponenten am Fahrzeug vor der Abfahrt ausbessern und die Reparatur schriftlich festhalten.4 Sichern Sie das Fahrzeug nach der Beladung: Sorgen Sie dafür, dass die Türen verschlossen und mit Vorhängeschloss und Plombe gesichert sind. Verwenden Sie zudem ein Zollseil mit einem widerstandsfähigen Vorhängeschloss oder Verschluss. Lassen Sie die Verschlussnummern von Schloss und Plombe durch die Fahrer auf der Checkliste oder den Frachtpapieren vermerken. Lassen Sie das Sichern und Verschließen, wenn möglich, von einem Dritten bezeugen.5 Lassen Sie nach jedem Halt das Gewebe der Plane, die Struktur der Karosserie, das Dach - möglichst vom Laderaum aus - und vor allem alle Sicherungsvorrichtungen prüfen: Der Fahrer muss sich vergewissern, dass Plomben, Schlösser und Seile intakt sind. Er soll auch auf den Achsen, in den Außenfächern und hinter dem Dachspoiler nachsehen.6 Wenn Lkw unbeaufsichtigt gelassen werden, sollten die Fahrer sich beeilen und darauf achten, dass die Fenster geschlossen sind, die Alarmanlage einschaltet ist und die Kabine abgesperrt ist. Weisen Sie an, den letzten Stopp so weit wie möglich entfernt vom Hafen Calais einzulegen.7 Wenn Anzeichen von Schäden, Manipulation oder unautorisiertem Zugang bestehen, lassen Sie die Ladung und den Laderaum prüfen und die Sicherheitsvorrichtungen erneut anbringen. Wenn der Verdacht besteht, dass sich blinde Passagiere an Bord befinden, kontaktieren Sie die lokalen Polizeibehörden und die britische Einwanderungs- und Zollbehörde (UK Border Force).8 Lassen die Schritte 4 bis 6 wiederholen, bevor Ihre Fahrer in die Kontrollzonen des Vereinigten Königreichs in Calais (vorgezogene Zollkontrolle) fahren oder sich für Großbritannien einschiffen.9 Lassen Sie einen CO2-Check oder Lkw-Untersuchungen durch Hunde, Scanner oder Detektoren durchführen, sofern dies angeboten wird. Wenn diese Möglichkeit nicht besteht, notieren Sie dies auf der Checkliste.10 Verzeichnen Sie Uhrzeit und Datum aller durchgeführten Prüfungen auf der Checkliste - bei der Verladung, nach jedem Halt und vor dem Einfahren in die Kontrollzone des Vereinigten Königreichs oder vor der Einschiffung. Lassen Sie sich sämtliche Kontrollen wenn möglich von einem Dritten bestätigen. ag Wichtige Ansprechpartner bei Problemen Zoll/PolizeiBritischer Zollwww.gov.uk/border-force Telefon: +44 (0)20 3014 8180 (allgemeine Infos)/ +44 (0) 300 123 7000 (Immigration Enforcement Hotline bei Verdachts- oder Vorfällen)Polizei Calaiswww.police-nationale.interieur.gouv.fr Telefon: +33 (0) 3 21 19 13 17/ +33 (0) 3 21 96 74 17Französische Grenzpolizei in Calaiswww.pas-de-calais.gouv.fr Telefon + 33 (0)3 21 - 46 25 00Polizei Kentwww.kent.police.uk Telefon: +44 (0) 1622 690690Hafenpolizei Doverwww.doverport.co.uk Telefon: +44 (0) 1304 216 084Hafen-, Fähren- und Tunnel-BetreiberHafen Doverwww.doverport.co.uk Twitter: @PoD_travelnews Telefon: +44 (0) 1304 240400Hafen Calaiswww.calais-port.fr Telefon: +33 (0)3 21 46 29 00DFDS Seawayswww.dfdsseaways.co.uk Twitter: @DFDSUKUpdates Telefon: +44 (0) 344 902 0265 und +44 (0) 871 882 1777P&O Ferrieswww.poferries.com Twitter: @POferriesupdate Telefon: +44 (0) 800 13 0030Eurotunnelwww.eurotunnelgroup.com Twitter: @LeShuttle Telefon: +44 (0) 8443 35 35 35 (aus Großbritannien) und +33 (0) 810 63 03 04 (aus Frankreich)Verkehrsinformationen:Highways Englandwww.highways.gov.uk/highways-england Twitter: @HighwaysSEAST Telefon: +44 (0) 300 123 5000Polizei Kentwww.kent.police.uk Twitter: @kentpoliceroads Telefon: +44 (0) 1622 690690 ag/sk

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