Es geht auf dem Fluss aufwärts

Wie sieht die Lage in der Binnenschifffahrt aus? Diese Frage lässt sich nur schwer beantworten, da das Geschäft stark von den Wasserständen abhängt und einzelne Ereignisse in der Industrie - wie die Tata/Thyssenkrupp-Fusion - die Statistik leicht verzerren können. Grundsätzlich jedoch zeigen die Daumen der Binnenschiffer derzeit nach oben. "Die Umsätze und Mengen sind vorsichtig gestiegen", meint Axel Götze-Rohen, Geschäftsführer von Bargelink, einem Online-Marktplatz, auf dem Verlader freie Schiffskapazitäten finden und Eigner beziehungsweise Reedereien Ladungen akquirieren können. "Ich habe von vielen gehört, dass sich der Markt leicht positiv entwickelt", fasst Götze-Rohen zusammen. Das größte Wachstumssegment sei im vergangenen Jahr der Containertransport gewesen, außerdem habe es Zuwächse bei den Abfall- und Biomasseverkehren gegeben. Solides Geschäft meldet auch die Tankschifffahrt. "Im Moment sind wir mit Ladung gut eingedeckt", sagt Heiner Dettmer, Geschäftsführer der B. Dettmer Reederei, Bremen. In diesem Marktsegment steht in diesem Jahr ein tiefgreifender Wandel bevor: Ab 2019 sind nur noch Doppelhüllentanker zugelassen, bei denen sich zwischen Fahrwasser und Ladung zwei Stahlwände befinden. Einhüllentanker dagegen dürfen dann nicht mehr fahren. Das stellt gerade selbstständige Partikulierer vor ein Problem, da sie noch häufig mit solchen Schiffen unterwegs sind und ihnen die Finanzkraft für Neuanschaffungen fehlt. Viele werden das Geschäft wohl in diesem Jahr aufgeben, in die Bresche springen die Reedereien. "Einen neuen Doppelhüllentanker lassen wir gerade bauen, zwei weitere sind bestellt", berichtet Dettmer. Er erwartet, dass die Frachtraum-Kapazitäten insgesamt stabil bleiben. Sorgen machten den Binnenschiffern im vergangenen Jahr vor allem die Westhäfen. An den Containerterminals von Rotterdam und Antwerpen mussten Binnenschiffe im Sommer mitunter mehrere Tage warten, bis sie abgefertigt wurden. Auslöser sollen stark gestiegene Umschlagsmengen sowie eine Cyberattacke auf die Häfen gewesen sein. Obwohl mittlerweile einige Arbeitsgruppen und runde Tische gegründet wurden, ist eine entscheidende Besserung nicht in Sicht. "Die Wartezeiten können immer noch bis zu 72 Stunden betragen", sagt Roberto Spranzi, Vorstand der DTG Deutsche Transport-Genossenschaft Binnenschifffahrt, Duisburg, die über mehr als 100 Fahrzeuge verfügt. Er rechnet damit, dass die Häfen bis Ende des Jahres eine Lösung der "Congestion"-Problematik herbeiführen. Viele Hoffnungen ruhen auf einem neuen IT-System, das alle Hafennutzer besser vernetzen soll. Zu wenig Planungsingenieure Der größte Bremsfaktor im Inland bleibt die marode Infrastruktur. "Wir bekommen im 14-Tages-Rhythmus Brandmeldungen aus dem Gewerbe", sagt Jens Schwanen, Geschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Binnenschifffahrt (BDB), Duisburg-Ruhrort. Nur ein Beispiel: In den Schleusen des Wesel-Datteln-Kanals dürfen Schiffe seit vergangenem Dezember nicht mehr die sogenannten Nischenpoller in den großen Kammern benutzen. Sie stammen - wie die ganze Infrastruktur - noch aus den 1930er-Jahren und halten den Zugkräften nicht mehr stand. Stattdessen müssen Wasserfahrzeuge die Landpoller verwenden, was größere Sicherheitsabstände nötig macht und zu langen Wartezeiten führt. Leidtragende sind Firmen entlang der Wasserstraße, allen voran der Chemiepark Marl mit 10.000 Beschäftigten. Güter, die von Rotterdam aus ins Ruhrgebiet reisen, sind jetzt sechs statt vier Tage unterwegs. Geld für eine Sanierung der Poller sei zwar da, heißt es vom zuständigen Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt (WSA), doch es fehle am Personal, um das Vorhaben voranzutreiben. Dieser Mangel ist verbreitet. "Es fehlen 500 Planungsingenieure in der Verwaltung", schätzt Schwanen. Ein zweites Thema, das zunehmend Sorgenfalten erzeugt, ist der Nachwuchs. "Es wird immer schwerer, qualifiziertes Personal zu bekommen", beklagt Reeder Dettmer. Den Berufswunsch Schiffsführer oder Matrose hegt kaum noch ein Jugendlicher hierzulande, sicher auch wegen der Arbeitszeiten: 14 Tage unterwegs, 14 Tage frei ist der übliche Rhythmus. "Das passt nicht zum Lebensmodell vieler Menschen", räumt Verbandsmann Schwanen ein. Nicht zuletzt dank einer hohen Ausbildungsvergütung können die Ausbildungsplätze derzeit noch besetzt werden, doch die Branche ist überaltert, und was passiert, wenn die Schiffsführer reihenweise in Rente gehen, lässt sich heute noch nicht abschätzen. Immerhin: So akut wie im Landverkehr, wo Speditionen schon Aufträge ablehnen müssen, weil niemand das Fahrerhaus bemannen kann, ist die Lage in der Binnenschifffahrt noch nicht. Unsicherheitsfaktor Energiewende Uneins ist sich die Branche über die Folgen der Energiewende. Manche sehen in ihr ein wahres Damoklesschwert, schließlich entfallen über 30 Prozent der beförderten Tonnage auf Kohle, Öl und verwandte Produkte. Kommt der Kohleausstieg, fiele ein großer Nachfrageblock weg. "Der Rückgang wird sich nicht über Containerverkehre kompensieren lassen", erwartet Marktkenner Götze-Rohen. Zudem seien nicht alle Schiffe optimal für den Transport der Stahlboxen geeignet. Andere Branchenkenner sehen die Sache gelassener. "Volatilität ist fester Bestandteil des Geschäfts", meint DTG-Vorstand Spranzi. Man werde in anderen Bereichen neues Volumen hinzugewinnen, zum Beispiel bei den regenerativen Energien: Tatsachlich werden mittlerweile viele Komponenten für Windkraftanlagen mit dem Binnenschiff transportiert - ein Geschäft, dass es so vor wenigen Jahren noch nicht gab. Insgesamt sieht Spranzi die Branche auf einem guten Weg: "Die Verlagerungen von der Straße aufs Wasser sind langfristig unvermeidlich." Mehr zum Thema im Dossier Binnenschifffahrt www.verkehrsrundschau.de/dossiers Die Serie Verkehrsträger im Überblick In unserer Serie analysieren wir die Situation bei den verschiedenen Verkehrsträgern. Wie ist die Nachfrage, mit welchen Problemen hat die Branche zu kämpfen und wie fallen die Erwartungen für 2018 aus.-> VR 07: Straßengüterverkehr-> VR 08: Binnenschifffahrt-> VR 09: Schienengüterverkehr-> VR 10: Seeschifffahrt Ökobilanz Binnenschifffahrt Grüner fahren - mit Lkw-Motoren Das Binnenschiff kann an sich eine gute Ökobilanz vorweisen, allerdings stößt es deutlich mehr Feinstaub und Stickoxide (NOx) aus als Bahn oder Lastwagen. Bei den Partikeln etwa ist man um den Faktor zehn schlechter als der Güterzug, zeigen Zahlen des Umweltbundesamtes. Deshalb drückt die EU aufs Gaspedal: In einer neuen Verordnung (NRMM) schreibt Brüssel vor, dass alle großen Schiffsaggregate, die ab 2020 neu in Betrieb genommen werden, strenge Abgasnormen erfüllen müssen, vor allem in Bezug auf die Partikelemissionen. Allerdings gibt es ein Problem: Auf dem Markt sind die saubereren Aggregate nicht zu bekommen. Die Nachfrage aus der Binnenschifffahrt ist zu gering, als dass es sich für die Hersteller von Schiffsmotoren lohnen könnte, neue Modelle zu entwickeln. Deshalb greift die Branche zu einer Alternative: Lkw-Motoren. Zwei Tankschiffe, die die Bremer Reederei Dettmer zum Beispiel neu bestellt hat, werden von zwei Truck-Aggregaten mit jeweils 500 PS angetrieben."Sie erfüllen die neuen Abgasnormen, Ersatzteile sind leichter zu bekommen und die Motoren lassen sich günstiger reparieren", sagt Geschäftsführer Dettmer zu den Vorteilen. Dafür könne man eine kürzere Lebensdauer in Kauf nehmen. Daneben testet die Reederei synthetischen Kraftstoff, der mit dem Gas-to-Liquids-Verfahren (GTL) erzeugt wird. Er kann ohne Umrüstung in einem normalen Dieselmotor verwendet werden und verbrennt nahezu geruchlos - bei einem Drittel weniger Rußausstoß. cg

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