Kann alles - nur nicht kleinlaut sein

Herr Kindler, nach 45 Jahren ist es wiederum eine CDU/CSU-geführte Bundesregierung, die erstmals wieder einen ausgeglichenen Haushalt ohne Neuverschuldung vorlegt. Regt sich da der Respekt des Jüngeren vor dem Altmeister der Politik, Finanzminister Wolfgang Schäuble? Nun mal langsam. Der Haushalt glänzt nur oberflächlich. Der Finanzminister will bei den Banken keine neuen Schulden aufnehmen, doch er plündert die Rentenkassen und greift in den Gesundheitsfonds. Außerdem verfällt die Infrastruktur, weil die Investitionsquote in der Finanzplanung sinkt. Bei allem Respekt: Die Bilanz von "Altmeister" Schäuble ist arg geschönt. Wie sieht Ihre Alternative aus? Fortsetzung der Neuverschuldung? Auch Bündnis90/Die Grünen sind grundsätzlich für ausgeglichene Haushalte. Wir wollen jetzt keine neuen Schulden machen. Ich plädiere für einen umfassenden Subventionsabbau. Etwa bei unsinnigen Rüstungsprojekten mit einem Volumen von rund zwei Milliarden Euro oder die Streichung des Betreuungsgeldes. Gestrichen gehören auch klimaschädliche Subventionen wie die Steuerfreiheit von Flugbenzin. Das Dienstwagenprivileg gehört auf umweltfreundliche, kleinere Fahrzeuge beschränkt. Im Ergebnis muss der Staat auch in der Steuerpolitik seine Einnahmen verbessern, da er strukturell unterfinanziert ist. Die Flugindustrie klagt, die Luftverkehrsabgabe würde ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit einschränken. Es ist festzustellen, dass die von der schwarz-gelben Vorgängerregierung eingeführte Abgabe der Industrie nicht geschadet hat und das Passagieraufkommen weiterhin steigt. Wir wollen die Luftverkehrsabgabe erhöhen und für Inlandsflüge eine Kerosinsteuer erheben. Die Flugindustrie wird, zum Schaden des Bahnverkehrs und des Klimas, jährlich mit zehn Milliarden Euro subventioniert. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt setzt beim Autobahnbau verstärkt auf Öffentlich-Private Partnerschaften (ÖPP). Warum sollen nicht private Firmen einspringen, wenn dem Staat das Geld fehlt? Der Bundesrechnungshof (BRH) hat bei der Prüfung von fünf ÖPP-Projekten höhere Kosten von 1,9 Milliarden Euro gegenüber der herkömmlichen Finanzierung und Planung durch staatliche Stellen errechnet. Das verwundert nicht, denn die Beschaffung von Kapital zur Finanzierung der Projekte ist für Private in der Regel teurer als für den Staat. Außerdem sind ÖPP-Vorhaben für Parlamentarier völlig intransparent, da Private stets die Wahrung des Geschäftsgeheimnisses geltend machen können. Es fehlt die politische Kontrolle. Außerdem wird durch die ÖPP- Projekte die Schuldenbremse umgangen. Die Union argumentiert, es gehe um den volkwirtschaftlichen Nutzen. Oft könnten wichtige Vorhaben ohne ÖPP überhaupt nicht gebaut werden. Und offenbar verwenden Bundesverkehrsministerium und BRH unterschiedliche Berechnungsmethoden. Die Koalition nutzt ÖPP statt als Beschaffungsinstrument als Finanzierungsinstrument, was der Bundeshaushaltsordnung widerspricht. Für mich ist die BRH-Kritik extrem gravierend. Dagegen handelt das Bundesverkehrsministerium politisch-ideologisch, ist stramm auf CSU-Privatisierungskurs. CSU-Mann Dobrindt steht mit seinem Engagement für ÖPP nicht allein. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) hat kürzlich einen Expertenbeirat berufen, der ihn bei der Mobilisierung privaten Kapitals zur Sanierung der Verkehrsinfrastruktur unterstützen soll. Das sind unausgereifte Überlegungen. Bei ÖPP bleibe ich bei meiner Ablehnung, denn was wir dort erlebt haben, ist katastrophal. Beim Breitbandausbau oder bei der Gebäudesanierung ist der Einsatz privater Investoren denkbar, wenn es im Gegensatz zu ÖPP keine Umgehung der Schuldenbremse ist und insgesamt wirtschaftlich ist für den Bund. Sie lehnen ÖPP ab, doch stehen für den Erhalt der Straßeninfrastruktur nicht genug Mittel zur Verfügung. Wie gehen Sie damit um? In diesem Sommer sind 27 Neubauprojekte für 1,7 Milliarden Euro am Bundestag vorbei begonnen worden. Andererseits ist knapp die Hälfte der Autobahnbrücken sanierungsbedürftig. Hier setzt die Koalition falsche Prioritäten. Diese Mittel wären im Erhalt deutlich besser angelegt. Wenn trotz knapper Mittel der Bau neuer Straßen begonnen wird, müssen angefangene Projekte gestreckt werden. Was heißt "am Bundestag vorbei"? Dank eines Haushaltsvermerks kann das Verkehrsministerium allein mit dem Finanzministerium bisher solche Projekte bewilligen, ohne dass der Haushaltsausschuss beteiligt wird. Ich habe im Haushaltsausschuss beantragt, dass der Ausschuss in diesen Fragen beteiligt werden muss. Gleichzeitig muss die Umschichtung von Erhaltungsmitteln in den Neu- und Ausbau verhindert werden. Auch dazu habe ich einen Antrag gestellt. Wegen der Mehrheitsverhältnisse hatte ich leider bisher keinen Erfolg. Der Anreiz, neu zu bauen, ist größer als den Bestand zu erhalten. Haushaltspolitiker nehmen das Königsrecht des Parlaments wahr, genießen großen Respekt ... Das stimmt. Und im Haushaltsausschuss achten wir auch genau gegenüber den Ministerinnen und Ministern, dass das so bleibt. Mehr Respekt gegenüber dem Parlament würde ich mir aber vom Verkehrsministerium erwarten. Problematisch ist dort oft die Intransparenz im Verkehrsetat und der fehlende Wille der Spitze, das zu ändern. In den Medien werden Sie als "Schäubles junger Gegenspieler" bezeichnet. Wie ist das Verhältnis zwischen Ihnen und dem Finanzminister? Das geht in Ordnung. Wir pflegen trotz der Kontroversen einen fairen Umgang. Zurück zum Verkehrshaushalt. Was halten Sie von dem Finanzierungskreislauf"Straße finanziert Straße", den die Vorgängerregierung eingeführt hat? Ich bin der Ansicht, dass mit den Einnahmen aus der LKW-Maut auch die beabsichtigte Verkehrsverlagerung von der Straße auf die Schiene finanziert werden sollte. Die Akzeptanz der Mautzahler würde sinken, das nehmen Sie in Kauf? Die Mauteinnahmen fließen wie in der Vergangenheit in den Verkehrshaushalt. Ich plädiere für verkehrsträgerübergreifende Finanzierungskreisläufe, denn wir wollen eine Verlagerung vor allem des LKW-Verkehrs auf die Schiene. LKW belasten die Straße etwa 60.000 Mal stärker als PKW und schädigen das Klima erheblich. Zur Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene gibt es daher keine Alternative. Da erscheint die Forderung der Grünen nach einer LKW-Maut auch unter 7,5 Tonnen nur konsequent ... Richtig. Auf allen Straßen in Deutschland. Der Mittelstand wird wenig begeistert sein. Die Verkehrsministerkonferenz hatte im Herbst vergangenen Jahres einstimmig, also auch mit Zustimmung des Grünen Verkehrsministers Winfried Hermann aus Baden-Württemberg, eine LKW-Maut unter 7,5 Tonnen abgelehnt. Wir nehmen die Sorgen des Mittelstands ernst, deswegen differenziert man bei den Kosten ja auch nach Gewichtsklassen. Aber auch kleine LKW belasten die Straßeninfrastruktur. Weil wir gerade über das Thema Maut sprechen: Was halten sie eigentlich von den Plänen des Bundesverkehrsministers, eine PKW-Maut auf allen Straßen einzuführen? Völlig unausgegorener Schwachsinn. Bündnis90/Die Grünen sind gegen eine PKW-Maut. Was halten Sie von der überjährigen Verwendung der Haushaltsmittel, auf die sich die Große Koalition geeinigt hat. Mit der Überjährigkeit wird erreicht, dass Investitionsmittel nicht zum Jahresende verfallen. Das ist richtig. Jetzt müssen wir erste Erfahrungen sammeln. Für ein Urteil ist es noch zu früh. Zum Verkehrsträger Schiene. Sind Sie zufrieden mit dem staatseigenen Unternehmen Deutsche Bahn? Nein. Die DB wird vom Eigentümer zu wenig kontrolliert. Der Bundesrechnungshof kann nicht richtig prüfen, denn die Konzernleitung argumentiert, das Unternehmen werde bereits von Wirtschaftsprüfern unter die Lupe genommen. Eine Umschichtung der Mittel von der Straße auf die Schiene ist dringend geboten. Wie genau wollen Sie den Verkehrsträger Schiene stärken? Im Gegensatz zur Straße ist die Schiene deutlich umweltverträglicher. Deswegen wollen wir mehr Geld in den Erhalt und in den Ausbau der Schieneninfrastruktur investieren. Wir müssen die Akzeptanz für Schienenprojekte durch verbesserte Lärmschutzmaßnahmen erhöhen. Wir wollen auch stärker nicht-bundeseigene Eisenbahnunternehmen stärken und unterstützen. Auch der schienengebundene Nahverkehr muss weiter und stärker vom Bund gefördert werden. Herr Kindler, sie sind 2009 mit 24 Jahren als einer der jüngsten Abgeordneten in den Bundestag eingezogen. Der Haushaltsausschuss gilt als kompliziert und arbeitsreich. Das hat Sie nicht abgeschreckt ... Nein, ich wollte da rein. Nach dem Studium der Betriebswirtschaft habe ich zwei Jahre im Unternehmenscontrolling bei einem Industriebetrieb gearbeitet. Der Haushalt ist in Zahlen gegossene Politik. Dort werden zentrale Entscheidungen getroffen, zum Beispiel beim sozialen und ökologischen Umbau unserer Gesellschaft. Dabei will ich mitmischen. Vita Sven-Christian Kindler Als"Schäubles junger Gegenspieler" wird der erst 29-jährige Haushaltspolitiker in den Medien beschrieben, der zur neuen Politikergeneration der Grünen gerechnet wird. Mit 24 Jahren gelang dem studierten Betriebswirt 2009 der Sprung in den Bundestag und sogleich in den wichtigen Haushaltsausschuss. Nach dem Studium arbeitete der gebürtige Hannoveraner bei Bosch Rexroth Pneumatics, einem Unternehmen im Bereich der Antriebs- und Steuerungstechnik. Seit 2014 ist er haushaltspolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/ Grüne im Deutschen Bundestag.

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