Gefährliches Halbwissen

Als es anfing, zu tropfen und zu riechen, wurde es teuer. Ein nicht deklariertes Versandstück mit einer Ein-Liter-Flasche, Gefahrgutklasse 8, ging Anfang dieses Jahres in einem Frachtzentrum beim Umladen zu Bruch. Der Inhalt war nicht sehr gefährlich, aber übel riechend. Die Folgen: Der Lagerleiter sperrt für mehrere Stunden den Betrieb, Feuerwehr und Rettungskräfte sind im Einsatz. Zwei Mitarbeiter beklagen sich über Übelkeit und werden ins Krankenhaus gebracht. Ein Mitarbeiter verätzt sich leicht am Finger und wird ebenfalls im Krankenhaus versorgt. Das Krankenhaus meldet den Vorfall der Polizei. Der Vorfall wird als Körperverletzung eingestuft. Dieses Beispiel ist kein Einzelfall. Im September 2013 wurde aufgrund eines Verpackungsfehlers durch den Absender für mehrere Stunden die Altstadt in Bremen gesperrt. Im Februar 2014 ging ein Päckchen mit Nagellackzubehör in einer Annahmestelle für Pakete zu Bruch. Das Bahnhofsgelände der Stadt Göppingen wurde infolgedessen für mehrere Stunden gesperrt. Beteiligt waren die Feuerwehr Göppingen, der Gefahrgutzug des Landkreises Salach und die Werksfeuerwehr eines nahegelegenen Chemieunternehmens. Wie Verpacker solche Vorfälle verhindern können, schreiben unter anderem die Gefahrgutvorschriften vor. Detailreich wird dort aufgeführt, wie Innen-, Außen-, Kombinations- und Umverpackungen aussehen sollen oder wie und womit gepolstert und gekennzeichnet wird, damit unter normalen Beförderungsbedingungen kein Inhalt austritt. 2,55 Milliarden Sendungen wurden 2012 über deutsche KEP-Dienste quer durch die Bundesrepublik befördert, alle unterhalb der 30 Kilogrenze und vielfach zusammengesetzt aus Sendungen von Onlinehändlern, die an private Endverbraucher gingen. In 50 Prozent der Fälle sind dabei Branchen beteiligt, die unter anderem Produkte mit Gefahrgutpotenzial anbieten. "Das Thema Gefahrgut kommt jetzt auf unsere Agenda", versprach vor zwei Jahren der damalige Präsident des E-Commerce-Verbandes BEVH, Thomas Lipke, als Testkäufe des Monatsmagazins Gefahrgut, eine Schwesterzeitschrift der Verkehrs-Rundschau, massive Defizite beim Versand von Gefahrgütern aufzeigten. Weit ist der Verband trotz dieser Ankündigung mit seinem Vorhaben nicht gekommen. Ein erneuter Test der Zeitschrift Gefahrgut im Frühjahr dieses Jahres beweist: In vielen Fällen wissen die Händler über die Regeln beim Verpacken und Versenden von Gefahrgütern nach wie vor nicht Bescheid beziehungsweise setzen Vorschriften nur halbherzig um. Gerade einmal 3 von 25 Bestellungen, die Mitte März bei großen und kleinen Händlern bestellt wurden, bekamen von der Redaktion die Note eins: Ein Anbieter für Klebstoffe hatte seinen Härter mit Epoxidharz in UN-zugelassener Dose korrekt verpackt, gut gepolstert und die genügend starke Außenverpackung ausreichend gekennzeichnet. Darüber hinaus wurde der Käufer schon auf der Homepage auf den Versand als Gefahrgut hingewiesen. Die Retoure erwies sich als umsichtig und genau. Ein Händler mit insgesamt 60.000 Produkten im Portfolio überraschte bei bestellten zwölf Ein-Liter-Waschbenzin-Dosen nicht nur mit richtiger Innen- und Umverpackung sowie kennzeichenreicher Kommunikation auf der Verpackung, sondern auch mit einem aktuellen Sicherheitsdatenblatt für die Rücksendung. Dem Kunden wurde die Verwendung der Originalverpackung ans Herz gelegt sowie der Rat gegeben, das Sicherheitsdatenblatt beim Logistikdienstleister abzugeben. Dabei handelte es sich um eine sogenannte Gefahrgutversendung in begrenzter Menge, deren Inhalt beim Dienstleister nicht genannt werden muss. Bei den "Limited Quantity"-Sendungen muss dieser lediglich das Gewicht kennen. Abgesehen von einer dritten vorbildhaften Sendung war es das aber schon mit den guten Beispielen bei den Testkäufen. Von allen anderen ist wenig Gutes zu berichten. Über die Hälfte der Sendungen kam ungekennzeichnet an, teilweise schlecht gepolstert und in einwelliger Wellpappe, die selten so aussah, als sei sie ausreichend wasserbeständig (eine der Vorgaben aus dem Gefahrgutrecht, auch für LQ-Sendungen). Vielfältige Mängel Bis auf wenige Ausnahmen wurden Nagellackentferner, Brennspiritus oder Petroleum liegend verschickt, mal mit und mal ohne orientierende Ausrichtepfeile. Wer einmal an einem Fläschchen acetonhaltigem Nagelreiniger gerochen hat, weiß, wie stark schon der Geruch abschreckt, ungeachtet der entzündlichen Komponente. Bei verschiedenen Anbietern bestellte 100er-Packungen Einwegfeuerzeuge wurden grundsätzlich ungekennzeichnet verschickt, ebenso wie Spraydosen (Druckgaspackungen). Gefahrgüter wie Lithium-Ionen-Batterien für den Fahrradantrieb oder Batteriesäure im Sechs-Liter-Kanister, die von den Vorschriften nicht freigestellt verschickt werden können, wurden an die Redaktion Gefahrgut korrekt versendet - mit passgenauer, UN-zugelassener Verpackung, Anmeldung beim KEP-Dienstleister, Beförderungspapier. Doch die Retourenabteilung ignorierte in einem Fall die Frage nach den Anforderungen für die Rücksendung komplett beziehungsweise gab im anderen Fall eine irreführende Information (siehe E-Mail Seite 20). "Der vorsätzliche Verstoß gegen Vorschriften ist eher selten", sagt Ingmar Böckmann vom BEVH im Interview (siehe Seite 21). Das Nichtwissen nützt aber dem Händler im Fall eines Unfalls nicht, auch nicht, wenn auf dem Weg vom Verbraucher zurück an den Händler etwas passiert. In dem Moment, wo der Kunde den Händler über die Rücksendung benachrichtigt und dieser falsch oder gar nicht über die Versandanforderungen informiert, steht der Händler als Auftraggeber des Versenders gegenüber dem Gesetzgeber in der Verantwortung. In allen Fällen, bei denen Feuerwehr und Polizei im Einsatz sind, muss der Absender beziehungsweise Auftraggeber des Absenders damit rechnen, dass ein Verfahren nach § 328 StGb (Strafgesetzbuch) eingeleitet wird. Weiterhin besteht die Möglichkeit, ein Verfahren nach § 37 GGVSEB (Gefahrgutverordnung) zu eröffnen. Die örtlich zuständige Behörde kann auch ein Amtshilfeersuchen an die zuständige Behörde am Wohnort oder Firmensitz veranlassen. Darüber hinaus muss in allen Fällen damit gerechnet werden, dass ein betroffenes Transportunternehmen Regress für entstandene Schäden, Betriebsschließung und Behördenkosten - beispielsweise der Feuerwehr - vom Absender einfordern kann. Im Gefahrgutrecht wird die Verantwortung entlang der Transportkette verteilt. In der Praxis sind die Verantwortlichkeiten nicht ganz so leicht zu identifizieren. Im Idealfall dient der Versandhändler als Absender, der KEP-Dienstleister als Beförderer, der Fahrer als Fahrzeugführer und Entlader, das Versandlager als Verpacker und gegebenenfalls Verlader sowie der Kunde als Empfänger. Jede dieser Funktionen ist im Gefahrgutrecht eindeutig benannt und in den Durchführungsrichtlinien mit konkreten Bußgeldhöhen bei Entdeckung von Mängeln erfasst. Paragraf 37 der Gefahrgutverordnung GGVSEB beschreibt die Ordnungswidrigkeiten, die begangen werden können. In den RSEB-Gefahrgutdurchführungsrichtlinien kann man den Bußgeldkatalog einsehen, der von 100 bis 1500 Euro pro einzelnem Verstoß reicht. Verantwortlichkeiten festlegen Wer gegen eine Pflicht der Paragrafen 17 bis 29 verstößt, begeht eine Ordnungswidrigkeit. Ereignet sich ein schwerer Unfall oder wird Gefahrgut im Luftverkehr nicht deklariert, kommt man mit dem Strafgesetz in Konflikt. Aber der Onlineversand erfolgt auf den unterschiedlichsten Wegen. Welche Verantwortung übernimmt beispielsweise eine Handelsplattform, über die ein Händler seine Ware verkauft, die die einzelne Rücksendung organisiert und dabei ein falsches Kennzeichen anbietet (siehe Abbildung auf Seite 23)? Wer ist rechtlich gesehen der Verpacker, wenn die Bestellung bei einem Lebensmittelhändler erfolgt, die Transportbox aber nicht bei diesem, sondern beim KEP-Dienstleister befüllt wird und die Kiste weder korrekte Kennzeichen aufweist noch eine ausreichende Polsterung und Flüssigkeiten nicht nach oben ausgerichtet verschickt werden? Eventuell ist noch eine reine Lohnverpackungsfirma zwischengeschaltet. Bußgeldstellen sind häufig lange damit beschäftigt, die richtige verantwortliche Person im Unternehmen zu identifizieren. Und zwar diejenige, die bei einem entdeckten Mangel als Verpacker entgegen § 22 Absatz 1 Nr. 1 GGVSEB nicht beachtet hat, dass die Vorschriften zur Verpackung und Kennzeichnung von Versandstücken in begrenzten Mengen gemäß der Abschnitte 3.4.1 bis 3.4.11 hätten umgesetzt werden müssen. Mitarbeiter müssen geschult werden Die Gewerbeaufsicht dagegen kontrolliert in den Unternehmen vor allem, ob die Mitarbeiter nachweislich geschult und diese Schulung dokumentiert sind. Mangelnde Schulung hat bei Beanstandungen der Gewerbeaufsicht den größten Anteil, berichtet der Leiter Kompetenzzentrum Gefahrgut der Bayerischen Gewerbeaufsicht, Bernhard Resch. Erweist sich ein Unternehmen als beratungsresistent, werden bei mangelnder Dokumentation von Schulungen Bußgelder von 500 bis mehreren 1000 Euro ausgestellt. Die Höhe hängt dann jeweils von der Anzahl der betroffenen Mitarbeiter ab. Auch fehlende Nachschulungen werden beanstandet. Der Gesetzgeber hat als Grenze für Bußgelder 50.000 Euro anberaumt. Diese Höhe wird nach Informationen der Gewerbeaufsicht nie ausgeschöpft, zeigt aber, wie wichtig dem Gesetzgeber das Thema ist. Standards anpassen Fazit des großes Praxistests: Versandhändler müssen sich intensiv mit dem Thema Gefahrgut auseinandersetzen und ihre Versandstandards gemäß den gesetzlichen Anforderungen zum Versand von Gefahrgütern erweitern. Und sie kommen nicht umhin, die Mitarbeiter in den Versandund Retourenabteilungen ausreichend und regelmäßig zu schulen. Da die Gefahrgutvorschriften alle zwei Jahre aktualisiert werden, am besten im Zwei-Jahres-Rhythmus. Buch-Tipp "Gefahrgut im Versandhandel" ist die Zusammenfassung einer Artikelserie, die im Magazin Gefahrgut von Juni 2013 bis Juni 2014 erschienen ist. In zwölf Schritten zeigt die Broschüre, wie Gefahrgut im Versandhandel erkannt, behandelt und versandt wird. Bestellung der kostenpflichtigen Broschüre im Internet unter www.heinrich-vogel-shop.de Schritten zeigt die Broschüre, wie Gefahrgut Tipp Was beim Gefahrgutversand zu beachten ist Gefahrgüter gelten selbst bei geringsten Mengen als Gefahrgut. Bei der Beförderung sind umfangreiche Vorschriften zu beachten und einzuhalten. Für jegliches Gefahrgut gilt:- Das gefährliche Gut muss klassifiziert sein (Zuordnung einer UN-Nummer und ggf. einer Verpackungsgruppe). Es ist zu prüfen, ob Hinweise auf Gefahrstoffen vorhanden sind, zum Beispiel erkennbare Gefahrstoffkennzeichnungen auf den Innenverpackungen. Gegebenenfalls sind aktuelle Sicherheitsdatenblätter anzufordern und zu überprüfen.- Bereithalten einer aktuellen Ausgabe des ADR (Europäische Gefahrgutvorschriften).- Alle Personen, die an der Beförderung beteiligt sind, müssen nachweislich unterwiesen worden sein (siehe Kapitel 1.3 in Verbindung mit 8.2.3 ADR).- Wenn Regelungen zum vereinfachten Gefahrgutversand nicht eingehalten werden, können noch weitere Bestimmungen greifen, zum Beispiel die Pflicht zur Bestellung eines Gefahrgutbeauftragten nach Gefahrgutbeauftragten-Verordnung (GbV).Uwe Hildach, Gefahrgutexperte

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