Erzwungene Transparenz

Transport- und Logistikunternehmer rechnen mit spitzem Bleistift. Die Margen sind eng, die Konkurrenz groß. Geschäftszahlen halten Firmenchefs daher lieber unter Verschluss. Zu groß ist die Angst, dass Wettbewerber ihnen in die Karten schauen könnten. Die gesetzliche Pflicht, die Jahresabschlüsse offenzulegen und für jedermann online zugänglich zu machen, ist den meisten ein Gräuel. Daten an Bundesanzeiger senden 1,1 Millionen Kapitalgesellschaften sowie GmbH & Co. KGs sind davon betroffen. Ihre Geschäftsführer und Vorstände müssen die Bilanz sowie gegebenenfalls Gewinn- und Verlustrechnung, Anhang und Lagebericht (siehe Kasten) innerhalb von zwölf Monaten nach dem Bilanzstichtag in elektronischer Form an den Bundesanzeiger (https://publikations-plattform.de, www.bundesanzeiger.de) übermitteln. Für börsennotierte Unternehmen und Gesellschaften, die sich über die Ausgabe von Wertpapieren finanzieren, gilt eine kürzere Frist von nur vier Monaten. Wer hier schlampt, bekommt umgehend Post vom Bundesamt für Justiz. Die Behörde mahnt, die Unterlagen binnen sechs Wochen nachzureichen und droht ein Ordnungsgeld an. Die Kosten des Verfahrens zahlt die säumige Firma in jedem Fall. 193.700 Unternehmen erhielten den blauen Brief aus Bonn, weil sie ihre Abschlüsse für das Geschäftsjahr 2013 nicht vorgelegt hatten. Auch für 2014 fehlen noch viele Bilanzen: Bis Ende Juni dieses Jahres leitete das Bundesamt für Justiz bereits 135.600 Ordnungsgeldverfahren gegen Unternehmen ein (siehe Grafik). Zwei Drittel der Gesellschaften lieferten daraufhin prompt. Bei Kleinstunternehmen, die ihre Geschäftszahlen nur leicht verspätet offenlegen, drücken die Beamten meist ein Auge zu. Sie senken das zu zahlende Ordnungsgeld auf 500 Euro. Alle anderen Kapitalgesellschaften können nicht auf Nachsicht spekulieren. "Nachlässigkeit bei der Offenlegung kann teuer werden", sagt der Präsident des Bundesamts für Justiz, Heinz-Josef Friehe. "Das Ordnungsgeld beträgt grundsätzlich mindestens 2500 Euro", wenn die Unterlagen nicht innerhalb der Sechs-Wochen-Frist nachgereicht werden. Zudem flattert die nächste Mahnung ins Haus: Es drohen weitere 5000 Euro Ordnungsgeld, wenn der Jahresabschluss nicht offengelegt wird. Mit jedem Brief erhöht sich die Strafe - auf bis zu 25.000 Euro. Das Aussitzen kann sich kein Mittelständler auf Dauer leisten. "Die Ordnungsgelder summieren sich schnell auf fünfstellige Beträge und werden auch vollstreckt", weiß Wirtschaftsprüfer Gerald Schwamberger. "Bei einer dauerhaften Verweigerung könnte dem Geschäftsführer sogar eine Gefängnisstrafe drohen", sagt der Partner der Göttinger Steuerberatungsgesellschaft DI-VIS. Trotzdem lassen es jährlich weit mehr als 60.000 Transparenz-Verweigerer darauf ankommen. 78.500 Firmenchefs wurden Ordnungsgelder aufgebrummt, weil sie nicht auf die erste Mahnung reagierten, die Bilanzen für 2013 offenzulegen - so vielen wie noch nie. Man kommt nicht drum herum Bernd Hamich kennt einige solcher Fälle und sie enden immer gleich. So zahlte ein Unternehmer 10.000 Euro Strafe an das Bundesamt für Justiz, weil er sich wiederholt weigerte, die Bilanz zu veröffentlichen. "Jetzt ist der Jahresabschluss doch im Internet einsehbar. Es wurde schlicht zu teuer", erzählt der vereidigte Buchprüfer und Partner der Kanzlei Grüter Hamich und Partner in Duisburg. Der Staat sitzt am längeren Hebel: Es hagelt so lange Geldstrafen, bis Firmenchefs ihre Jahresabschlüsse einreichen. Die von 2008 bis zum Jahr 2015 verhängten Ordnungsgelder summieren sich auf satte 1,43 Milliarden Euro (siehe Grafik). Was die Statistik nicht verrät, aber Experten aus Gesprächen mit Unternehmern wissen: Viele Transparenz-Verweigerer sind Wiederholungstäter. Manche nehmen die Geldstrafe aus strategischen Gründen in Kauf, weil sie sich von einer verspäteten Abgabe ihres Jahresabschlusses Vorteile versprechen. Stehen Preisverhandlungen mit Kunden oder Lieferanten oder schwierige Kreditverhandlungen an, halten Unternehmen aktuelle Zahlen zur Vermögens- und Ertragslage gerne zurück. "Geschäftsführer, die langfristige Lieferverträge aushandeln, reichen den Jahresabschluss oft erst ein, wenn die Verträge in trockenen Tüchern sind", weiß Hamich. "Die erzielten Preisnachlässe fallen in der Regel höher aus als das bezahlte Ordnungsgeld", erklärt der Steuerberater. Geschäftsführer in der Pflicht Häufig ist aber auch Schlamperei der Grund, warum Unternehmen ihre Abschlüsse nicht pünktlich aufstellen und veröffentlichen. Doch das Landgericht Bonn stellte in mehreren Urteilen unmissverständlich klar, dass Geschäftsführer dafür Sorge zu tragen haben, dass die Jahresabschlussdaten vollständig und rechtzeitig an den Bundesanzeiger übermittelt werden. Selbst wenn sie einen Steuerberater mit dieser Aufgabe betraut haben, sind sie dran, wenn dieser die Abgabefristen versäumt (LG Bonn, 10.12.2008 - 37 T 472/08). Firmenchefs müssen die Umsetzung des Auftrags kontrollieren (LG Bonn, 28.02.2013 - 32 T 143/13). Um die Offenlegungspflicht kann sich keiner drücken. Alle müssen ihre Geschäftszahlen veröffentlichen: Auch Unternehmen in Liquidation (LG Bonn, 10.12.2008 - 37 T 472/08), in Insolvenz und Gesellschaften, die kein aktives Geschäft betreiben (LG Bonn, 10.12.2009 - 31 T 1055/09), weil sie nur aus steuerlichen Gründen bestehen oder allein auf dem Papier existieren wie Vorratsgründungen. "Auch hier gibt es kein Pardon", sagt Gerald Schwamberger. "Für Unternehmen in Liquidation ist das ein Problem, denn oft ist kein Geld mehr da", weiß der Wirtschaftsprüfer. Findige Firmenchefs kamen damit durch, Bilanzen einzureichen, die nur Nullen enthielten. Laut einer Entscheidung des Landgerichts Bonn (15.03.2013, 37 T 730/12) erfüllt eine solche Nullbilanz die Offenlegungspflicht und es darf kein Ordnungsgeld verhängt werden. Der Haken: Es drohen Bußgelder von bis zu 50.000 Euro, weil der Inhalt des Jahresabschlusses falsch ist. Schwamberger warnt Unternehmer davor, frisierte Bilanzen zu veröffentlichen: "Auch Banken und Finanzämter recherchieren im Bundesanzeiger." Wer sich nicht zu tief in die Karten schauen lassen will, sollte lieber den gesetzlichen Spielraum nutzen und die Aussagekraft seiner Abschlüsse reduzieren. Die Pflichten zur Aufstellung, Prüfung und Offenlegung des handelsrechtlichen Jahresabschlusses nehmen mit der Unternehmensgröße zu (siehe Kasten). Kein Rückschluss auf Ertragslage Kleine Unternehmen profitieren von Erleichterungen. Nach den Änderungen des Bilanzrechtsmodernisierungs-Gesetzes werden einige mittelgroße, prüfungspflichtige Gesellschaften als kleine Unternehmen eingestuft. "Sie dürfen eine verkürzte Bilanz veröffentlichen, die kaum Rückschlüsse auf die Ertragslage ermöglicht", sagt Schwamberger. So müssen Unternehmen keine Umsätze nennen und auch keinen Gewinn oder Verlust offenlegen. "Das Eigenkapital wird in einer Summe ausgewiesen und nicht näher aufgeschlüsselt", ergänzt der Wirtschaftsprüfer. "Aus dieser Zahl lässt sich nicht erkennen, ob das Unternehmen Verluste macht oder wie die Gewinnentwicklung der letzten Jahre aussieht." Selbst mittelgroße Unternehmen, deren Bilanz wesentlich mehr Aussagekraft hat, profitieren von Erleichterungen. Sie müssen in ihrer Gewinn- und Verlustrechnung (G&V) keinen Umsatz ausweisen, sondern nur den Rohertrag, die Differenz aus Umsatz und Wareneinsatz. "Daraus lässt sich noch nicht auf die Kalkulation schließen", sagt Steuerberater Hamich. Er warnt jedoch vor einem häufig gemachten Fehler: "Unternehmen dürfen dann auch im Lagebericht keine Umsatzzahlen nennen." Der Umfang der Offenlegungspflichten lässt sich auch durch eine gezielte Bilanzpolitik begrenzen. Wer kurz vor dem Stichtag des Jahresabschlusses Lieferantenrechnungen vorzeitig aus dem Guthaben heraus bezahlt, reduziert die Bilanzsumme. Ein ehemals "mittelgroßes Unternehmen" kann so in die Kategorie "klein" rutschen und muss nur eine verkürzte Bilanz offenlegen. Auch durch Sale-and-lease-back, Factoring, die Rückführung von Bankverbindlichkeiten und einen bewusst klein gehaltenen Warenbestand lässt sich die Bilanzsumme beeinflussen und die Offenlegung von Geschäftszahlen einschränken. Unternehmen aufspalten Mittelständler, die Gefahr laufen, die Schwellenwerte "kleiner Unternehmen" zu überschreiten, lagern oftmals Geschäftsbereiche in Tochterunternehmen aus oder spalten den Betrieb auf, indem sie Besitz und Betrieb trennen. Die Immobilie wird im Einzelunternehmen des Inhabers bilanziert, der sie wiederum an den Betrieb verpachtet. Der Vorteil: "Die Bilanz der GmbH zeigt nur das operative Geschäft, die Bilanzsumme ist verkürzt", sagt Hamich. Die Kapitalgesellschaft ist dann so klein, dass sie keine G&V offenlegen muss. Das Einzelunternehmen wiederum muss keine Geschäftszahlen veröffentlichen, sodass sich dort auch Verluste verstecken lassen. Betriebsaufspaltungen sind jedoch gut zu überlegen und durchzurechnen. "Sie müssen langfristig in der Strategie verankert werden", gibt Schwamberger zu bedenken. Auch hält er nichts davon, dass eine GmbH & Co. KG einen persönlich haftenden Gesellschafter aufnimmt, nur um der Offenlegungspflicht zu entgehen. "Das ursprüngliche Ziel hieß Haftungsbeschränkung. Warum sollten sich Unternehmer plötzlich der vollen persönlichen Haftung aussetzen?", bedenkt der Wirtschaftsprüfer. Mehr zum Thema im Dossier Zahlungsverkehr www.verkehrsrundschau.de/dossiers

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