In die richtige Richtung

Was wird Ihr Highlight auf der IAA sein? Wir präsentieren zwei neue Generationen von Scheibenbremsen. Einerseits die Synact für schwere Lkw mit 40 Tonnen und bis zu 30 kNm Bremsmoment. Außerdem zeigen wir die Nextt. Das ist eine Bremse bis 19 kNm Bremsmoment. Sie kommt für Zugfahrzeuge mit geringerer Achslast sowie für Trailer zum Einsatz. Die neuen Bremsen sind konventionelle Druckluftbremsen. Ist das zeitgemäß? Wenn Sie darauf abzielen, dass dieses Prinzip eine Art Energieverschwendung ist, haben Sie grundsätzlich recht. Eigentlich müsste man einen E-Motor beziehungsweise Generator nehmen und die Energie in elektrischen Strom umwandeln. Da schauen wir uns die Möglichkeiten an, die sich aus der E-Mobilität ergeben. 2017 haben wir Kiepe Electric übernommen. Das Unternehmen bietet Systemlösungen für Schienenfahrzeuge und Busse an. Die Elektrifizierung von Bussen, aber auch batteriebetriebene Busse sind ein Geschäftsfeld, dass wir gerne weiter ausbauen wollen. Auch nutzen wir die IAA, um mit unseren Kunden verschiedene Möglichkeiten zu besprechen - es gibt ja unheimlich viele ... Wie findet man die richtige Richtung? Das ist tatsächlich eine Herausforderung. Wir konzentrieren uns auf die Megatrends. Einer ist das automatisierte Fahren - teilautomatisiert, hochautomatisiert bis später mal autonom. Das sind viele Schritte, an denen wir intensiv arbeiten und für die wir eine Strategie entwickelt haben. Platooning ist eine der Funktionen im Bereich automatisiertes Fahren, die Kraftstoff spart, weil man dichter hintereinanderfährt und damit den Luftwiderstand reduziert. Eine Voraussetzung dafür ist, dass ich in der Lage sein muss, die aktuelle Bremsleistung des Fahrzeugs zu kennen. Für uns bedeutet das, die Scheibenbremse jederzeit überwachen zu können. Sollte etwa eine Komponente nicht mehr ihre optimale Leistung bringen können, ist dieser Zustand durch die Überwachung im Bremssystem bekannt. Dadurch kann Vorsorge getroffen werden - so würde beim Platooning der Abstand zum Vorderfahrzeug angepasst werden. Da komme ich wieder zu unseren beiden neuen Scheibenbremsen. Die sind darauf ausgelegt, dass wir künftig ein sogenanntes Brake-Condition-Monitoring aufsetzen, welches den Bremsenzustand kontinuierlich überprüft und die Informationen dem Bremssystem zur Verfügung stellt. Ein weiterer Megatrend ist das Thema Konnektivität - ein weiter Begriff. Wir teilen das Thema in drei Bereiche auf: Flottenmanagement, Fahrersicherheit beziehungsweise Fahrertraining und Instandhaltungsmanagement. Wir sind in allen drei Bereichen tätig. Bei der Instandhaltung ist das künftige Ziel auf Basis der kontinuierlichen Überwachung des Betriebszustandes eine vorausschauende Wartung sicherzustellen. Sind beispielsweise die Bremsbeläge am Verschleißende angelangt, so soll diese Information genutzt werden um einen Belagwechsel rechtzeitig einzuleiten. Der notwendige Werkstattaufenthalt wird online geplant, wobei die passende Werkstatt hinsichtlich Entfernung und Eignung ausgewählt wird, um möglichst geringe Stillstandzeit sicherzustellen. Das ist aber doch ein OEM-Thema. Wie bringt man sich da als Systemlieferant ein? Grundsätzlich ist das kein neues Thema für uns. Der Actros zum Beispiel kann viele der Fahrzeugsysteme schon lange diagnostizieren. Aber wir denken eher an Flotten, die zwar unterschiedliche Zugfahrzeuge haben, aber bei ihren gezogenen Einheiten ein herstellerunabhängiges System wollen. Da sind wir mit verschiedenen Kunden unterwegs, dieses eine System anbieten zu können. Zugegeben ist da das letzte Wort noch nicht gesprochen. Wie stehen die Chancen auf einen gemeinsamen Standard? Es gibt bereits eine gemeinsame Diagnoseplattform, die Autosar-basiert ist. An den Standard halten wir uns auch. Aber grundsätzlich versucht natürlich aktuell jeder Hersteller, noch seine eigenen Ziele durchzusetzen. Ich möchte aber noch mal auf die Megatrends zurückkommen. Denn da fehlen noch die Themen Emissionsreduzierung, E-Mobilität und Verkehrssicherheit. So haben wir auch unseren Stand auf der Messe aufgebaut. Eine wichtige Rolle für den Fahrzeugbetreiber spielt darüber hinaus natürlich eine Gesamtbetriebskostenbewertung (TCO). TCO ist ein gutes Stichwort. Kann eine intelligente Bremse Kosten reduzieren? Da komme ich erneut auf unsere neuen Bremsen zurück. Die bieten modulare Zusatzfunktionen und reduzieren Kosten: Grundsätzlich werden es nochmals gewichtsreduzierte Bremsen sein. Das bringt entweder zusätzliche Nutzlast oder Kraftstoffeinsparung. Außerdem haben wir jetzt den Belagverschleißsensor so ausgeführt, dass man ihn im Servicefall separat tauschen kann. Wie viel leichter sind die Bremsen? Bei der Zugmaschine gehen wir von vier Kilo pro Bremse aus, also 16 Kilo für eine 4x2-Zugmaschine. Die Nextt ist bis zu drei Kilo leichter, was beim Standard-Sattelauflieger eine Gewichtsersparnis von 18 Kilo bedeutet - insgesamt also 34 Kilo. Das war eine Herausforderung für uns, die Bremssättel so zu konstruieren, dass sie leicht sind, dennoch aber die Bremsmomente zuverlässig aufnehmen. Das haben unsere Ingenieure aber gut hinbekommen. Optimierungen haben wir auch im Bereich der Beläge realisiert - auch im Hinblick auf neue Umweltschutz-Regularien in den USA. So bieten wir künftig Beläge an, die kein Kupfer enthalten. Die neuen Reibpaarungen, Belagformen und Auslegungen haben wir ausführlich auf Zuverlässigkeit getestet - auf der Teststrecke am Rossfeld-Pass, bei unseren Testfahrten durchs bayerische Oberland oder bei der Wintererprobung im schwedischen Arjeplog und zudem in unseren Entwicklungszentren hier in München und in Aldersbach. Was ist sonst noch weiterentwickelt? Neu ist unter anderem das "Active Caliper Release" (ACR), das aussieht wie eine Spinne, die sich über die Rückseite des Sattels legt. Der Sinn ist, das Restschleifmoment nach dem Lösen der Bremse zu eliminieren, indem ACR die Beläge mit minimalem Lüftungsspalt von der Scheibe wegdrückt und gleichzeitig den Sattel zentriert. Wir nutzen dazu die mechanische Energie einer kleinen Feder, gleichzeitig auch die durch die Straße eingeleiteten Schwingungen. Bei Referenzmessungen mit dem TÜV Süd konnten wir durch die Vermeidung des Schleifens der Beläge auf der Scheibe Kraftstoffeinsparungen von bis zu einem Prozent realisieren. Ein Prozent bezogen auf die Zugmaschine? Ja, das haben wir nur für die Zugmaschine gemessen. ACR kommt bis zur Markteinführung auch für die Nextt - da erwarten wir dann beim Trailer in etwa die gleiche Einsparung, sodass die Fahrzeugkombination ebenfalls bis zu einem Prozent Kraftstoff einsparen kann. Wir gehen davon aus, dass sich das System neben der Verbrauchsreduzierung noch dadurch vorteilhaft auswirkt, dass die Beläge weniger beziehungsweise nicht mehr verglasen, wie wenn sie permanent an der Scheibe anliegen. Wann führen sie die neuen Scheibenbremsgenerationen ein? Wir starten sukzessive im ersten Halbjahr 2019 und rollen dann in Absprache mit unseren Kunden aus. Dabei kommt es auch zu Veränderungen bei einzelnen Fahrzeugen. Der Actros etwa, der aktuell noch über verschiedene Bremsen an Vorder- und Hinterachse verfügt, bekommt mit unserer Synact dann nur noch eine Bremse - was Vorteile für die Kunden hat im Hinblick auf die Ersatzteilversorgung. Die große Bremse haben wir wiederum als Zweistempelbremse ausgeführt, da wir als Knorr-Bremse überzeugt sind, dass bei den geforderten hohen Bremsmomenten in Verbindung mit all den unterschiedlichen Fahrzeugapplikationen, zum Beispiel Fern-Lkw, Stadtbus oder Müllfahrzeug, diese Ausführung einen zuverlässigen und robusten Einsatz ermöglicht. Bei der kleinen Bremse haben wir die Einstempelbetätigung des Schwimmsattels vorgesehen und vermeiden den ungleichen Verschleiß, der durch ein Drehmoment um die Bremsscheibe beim Bremsen entsteht, durch eine patentierte Konzeption aus Belaggeometrie und Trägergestaltung. Der Belagwechsel bei beiden Bremsen ist aber nach wie vor möglich ohne Demontage der Sättel? Ja, den Vorteil wollten wir natürlich nicht aufgeben. Wäre denn die neue Bremse auch für einen elektrischen Aktuator ausgelegt? Wir könnten eine elektrische Ansteuerung realisieren. Aber meiner Meinung nach wird es im Fernverkehr noch lange dauern, bis es so weit ist. Im Verteilerverkehr könnte ich mir eher vorstellen, dass wir demnächst elektrisch die Scheibenbremse betätigen. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier "Knorr-Bremse" www.verkehrsrundschau.de/dossiers Person Ansgar FriesAnsgar Fries wurde am 25. April 1957 in Oedheim geboren. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder. 1978 begann er ein Studium des Maschinenbaus an der TU Clausthal- Zellerfeld, wo er 1980 sein Vordiplom machte. 1980 wechselte er an die TU München mit Schwerpunkt Forschung und Theorie und schloss 1984 als Diplom-Ingenieur ab. Anschließend begann er bei der Siemens AG in Amberg als Entwicklungsingenieur im Bereich Konstruktion und Versuch. Seit 1989 ist er bei Knorr-Bremse - zunächst am Standort Schwieberdingen, wo er verschiedene Aufgaben und Verantwortungen im Bereich Entwicklung elektronischer Systeme im Nutzfahrzeug wahrnahm. Seit 2011 ist Fries bei Knorr-Bremse Systeme für Nutzfahrzeuge GmbH Mitglied der Geschäftsführung. gg Neues Geschäftsfeld Knorr entdeckt das AT-GeschäftEigentlich als Bremsen-Spezialist bekannt, steigt Knorr-Bremse jetzt in den Markt der Austauschteile ein. Man begründet das mit Ressourcenschonung durch Rohstoffeinsparung sowie niedrigere TCO für den Fahrzeugbetreiber. Allerdings gibt Knorr zu, dass es inzwischen auch aus dem Aspekt der Wirtschaftlichkeit interessant ist. Der Hersteller hat in Europa seit 1996 rund 35 Millionen Scheibenbremssysteme produziert und verkauft und das AT-Geschäft bislang anderen Playern überlassen. Nach Markterhebungen zeigt sich, dass viele Kunden Gebrauchte lieber in freien oder der eigenen Werkstatt reparieren und dabei auf günstigere Austauschteile setzen. Die AT-Teile gibt es ab sofort bei den Fachhändlern von Knorr-Bremse TruckServices. gg

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