"Es passieren zu viele Unsinnigkeiten"

Facebook, Google und allen voran Amazon Fresh preschen vor und wollen in Deutschland das E-Food-Segment knacken. Wann endlich stellt sich Dachser diesem Thema und - vor allem - was planen Sie? Wir beobachten dieses Segment natürlich. Aber wir werden uns 2018 nicht intensiv mit E-Food beschäftigen. Warum nicht? Warum sollten wir das gerade jetzt tun? Noch liegen die Anforderungen der Anbieter weit auseinander. Jeder fährt seine eigene Strategie und versucht durch unterschiedliche Maßnahmen, die Endkunden an sich zu binden. Dachser ist ein integriertes Logistikunternehmen. Für uns macht der Einstieg in dieses Segment nur Sinn, wenn wir für mehrere Anbieter mit ähnlichen Anforderungsprofilen gleichzeitig tätig werden können. Dann können wir unsere Vorteile ausspielen und den Anbietern durch unsere Bündelungsmöglichkeiten helfen, ihre Kosten zu senken. Etwa durch entsprechende Stoppverdichtung im Nahverkehr. Vorstellbar wäre für uns auch das Angebot von Verpackungs-Rücknahme-Services. Das B2C-Segment ist ja sehr verpackungs-intensiv. Die Ideen wären also da. Um solche Lösungen aber realisieren zu können, braucht es gemeinsame Spielregeln. So lange jedoch jeder seine Insellösung verfolgt, lohnt sich für uns der Einstieg in dieses Segment nicht. Hinzu kommt, dass die meisten Anbieter von E-Food den Anspruch haben, die Logistik und Zustellung selbst durchzuführen - nach dem Vorbild von Amazon, das vieles selbst macht, zumindest vieles lenkt. Ist genau das aber nicht das Damokles-Schwert, das über dem Handel schwebt? Immerhin denken ja immer mehr Handelsketten darüber nach, ob sie ihre Flotten wieder aufrüsten, weil sie Sorge haben, dass die Speditionsbranche den Laderaummangel nicht in den Griff bekommt. Der Laderaum- und Fahrer-Mangel trifft jedes produzierende Unternehmen und jeden Händler - nicht nur die Transport- und Logistikdienstleister. Das ist im vergangenen Jahr sehr deutlich geworden; und diese Knappheit wird in den nächsten Jahren anhalten, weil sehr viele Fahrer in Rente gehen und nicht genug neue hinzukommen. Und so viel Fahrpersonal, wie nun alle brauchen, kann unsere Branche kurzfristig nicht "produzieren", selbst wenn sich plötzlich alle Betriebe in der Fahrer-Ausbildung engagieren würden. Würden Sie so weit gehen, dass in Deutschland der Versorgungs-Notstand droht? Nein, ein solches Szenario ist maßlos übertrieben. Es zeigt aber, wie emotional die Debatte darüber im Moment geführt wird. Es ist nun einmal das im vergangenen Jahr eingetreten, was viele den Spediteuren nicht geglaubt haben. Über den demografischen Wandel in der Branche wurde schon vor fünf Jahren geschrieben; keiner hat dies ernst genommen, weil jeder von den Dienstleistern gut versorgt wurde. Jetzt aber erleben wir einen dramatischen Engpass. Und mit diesem müssen alle lernen umzugehen. Wie viel Laderaum fehlt in Deutschland? Fünf bis zehn Prozent werden genannt, an manchen Tagen 20 Prozent. Das lässt sich schwer beziffern, weil es immer eine Momentaufnahme ist. Ich wage aber zu behaupten: Der Laderaum ist für die gesamte Menge vorhanden, weil die Schwankungen das eigentliche Problem sind. Wir müssen nur aufpassen, dass er nicht kleiner wird und - vor allem - dass er effizienter genutzt wird. Dann funktioniert das Ganze. Früher hatten wir größere Puffer, damit konnten wir die Saisonspitzen beherrschen. Heute haben wir diese Reserven nicht mehr. Was schlagen Sie also vor? Jeder Manager, der sich mit den "Niederungen" des Speditionsalltages bislang nicht auseinandergesetzt hat, muss sich spätestens jetzt mit Details in seinen Prozessen beschäftigen. Und prüfen, wie sich - zum Beispiel durch Vereinfachungen, Digitalisierung oder Schaffung von Synergien - Fahrer effizienter einsetzen lassen. Dazu gehört vor allem die Rampe des Einzelhändlers. Unsere Fahrer dürfen ihre Zeit nicht an der Rampe vergeuden. Da muss nun endlich auch der Handel umdenken. Ich sehe erste Anzeichen dafür, wage aber noch keine Prognose, ob am Ende dabei etwas Brauchbares herauskommt. Aber auch auf der Industrieseite müssen die Manager ins operative Tagesgeschäft, um zu sehen, welche Unsinnigkeiten da passieren. Solche "Unsinnigkeiten", von denen Sie sprechen, gab es aber früher auch schon. Was ist jetzt anders? Früher konnten wir so etwas verkraften, weil wir genügend Kapazitäten hatten. Heute nicht mehr. Ein Beispiel: Wenn ein Produzent den Preis für ein Produkt um 50 Cent hochsetzt, gibt es Handelsgesellschaften, die sich bevorraten. Sprich: Sie ordern 30 Lkw-Ladungen mit dieser Ware und möchten sie bei sich einlagern. Im Zeitalter der Digitalisierung ist ein solcher Auftrag schnell erteilt und schlägt dann bei uns auf. Mit der Folge - das kommt immer wieder vor - dass schon nach dem fünften Lkw dieses Handelslager unsere Lieferung ablehnt, weil es nicht genügend Lagerplätze hat. Unsere voll beladenen Lkw müssen also dieselbe Strecke unverrichteter Dinge zurückfahren. Das sind Verschwendungen an Kapazitäten, die wir stoppen müssen! Und wie ließe sich dies stoppen? Es gibt Unternehmen mit durchschnittlichem Ausstoß von 400 Paletten pro Tag, an Aktionstagen versenden sie 1500 Paletten und tags darauf nur 300. Das geht in Zukunft nicht mehr. Das kann auch der Handel nicht wollen, weil er mit seinen Kapazitäten ebenso haushalten muss. Deshalb müssen wir uns zusammensetzen, Lieferanten, Händler und Dienstleister, und darüber sprechen, wie wir das gemeinsam besser machen können. Anstelle der 1500 Paletten könnte man ja erst einmal 1000 versenden und am nächsten Tag 800 anstelle der 300 Paletten. Solche Engpässe lassen sich lösen, indem digital initiierte Prozesse mit menschlicher Intelligenz und Vernunft auf das Machbare hin geprüft und überarbeitet werden. Wir müssen mit den Transportkapazitäten wieder vernünftiger umgehen. Warum stockt Dachser nicht einfach seinen Eigenfuhrpark auf? Ein eigener Fuhrpark ist für Dachser keine Lösung. Wir treten nicht in Konkurrenz mit unseren Transportpartnern, die für uns 250 Tage im Jahr zuverlässig die Systemverkehre durchführen oder zu festen Preisen im Nahverkehr tätig sind. Glauben Sie, dass wir als Logistiker mit mehrheitlich eigenem Fuhrpark für die Spitzen im Herbst und vor Ostern kurzfristig Fremd-Kapazitäten vom Markt bekämen? Deshalb bleiben wir unserem Geschäftsmodell treu und setzen weiterhin auf die vertrauensvolle, partnerschaftliche Zusammenarbeit mit Transportunternehmern. Saisonale Mengen-Schwankungen drücken massiv auf die Kosten der Dienstleister. IDS und Kühne + Nagel führen daher nun einen Mengenzuschlag ein. Wird Dachser diesem Beispiel folgen? Die Einkaufskosten für Laderaum sind in der Tat extrem angestiegen. Wie sich der Preis 2018 entwickeln wird, ist wie immer eine Frage von Angebot und Nachfrage. Und natürlich prüfen auch wir, in welcher Form wir unsere Kunden an dieser Entwicklung beteiligen werden. Um wie viel Prozent werden Sie Ihre Preise also jetzt anheben? Wir haben jetzt Ende Januar - der Jahresanfang ist keine gute Basis für eine Jahresprognose. Auch lässt sich keine generelle Aussage über alle Sendungsgrößen treffen. Aber natürlich müssen wir die zusätzlichen Kosten umlegen. Dazu schauen wir uns die individuellen Steigerungen in den Segmenten Sammelgut und Ladung an und führen mit unseren Industrie- und Handelspartnern auf dieser Basis dann die Preisgespräche. Eine wesentliche Rolle wird hier spielen, wie wir mit den Kunden die Volatilität in den Griff bekommen und inwieweit Angebot und Nachfrage den Preis für Laderaum verteuern. Denn es wird uns nicht mehr gelingen, die Transportkosten langfristig vorauszuplanen - nicht bei den in der momentanen Situation zu erwartenden massiven Lohnkosten-Steigerungen beim Fahrpersonal. Wie kann ich mit meinen Kunden Indizes vereinbaren, wenn die Kostenentwicklungen von der Realität ausgehebelt werden? Dazu müssen wir mit unseren Vertragspartnern neue Vereinbarungen treffen. 2017 war für viele ein Erfolgsjahr. Mit welchen Erwartungen starten Sie in 2018? Wir hatten 2017 eine sehr positive Umsatzentwicklung und rechnen auch 2018 mit einem Umsatzplus im höheren einstelligen Bereich. Denn gerade Kunden aus der Lebensmittelwirtschaft schätzen es in Zeiten des Laderaum- und Fahrermangels sehr, dass es bei uns gut funktioniert. Mehr zum Thema im Dossier "Lebensmittellogistik" www.verkehrsrundschau.de/dossiers Daten + Fakten Das Unternehmen Dachser Das Logistikunternehmen Dachser mit Hauptsitz in Kempten erwirtschaftete im Geschäftsjahr 2016 einen Konzernumsatz von 5,71 Milliarden Euro. Wachstumstreiber waren die europäischen Landverkehre sowie die Lebensmittellogistik. Der Umsatz in der Food Logistik legte in 2016 gar um 9,5 Prozent auf 821 Millionen Euro zu. Wachstumstreiber war hier nach Unternehmensangaben in erster Linie das nationale Geschäft mit Konsumgütern in Deutschland sowie grenzüberschreitende Lebensmitteltransporte. Angaben zum Konzerngewinn macht Dachser nicht. eh

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