Ende November startete das Bundeskriminalamt (BKA) einen erneuten Fahndungsaufruf, um die Serie der Schüsse auf Autotransporter auf Autobahnen zu stoppen – und erhöhte die Belohnung für sachdienliche Hinweise auf bis zu 100.000 Euro. Seit 2008 sind Fahrzeuge auf der Autobahn, vor allem Autotransporter, schon rund 700 Mal beschossen worden. Ein Interview mit dem BKA-Präsidenten, Jörg Ziercke, zu der Schussserie.
Warum geht das BKA nun verstärkt an die Öffentlichkeit?
Jörg Ziercke: Wir haben die Öffentlichkeit bereits 2009 erstmals informiert, um die Bevölkerung zur Mithilfe nach dem beziehungsweise den unbekannten Tätern aufzurufen. Im Juli 2011 bezogen Staatsanwaltschaft und Bundeskriminalamt (BKA) zusätzlich Funk und Fernsehen in die Öffentlichkeitsfahndung ein: An zahlreichen Raststätten und Tankstellen entlang der hauptsächlich betroffenen Routen haben wir 1200 Fahndungsplakate mit dem Aufruf zur Mithilfe ausgehängt. Für sachdienliche Hinweise wurden 27.000 Euro Belohnung ausgelobt. Bislang jedoch ohne Ergebnis.
Nachdem der oder die Täter seit Juni dieses Jahres nicht mehr Waffen des kleineren Kalibers .22, sondern Kaliber 9 Millimeter verwenden, sahen wir die Notwendigkeit der Intensivierung unserer Öffentlichkeitsfahndung. Aufgrund der höheren Durchschlagskraft eines 9-Millimeter-Geschosses ist die Gefährdung der Fahrer und anderer Verkehrsteilnehmer bei Beschüssen mit einer Waffe des Kalibers 9 Millimeter deutlich höher als beim Kaliber .22. Wir erwarten, dass die Erhöhung der Auslobung von 27.000 auf 100.000 Euro zweckdienliche Hinweise aus der Bevölkerung bringen wird.
Besteht Gefahr für LKW-Fahrer?
In nur einem von über 700 Fällen wurde eine Person verletzt. Wir gehen hier von einem unbeabsichtigten Treffer aus. Der oder die Täter schießen nicht gezielt auf Menschen, sondern auf die Ladung von Autotransportern, teilweise auch auf andere Fahrzeuge. Aber: Die Situation hat sich mit der Verwendung einer Waffe Kaliber 9 Millimeter verändert, die Gefährdung hat sich eindeutig erhöht. Es besteht immer die Gefahr von Querschlägern und fehlgeleiteten Schüssen. Bei Kaliber 9 Millimeter geht mit jedem Schuss ein hohes Risiko für in der Nähe befindliche Personen aus. Dieses Risiko nimmt der Täter in Kauf. Selbst wenn Menschen nicht direkt beschossen werden, kann jeder Treffer Unfälle verursachen. Bei dem teilweise sehr hohen Verkehrsaufkommen auf deutschen Autobahnen ist es ein glücklicher Umstand, dass bislang nicht mehr Personen zu Schaden gekommen sind.
Warum ist es so schwer, den Täter zu fassen?
Die Beschüsse werden in der Regel nicht unmittelbar bemerkt und in den meisten Fällen erst am Zielort oder während einer Pause festgestellt. Konkrete Hinweise auf den Täter oder Angaben zu genauen Tatorten oder Tatzeiten liegen uns kaum vor, so dass lediglich grobe Orts- und Zeitangaben, meist von mehreren Kilometern Strecke und bis zu mehreren Stunden an Fahrtzeit rekonstruiert werden können. Möglichkeiten der Fahndung sind so häufig nicht gegeben. Außerdem kann in vielen Fällen lediglich ein Einschussloch festgestellt werden. Ohne die zugehörigen Geschosse können die Kriminaltechniker kaum auf die verwendete Munition schließen. Auch dadurch gehen Ermittlungsansätze verloren.
Sie sprechen von 175 Beschüssen anderer Fahrzeuge: Was für Fahrzeuge sind das?
Es handelt sich zum Bespiel um Sattelzüge, Sattelschlepper, Baumaschinen, aber auch um Kleintransporter und Anhänger, sowohl mit Kasten- als auch mit Planenaufbau. In Einzelfällen waren auch Wohnmobile betroffen.
Gibt es bei den Autotransportern bestimmte Muster, etwa bei den Marken der Autos oder bei den betroffenen Unternehmen?
Nein. Betroffen sind Autotransporter und Fahrzeuge der verschiedensten Unternehmen und alle Arten von geladenen Fahrzeugen – gleichermaßen deutsche und ausländische Fabrikate.
Kommen die Schüsse aus dem Gegenverkehr oder stammen sie aus Überholvorgängen?
In den meisten Fällen erfolgt die Schussabgabe von der Fahrerseite aus in den Gegenverkehr hinein, vereinzelt auch bei Überholvorgängen sowohl des Täterfahrzeugs als auch der beschossenen Fahrzeuge.
Wie kommen Sie darauf, dass der Täter ein LKW-Fahrer sein könnte?
Bisher wissen wir: In vielen Fällen wurde mit ein und derselben Waffe geschossen. Das ergaben die kriminaltechnischen Untersuchungen. Ob es sich um einen oder mehrere Täter handelt, können wir zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen. Wir vermuten, dass es sich um einen „mobilen“ Täter handelt. Es liegen zudem Anhaltspunkte vor, dass es sich um Berufsfahrer, konkret LKW-Fahrer handeln könnte, da die Schussabgabe in einigen Fällen von erhöhter Sitzposition aus erfolgt sein muss.
Auf was sollten Transportunternehmer, Spediteure und Fahrer achten?
In erster Linie sprechen wir Geschädigte und potentielle Opfer, vor allem auch Fernfahrer an. Es geht uns darum, möglichst schnell möglichst genaue Angaben zu Taten, Tatzeiten und Tatorten zu erhalten. Wir benötigen die Hilfe der Geschädigten, der Autobahnnutzer und der Bevölkerung – hierzu haben wir folgende Fragen: Wer hat Schüsse insbesondere auf Autotransporter wahrgenommen? Wer kennt LKW-Fahrer, die Schusswaffen mit sich führen und/oder in Fahrzeugen mit erhöhter Sitzposition transportieren? Wer kennt LKW-Fahrer, Schusswaffen nutzen und mit entsprechenden Schilderungen auf sich aufmerksam machten, mit entsprechenden Taten prahlten? Wir erhoffen uns insbesondere Hinweise von Personen, die regelmäßig die Schwerpunktstrecken nutzen und von Personen, die im Umfeld „Autobahn“ tätig sind. Wir erwarten, dass die Erhöhung der Auslobung von 27.000 auf 100.000 Euro zweckdienliche Hinweise aus der Bevölkerung bringen wird. Außerdem haben wir noch Fragen zu konkreten Fällen, die wir auf unserer Homepage unter www.bka.de ausführlich dargestellt haben.
Zur Person: Jörg Ziercke, geboren am 18. Juli 1947 in Lübeck, ist seit 2004 Präsident des Bundeskriminalamtes. Der ausgebildete Kriminalbeamte arbeitete jahrelang bei der Kriminalpolizei in verschiedenen Positionen. Von 1992 bis zur Berufung als BKA-Präsident war Ziercke bei der Abteilung Polizei (ab 1995 als Leiter) im Innenministerium Schleswig-Holstein tätig. (tr)
Interview: Tobias Rauser, Chef vom Dienst