Grüne Politik 2.0

Interview Grüne Politik 2.0 Der Grünen-Politiker Tarek Al-Wazir hat als neuer Wirtschafts- und Verkehrsminister in Hessen die Lufthoheit über den Frankfurter Flughafen. Das sind seine Pläne. Herr Minister Al-Wazir, als Sie noch in der Opposition saßen, haben Sie der damals regierenden hessischen schwarz-gelben Regierung ihre gescheiterte Flughafenpolitik vorgeworfen. Was machen Sie besser? Die Auseinandersetzungen um den Frankfurter Flughafen beschäftigen das Land seit Jahrzehnten, vor allem die Frage nach den wirtschaftlichen Chancen einerseits und den Belastungen für die Anwohner andererseits. Diesen Konflikt kann man nicht so einfach auflösen. Im Koalitionsvertrag haben wir festgelegt, dass wir beides wollen – die Wettbewerbsfähigkeit des Flughafens sichern, aber auch die Anwohner entlasten. Das ist die Aufgabe, vor der wir stehen. Wir wollen nicht nur das sechsstündige Nachtflugverbot erhalten, sondern siebenstündige Lärmpausen einführen. Das ist nicht einfach. Aber wenn alle Beteiligten das mit der entsprechenden Energie und gutem Willen verfolgen, dann gibt es da auch Gestaltungsmöglichkeiten. Wie soll das funktionieren? Die Anzahl der Flüge wird sich ja nicht reduzieren … Die maximale Anzahl der Flüge in den sogenannten Nachtrandstunden zwischen 22 und 23 Uhr abends bzw. zwischen 5 und 6 Uhr morgens ist mit 133 Flügen im Jahresdurchschnitt durch die Betriebsgenehmigung festgelegt. Wir wollen diese Flüge so auf die Start- und Landebahnen verteilen, dass eine planbare Ausweitung der Nachtruhe realisiert werden kann – sofern nicht gerade witterungsbedingte Umstände dagegensprechen. Um hier ein sinnvolles Konzept zu erarbeiten, benötigen wir die Fraport, die Flugsicherung und die Airlines. Gibt es schon konkrete Vorschläge, wie das aussehen könnte? Derzeit befinden wir uns mitten in der Diskussion. Bisher ist ein unabhängiger Betrieb der mittleren Parallelbahn und der Nordwestbahn nicht vorgesehen. Die Topografie mit vier Bahnen hat ihre eigenen komplexen Regeln hervorgebracht: Die Startbahn West wird nur zum Starten verwendet und auch nur in eine Richtung. Die neu gebaute Nordwestbahn wird ausschließlich als Landebahn genutzt, allerdings in beide Richtungen. Die beiden mittleren Parallelbahnen sind zu nah beieinander, um sie unabhängig voneinander zu betreiben. Hier eine Lösung hinzubekommen, mit der die Menschen in den Randstunden entlastet werden, ist die spannende Aufgabe. Was sagen die Experten, ist das überhaupt machbar? Nach meinen bisherigen Gesprächen habe ich den Eindruck, dass man das hinkriegen kann. Wir müssen vor allem mit den Kommunen und den betroffenen Bürgern sprechen. Niemand soll sich überrumpelt fühlen. In den letzten Jahren ist hier sehr viel Misstrauen entstanden, weil man den Genehmigungsbehörden immer nur das Schlechteste unterstellt hat. Meine Aufgabe wird es sein, mit den Beteiligten wieder zu kommunizieren und Vertrauen zu schaffen, dass ich als Minister wirklich an einem Ausgleich interessiert bin. War es eigentlich Ihr persönlicher Wunsch, ausgerechnet das Wirtschafts- und Verkehrsministerium zu übernehmen? (lacht) Nun, es hat mich niemand dazu gezwungen. Im Vorfeld der Wahlen haben wir parteiintern überlegt, wo eigentlich die großen Herausforderungen der Landespolitik liegen. Und da sind der Flughafen oder die Infrastrukturfinanzierung sicherlich zwei zentrale Bereiche. Wenn man hier etwas erreichen will, muss man selbst in die Verantwortung gehen. Und da es nicht meine Art ist, vor Herausforderungen zurückzuschrecken, habe ich mich bewusst für diese Aufgabe entschieden. In der Wirtschaftspolitik liegen gerade für die Grünen große Chancen. Wir wollen zeigen, dass auch „grüne Politik schwarze Zahlen schreiben will“, wie es mein Nachfolger als Fraktionsvorsitzender, Mathias Wagner, so treffend sagte. Welche Rolle spielt der Logistikstandort Hessen in Ihrer Politik? Die gute Entwicklung am Arbeitsmarkt in Nordhessen hat auch damit zu tun, dass die Region nach der Wiedervereinigung von einer Randlage ins Zentrum gerückt ist. Nordhessen ist damit als Standort für Logistikansiedlungen interessant geworden. Man muss sich nur anschauen, was an der A4 entstanden ist oder bei Kassel. Aber beim Stichwort Mobilität ist auch klar, dass wir uns Gedanken machen müssen, wie wir in Zukunft eigentlich dafür sorgen können, dass Mobilität überhaupt noch stattfinden kann. Eine zentrale Frage wird lauten, wie man die vorhandene Infrastruktur gut nutzen kann und wie es zu schaffen ist, die Zuwächse im Güterverkehr eben nicht nur auf die Straße zu bringen. Das Thema Logistik wird daher eine große Rolle in unserer Politik spielen. Hessen beteiligt sich am Feldversuch mit Lang-LKW. Wie soll es damit weitergehen in Hessen? Wir haben uns in der Koalition darauf geeinigt, dass wir den Versuch weiterlaufen lassen. Versuche sind ja genau dafür da, dass man sich am Ende die Ergebnisse anschaut. Es ist kein Geheimnis, dass die Grünen dem Einsatz von Lang-LKW eher kritisch gegenüberstanden. Es wurde also kein Moratorium für weitere Beteiligungen von Lang-LKW vereinbart? Nein, solche Vereinbarungen gibt es nicht. Die Begeisterung seitens der Speditionen war ja ohnehin nicht besonders groß – das zeigt die geringe Beteiligung. Zurück zum Flughafen. Die Frachtairline Lufthansa Cargo wehrt sich gegen Betriebseinschränkungen, weil man fürchtet, Kunden könnten auf andere Flughäfen ausweichen. Nehmen Sie solche Klagen ernst oder ist das ein Jammern auf hohem Niveau? Ich nehme diese Äußerungen natürlich ernst, aber es ist meine Aufgabe, deren Gehalt zu prüfen. Im Vorfeld des Nachtflugverbots hat die Lufthansa Cargo ein schreckliches Szenario prophezeit. Man muss heute feststellen: Das ist nicht eingetreten. Das Unternehmen entwickelt sich und hat sogar angekündigt, ein neues Frachtzentrum in Frankfurt zu bauen. Das kann ich nur deutlich begrüßen. Gleichzeitig modernisiert Lufthansa Cargo die Flotte, was ich erst recht begrüße. Die MD11 ist ein veraltetes und verhältnismäßig lautes Flugzeug. Die Boeing 777 ist viel moderner, verbrauchsärmer und vor allem leiser. Dennoch rechnet Lufthansa Cargo vor, durch das geltende Nachtflugverbot im Ergebnis pro Jahr 50 Millionen Euro zu verlieren. Das ist eine Menge Geld … Ich bestreite nicht, dass es natürlich negative Effekte gibt. Aber man muss doch etwas weiter ausholen, um die Dinge richtig einzuordnen. Die Lufthansa hat die Debatte über den Flughafenausbau, den das Unternehmen immer gefordert hat, im Jahr 1997 begonnen. Spätestens seit 2000 war klar, dass der Ausbau nur mit einem Nachtflugverbot einhergeht. Natürlich hat das Nachtflugverbot Auswirkungen, aber andererseits ist Lufthansa in Frankfurt so pünktlich wie nie. Man kann nicht immer nur das Negative sehen. Das Nachtflugverbot war der Preis für den weiteren Ausbau, den die Lufthansa gefordert hat, nicht ich. Die Hälfte der Fracht wird in Passagiermaschinen transportiert. Lufthansa Cargo hat am Drehkreuz Frankfurt durch die enge Verknüpfung von Passage und Fracht einen einmaligen Wettbewerbsvorteil. Die Luftverkehrswirtschaft hat kürzlich Forderungen für das Luftverkehrskonzept vorgestellt, das die Bundesregierung bis 2017 erarbeiten will. Weitere Einschränkungen der Betriebszeiten an Flughäfen wolle man nicht hinnehmen, heißt es dort. Was sollte Ihrer Meinung nach im Luftverkehrskonzept stehen? Die Luftverkehrsbranche hat einen Katalog von Maximalforderungen präsentiert. Aus unserer Sicht ist ein nationales Luftverkehrskonzept zu begrüßen und wir wollen auch aktiv daran mitarbeiten. Aber es ist auch klar, dass beim Thema Fluglärm meine Haltung eine andere sein wird als die des Bundesverbandes der Deutschen Luftverkehrswirtschaft. Der Schutz der Bevölkerung vor Fluglärm muss in dem Konzept eine zentrale Rolle spielen. Der Umweltverband BUND hat jüngst die Bundesländer kritisiert, weil deren Anmeldungen von Infrastrukturprojekten für den neuen Bundesverkehrswegeplan unrealistisch seien. Welche Haltung hat Hessen bei der Anmeldung von Verkehrsprojekten? Mein Vorgänger hat bereits im Herbst die Anmeldungen auf den Weg gebracht. So wie das bei allen Bundesländern mehr oder weniger der Fall ist, sind dort ebenfalls sehr viele Projekte enthalten. Die Bundesregierung hat in der Grundkonzeption für den Bundesverkehrswegeplan die neue Kategorie „VB+“ eingeführt. Wir werden in der Diskussion mit dem BMVI die Frage beantworten müssen, wie wir zu einer abgestimmten Priorisierung kommen. Diese Gespräche haben aber noch nicht stattgefunden. Das heißt, die angemeldeten Projekte werden alle noch einmal auf den Prüfstand gestellt? Nein, wir werden jetzt nicht alle Projekte streichen. Die spannende Frage ist die Priorisierung. Wenn Sie sich alle Anmeldungen aller Bundesländer anschauen, dann ist deren Realisierung absolut unrealistisch. Welche Projekte sind für Hessen besonders wichtig? Wir haben in Hessen die beiden „Langzeitautobahnprojekte“ A 44 und A 49. Wir haben uns darauf verständigt, dass die A 44 jetzt vollendet werden soll und auf der A 49 der im Bau befindliche Abschnitt fertiggestellt wird und die fehlenden Abschnitte bis zur A 5 fertig geplant werden. Vor dem Weiterbau muss dort allerdings die Finanzierung geklärt sein. Aus meiner Sicht ist es ganz besonders wichtig, dass wir mit der Schieneninfrastruktur weiter kommen. Die Bahnstrecke Frankfurt-Fulda ist am Rande der Kapazität, da muss dringend etwas passieren. Ebenso auf der Strecke Frankfurt-Mannheim, wo wir vor allem die Frage der Anbindung Darmstadts klären müssen. Wenn Sie sich die Region Frankfurt mit ihren vielen Pendlern anschauen, dann ist klar, dass auch der Schienennahverkehr ausgebaut werden muss. Sonst stehen wir hier bald im Dauerstau. Geht der Koalitionsvertrag der Bundesregierung in Berlin in die richtige Richtung? Die Ausweitung der LKW-Maut finde ich richtig. Bei der PKW-Maut muss man pragmatisch sagen, dass viel darüber geredet, aber das eigentliche Problem der Unterfinanzierung dadurch nicht gelöst wird. Wer eine PKW-Maut europarechtlich konform machen will, muss alle Nutzer heranziehen. Wer deutsche Autofahrer unter dem Strich nicht zusätzlich belasten will, der wird am Ende kaum mehr Geld in der Kasse haben. Sollten langfristig auch die Transporter über 3,5 Tonnen bemautet werden? Ich unterstütze den Gedanken einer verursachergerechten Weiterentwicklung der LKW-Maut, die auch Fahrzeuge ab 3,5 Tonnen einbeziehen würde. Ein Transporter kann natürlich nicht genauso viel zahlen wie ein Sattelzug, der die Straße ja ungleich stärker beansprucht. Dies müsste die Gebührenstaffelung berücksichtigen. ❙❚■ Dietmar Winkler Vita Tarek Al-Wazir Der 43-jährige Diplom-Politologe mit dem arabisch klingenden Namen stammt aus dem hessischen Offenbach. Die grüne Gesinnung hat er von der Mutter, einer Lehrerin, die in den Achtzigerjahren engagiert gegen die Startbahn West am Frankfurter Flughafen demonstriert hat. Den Namen hat er vom Vater, der aus einer jemenitischen Politiker-Familie stammt. Auch Tarek Al-Wazir verbrachte als Jugendlicher zwei Jahre in dem arabischen Land. Seit dem 18. Januar ist er stellvertretender Ministerpräsident des Landes Hessen und Minister für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung in einer schwarz-grünen Regierung. Al-Wazir gehört dem hessischen Landtag seit 1995 an und war ab 2000 bis zu seinem Ministeramt Vorsitzender der Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen. „Ich muss den Menschen vermitteln, dass ich an einem Ausgleich interessiert bin“ Tarek Al-Wazir Hessischer Minister für Wirtschaft und Verkehr „Das Nachtflugverbot war der Preis für den weiteren Ausbau, den die Lufthansa gefordert hat“ Tarek Al-Wazir Hessischer Minister für Wirtschaftund Verkehr „Die PKW-Maut würde das eigentliche Problem der Unterfinanzierung nicht lösen“ Tarek Al-Wazir Hessischer Minister für Wirtschaft und Verkehr

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