Brüssel. Die Aussprache von EU-Verkehrskommissar Siim Kallas im Verkehrsausschuss des Europaparlaments hat gestern keine Klärung in der Frage ergeben, ob grenzüberschreitende Fahrten von Lang-LKW zwischen zwei Ländern, in denen diese Fahrzeuge zugelassen sind, künftig erlaubt sind oder nicht. Kallas sagte, dass der juristische Dienst der EU-Kommission zu dem Ergebnis gekommen sei, dass die Auslegung der gültigen Richtlinie 96/53/EG solche grenzüberschreitende Fahrten zuließe.
Demgegenüber verwiesen mehrere EU-Abgeordnete auf frühere Aussagen von Kallas aus den Jahren 2010 und 2011, in denen er eine solche Interpretation ausgeschlossen und grenzüberschreitende Fahrten von Lang-LKW grundsätzlich als nicht vereinbar mit EU-Recht bezeichnet hatte. Ein Sprecher des Rechtsdienstes des Europaparlaments sagte, dass die Erlaubnis zu grenzüberschreitenden Fahrten von Lang-LKW nur durch ein neues Gesetz möglich sei. Dies müsse die üblichen Wege der EU-Gesetzgebung durchlaufen. Die vor wenigen Tagen erstellten Studien einer internationalen Anwaltskanzlei und des juristischen Dienstes des Bundestages waren zu dem gleichen Ergebnis gekommen. Kallas sagte, dass ihm nicht bewusst gewesen wäre, wie heikel diese Angelegenheit sei. Sonst hätte er sie zuvor mit den Verkehrspolitikern des Parlaments besprochen. „Es tut mir Leid“, sagte Kallas zu seinem Vorgehen
Dieses hatte er zu Beginn der Debatte erläutert. Demnach hatte die Internationale Road Transport Union (IRU) bei ihm angefragt, ob es laut EU-Gesetzen und im Sinne eines umweltfreundlicheren Verkehrs möglich sei, grenzüberschreitende Fahrten von Lang-LKW zu erlauben. Daraufhin hatte Kallas die Prüfung der Richtlinie in Auftrag gegeben. Deren Ergebnis und seine Entscheidung verteidigte er. Es mache keinen Sinn, Lang-LKW an einer Staatsgrenze zu entkoppeln, die Teile über die Grenze zu bringen, sie wieder zusammenzusetzen und den LKW dann weiterfahren zu lassen. Damit sei keinem gedient. Einige EU-Abgeordnete unterstützten diese Sichtweise.
Andere bewerteten allein die politische Vorgehensweise von Kallas als „skandalös“, ohne auf den Inhalt der Änderungen einzugehen. „Das ist ein Versuch, die Gewaltenteilung aufzuheben“, regte sich der Österreicher Jörg Leichtfried (Sozialisten) auf. „Das zerschlägt das Vertrauen in den europäischen Rechtsstaat“, so der Deutsche Michael Cramer (Grüne) mit dem Hinweis darauf, dass nicht die EU-Kommission, sondern nur EU-Parlament und EU-Rat dazu ermächtigt sind, EU-Gesetze zu verabschieden. Wie Kallas mit den Ergebnissen der Aussprache umgehen wird, ließ er gestern offen.
Grundsätzlich blieb EU-Verkehrskommissar Siim Kallas aber dabei, Lang-LKW über Ländergrenzen rollen zu lassen - aber nur, wenn alle betroffenen Staaten zustimmen. „Kein EU-Mitgliedsland muss Gigaliner auf seinem Staatsgebiet zulassen, wenn dieses Land das nicht wünscht“, sagte Kallas.
Derzeit lassen Schweden und Finnland die XXL-Lastwagen mit mehr als 40 Tonnen Gewicht und einer Länge von mehr als 18,75 Metern bei sich zu. In den Niederlanden und Dänemark gibt es Versuche. In Deutschland läuft seit Beginn dieses Jahres ein fünfjähriger Feldversuch in mehreren Bundesländern. Auch Belgien plant nach Angaben der EU-Kommission Tests. (kw/dpa)