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Interview: "Ticken die Tiroler noch ganz sauber?"

06.06.2016 17:49 Uhr
Interview: "Ticken die Tiroler noch ganz sauber?"
LBT-Geschäftsführer Sebastian Lechner
© Foto: LBT

Tirol wagt einen neuen Anlauf zum sektoralen Fahrverbot. LBT-Geschäftsführer Sebastian Lechner erläutert die Folgen.

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München. Nachdem 2005 und 2011 ein sektorales Fahrverbot vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) scheiterte, wagt Tirol einen neuen Anlauf. Ab dem 1. November 2016 ist der Transport von bahnaffinen Gütern wie Abfall, Rundholz, Kraftfahrzeuge, Fliesen, Marmor, Schotter und Stahl auf der Inntalautobahn A 12 zwischen Kufstein und Innsbruck verboten. Euro-6-Lkw sind von diesem Verbot bis 30. März 2018 beziehungsweise 30. Juni 2018 ausgenommen. Sebastian Lechner, geschäftsführendes Präsidiumsmitglied des Landesverbandes Bayerischer Transport- und Logistikunternehmer (LBT), erläutert im Interview mit der VerkehrsRundschau die Folgen.

VerkehrsRundschau: Tirol hat wieder ein sektorales Fahrverbot angekündigt – obwohl der EuGH bereits zweimal dieses Verbot kassiert hat. Ticken die Tiroler noch ganz sauber?
Sebastian Lechner (lacht) So krass würde ich es nicht ausdrücken. Aber wir wissen, dass der Lkw-Transitverkehr ein Dauerthema in Tirol ist. Jede Landesregierung in Tirol muss sich diesem Thema widmen. Da ist das sektorale Fahrverbot ein gern gesehenes Instrument.

Ist es nicht verständlich, dass die Regierung in Tirol versucht, die Bevölkerung im Inntal vor Schadstoffemissionen zu schützen?
Das ist sehr verständlich. Aber es sind ja auch schon zahlreiche Maßnahmen ergriffen worden: Die ständige Flottenerneuerung – zuletzt mit Euro-6- und EEV-Fahrzeugen – oder die für alle Fahrzeuge auf der Inntalautobahn geltende Geschwindigkeitsbegrenzung auf 100 Kilometer pro Stunde (km/h) haben bereits zu einer erheblichen Absenkung der Schadstoffe in den letzten zehn Jahren in Höhe von 25 Prozent geführt. Auf diesem Weg sollte man weitermachen und nicht mit dem sektoralen Fahrverbot, dessen Wirkung überschaubar ist.

Was sind die besseren Alternativen zum sektoralen Fahrverbot?
Zum Beispiel eine weitere Tempoabsenkung für leichte Fahrzeuge bis 7,5 Tonnen auf 80 und 90 km/h statt 100 km/h. Bei der Pkw-Vignette könnte man eine stärkere Differenzierung nach Kraftstoffen und Euro-Klassen vornehmen. Und man könnte die bestehende Lkw-Maut noch mehr spreizen: Laut EU-Wegekostenrichtlinie kann die Spreizung zwischen Alt- und Neufahrzeugen bis zu 100 Prozent betragen. Zur Zeit liegt der Unterschied nur bei knapp 40 Prozent.

Von diesen Maßnahmen wäre der Güterverkehr auch betroffen.
Ja, aber diese Maßnahmen wären verhältnismäßiger als das sektorale Fahrverbot. Für uns ist zudem unverständlich, warum man erst ab August 2018 ein generelles Fahrverbot für Euro-3 Fahrzeuge einführen will. Diese Maßnahmen sind für uns nicht schön, aber unser Gewerbe würde sie mittragen und auch von der EU kommt grünes Licht.

Warum kritisiert der LBT so vehement das sektorale Fahrverbot?
Aus mehreren Gründen. So hat Tirol keine Begründung geliefert, warum Produkte wie Fliesen oder Abfälle, sowie die anderen betroffenen Güter als „bahnaffin“ gelten sollen und damit unter das Verbot fallen. Fliesen sind ein sehr sensibles Transportgut. Der Umschlag auf die Schiene und das Rangieren birgt die Gefahr von Beschädigungen. Abfälle wie Schrott für die italienische Metallindustrie werden zum Teil Just-in-time befördert. Das schließt den Transport per Bahn aus, weil die Gefahr einer Verspätung zu groß ist. Und beim letzten sektoralen Fahrverbot war zu beobachten, dass es gerade zu den Spitzenzeiten Engpässe gab, die zu erheblichen Verzögerungen geführt haben – trotz der Zusicherung weiterer Kapazitäten auf der Schiene, gerade auch bei der Rollenden Landstraße.

Euro-6-Fahrzeuge sind bis Mitte 2018 von dem Fahrverbot ausgenommen. Wie verbreitet sind Euro-6-Lkw?
In den Fuhrparks deutscher Unternehmen, die im Alpentransit tätig sind, befinden sich zu über 90 Prozent Euro-6-Fahrzeuge.

Dann wären relativ wenige Lkw betroffen von dem Fahrverbot zum 1. November 2016, da für Euro-6-Lkw bis März/Juni 2018 eine Ausnahme gilt.
Ja, und dennoch werden wir nicht tatenlos zusehen. Hier gilt der Spruch „wehret den Anfängen“. Denn wenn ein solches Verbot ein rechtswidriger Eingriff in die Freiheit des Warenverkehrs ist, ist es egal, wie viele betroffen sind.

Was wird Ihr Verband gegen das sektorale Fahrverbot unternehmen?
Wir werden den gleichen Weg gehen wie bei den beiden anderen Versuchen 2003 und 2007, als Tirol vergeblich versucht hat, ein sektorales Fahrverbot durchzusetzen. Wir werden Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt stellvertretend für die Bundesregierung  auffordern, bei der EU-Kommission gegen das Fahrverbot Druck zu machen. Und wir werden uns an die EU-Kommission als die Hüterin der EU-Verträge wenden und anregen, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Republik Österreich vor dem EuGH einzuleiten. Zudem haben wir den Erlass einer einstweiligen Anordnung angeregt, mit der man in einem  einstweiligen Rechtsschutzverfahren das sektorale Fahrverbot innerhalb von 24 Stunden aussetzen könnte, bis dann in der Hauptsache entschieden wird.

Wann ist mit einer Entscheidung zu rechnen?
Da die Verordnung zum 1. November in Kraft tritt, muss spätestens im Verlauf des Spätsommers oder im Herbst eine Entscheidung fallen seitens der EU-Kommission.

Wie ist Ihre Einschätzung: Kommt das sektorale Fahrverbot wie angekündigt?
Ich bin sehr zuversichtlich, dass Tirol wieder scheitern wird. Die Fakten und die Rechtslage sprechen eindeutig dagegen, zumal die Kommission in diversen Gesprächenbereits versucht hat, Tirol das Fahrverbot auszureden.

Wenn Sie so zuversichtlich sind: Müssen die Transportunternehmen also keinerlei Vorkehrungen hinsichtlich des Fahrverbots treffen?
Doch. Es ist auf jeden Fall sinnvoll, in umweltfreundliche Fuhrparks zu investieren. Außerdem sollte man die Kunden informieren, denn zwei Jahre sind schnell vorbei. Falls doch alle Stricke reißen, ist es von Vorteil, wenn die Kunden wissen, dass beim Transport dieser Güter Erschwernisse auftreten könnten, wenn die Güter ab 2018 nur noch auf der Schiene gefahren werden dürfen.

Können Sie sich vorstellen, dass die Tiroler so verrückt sind und einen vierten Anlauf wagen, sollten sie jetzt wieder scheitern?
Das kann ich mir nicht vorstellen. Denn die Umwelttechnologie wird weiter voranschreiten: Die Fahrzeugflotten werden zunehmend aus Lkw mit EEV-und Euro-6-Technologie bestehen. Die Pkw- Motorentechnologie wird weitere Fortschritte machen. Die Industrieemissionen, die derzeit noch gar nicht berücksichtig sind, werden sich verringern. Auch die Schadstoffe, die beim Heizen der gewerblichen genutzten und der privaten Häuser entstehen, werden sich durch neue Techniken verringern. Da wird ein sektorales Fahrverbot überflüssig.

Das Interview führte VerkehrsRundschau-Redakteur Michael Cordes.

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