Interview: "Es kommt auf jeden Einzelnen an"

Im "Mäuseexperiment" mussten Probanden zwischen dem Leben einer Maus und Geld wählen. Was wollten Sie zeigen? Nora Szech: Wir wollten herausfinden, ob Märkte eine kausale Auswirkung auf unser Handeln haben und wie sich verschiedene Marktsituationen auf Entscheidungen auswirken. Dabei haben wir festgestellt, dass sich Menschen unter den Bedingungen eines Marktes anders verhalten als außerhalb der Marktsituation. Sobald das Leben der Maus über einen Markt gehandelt wurde, auch schon im kleinen Rahmen mit wenigen Marktteilnehmern, haben sich die Probanden deutlich häufiger dafür entschieden, das Geld zu nehmen und die Maus ihrem Schicksal zu überlassen. Haben sie mit diesem Ergebnis gerechnet? Nein, nicht in dieser Deutlichkeit. Außerhalb der Marktsituation haben sich 54 Prozent dafür entschieden, auf das Geld zu verzichten und das Überleben der Maus zu sichern. In einem börsenähnlichen Marktgeschehen haben sich fast 80 Prozent dafür entschieden, die Maus zu verkaufen und zwar schon für geringe Geldbeträge um die 5 Euro. Wie ist das zu erklären? Wir sehen, dass bereits kleine Märkte einen drastischen Werteverfall auslösen. In einer Marktsituation sind die Menschen viel stärker auf den Gewinn fixiert, die Ware tritt in den Hintergrund, auch das soziale Verhalten ist offenbar schwächer ausgeprägt. Dabei spielt sicher eine Rolle, dass man sich in einem Markt die Verantwortung scheinbar mit den anderen Marktteilnehmern aufteilt. Die Bedeutung des eigenen Handelns tritt in den Hintergrund. Was kann man aus den Ergebnissen lernen? Immer dann, wenn Menschen Verantwortung oder Schuld mit anderen teilen können, hat das Auswirkungen auf die Entscheidungen des Einzelnen, das zeigen auch Folgestudien. Das ist relevant für Gremienentscheidungen, sei es in Unternehmen oder auf politischer Ebene. Wir haben auch gelernt, dass Transparenz alleine nicht ausreicht, damit Menschen ihre moralischen Standards behalten. Die Marktteilnehmer wussten ganz genau, was mit den Mäusen passiert. Trotzdem haben Sie sich viel häufiger für das Geld und gegen die Maus entschieden als die Teilnehmer außerhalb des Handelsgeschehens. So wie die Käufer von Billigkleidung auch wissen, dass die Waren oft unter schlimmen Bedingungen produziert werden ... Ja, bei der Entscheidung von Konsumenten verhält sich das ähnlich. Jeder will den billigsten Preis erzielen und verdrängt die Folgen des eigenen Handelns. Aber natürlich ist es sehr wichtig, wie sich der Einzelne verhält. Nur so lassen sich Veränderungen herbeiführen. Das eigene Verhalten hat schließlich auch Signalwirkung auf andere. Von unserer biologischen Ausstattung her sind wir auf das moralisch richtige Verhalten in einem anonymen Markt nicht vorbereitet. Menschen sind eher für die kleine Gruppe mit wenigen Mitgliedern konditioniert. Aber man kann das richtige Verhalten trainieren und sich zu eigen machen. Gerade bei vielen jungen Menschen setzt ein Umdenken ein. Sie wollen nicht um jeden Preis konsumieren und denken über die Folgen ihres Tuns nach. Anonym geht es auf Internet-Marktplätzen zu. Was bedeutet das für die Moral? Im Internet zeigen Konsumenten ganz unterschiedliche Verhaltensmuster: In manchen Situationen geben sie leichtfertig ihre Daten an Handelspartner weiter, die sie gar nicht kennen. Ein anderer Effekt ist, dass durch die Anonymität das Verantwortungsgefühl sinkt. Man verhält sich in einer anonymen Situation egoistischer. Es gibt viele Untersuchungen darüber, wie Spielregeln für Marktplätze aussehen könnten, die dauerhaft Vertrauen schaffen. Wie soll beispielsweise ein faires Bewertungssystem gestaltet sein, wie viel Anonymität ist zuträglich und wo schadet Anonymität? Bei Amazon haben sich beispielsweise die anonymen Produktbewertungen bewährt. Das wäre ein Beispiel für eine positive Form von Anonymität. Frachtenbörsen oder Ausschreibungsplattformen kämpfen mit dem Ruf, die Preise kaputt zu machen. Lässt sich das überhaupt verhindern? Wenn solche Systeme klug designt sind, können sie sehr hilfreich sein und viele Marktteilnehmer zusammenbringen. Für manche eröffnet das Chancen, die er oder sie sonst gar nicht hätte. Bei solchen Plattformen ist es immer eine wichtige Frage, welche Verhaltenskultur sich dort entwickeln soll und wie die Qualitätsstandards möglichst hoch gehalten werden können. Der Betreiber muss da im Einzelfall sehr genau hinschauen und viele Stellschrauben bedienen, wie er durch das Design der Plattform Preisdumping verhindert und schwarze Schafe möglichst raushält.

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