Karlsruhe. Mhamed Jamal Naji sitzt am Steuer eines Zuges und hebt souverän die Hand zum Gruß eines Kollegen in einem entgegenkommenden Zug. Das sieht schon professionell aus. Aber er ist die Feuerprobe für den 27-jährigen Marokkaner. Lampenfieber habe er nicht, gibt der junge Mann mit Bart und Brille an. Wenn man ihn fragt, was er an dem Beruf des Lokführers besonders schätze, sagt er spontan: „Die Natur sehen.“ Dazu hat er bei der ersten Probefahrt zwischen Karlsruhe und Rastatt Gelegenheit, die den Blick auf den nahen Schwarzwald ermöglicht. Und dass man keinen Chef auf der Pelle habe, fällt ihm noch als Vorteil ein. Das Steuern einer Maschine mit 700 PS gebe ihm außerdem Sicherheit. „Meine Familie ist stolz auf mich“, erzählt der Auszubildende, der in Kürze die deutsche Staatsangehörigkeit annehmen will.
Naji gehört zu einer Gruppe von 15 Flüchtlingen, die seit einem halben Jahr an einem bundesweit einzigartigen Projekt teilnehmen. Auch mit ihrer Hilfe soll der Lokführermangel bekämpft werden. In Baden-Württemberg fehlen Hunderte, bundesweit Tausende Triebwagenführer. Es ist aber nicht nur das mangelnde Interesse an dem Beruf. Auch die ärztlichen und psychologischen Eignungstests sind für viele eine unüberwindliche Hürde. Dabei werden Konzentrations- und Reaktionsvermögen, Seh- und Hörfähigkeit sowie Zuverlässigkeit und Verantwortungsbewusstsein geprüft. „Bei 1000 Bewerbern haben wir 2019 unsere 96 Plätze besetzt“, erklärt Alexander Pischon, Geschäftsführer der Albtal-Verkehrsgesellschaft. Selbst bei mehr Lehrstellen hätten kaum mehr Kandidaten angenommen werden können.
Die Flüchtlinge haben es geschafft. Und Coach Mirel Demo schwärmt von der Motivation seiner Schützlinge. „Die Jungs wollen das“, erzählt der junge Betreuer, der die Lokführer in spe etwa bei Behördengängen oder Sprachproblemen unterstützt. Auch auf die Arbeit von Coaches wie Mirel Demo führt Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) die ungebrochene Leidenschaft der jungen Leute zurück. „Keiner ist abgesprungen, das ist sehr ungewöhnlich“, sagt er.
Verkehrsminister Winfried Hermann von Projekt überzeugt
Hermann begeistert sich für das vom Land mit mehr als 200.000 Euro mitfinanzierte, rund eine Million teure Projekt auch aus persönlichen Gründen. Er sei nahe Gleisen aufgewachsen. Seine Familienadresse habe „Güterbahnhof“ gelautet. Er habe für die „schönen schwarzen Loks“ geschwärmt und sei sehr enttäuscht gewesen, als sie durch moderne Fahrzeuge ersetzt wurden.
In dem Projekt sieht der Minister auch ein ideales Mittel der Eingliederung von Flüchtlingen. „Bildung, Sprache und die Integration in den Arbeitsmarkt sind die wesentlichen Bausteine, wenn gesellschaftliche Teilhabe gelingen soll, und genau hier setzen wir mit diesem Projekt an.“ Ähnliche einjährige Ausbildungen soll es im Juli in Stuttgart und in weiterer Zukunft in Lahr geben. (dpa/ja)