Ist Erdgas eine Alternative?

Auf der Habenseite dieses Testwagens steht seine Umweltbilanz. Ganz ohne SCR-Kat, Partikelfilter oder Abgasrückführung, sondern lediglich mit einem Drei-Wege-Katalysator produziert die Iveco-Zugmaschine im Vergleich zu aktuellen Euro-6-Dieseln 95 Prozent weniger Partikel, 40 Prozent weniger Stickoxide (NOx) und bis zu 20 Prozent geringere CO2-Emissionen. Das garantiert freie Fahrt, auch in geplanten Umweltzonen, die aktuell in vielen europäischen Metropolen drohen. Der NP tankt verflüssigtes Erdgas Des Rätsels Lösung: Anstatt wie üblich Diesel nutzt der im letzten Jahr präsentierte Stralis NP 400 (NP steht für Natural Power) Erdgas als Antriebsquelle. Und hat damit mit einer Reihe von Vorurteilen zu kämpfen. Denn Erdgas-Laster gelten als eher schwach auf der Brust, zudem soll sie ein hohes Eigengewicht quälen, vor allem aber ihre Reichweite für längere Transporte unzureichend sein. Letzteren Kritikpunkt merzt Iveco beim NP mittels eines physikalischen Tricks aus: Heruntergekühlt auf minus 161 Grad Celsius wird Erdgas nämlich flüssig und weist dann nur noch knapp ein Sechshundertstel des Volumens im gasförmigen Zustand auf. Die beiden Tanks am Rahmen des NP fassen 540 Liter LNG (Liquefied Natural Gas), die dem NP für locker 1500 Kilometer genügen sollen. Vor der Verbrennung muss der gasförmige Zustand wieder hergestellt werden, wofür das Erdgas einen Wärmetauscher durchläuft und per Druckminderer auf 8,5 Bar gebracht wird, bevor es per Injektion in die Zylinder des Cursor 9 gelangt. Der ist weitgehend baugleich mit seinem Dieselpendant, lediglich ein Zylinderkopf mit Zündkerzen sorgt dafür, dass der Reihensechszylinder Erdgas verwerten kann. Auch die Leistungsdaten sind mit denen des Diesels vergleichbar. Bei 1575 Touren gelangen 400 PS auf die Straße. Ab 1200/ min liegt das maximale Drehmoment von 1700 Newtonmetern an. Testfahrt mit knapp 32 Tonnen Gewicht Werte, die wenig nach Fahrspaß klingen, und auch Iveco stellt klar, dass der NP 400 keinesfalls für internationale Ferntouren mit voller Ausladung konzipiert sei. Deshalb erhält der Testwagen mit unserem 24 Tonnen schweren Krone-Auflieger eine adäquate Transportaufgabe. Das ergibt mit der 7580 Kilo schweren Testzugmaschine 31,6 Tonnen Gesamtgewicht, womit wir gleich mit dem nächsten Vorurteil aufräumen können: Der NP wiegt lediglich 200 Kilogramm mehr als der Stralis XP 420 (siehe VR 31/2017). Die fehlende Abgasreinigungstechnik hilft, den schweren Gastank größtenteils zu kompensieren. Auf der Straße verlangt der NP vom Fahrer kaum Umgewöhnung. Er wird nach dem Dreh am Zündschlüssel aber erfreut aufhorchen. Der NP arbeitet viel leiser als die Diesel-Stralis, ungeachtet des höheren Drehzahlniveaus, das NP-Neulinge zunächst stutzig macht. Im zwölften Gang liegen ungewohnte 1500 Touren an, weshalb man instinktiv das Gefühl hat, in der elften Fahrstufe unterwegs zu sein. Gewählt hat Iveco diese Art der Übersetzung nicht ohne Grund, schließlich liegen in diesem Drehzahlbereich die ganzen 400 PS sowie das volle Drehmoment an. Trotzdem sorgen schon harmlose Steigungen für Tempoverlust, der 8,7 Liter kleine Motor beißt sich an Steigungen naturgemäß kaum fest und die im NP noch verbaute AS-Tronic muss spätestens bei 1300/ min eine niedrigere der zwölf Fahrstufen bemühen. Zum Verkehrshindernis mutierte der Erdgas-Stralis auf der Testrunde aber zu keinem Zeitpunkt. Bergab sorgt der serienmäßige Retarder für souveräne Verzögerung, eine Motorbremse ist beim NP bauartbedingt nicht möglich. Bislang kein LNG-Tankstellennetz Problematisch gestaltet es sich (noch), die LNG-Tanks zu füllen, denn bislang existiert in Deutschland nur eine öffentliche Tankstelle für verflüssigtes Erdgas. Wir konnten nach der Testfahrt im Ulmer Iveco-Werk nachtanken. Letzteres ergab für den NP einen Durchschnittsverbrauch von 21,83 kg/100 km Erdgas. Diesen Wert mit einem Dieselfahrzeug in Relation zu setzen ist allerdings schwierig. Zu viele Parameter, wie Erdgas- oder Diesel-Qualität, spielen hierbei eine Rolle. Gefallen wird dem Chef aber, dass LNG mit knapp 77 Cent/kg deutlich günstiger ist als ein Liter Diesel. Nachgelegt hat Iveco mittlerweile die Option auf einen GPS-Tempomaten, der dem Testwagen noch fehlte. Seit der Einführung des NP 460 mit 13 Litern Hubraum (siehe VR 45/2017) wechselt zudem das ZF-Traxon-Getriebe die Fahrstufen. Das ermöglicht den Einsatz von Erdgas auch für schwerere Aufgaben, was den NP zur nachgefragten Alternative machen könnte. In europäischen Ländern, wo LNG-Tankstellen existieren, ist er das längst: 2200 NP hatte Iveco bei Redaktionsschluss verkauft, davon nur ein Prozent in Deutschland. Zeit, LNG-Tankstellen zu bauen! Alle Tests und Fahrberichte für Abonnenten www.verkehrsrundschau.de/testdatenbank Kommentar Ausgereift und sauber Es wird noch lange dauern, bis Elektro-Laster richtig ins Rollen kommen, und ob sie die Umwelt wirklich schonen werden, ist fraglich. Beim Erdgas ist der Umweltvorteil dagegen erwiesen, die LNG- Technik ausgereift, unkompliziert und bezahlbar. Man könnte also sofort umsteigen, würden nicht die nötigen Tankstellen fehlen. Höchste Zeit, mit dem Bauen zu beginnen!Kontakt: jan.burgdorf@springernature.com Jan Burgdorf VR-Testredakteur Meyer Logistik fährt bereits 20 Iveco Stralis NP Der Iveco NP bewährt sich im Praxiseinsatz Die Belieferung von Supermärkten mit verderblichen oder tiefgekühlten Lebensmitteln ist das tägliche Geschäft von Meyer Logistik mit Hauptsitz im hessischen Friedrichsdorf. Eine Branche, in der Fahrten in Ballungsgebiete naturgemäß unvermeidlich sind. Deshalb ist das Unternehmen sehr interessiert an alternativen Antriebskonzepten."Wir wollen alternative Antriebe aber nicht nur erproben, sondern sie auch so früh wie möglich im Alltagsbetrieb einsetzen", erklärt Matthias Strehl, Geschäftsführer von Meyer Logistik. Deshalb entschied sich das Familienunternehmen bereits Mitte 2016 für die Beschaffung von 20 Iveco NP 400. Eine Investition, die das Bundesverkehrsministerium übrigens mit knapp 360.000 Euro bezuschusste, was den höheren Anschaffungspreis zu normalen Diesel-Lastwagen linderte.Die Fahrzeuge sind seitdem im täglichen Einsatz in Nah- und Fernverkehr unterwegs. Bis dato zur Zufriedenheit, auch weil bislang keinerlei technische Probleme auftraten, wie das Unternehmen mitteilte. Neben den geringeren Schadstoffemissionen käme bei den Meyer-Kunden zusätzlich das leisere Verbrennungsgeräusch des Erdgasmotors gut an. Letzteres schätzen auch die Meyer-Fahrer, die zudem mit der Motorleistung des 400 PS starken Erdgas-Motors zufrieden seien. An den Tankvorgang gewöhnten sie sich nach eingehender Einarbeitung schnell.Trotzdem ist das Thema Tanken noch der größte Knackpunkt an der LNG-Technologie, auch wenn man bei Meyer Logistik davon ausgeht, dass sich die Infrastruktur schnell verbessern wird. Einen Schritt dahin ging das Unternehmen mit dem Bau einer eigenen LNG-Tankstelle im Berliner Stadtteil Grünheide. Dabei stand die Firma Liqvis zur Seite, die als Tochtergesellschaft des internationalen Energieunternehmens Uniper eine LNG-Infrastruktur aufbauen soll. Die Meyer-Tankstelle steht übrigens für Fremdunternehmen offen.bj

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