Hohe Inflation, stockender Konsum, schwächelnde Weltkonjunktur - die deutsche Wirtschaft kommt in diesem Jahr einfach nicht in Schwung. Viele Volkswirte rechnen inzwischen mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung im Gesamtjahr.
Europas größte Volkswirtschaft bewege sich „weiterhin im Dämmerzustand zwischen Stagnation und Rezession“, konstatiert ING-Chefvolkswirt Carsten Brzeski. Das am Freitag, den 25. August vom Statistischen Bundesamt für das zweite Quartal bestätigte Nullwachstum trage nicht gerade dazu bei, die Debatte über Deutschland als „kranker Mann Europa“ zum Verstummen zu bringen. Aber nicht alle Experten sehen die Lage so düster.
„Nach den leichten Rückgängen in den beiden Vorquartalen hat sich die deutsche Wirtschaft im Frühjahr stabilisiert“, analysierte die Präsidentin des Bundesamtes, Ruth Brand. Demnach stagnierte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im zweiten Quartal zum Vorquartal. Die Behörde bestätigte damit vorläufige Zahlen. Im Winterhalbjahr war die deutsche Wirtschaft zwei Quartale in Folge geschrumpft und damit in eine sogenannte technische Rezession gerutscht.
Schwache Auslandsnachfrage
Zugleich leidet die Exportnation Deutschland unter einer schwachen Auslandsnachfrage. Die Ausfuhr von Waren und Dienstleistungen sank zum Vorquartal um 1,1 Prozent. Die Importe stagnierten. „Solange das globale wirtschaftliche Umfeld schwach bleibt und die Inflationsraten auf relativ hohem Niveau sind, wird die deutsche Wirtschaft in der Bredouille bleiben“, sagt Thomas Gitzel, Chefvolkswirt der VP Bank.
Unverhohlen titelte das weltweit in Führungsetagen gelesene britische Magazin The Economist in seiner jüngsten Ausgabe: „Ist Deutschland der kranke Mann Europas?“ Dazu ist ein Ampelmännchen zu sehen, das am Tropf hängt - ein wenig versteckter Seitenhieb auf die Regierungskoalition in Berlin.
Ifo-Geschäftsklimaindex sinkt auch im August
Die Stimmung in den deutschen Chefetagen hat sich indes weiter eingetrübt. Der Ifo-Geschäftsklimaindex sank im August im vierten Monat in Folge: „Die Durststrecke der deutschen Wirtschaft verlängert sich“, stellte das Münchener Institut fest.
Das Ifo-Geschäftsklima fiel zum Vormonat um 1,7 Punkte auf 85,7 Zähler. Es ist der tiefste Stand seit Oktober 2022.
Per saldo stünden die Zeichen auf konjunkturelle Flaute, schrieb Analyst Ralf Umlauf von der Landesbank Hessen-Thüringen. Insgesamt deute der breit basierte Rückgang der Frühindikatoren auf ein erneutes Schrumpfen der deutschen Wirtschaft in der zweiten Jahreshälfte, ergänzte Analyst Christoph Weil von der Commerzbank.
Aus Sicht von Thomas Gitzel, Chefvolkswirt VP Bank, werden Hoffnungen auf eine wirtschaftliche Besserung weiter in die Zukunft verschoben.
„Unser Land ist nicht mehr Wachstumslokomotive, sondern Bremsklotz - und das als immerhin die größte Volkswirtschaft Europas“, sagte DIHK-Präsident Peter Adrian der Deutschen Presse-Agentur. „Das Gute: Die Probleme sind lösbar. Es ist aber Zeit loszulegen.“
„Unser Land ist nicht mehr Wachstumslokomotive, sondern Bremsklotz - und das als immerhin die größte Volkswirtschaft Europas“, sagte DIHK-Präsident Peter Adrian der Deutschen Presse-Agentur. „Das Gute: Die Probleme sind lösbar. Es ist aber Zeit loszulegen.“
Trendwende in Sicht?
Jörg Zeuner, Chefvolkswirt Union Investment, verwies auf einen Silberstreifen am Horizont. „Die Erwartungen der Industrie weisen erste Stabilisierungstendenzen auf. Gut möglich also, dass das Tal der Tränen für das Konjunkturbarometer demnächst durchschritten ist.“
Auch KfW Research rechnet in den kommenden Quartalen mit einer konjunkturellen Trendwende vor allem aufgrund einer Wiederbelebung des privaten Konsums. „Es besteht Aussicht auf eine konsumgetriebene konjunkturelle Erholung ab Herbst dieses Jahres - wenn auch mit viel Gegenwind", sagt Dr. Fritzi Köhler-Geib, Chefvolkswirtin der KfW.
„Für das laufende Quartal enttäuschen die aktuellen Frühindikatoren.“ Der noch immer hohe Auftragsbestand in den Unternehmen dürfte die Produktion aber so weit stabilisieren, dass eine Stagnation wahrscheinlicher sei als ein deutliches Minus. „Zum Jahresende dürften dann deutliche Lohnsteigerungen bei gleichzeitig nachlassendem Inflationsdruck das Wirtschaftswachstum beleben."
Haushaltsdefizit wird größer, EU-Verschuldungsregel bislang eingehalten
Die Dauerkrisen der vergangenen Jahre hat Deutschland nach Ansicht der Wirtschaftsweisen Veronika Grimm gut gemeistert. Wie in der Pandemie nahm der Staat in der Energiekrise Milliarden in die Hand, um Unternehmen und Bürger zu entlasten. Dies riss jedoch Löcher in den Staatshaushalt: Der Fiskus gab im ersten Halbjahr nach vorläufigen Daten 42,1 Milliarden Euro mehr aus, als er einnahm.
Bezogen auf die Wirtschaftsleistung lag das Defizit von Bund, Ländern, Gemeinden und Sozialversicherung bei 2,1 Prozent. Das ist deutlich mehr als die 0,3 Prozent im ersten Halbjahr 2022.
Trotz des gestiegenen Defizits hielt Deutschland im ersten Halbjahr 2023 die europäische Verschuldungsregel ein. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt erlaubt den EU-Staaten ein Haushaltsdefizit von höchstens drei Prozent und eine Gesamtverschuldung von höchstens 60 Prozent des BIP. Derzeit sind diese Regeln wegen der Corona-Belastungen ausgesetzt. Über eine Reform wird diskutiert.
Die finanziellen Belastungen dürften nicht geringer werden. Grimm zufolge hat Deutschland reichlich Aufgaben vor sich. Das dürfe man „nicht kleinreden“: Abhängigkeiten von China im Handel und bei Rohstoffen, den Umbau der Energieversorgung und den Fachkräftemangel.
Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung sagte, die Bundesregierung sollte ein Transformationsprogramm beschließen, mit drei Elementen: „einen Abbau von Bürokratie und Regulierung mit massiven Investitionen in eine exzellente Infrastruktur, staatliche Investitionen in Innovation, Forschung und Bildung, und eine Stärkung der Sozialsysteme, damit Deutschland seine Potenziale besser heben kann und soziale Akzeptanz für Veränderungen schafft.“
Der Chef des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, sieht das ähnlich: „Schon seit Jahren dämpfen hohe Unternehmenssteuern und Lohnstückkosten sowie ein ineffizienter Staatsapparat die Investitionsstimmung. Hohe Energiepreise, gekoppelt mit dem Fachkräftemangel infolge demografischer Alterung und bröckelnder Infrastruktur machen unsere letzten Vorteile zunichte.“