Feldtest E-Actros: Andreas von Wallfeld, Dr. Dalibor Dudic und Jan Wohlmuther im Interview

Im Bild v.l.n.r.: Jan Wohlmuther, Dalibor Dudis (Daimler), Matthias Schadler und Florian Gerber (Pfenning logistics) sowie Gerhard Grünig (VerkehrsRundschau) VR: Sinneswandel bei Daimler, kommt jetzt der Run auf den E-Lkw?von Wallfeld: Wir bei Mercedes-Benz Trucks waren schon 2016 der weltweit erste Hersteller mit einem schweren Elektro-Lkw – und seither haben wir unsere Hausaufgaben gemacht. Den eMobility Product Day haben wir jetzt im November zum ersten Mal durchgeführt. Es handelt sich um eine insgesamt dreitägige Veranstaltung mit 80 bis 100 Kunden. Für die einzelnen Kundengruppen ist die Veranstaltung jeweils eintägig. Am ersten Tag haben wir uns auf die Kunden der ersten und zweiten Welle der sogenannten eActros-Innovationsflotte konzentriert. Anschließen sind weitere deutsche und auch internationale Kunden dabei gewesen. Allen Kunden haben wir eine generelle Einführung in das Thema eActros – auch über die Innovationsflotte hinaus in Richtung Serie – gegeben, aber natürlich auch in die Strategie von Mercedes-Benz Trucks, was wir kurz- und mittelfristig in Bezug auf E-Mobility, Connectivity und alternative Antriebe vorhaben. Ziel ist vor allem, Kundenerfahrungen und -bedürfnisse in unsere Entwicklung einfließen zu lassen und den vorhandenen Austausch weiter zu intensivieren. VR: Wie stellt sich der Feldtest der zehn eActros bislang dar?Dudic: Was Funktion und Leistung der Fahrzeuge angeht, können wir ganz klar sagen: die Lkws sind absolut sicher. In der Betriebspraxis stellen sich beispielsweise Fahrer oder Disponenten die Frage, ob sie sich dem Fahrzeug überhaupt nähern können, wenn es bei ihnen auf dem Hof steht. Könnte das Risiko bestehen, einen Stromschlag zu bekommen? Das mag einen, der sich intensiver mit diesen Fahrzeugen befasst, zum Schmunzeln bringen, aber das sind tatsächlich die berechtigten Fragen, die uns erreichen. Da die eActros-Fahrzeugübergaben im Rahmen der Innovationsflotte mit einer einwöchigen Schulung verbunden sind, können wir hierbei bereits viel Klarheit schaffen. Wir weisen in der Regel pro Kunde bis zu fünf Personen, die mit dem Fahrzeug zu tun haben werden, ein. Der zweite Punkt ist die Fahrzeug-Leistung und die Frage, ob man den Lkw im regulären Einsatz nutzen kann. In dem Punkt haben wir festgestellt, dass wir einem Diesel im Verteilerverkehr praktisch in nichts nachstehen. Die Fahrzeuge sind aktuell im ganz normalen Einsatz, im Einschicht-, Zweischicht- bis zum Dreischichtbetrieb. VR: Passen die Fahrer besonders auf die Autos auf?Dudic: Das war anfänglich genau unsere Sorge, denn wir wollen ja ungeschönte Testergebnisse aus der Praxis erhalten. Wir haben früh festgestellt, dass die eActros ganz regulär eingesetzt und teilweise sogar richtig intensiv gefahren werden. In diesem Zusammenhang stellte sich für uns auch die Frage, wie anwenderfreundlich die Fahrzeuge sind: Wie geht der Fahrer zum Beispiel damit um, wenn bestimmte Meldungen auf dem Display erscheinen? Dafür haben wir für jeden eActros-Testkunden einen individuellen Kundenbetreuer benannt, den sogenannten SPOC (Single Point of Contact), der nahezu 24 Stunden, sieben Tage die Woche zur Verfügung steht. VR: Welches Interesse verzeichnen Sie rund um die eActros-Innovationsflotte?von Wallfeld: Das Interesse am eActros ist extrem groß. Allein die Anfragen für die Fahrzeuge der Innovationsflotte waren um ein Vielfaches höher. Unsere Kunden und auch wir sehen, dass das Thema E-Mobilität nun so richtig Fahrt aufnimmt – schneller als von vielen erwartet. Und es ist unser klarer Anspruch, hier als Innovations- und Technologieführer ganz vorne mit dabei zu sein. Selbst Kunden mit großen Lkw-Flotten waren bereit, den eActros bei sich als Teil des Feldtests zu integrieren. Wir werden die eMobility Product Days und damit unseren intensiven Kundendialog rund um diese Themen daher auf jeden Fall fortsetzen. VR: Was heißt in die Flotte integrieren ganz konkret?Wohlmuther: Unsere Kunden setzen die Fahrzeuge in der Tat ganz regulär im Alltag ein. Dennoch weiß der Disponent natürlich, dass er mit dem Fahrzeug eventuell etwas anders planen muss. Das wird sich sicher ändern, wenn einmal größere Teile von Kundenflotten elektrifiziert sind. Aktuell müssen wir bei allen Beteiligten noch sensibilisieren und Transparenz dafür schaffen, was die Fahrzeuge bereits alles leisten können – und eben auch, was es zu beachten gilt. VR: Was ist denn tatsächlich anders?Wohlmuther: Es gibt eigentlich nur geringe Unterschiede. Dies hat sicher damit zu tun, dass wir uns im Vorfeld sehr intensiv damit beschäftigt haben, welche Einsätze die Kunden für die Fahrzeuge vorsehen. Wir haben uns beispielsweise die Routen ganz genau angeschaut. Wir haben dabei natürlich auch festgestellt, dass nicht alle Einsätze mit einem 4x2 oder 6x2 eActros bedient werden können. Der Schlüssel für den Erfolg ist die richtige Beratung. Daher können wir heute sagen, dass die zehn Lkw der Innovationsflotte wie äquivalente Diesel-Lkw eingesetzt werden können – wenn die Voraussetzungen stimmen.von Wallfeld: Das ist aber auch eine wichtige Erkenntnis: Wenn die Erwartungshaltung klar gesetzt ist, erlebt man keine Überraschungen. Es muss nun mal eine Tour sein, bei der 200 km nicht überschritten werden. Dann kann man die Lkw wie gewohnt einsetzen. VR: Sie sagten es gäbe Kunden, die im Dreischichtbetrieb fahren. Wie geht das?Wohlmuther: In diesem konkreten Fall handelt es sich um die Firma Logistik Schmitt, die den elften eActros, der sich zusätzlich zur Innovationsflotte im Praxistest befindet, im Einsatz hat. Die Firma Schmitt fährt mit dem eActros eine klar definierte Route im Pendelverkehr zwischen zwei Standorten. Logistik Schmitt hat die Ladeinfrastruktur nahe an der Laderampe positioniert, um bei jedem ohnehin geplanten Halt auf dem Betriebshof zwischenzuladen. Schmitt fährt pro Tour eine relativ kurze Strecke, die quasi bei jedem Stopp auf dem Gelände direkt wieder „nachgeladen“ wird. Wir haben übrigens im Rahmen der Innovationsflotte eine mobile Ladeinfrastruktur zur Verfügung gestellt, die mit geringem Aufwand in den Betriebshof integriert werden kann: Die Ladestation wird an eine 125-Ampere Kraftstrom-Steckdose angeschlossen und Baumaßnahmen werden vermieden. Damit können die Kunden je nach Anwendungsfall mit 40 bis 80 kW laden. Grundsätzlich könnten die Kunden auch mit eigener Ladeinfrastruktur und dann höheren Ladeleistungen arbeiten. Wichtig für uns ist: Wir halten uns an gängige Industriestandards, in dem Fall CCS2, damit unsere Fahrzeuge auch an gängigen DC-Ladestationen, wie man sie aus dem Pkw-Bereich kennt, geladen werden können. VR: Erwarten Sie wirklich, dass die Lkw an Pkw-Ladesäulen geladen werden?Wohlmuther: Uns geht es hier grundsätzlich um den Industriestandard. Die Ladehardware ist relativ nahe an die aus dem Pkw-Bereich angelehnt, insbesondere um Skaleneffekte zu nutzen. Wir sehen aber, dass es in Sachen Ladeinfrastruktur für kommerzielle Anwendungen aktuell deutliche Fortschritte gibt. Entwicklungen, die sich eher für einen Betriebshof einer Spedition anbieten als für eine Autobahn-Raststätte. VR: Wer muss die Innovation bei der Ladeinfrastruktur aus Sicht von Mercedes-Benz Trucks anschieben?Wohlmuther: Das ist aktuell tatsächlich eine der zentralen Fragen, welche die Branche umtreibt. Die Schwierigkeit besteht darin, dass man mit öffentlicher Ladeinfrastruktur nur schwer einen 18- oder 25-Tonner aufladen kann. Sich darauf zu verlassen, ist für den kommerziellen Nutzer also keine Option. Kunden, mit denen wir aktuell im Gespräch sind – und da geht es durchaus auch um Betriebe mit größeren Fahrzeugflotten – planen Investitionen in Ladeinfrastruktur auf dem eigenen Betriebshof. Das hat Vorteile im Sinne der Gesamtbetriebskosten, kurz TCO, da kein zusätzlicher Betreiber nötig ist. Ziel ist also, dass Kunden in der Regel mit eigener Ladeinfrastruktur arbeiten. Ungeachtet dessen haben wir als E-Mobility Group Daimler Trucks & Buses natürlich den Wunsch an die Politik, dass die öffentliche Ladeinfrastruktur entsteht, um größere Flexibilität zu erreichen. VR: Was waren denn die Erwartungen der 80, 100 Kunden, die die eMobility Product Days besucht haben?Wohlmuther: Das hängt stark von der einzelnen Firma ab. Ein Großunternehmen ist eher bereit auch große Investitionen zu tätigen. Trotzdem ist natürlich bei allen die Erwartungshaltung da, dass die Mehrkosten der E-Mobilität getragen werden – sei es vom Staat, von den Kunden oder weil durch Elektromobilität ein Geschäftsmodell gesichert werden kann, Stichwort Einfahrverbote.Dudic: Wir befinden uns aktuell noch in einer eher frühen Phase der E-Mobilität. In dieser Phase stehen die Technologieentwicklung und –ausbreitung weit mehr im Fokus als das Thema TCO. Jedoch müssen sich alle Beteiligten darüber im Klaren sein, dass diese Technologie in unserer Branche mit Mehrkosten verbunden ist. Gehen wir jetzt aber in die nächste Phase, den Serienbetrieb in Großflotten, und sehen uns auch weitere Anwendungsfälle wie den Langstreckeneinsatz an, sage ich ganz klar: die E-Mobilität wird nur richtig zum Laufen kommen, wenn die nötige staatliche Unterstützung kommt. Das muss zum einen Unterstützung im Bereich der privaten und vor allem öffentlichen Ladeinfrastruktur sein. Zum anderen ist eine Anpassung der CO2-Besteuerung erforderlich. Hier bedarf es einer Bevorzugung von E-Lkw. Ansonsten wird die E-Mobilität im Lkw-Bereich für unsere Kunden wirtschaftlich nicht abbildbar sein. Für den Kunden spielt es keine Rolle, ob Diesel oder E-Lkw. Er hat die Aufgabe und die Verantwortung seinen Betrieb kosteneffizient zu führen, um bestehen zu können. Und wenn am Schluss kein Gewinn mehr bleibt, dann lohnt sich das Geschäft nicht. VR: Der Betrieb eines E-Trucks wird auf absehbare Zeit deutlich teurer sein, als der eines Diesel-Lkw?von Wallfeld: Davon gehen wir aus. CO2-Neutralität unserer Neufahrzeuge in den Triademärkten Europa, Japan und NAFTA bis 2039, so wie unser Unternehmen sie als Ambition festgeschrieben hat, wird nicht kostenneutral umsetzbar sein. Die Mehrkosten wird weder unser Kunde bezahlen noch dessen Kunde. Also bleiben am Ende nur staatliche Subventionen oder Förderungen für die Fahrzeuge und die Ladeinfrastruktur. Es sollen ja auch durch staatliche Initiative bis 2022 50.000 Ladesäulen – vor allem für Pkw – entstehen. Das wäre ein erster Schritt. VR: Ungeachtet der Ladeinfrastruktur wünschen sich viele Anwender elektrische 40-Tonner für die Distribution. Ist das sinnvoll darstellbar?Dudic: Wir schauen natürlich in die unterschiedlichsten Bereiche, wo batterieelektrische Lkw zum Einsatz kommen können. Im Zuge möglicher zukünftiger Portfolioerweiterungen wird sicher auch dieses Segment betrachtet.von Wallfeld: Meine Gespräche mit Kunden haben gezeigt, dass es ein Interesse gibt – und das liegt durchaus auf der Linie unserer Konzernpolitik – in der Distribution auf batterieelektrische Antriebe zu setzen und bei der Langstrecke auf die Brennstoffzelle. Skepsis gibt es allerdings in der Distribution beim Thema Payload. Insofern lohnt es sich immer, über Mischformen nachzudenken. Aber die Karten diesbezüglich legen wir uns gerade …Wohlmuther: Letztlich müssen wir immer die Gesamtkosten für den Kunden im Auge behalten. Am Ende wird sich immer das günstigste Produkt für den Anwendungsfall durchsetzen. Da ist unsere Beratungsleistung gefragt, wenn es unter anderem um Förderung, Betriebskosten oder Technologien mit den jeweiligen Vor- und Nachteilen geht. VR: Das heißt Mercedes-Benz Trucks geht immer mehr weg von der Rolle des Fahrzeuganbieters, hin zum Beratungsunternehmen?Wohlmuther: Das ist genau meine Job-Beschreibung (lacht). Analyse des Einsatzes, Analyse des Umfeldes, alle Aspekte betrachten und am Ende die beste Lösung finden. Wir sind momentan ein weltweites Team, das sich klar darauf fokussiert. Wir wollen aber auch künftig die vorhandene Organisation nutzen. Der Verkäufer vor Ort kennt ja seinen Kunden und dessen Bedürfnisse viel besser als mein Team und ich. Und hierfür bereiten wir unsere Organisation entsprechend vor, damit der Kunde am Ende die beste Beratungsleistung bekommt.von Wallfeld: Das ist tatsächlich ein großer Schritt. Wir verkaufen seit über 100 Jahren Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor. Jetzt stehen wir und die gesamte Branche vor einem riesigen Change-Prozess. Fakt ist, dass wir mit unserem Actros 5 schon zahlreiche Services, etwa Mercedes-Benz Uptime, integriert haben, die künftig eine zentrale Rolle spielen werden. Aber auch die Einbindung von Kundenapplikationen über unser Mercedes-Benz Truck App-Portal und Services wie Fleetboard oder habbl werden über das klassische Fahrzeug hinaus immer wichtiger. VR: Wie reagiert man denn als Daimler, als ältester Automobilhersteller der Welt, wenn plötzlich neue Player wie Nikola oder Tesla die Szene betreten?Dudic: Wettbewerb ist für uns in erster Linie Ansporn und wir müssen uns absolut nicht verstecken. Wir haben als Pionier beim schweren Elektro-Lkw bereits viel erreicht und unsere Roadmap zum Serien-eActros ist klar definiert.von Wallfeld: Als Vertriebler ist es für mich immer besonders spannend, wie bestehende und auch neue Player sich positionieren. Das schauen wir uns natürlich sehr genau an. Darüber hinaus bin ich absolut optimistisch, dass wir mit unserem klaren Fokus auf den Kundenbedürfnissen in Kombination mit unseren starken Ressourcen in Sachen Forschung und Entwicklung auch weiterhin die richtigen Antworten in Form von Produkten und Services haben werden. >> Hier geht's zum Artikel "First Generation - E-Mobility-Day Mercedes-Benz Trucks" >> Hier geht's zum Interview mit Matthias Schadler (Geschäftsführer Pfenning logistics)

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