EU-Reformpaket: "Wer wird das kontrollieren?"

Zu einseitig, zu unausgereift, zu praxisfremd: Mit diesen Attributen beschreiben deutsche Speditions- und Transportunternehmer die neue EU-Mobilitätsstrategie. Rund einen Monat nach ihrer Veröffentlichung lösen die Vorschläge für den Straßengüterverkehr ein geteiltes Echo aus. Wir haben mit drei Mittelständlern aus dem Güterverkehrsgewerbe gesprochen, die sich schon mit den Plänen der EU-Kommission auseinandergesetzt haben. Sie fragen sich nun vor allem: "Wer wird das kontrollieren?" Georg Wittwer, Jochen Köppen und Eric Bachmann - Geschäftsführer der befragten Unternehmen - haben uns ihre ersten Eindrücke mitgeteilt. Daumen hoch: dreiwöchige Rundläufe Georg Wittwer, Geschäftsführer der Wittwer Spedition & Logistik im bayerischen Eschenlohe, hat das Maßnahmenpaket mit gemischten Gefühlen aufgenommen. "Die Spediteure würden von einer Flexibilisierung der Lenk- und Ruhezeiten, wie sie die EU-Kommission vorgeschlagen hat, profitieren", begrüßt er die Idee, dreiwöchentliche Rundläufe zu ermöglichen. Lkw-Fahrer sollen die verkürzte Wochenruhezeiten von 24 Stunden künftig innerhalb von vier Wochen zweimal hintereinander nehmen dürfen. Danach müssen sie allerdings die regelmäßige Wochenruhezeit von 45 Stunden plus die aufgelaufene Ausgleichszeit zu Hause verbringen. Wittwer meint, dass eine unionsweite Klarstellung zum Verbringen der regelmäßigen Wochenruhezeit außerhalb des Lkw dazu führt, dass bald Containersiedlungen entlang der Autobahnen entstehen. "Es befindet sich nicht immer ein Motel in der Nähe und die Betten reichen ja vermutlich nicht für alle Fahrer aus, die in Europa unterwegs sind." Er warnt in diesem Zusammenhang vor Aktionismus: "Der eine oder andere Fahrer fühlt sich in der Kabine wohl und verbringt darin gern das Wochenende - das sollte nicht pauschal verboten sein", erklärt Wittwer. Völlig unklar ist ihm noch die richtige Umsetzung der Vorgabe für Lkw-Fahrer. Sie sollen ausschließlich in einer "geeigneten Unterkunft" übernachten. Die geplante Lockerung der Kabotage-Bestimmungen wäre für Jochen Köppen, Geschäftsführer der von Köppen in Duisburg, eine Verschlimmbesserung - zumindest aus Sicht der deutschen Wirtschaft. Das Logistikunternehmen Köppen ist der regional führende Tankcontainer-Dienstleister in Nordrhein-Westfalen. Vor allem im Trockenguttransport und im Box-Container-Trucking bemerkt der Chef den Preisdruck durch osteuropäische Fuhrunternehmer, die sich nach seiner Erfahrung nicht immer an die Vorschriften halten. Die Vorschläge der EU-Kommission werden daran bedingt etwas ändern, sagt er. Geplant sind unbegrenzt viele Fahrten binnen fünf Tagen statt der bisherigen 3-in-7-Regel. "Die Intention ist zwar richtig, Unternehmen aus allen Mitgliedstaaten die Möglichkeit zu geben, am Binnenmarkt teilzuhaben", sagt Köppen. Durch die quasi dauerhafte Ansiedlung fremdländischer Lkw in Deutschland könnte der Marktdruck hier aber weiter steigen und dazu führen, dass kleinere und wenig spezialisierte Transportdienstleister den Laden schließen müssen. Wittwer stimmt ihm in dieser Einschätzung zu. Konsequenter fände er es deshalb, Kabotage-Fahrten insgesamt zu verbieten. "Das ließe sich zumindest einfacher kontrollieren", sagt er. Ihm ist jedoch klar, dass das wachsende Güterverkehrsaufkommen nicht mehr bloß durch westeuropäische Transportunternehmer zu bewältigen ist. Entsendung: kompliziert und ungerecht Auch Eric Bachmann, Geschäftsführer der Autotransport- und Logistik (ATL) in Chemnitz, weiß, dass ohne den Laderaum aus Osteuropa heute nichts mehr geht. Die Spedition ist europaweit im Sammelgutverkehr unterwegs - transportiert aber nicht nur selbst, sondern vergibt auch Frachtaufträge an Subunternehmer. Zuletzt hatte das Unternehmen eher seltene Transporte nach Frankreich und Österreich wegen der gestiegenen Entsendeanforderungen eingestellt und an ausländische Frachtführer vergeben, die auf diesen Relationen öfter unterwegs sind. Sie kennen sich mit den Melde- und Nachweispflichten aus und verfügen über einen Repräsentanten vor Ort. "Der administrative Aufwand ist für uns so hoch, dass sich Fahrten dorthin schlichtweg nicht mehr rechnen", erklärt Bachmann. Über das Vorhaben, ins EU-Ausland entsendeten Fahrern erst ab drei Tagen den ortsüblichen Mindestlohn zu gewähren, kann er nur mit dem Kopf schütteln: "Von der versprochenen Vereinfachung kann in diesem Punkt keine Rede sein", sagt er. Die Neuregelung biete zudem viele Möglichkeiten zur Manipulation und werde keine Leerfahrten verhindern. Schon der deutsche Gewerkschaftsbund hatte gewarnt, dass schwarze Schafe im Güterverkehrsmarkt die dreitägige Ausnahme auch auf mehrere Tage verteilen könnten, da Fahrten bis zu sechs Stunden als halber Tag gewertet werden. Bachmann ist deshalb dafür, dass die sozialen Schutzregelungen für das Fahrpersonal weiterhin ab dem ersten Tag der Entsendung gilt. Wittwer ist derselben Meinung - unter anderem wegen der Signalwirkung der geplanten Reformen an potenzielle Bewerber: "Das macht die Jobs in unserer Branche für Arbeitnehmer nicht gerade attraktiver." Gute Idee: Vorschriften für 3,5-Tonner Die Umstellung auf zeitabhängige Systeme zur Mauterfassung überall in der Union ist für Köppen längst überfällig. "Die Gebühren müssen von der Nutzung der Straßeninfrastruktur abhängen", betont er. Dass es künftig möglich sein soll, bei der Erhebung einer Maut auch Staukosten anzurechnen, hält der Logistiker aus Duisburg für ungerecht. Denn die Fuhrunternehmen würden bereits hohe Kosten tragen, die auflaufen, wenn ihre Lkw im Stau stehen. Absolut sinnvoll finden alle drei Geschäftsführer das Vorhaben, ein einheitliches elektronisches Mautsystem in der EU einzuführen. "Wir müssen bisher für jedes Land das passende Mautgerät im Lkw haben, was ein riesiger Aufwand ist", berichtet Wittwer. Er und seine beiden Branchenkollegen halten es für richtig, dass die EU-Kommission Berufs- und Marktzugangsvorschriften für den gewerblichen Güterverkehr mit Kleintransportern einführen will. Erst bei Fahrzeugen über 3,5 Tonnen ist bisher ein Fahrtenschreiber vorgeschrieben. Fahrer dieser "Polen-Sprinter" sollten über entsprechende Qualifikationen und deren Chefs über Erlaubnisse und Lizenzen für gewerblichen Güterverkehr verfügen müssen, fordert Bachmann. Alles andere sei Wettbewerbsverzerrung. "Auch aus Gründen der Verkehrssicherheit ist es gut, wenn die Politik hierfür Regelungen einführt", fügt Köppen hinzu: Denn deren Halter überladen die Fahrzeuge auch oft. Fazit: Das geplante Maßnahmenpaket hält Wittwer insgesamt eher für Flickschusterei als für einen ausgewogenen Kompromiss. Deswegen wünscht er eine realistischere Ausgestaltung der Vorschläge, wenn diese bald im EU-Parlament und -Rat diskutiert werden. Alle Unternehmer sind sich einig, dass der Erfolg der EU-Mobilitätsstrategie in erster Linie davon abhängt, ob und wie effektiv die neuen Bestimmungen kontrolliert werden. "Das Bundesamt für Güterverkehr gibt zwar sein Bestes, kommt aber heute schon nicht hinterher, den Lkw-Verkehr vernünftig zu kontrollieren", gibt sich Köppen diesbezüglich wenig zuversichtlich. "Das ist wie in Unternehmen: Ich kann Arbeitsanweisungen schreiben, wie ich möchte - wenn ich die Einhaltung nicht überprüfe, sind sie für den Papierkorb", erklärt Bachmann. Er glaubt, dass die neue Generation der Fahrtenschreiber hier helfen kann, effektiver gegen schwarze Schafe im Straßengüterverkehr vorzugehen. Solange es den nationalen Kontrollbehörden in der Union an Personal und Technik mangelt, betrachtet Bachmann das Strategiepapier aus Brüssel aber nur als "Papiertiger". Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Verkehrspolitik www.verkehrsrundschau.de/dossiers Köppen aus Duisburg Die Situation muss sich ändern "Wir brauchen eine Reform der EU-Bestimmungen für den Straßengüterverkehr, um die Marktverhältnisse anzugleichen und Wettbewerbsverzerrungen zu reduzieren - so viel ist klar. Die Bedingungen, unter denen ausländische Fuhrunternehmen ihre Leute zu uns entsenden, sind schlichtweg nicht mehr hinnehmbar. Allein im Duisburger Hafen stehen jedes Wochenende Hunderte Lkw aus anderen Mitgliedstaaten, in denen Fahrer mehr schlecht als recht leben. Diese sind zwar vorher im grenzüberschreitenden Verkehr unterwegs, stehen danach aber vor allem für Aufträge der Terminalbetreiber zur Verfügung. Die dauerhaften Ansiedlungen fremdländischer Fahrzeuge an den Knotenpunkten des Kombinierten Verkehrs drücken das Lohngefüge massiv und können nicht politisch gewollt sein." agJochen Köppen, Geschäftsführer der Köppen GmbH Wittwer aus Eschenlohe Der Binnenmarkt ist für alle da "Mich stört grundsätzlich, dass immer wieder von Sozialdumping im Straßengüterverkehr durch osteuropäische Fuhrunternehmen gesprochen wird. Transporteure zum Beispiel aus Bulgarien oder Rumänien können gegenüber der westlichen Konkurrenz oft nur dadurch am Binnenmarkt teilhaben, dass sie geringere Löhne zahlen müssen und ihre Dienstleistungen günstiger anbieten können. Ich finde das legitim, weil die Wirtschaft in diesen Ländern doch sonst gar keine Chance hätte, auf die Beine zu kommen und sich unserem Niveau anzunähern. Wer die europäische Union mit letzter Konsequenz will, muss auch allen Mitgliedstaaten zugestehen, dass sie davon profitieren. Deshalb darf die EU-Kommission diesen Wettbewerbsvorteil nicht von heute auf morgen abschaffen." agGeorg Wittwer, Geschäftsführer der Wittwer Spedition & Logistik GmbH

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