Bei Verkehrspolitikern der Linken hat man immer den Eindruck, sie würden sich nicht nur eine komplett andere Verkehrspolitik wünschen, sondern eine ganz andere Wirtschaftsordnung. Täuscht der Eindruck?
Herbert Behrens: Damit liegen Sie nicht ganz falsch. Wir glauben, dass man Wirtschaftspolitik und damit auch Verkehrspolitik insgesamt anders denken muss. Wir kommen doch nicht weiter, indem wir in Prognosen immer nur fragen, wie viel Verkehr auf uns zukommt, wenn wir nicht gleichzeitig auch die grundsätzliche Frage stellen, welche Verkehre wir denn überhaupt wollen. Fortschritt zeichnet sich nicht dadurch aus, dass wir irgendwann eine Verdoppelung des Verkehrs haben. Wir alle wissen, dass es natürliche Grenzen gibt und dass nicht jeder Verkehr auch wünschenswert ist. Ich halte es für erforderlich, das sich Verkehrspolitiker auch mit solchen Fragen befassen.
Damit stoßen Sie in der Regierung auf taube Ohren, nehme ich an?
Uns wird immer wieder vorgeworfen, dass wir „Planwirtschafts-Debatten“ führen. Dem kann ich nur entgegnen: Ich fürchte nichts mehr als eine ungeplante Verkehrspolitik! Aber im Ernst: Im Tagesgeschäft müssen wir uns natürlich zu Detailfragen erklären, beispielsweise wenn es um Trassenführungen geht oder um die Umsetzung konkreter Verkehrsprojekte. Dann können wir auch ganz pragmatische Verkehrspolitik machen, die sich aber an unserem Verkehrskonzept orientiert.
Demnächst soll der Entwurf des neuen Bundesverkehrswegeplans 2015 vorgelegt werden. Ist das Projekt noch im Zeitplan?
Daran haben wir mittlerweile erhebliche Zweifel. Laut Ankündigung der Regierung soll der Bundesverkehrswegplan im vierten Quartal durchs Kabinett gehen. Wenn wir aus der Sommerpause rauskommen ist es bereits Anfang September. Wir rechnen damit, dass es Ende September, Anfang Oktober einen ersten Entwurf gibt, der ja die Voraussetzung für eine Bürgerbeteiligung ist. Was wir unter einer guten Bürgerbeteiligung verstehen unterscheidet sich allerdings auch sehr stark von der Auffassung im Ministerium. Dort geht es eher um Kosmetik.
Ihre Fraktion hatte kürzlich eine Kleine Anfrage zur Zukunft des Mautbetreibers Toll Collect gestellt. Die Antwort der Bundesregierung interpretierten Sie dann als Vorfestlegung auf Toll Collect als künftigen Mautbetreiber für die Zeit nach 2018. Das hat das Ministerium klar dementiert. Was hat Sie zu der Interpretation veranlasst?
Der Blick auf die Fristen zeigt doch, dass die Zeit für eine Neuausschreibung des Systems eigentlich schon zu knapp ist. Experten sagen, wir kriegen eine technologieoffene Ausschreibung bis 2018 gar nicht mehr hin. Deshalb sagen uns auch Mitbewerber, dass dies de fakto eine Vorfestlegung auf Toll Collect ist. Die Festlegung auf die bestehende satellitengestützte Technologie hat das Ministerium im Übrigen bestätigt. Wo bleibt da der immer beschworene Wettbewerb?
Den Betrieb des Systems kann der Bund ja trotzdem ausschreiben auch wenn man sich auf die Technologie festlegt...
Wir müssten dann trotzdem mit Klageverfahren rechnen, wenn ein anderer Betreiber nicht zum Zuge kommt. Außerdem müsste die Frage geklärt werden, wo überhaupt die Patente für die Toll-Collect-Technik liegen und ob ein anderer Bewerber diese dann erwerben müsste. Wir haben unsere Zweifel, ob eine Vorfestlegung auf eine bestimmte Technologie überhaupt zulässig ist, wenn ein Wettbewerber, der möglicherweise bei einer Ausschreibung dann zum Zuge kommt erst die Patente erwerben muss. Wenn wir aber rechtliche Auseinandersetzungen bekommen, droht eine Wiederauflage der Verzögerungen bei Einführung der Maut 2005. Diese Gefahr sehen wir.
2018 soll die Lkw-Maut auf alle Bundesstraßen ausgeweitet werden. Das muss der Mautbetreiber technisch vorbereiten. Müssen diese vorbereitenden Maßnahmen ebenfalls ausgeschrieben werden?
Ja, wir sind der Meinung, dass auch diese Vorarbeiten ausgeschrieben werden müssten. Der Bund ist da offenbar anderer Meinung.
Wie viel Einblick haben Sie in das laufende Schiedsverfahren zwischen dem Bund und dem Maut-Konsortium?
Wir haben keine uneingeschränkte Einsicht in die Unterlagen. Es sind auch die Ergebnisse der Sitzungen im Rahmen des Schiedsgerichtsverfahrens nicht zugänglich. Auf unsere Anfragen erhalten wir oft nur spärliche Antworten. Das gilt ganz allgemein, auch in aktuellen Fragestunden, wo wir offenbar bei manchen Fragen nicht so ganz ernst genommen und mit Formalismen abgebügelt werden. Darüber hat sich die Linksfraktion auch schon beim Parlamentspräsidenten beschwert.
Künftig sollen bei der Lkw-Maut auch externe Kosten stärker angelastet werden. Liegt das auf ihrer Linie?
Ja, das geht voll in unsere Richtung. Die EU ließe viel mehr zu, was die Anlastung externer Kosten betrifft. Lärmkosten sind beispielsweise bei der Lkw-Maut überhaupt noch nicht hinreichend berücksichtigt. Wir befürworten auch die Ausweitung auf alle Bundesstraßen und fordern die Ausweitung der Maut auf Fahrzeuge ab 3,5 Tonnen.
Damit machen Sie sich sicher keine Freunde bei den Speditionsunternehmen.
Wir sehen die Transportwirtschaft nicht als Cash-Cow für den Steuerhaushalt, das mache ich in Gesprächen mit Unternehmern immer deutlich. Wir sehen die Lkw-Maut vor allem als Steuerungsinstrument, nicht als Geldbringer. Ziel ist die Verlagerung von Lkw-Verkehren auf die Schiene, eine Verkehrswende, wenn Sie so wollen.
Die Kosten werden ja nicht bei den Transportunternehmen hängen bleiben, sondern sie gehen auch zulasten des Auftraggebers und des Konsumenten. Wir meinen, dass bestimmte Produkte nicht so dezentral hergestellt werden müssen, wie das heute passiert und dadurch unnötige Transporte geschaffen werden.
… womit wir wieder beim Grundsätzlichen wären. Spediteure sagen aber, dass die Alternativen einfach nicht stimmen, die Bahn viel zu unflexibel ist. Was sagen Sie denen?
Wir konfrontieren auch das BMVI mit unserer Kritik. Der Bundesverkehrsminister beteuert zwar, dass man den Modal Split verändern wolle, aber de facto tut er nichts dafür. Der Bund muss als 100-Prozent-Anteilseigner der Bahn wieder mehr Einfluss gewinnen. Die Konstruktion als AG erschwert dies. Nach unserer Auffassung muss man die Organisationsformen verändern damit sich z. B. eine Netz-AG nicht immer darauf zurückziehen kann, mit dem Ziel maximaler Gewinne zu agieren. Immerhin gibt es einen grundgesetzlichen Auftrag, dass Infrastruktur für Verkehr auf der Schiene vorgehalten werden muss. Wir wollen damit den Begriff der Gemeinwohlorientierung stärker ins Spiel bringen.
Sie wollen eine Staatsbahn?
Ja, das wäre dann eine Staatsbahn. Aber in der Schweiz gibt es auch eine Staatsbahn, die von der Regierung entsprechend unterstützt wird, Projekte zur Verlagerung umzusetzen. Dieses Modell hat durchaus Vorbildcharakter, auch was die Netzbildung angeht. Wenn wir eine ökologische Verkehrswende wollen, kommen wir um solche Fragen nicht umhin. Es muss uns gelingen, dass unsinnige Großprojekte wie Stuttgart 21 oder die Hinterlandanbindung einer sündhaft teuren Fehmarnbelt-Querung hinten angestellt werden und dafür das Schienennetz einschließlich Lärmschutz ausgebaut wird.
Dann sind Sie folgerichtig auch gegen die Schaffung einer Infrastrukturgesellschaft, die für den Bundesfernstraßenbau verantwortlich wäre?
Für uns ist das ein „No-Go“. Es ist die Aufgabe eines Parlaments und eines Ministeriums, verkehrsträgerübergreifend zu denken und zu wissen, über welche öffentlich Infrastruktur man überhaupt verfügt und was noch benötigt wird. Wir befürchten die Bildung einer reinen „Bundesfernstraßengesellschaft“ nach dem Modell der österreichischen Asfinag, bei der es um die reine Geldbeschaffung geht, und mehr noch den Einstieg in die Privatisierung der Verkehrsinfrastruktur. Der Staat kommt aber auch mit einer solchen Gesellschaft nicht aus seiner Verantwortung raus: Am Ende steht auch bei den Krediten und Renditen einer Infrastrukturgesellschaft eine staatliche Garantie dahinter. Ich will, dass gewählte Politiker und nicht private Investoren über verkehrspolitische Maßnahmen auch im Straßenbau entscheiden können.
Bei Vorstellung der 72 Verkehrsprojekte, die das Ministerium als Infrastrukturoffensive angekündigt hatte, sprachen Sie etwas abfällig davon, dass die „Weißwurst-Connection“ wieder zugeschlagen habe. Was wollen Sie damit sagen?
Man sieht beim Blick auf die Projektliste sofort, dass Bayern und Baden-Württemberg die meisten Projekte bekommen. Allein nach Bayern gehen 621 Millionen Euro. Ich habe nach den Kriterien für die Auswahl gefragt. Eine vernünftige Antwort darauf gab es nicht – wie so oft.
Man könnte auch sagen, die hatten eben ihre Projekte so weit geplant, dass sie loslegen können …
Ich weiß nicht, wie voll die Schubläden in anderen Bundesländern sind. Aber die Zusammensetzung der Projektlistee ist falsch. Es gehen viel zu viele Mittel in den Neubau. Dabei soll doch der Erhalt Vorrang haben. Großprojekte haben bei CSU-Bundesministern offenbar hohe Priorität. Deshalb soll ja wohl auch das angekündigte Digitale Testfeld Autobahn nach Bayern gehen.
Sie sind, wie ich gelesen habe, auch Mitglied im Ausschuss für die Niederdeutsche Sprache. Wie würden Sie auf Plattdeutsch kontern?
De Düwel schitt jümmers op’n Bulten.
Das Interview führte VR-Redakteur Dietmar Winkler
Hintergrund: Herbert Behrens (61) sitzt für Die Linke im Deutschen Bundestag. Er ist Obmann seiner Partei im Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur. Behrens ist ein echtes Nordlicht. Geboren wurde er in Osterholz-Scharmbeck, Niedersachsen. Ursprünglich Mitglied der DKP und aktiv in der linken Bürgerbewegung, hat sich Behrens auch stark in der Gewerkschaft engagiert - ehrenamtlich und hauptberuflich. (diwi)