Hinterlandverkehre

Hinterlandverkehre Wege durchs Nadelöhr Hafen Für die Seehäfen der Nordrange stehen die Zeichen weiter auf rasantes Wachstum. Die Organisation der Hinterlandverkehre wird daher zum entscheidenden Wettbewerbsfaktor im Kampf um Container. Als die Containerschiffe in der Krise ausblieben, verschaffte dies den Seehäfen nur eine kurze Verschnaufpause. Längst bereiten sich die Hafenmanager wieder auf die prognostizierten Umschlagmengen vor, welche die vorhandene Infrastruktur zu sprengen drohen – vor allem beim Abtransport der Container ins Hinterland. Laut der jüngsten Prognose des Instituts für Seeverkehrswirtschaft und Logistik ISL kann Hamburg bis 2025 mit 25,3 Millionen Standardcontainern (TEU) rechnen. Davon werden etwa 11 Millionen TEU über Transhipment-Verkehre über den Seeweg auf kleineren Feederschiffen weitertransportiert. Auf dem Landweg und über das Binnenschiff müssen dann rund 13,9 Millionen TEU abtransportiert werden – fast dreimal so viel wie 2009 (4,7 Millionen TEU). Über alle Häfen der Nordrange von Hamburg bis Le Havre werden 2025 über 90 Millionen TEU umgeschlagen. Über 55 Millionen TEU belasten dann die Infrastruktur auf ihrem Weg ins Hinterland. In Hamburg ist man sich der gewal-tigen Aufgabe bewusst: „Wir werden die Verbesserung der Hinterlandanbindung des Hafens in Abstimmung mit Berlin und den Ländern in Angriff nehmen müssen“, sagte Wirtschaftssenator Frank Horch kürzlich anlässlich der Mitgliederversammlung der Hamburger Spediteure. „Dabei geht Erhalt vor Neubau“, lautet die von ihm ausgegebene Devise angesichts klammer Haushaltskassen. Die deutschen Bundesländer entlang des Rheins werden überwiegend über die Benelux-Häfen bedient. Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg profitieren vom Transport über den Rhein als meistbefahrene Binnenwasserstraße. Die Bedeutung Hamburgs ist für die Versorgung dieser Bundesländer eher gering. Für Bayern beträgt der Anteil der aus Hamburg kommenden Container immerhin fast 60 Prozent, bei den östlichen Bundesländern wie Berlin, Sachsen-Anhalt, Sachsen oder Mecklenburg-Vorpommern liegt der Hamburger Anteil an Hinterlandverkehren aus den Seehäfen zwischen 60 und 95 Prozent. Der Großteil davon wird per Bahn oder per LKW transportiert. Warten auf die Y-Trasse Künftig wolle man mehr Verkehr von der Straße auf die Schiene bringen, kündigte Horch an. Eine wichtige Voraussetzung hierfür ist die Realisierung der Y-Trasse. Die geplante Neubaustrecke soll den Hochgeschwindigkeitsverkehr von Hannover nach Bremen und Hamburg für Personenzüge ermöglichen und dringend benötigte Kapazitäten für den Güterverkehr frei machen. Wann die neue Strecke realisiert werden soll, steht allerdings noch nicht fest. Über das Schienennetz der Hamburger Hafenbahn und die überregionalen Netze werden bereits heute rund 30 Prozent des Warenaufkommens im Hamburger Hafen transportiert. Im Fernverkehr, der über einen Umkreis von 150 Kilometer hinausgeht, liegt der Wert bei 60 Prozent. Jeder dritte Container, der in Deutschland per Bahn transportiert wird, stammt aus Hamburg. Statt um jeden Preis die Infrastruktur auszubauen, sollten die Prozesse der Hafenbahn verbessert werden, schlägt Professor Pawellek vom Institut für Technische Logistik der TU Hamburg-Harburg vor. Da das Platzangebot für weitere Schienen ohnehin sehr begrenzt ist, setzt Pawellek auf die Anbindung von leistungsfähigen Hinterlandterminals, die von regelmäßigen Shuttlezügen aus dem Hafen angefahren werden. Dadurch könnten Container schnell aus dem Flaschenhals Hafen geschleust und im Hinterlandterminal sortiert und zu neuen Ganzzügen zusammengestellt werden. „Zu viele Teilzug- und Einzelwaggonbewegungen auf dem Gleisnetz der Hafenbahn blockieren hocheffiziente Blockzüge“, diagnostiziert Pawellek. Aber auch Blockzüge würden zwischen den Terminals verschoben und blockierten damit Gleiskapazitäten. Über tages- und auslastungsabhängige Schienennutzungsgebühren ließe sich das vorhandene Netz besser nutzen und die Auslastung erhöhen. „Das Abstellen und Parken von Zügen im Gleisnetz des Hafens muss dringend verringert werden“, fordert der Logistik-Wissenschaftler. Eurogate und HHLA kooperieren Die beiden Logistikkonzerne und Terminalbetreiber HHLA und Eurogate wollen den Containertransport von und zu den deutschen Seehäfen gemeinsam auf die künftigen Anforderungen vorbereiten. Über das Gemeinschaftsunternehmen Inland Port Network sollen Zubringerterminals in den wirtschaftlichen Ballungszentren Deutschlands entwickelt werden. Mit integrierten Depots, Flächen für die Containerlagerung, Abstellgleisen und umfangreichen Serviceangeboten sollen derartige Inlandterminals die Voraussetzung für die Bildung effizienter Shuttle-Systeme ermöglichen. HHLA und Eurogate sehen darin einen wichtigen Schritt auf dem Weg zur weiteren Industrialisierung der Transportketten: Abtransport großer Mengen unter der Ausnutzung von Bündelungseffekten in standardisierten Prozessen. In Rotterdam geht man von einem kräftigen Wachstum in den nächsten Jahren aus. Im größten See- und Containerhafen Europas sollen bis 2030 – je nach zugrunde gelegtem Wirtschaftsszenario – 20 bis 30 Millionen TEU umgeschlagen werden. Doch vor allem die höheren Zuwachsraten sind nur unter einer Bedingung erreichbar: Die Kapazitäten bei den Hinterlandanbindungen per LKW, Bahn und Binnenschiff müssen erweitert werden. Der Hafen hat es sich zum Ziel gesetzt, den Modal Split spürbar zugunsten von Bahn und Binnenschiff zu verändern. Rotterdam sieht sich dabei durchaus als Wettbewerber zu den deutschen Seehäfen. Nicht ohne Grund, denn nach Aussage der Holländer werden in Rotterdam mehr Güter mit Quelle oder Ziel Deutschland umgeschlagen als in allen deutschen Seehäfen zusammen. Rotterdam will die intermodalen Umschlaganlagen im Hinterland ausbauen sowie deren Anbindung. Bei der Bahn setzt der Hafen große Hoffnungen auf die Betuwe-Route – einer Eisenbahntrasse zwischen dem Hafen Rotterdam und dem Duisburger Hafen. Auf holländischer Seite ist nach Aussage des Hafens gewährleistet, dass zumindest bis 2015 ausreichend Kapazitäten zur Verfügung stehen. Der Engpass sind eher die Trassen zwischen Emmerich und Oberhausen, wo dringend ein drittes Gleis gebaut werden müsste. Ausbau der Bahntrassen Auch in Antwerpen ist man sich der hohen Bedeutung eines reibungslosen Ab- und Zulaufs der Güterströme bewusst. So hat der Hafen Ende 2010 ein Investitionsprogramm in Höhe von 1,6 Milliarden Euro beschlossen, die in den nächsten 15 Jahren investiert werden sollen. Davon profitieren auch Hinterlandanbindungen. So ist bis 2014 die Fertigstellung eines zweigleisigen Eisenbahntunnels im Hafen geplant, der die beiden Terminals von DP World und PSA besser anbindet und die Kapazitäten im Schienengüterverkehr im Hafen um 35 Prozent erhöht. Außerdem sollen die Trassen, die vom Hafen aus Richtung Frankreich und Deutschland führen, ausgebaut werden, sodass die Kapazität um weitere 30 Prozent steigt. Mit weiteren Maßnahmen wie die Erweiterung von Terminals soll bis 2020 der Anteil der Bahn im Hinterlandverkehr von 12 auf 20 Prozent steigen. Dazu gehört auch der Ausbau des Eisernen Rheins, einer Schienentrasse, die über holländisches Gebiet von Antwerpen in das Ruhrgebiet führen und für zusätzliche Kapazitäten sorgen soll. Doch geben sich die Niederlande und Deutschland bislang zurückhaltend. Deshalb hat der Hafendirektor, Eddy Bruyninckx, Ende Juni einen europäischen Koordinator für die Reaktivierung dieser Strecke ge-fordert, weil kein Fortschritt zu erkennen sei. ❙❚■ Michael Cordes, Dietmar Winkler Hinterlandverkehre Die Häfen bereiten sich auf wachsende Gütermengen vor VR 27: Herausforderung für die Seehäfen VR 29: Die Strategie der Westhäfen VR 30: Eurogate und HHLA bauen gemeinsam Hinterlandterminals aus Fakten zum Hafen Rotterdam ist die Nummer eins der Seehäfen in Europa. 2010 wurden 429,9 Millionen Tonnen umgeschlagen. Auch bezogen auf den Containerumschlag führt Rotterdam die Rangliste mit 11,1 Millionen TEU an. Der Hinterlandverkehr Der Hafen rechnet mit einem deutlichen Mengenanstieg bis 2030 (je nach Szenario zwischen 475 und 750 Millionen Tonnen) und will zudem bis 2035 den Modal Split bei den Containerverkehren verändern. Auf den LKW entfallen dann 35 Prozent, auf die Bahn 20 Prozent und auf die Binnenschifffahrt 45 Prozent. Voraussetzung ist jedoch, dass die Hinterlandanbindungen ausgebaut werden. cd Modal Split Container Fakten zum Hafen Antwerpen ist die Nummer zwei unter Europas Seehäfen, sowohl beim Gesamtumschlag mit 178,2 Millionen Tonnen wie auch beim Containerumschlag mit 8,5 Millionen TEU. Der Hinterlandverkehr Auch in Antwerpen rechnet man mit einem starken Wachstum. Im Jahr 2030, so die Prognose, will der Hafen sein Aufkommen fast verdoppeln (330 Millionen Tonnen). Deutlich zulegen soll im Hinterlandverkehr von Containern die Binnenschifffahrt, deren Anteil im Jahr 2020 laut Prognose auf 42 Prozent steigt. Auch die Bahn legt zu auf 15 Prozent, während der LKW an Bedeutung verliert (43 Prozent), aber die Nummer eins bleibt. cd Modal Split Container 4,6 12,3 Elbe Weser Deutschland 11,1 20 - 30* 8,5 18* Maas Niederlande Belgien Schelde Hinterlandverkehre 4,8 ■ Jahr 2025 bzw. 2030 ■ Jahr 2010 Ladungsaufkommen im Containerverkehr in Millionen TEU Wachstum Seehäfen 7,9 25,3 Fakten zum Hafen Bremerhaven ist der zweitwichtigste Containerhafen Deutschlands. 2010 wurden 4,8 Millionen Standardcontainer (TEU) umgeschlagen. Mit Fertigstellung des Neubauprojekts des Containerterminals CT4 wurde die Kapazität im September 2008 auf 9 Millionen TEU erweitert. Hinterlandverkehr An den 4,6 Millionen umgeschlagenen Containern in Bremerhaven betrug der Tranship-mentanteil 2,8 Millionen TEU in 2009. Der Rest (1,8 Millionen TEU) wurde ins Hinterland weitertransportiert. Der LKW macht mit 53 Prozent den Löwenanteil aus. Die Bahn spielt mit 45 Prozent ebenfalls eine herausragende Rolle, während das Binnenschiff in Bremerhaven – ähnlich wie in Hamburg – mit knapp 3 Prozent nur eine geringe Rolle spielt. Ein Masterplan Binnenschiff sieht Chancen in einer stärkeren Beteiligung an der Auto- und Entsorgungslogistik. Außerdem könnten Reeder mit dem Transport von Anlagenteilen für die Windenergie ein neues Geschäftsfeld erschließen. diwi Modal Split Container Fakten zum Hafen Der Jade-Weser-Port eröffnet den Betrieb erst im August 2012 und soll sich als neuer Tiefwasserhafen für den Containerumschlag etablieren. Für das erste Betriebsjahr geht man von 1,2 Millionen TEU aus. Die Kapazität liegt bei 3 Millionen TEU. Hinterlandverkehr Laut ersten Schätzungen sollen circa 60 Prozent der umgeschlagenen Container auf kleinere Feederschiffe verladen und vorzugsweise in die Ostsee weitertransportiert werden. Der Rest wird auf dem Landweg per LKW oder auf der Schiene ins Hinterland weitertransportiert. Das Binnenschiff spielt in Wilhelmshaven keine Rolle. diwi Modal Split Container Fakten zum Hafen Der Hamburger Hafen hat sich 2010 von der Krise erholt, lag aber mit 7,9 Millionen TEU im Containerumschlag unter dem Rekordergebnis von 2008 (9,8 Mio. TEU). An der Wachstumsperspektive für die nächsten Jahre hat das nichts geändert– 2025 sollen in Hamburg 25,3 Mio TEU umgeschlagen werden. Hinterlandverkehr Für Hamburg spielen LKW und Bahn die wichtigste Rolle beim Abtransport der Güter. Moderne IT und Ausbau der Schienenanbindung sollen die Hafenbahn noch effektiver machen. Die Zahl der täglichen Züge soll sich bis 2020 auf 400 verdoppeln. diwi Modal Split Container Hamburg will Anteil am Modal Split erhöhen Der Hamburger Hafen ist über die Mittelelbe an das deutsche Binnenwasserstraßennetz angebunden. Per Binnenschiff wird aus Hamburg immerhin ein Viertel aller Massengüter ins Hinterland transportiert. Bezogen auf Container sind es allerdings nur 2 Prozent. Damit das Binnenschiff attraktiver werden kann, müsste die Leistungsfähigkeit der Wasserstraßen insgesamt erhöht werden und die Elbe müsste mindestens eine Wassertiefe von 1,60 Metern an 345 Tagen im Jahr bieten. Laut Hamburgs Wirtschaftssenator Frank Horch soll sich der Binnenschiffanteil am Modal Split innerhalb der nächsten Jahre auf 5 Prozent erhöhen. In Rotterdam hat das Binnenschiff aufgrund der Rheinanbindung 33 Prozent am Modal Split bei Containern. Erwogen wird die Beteiligung an Hinterlandterminals, um mehr Einfluss auf deren Leistungsfähigkeit zu nehmen. Daher hat der Hafen zusammen mit den Häfen Antwerpen und Amsterdam auch Interesse signalisiert, sich Anteile am Duisburger Hafen zu sichern. Die Bundesregierung hatte angekündigt, ihren Anteil (33 Prozent) abgeben zu wollen. In Antwerpen steht vor allem eine effizientere Be- und Entladung durch eine bessere Lenkung der Binnenschiffe im Mittelpunkt. Das Automatic Identification System (AIS), dessen Testphase am 1. März 2011 begann, ist ein solches Instrument. Damit sollen unter anderem die Wartezeiten für die Schiffe an den Schleusen verringert und Terminals frühzeitig über die voraussichtliche Ankunftszeit eines Binnenschiffs informiert werden. Ab 1. Januar 2012 soll AIS dann für alle Binnenschiffe Pflicht werden. cd/diwi Beladung eines Binnenschiffs mit Containern Binnenschiff Hinterlandverkehre