Emissionsfrei ans Band

Die Energiewende macht auch vor der Intralogistik nicht halt. Um Treibhausgase einzudämmen, wenden sich derzeit viele Länder unter anderem der Brennstoffzellen- und Wasserstofftechnologie zu. Genau hier sehen auch die Hersteller von Flurförderzeugen großes Potenzial: "Wir sind fest davon überzeugt, dass sich der Einsatz von Wasserstoff als nachhaltige Alternative in den kommenden Jahren etablieren wird", sagt etwa Christophe Lautray, CSO von Linde Material Handling (MH). Die Vorteile: Wasserstoffbetriebene Gabelstapler emittieren nicht nur weder CO2 noch andere Schadstoffe, sie lassen sich auch in drei bis fünf Minuten betanken: Ist die Brennstoffzelle im Fahrzeug wieder befüllt, hat sie genug Energie für sechs bis acht Stunden Betrieb. Da sie Elektrizität produzieren können, können Wasserstoffstapler sogar als Notstromaggregat dienen. Zudem hält eine Brennstoffzelle mit rund 10.000 Betriebsstunden vergleichsweise lang. Batteriewechsel sind bei Brennstoffzellen-Geräten nicht nötig, was sie selbst für hygienekritische Einsätze prädestiniert und das Handling für die Mitarbeiter vereinfacht. Wirtschaftlich gesehen lohnen sich Wasserstoffstapler aber erst ab einer gewissen Flottengröße. "Unsere Untersuchungen und Praxistests belegen, dass sich Brennstoffzellensysteme ab einem Einsatz von rund 20 Fahrzeugen rechnen können. Verfügt das Unternehmen bereits über eine eigene Wasserstoffinfrastruktur, wird das Konzept noch attraktiver", erläutert Markus Weinberger, International Product Manager Energy Solutions bei Linde MH. Die passende Infrastruktur ist nötig, weil Wasserstoff ein flüchtiges und reaktionsfreudiges Gas ist und nur unter hohem Druck oder extrem gekühlt gelagert werden kann. Zudem kommt Wasserstoff selten in elementarer, sondern nur in gebundener Form vor, etwa in Wasser und Kohlenwasserstoffen - insofern muss reiner Wasserstoff erst erzeugt werden. Stammt er aus regenerativen Quellen wie beispielsweise Biogas oder einer Elektrolyse durch Sonnen- oder Windenergie, spart das zusätzlich CO2. Bereits seit zwei Jahrzehnten tüftelt Linde MH an der Entwicklung serienfähiger Flurförderzeuge mit Brennstoffzelle. Erste Geräte gingen 2010 in Serie, heute sind 80 Prozent aller Elektromodelle des Herstellers mit der Energievariante bestellbar. Seit 2013 testet BMW in Leipzig, wo die Elektroautos i3 und i8 vom Band laufen, elf wasserstoffbetriebene Schlepper und Gabelstapler des Herstellers samt Wasserstoff-Innenbetankung. Im Dezember nahm der sächsische Werksstandort des Autobauers 70 weitere Routenzüge (Indoor-Schlepper) von Linde MH mit Brennstoffzellen-Systemen von Fronius in Betrieb. Sie versorgen dort die Montagebänder mit Zulieferteilen. "Mit diesem Flottenversuch können wir endgültig beweisen, dass der Einsatz von Wasserstoff als Energieträger in verschiedenen Applikationen in Zukunft wirtschaftlich darstellbar ist", betont Thomas Herndler, CTO von Fronius. Die Bundesregierung unterstützt Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur und dessen Programmgesellschaft, die Now GmbH, unterstützen das Projekt mit rund 2,8 Millionen Euro Fördergeld im Nationalen Innovationsprogramm Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie. Im Ergebnis wollen die Partner den Industriestandard "H2Ready" etablieren, der weiteren Herstellern die Möglichkeit eröffnen soll, die Technologie in neuen oder umgerüsteten Fahrzeugen in der Produktion zu nutzen. BMW-intern ergeben sich ebenfalls Synergien: "Für unser Strategiefeld 'Grünes Werk' arbeiten wir an weiteren Projekten. Hierzu gehören der Einsatz von Wasserstoff-Lkw, die Umrüstung weiterer Gebäude und Strukturen für den Einsatz von Wasserstoff bis hin zu Untersuchungen einer CO2-freien Wasserstofferzeugung vor Ort mit der Nutzung der Windkrafträder auf unserem Werksgelände", berichtet Werksleiter Hans-Peter Kemser. In der Werkslogistik wolle man die Wasserstofftechnik auch testen, bevor man darüber nachdenke, sie auf die Straße zu bringen. Wie das Beispiel zeigt, bietet besonders die dezentrale, verbrauchernahe Erzeugung von Wasserstoff aus erneuerbaren Energieüberschüssen viel Potenzial. "Anwender können sich damit vor Ort selbst den Treibstoff für die mit Brennstoffzelle ergänzten Elektrofahrzeuge erzeugen und zusätzlich die entstehende Abwärme nutzen", erläutert Fronius-CTO Herndler. Auch in Japan strebt der BMW-Konkurrent Toyota Motor Corporation (TMC) eine CO2-freie Fahrzeugproduktion an und nahm dazu im März 2018 im Werk Motomachi in Toyota City 20 Brennstoffzellen-Gabelstapler und eine neue eigene Wasserstoff-Tankstelle in Betrieb. Schrittweise soll die Flotte auf bis zu 180 Wasserstoffstapler im Jahr 2020 wachsen. Auch hier fördern die japanischen Ministerien für Umwelt sowie Wirtschaft, Handel und Industrie die Einführung der neuen Modelle. Europas größtes Projekt in Frankreich In Europa findet sich der bislang größte Einsatz von Brennstoffzellenstaplern in Nordfrankreich. In seiner neuen Logistikbasis in Vendin-Le-Vieil nutzt Carrefour Supply Chain, die Logistiktochter des französischen Einzelhandelsunternehmens Carrefour, seit Anfang 2018 eine wasserstoffbetriebene Flotte mit 137 Lagertechnik-Fahrzeugen von Still: 36 Schubmaststapler FM-X, 78 Horizontalkommissionierer CX-S, sechs Doppelstockhochhubwagen EXD-S und 17 Niederhubwagen EXU-S sind hier auf einer Fläche von 58.000 m² unterwegs. Im Zwei- bis Dreischichtbetrieb kommissionieren die Carrefour-Mitarbeiter damit Voll- und Mischpaletten mit Getränken, Lebensmitteln und Drogerieartikeln für rund 360 Filialen im Norden Frankreichs - vom Großmarkt bis zum Nahversorgungsgeschäft. Die Station zur Lagerung und Aufbereitung des Wasserstoffs befindet sich außen vor der Halle. Über Leitungen gelangt er zu drei Befüllstationen, die direkt neben den Rampen in der Halle installiert sind. "In Summe benötigen wir weniger Fahrzeuge als zuvor", resümiert Carrefour-Standortdirektor Alain Audegond. Finanziell wurde das von der Fuel Cells and Hydrogen Joint Undertaking (FCH JU) und der Ludwig-Bölkow-Systemtechnik koordinierte Projekt "HyLift-Europe" von der EU gefördert. Tests im US-Hafen von Los Angeles Und sogar die USA machen mit beim Wasserstofftrend: Die California Climate Investments (CCI), das Emissionshandelsprogramm des Staates Kalifornien im Kampf gegen den Klimawandel, fördert derzeit die Entwicklung eines emissionsfreien Hyster-Containerstaplers mit Brennstoffzellenantrieb von Nuvera für den Hafen von Los Angeles. Das gab der Hyster-Yale-Konzern im Oktober bekannt. Indem die beim Bremsen und Absenken von Lasten verbrauchte Energie zurückgewonnen und gespeichert wird, wird ein Nachtanken mit Wasserstoff vermutlich erst nach einem Tag Betriebszeit nötig sein, so der Hersteller. "Dort, wo der Netzstrom für die Versorgung eines Fuhrparks mit elektrischen Großstaplern voraussichtlich nicht ausreicht, kann Wasserstoff für Häfen eine schnell verfügbare Energiequelle sein", erklärt Lyndle McCurley, Vice President Big Truck Sales Americas bei Hyster. "Muss im Laufe des Tages eine große Zahl von Staplern geladen werden, wird der Planungsaufwand im Terminal immer komplexer. Das lässt sich mithilfe von Wasserstoff vermeiden", so der Vertriebsexperte. Hyster geht davon aus, mit dem elektrischen Voll-Containerstapler eine Leistung zu erreichen ist, die mit der von Dieselstaplern vergleichbar ist. Allerdings betont auch McCurley, ebenso wie seine Fachkollegen der anderen Hersteller: "Die richtige Antriebsoption für einen Stapler hängt immer von der jeweiligen Anwendung ab." Das bestätigt auch der Wissenschaftler Johannes Fottner, Professor für Technische Logistik an der TU München, im Interview auf Seite 41. Dennoch ist sich der Experte sicher, "dass wir bald eine Vielzahl an eingesetzten Geräten sehen werden". Checklisten für die Praxis Knappe Checklisten für die Planung und Inbetriebnahme von Brennstoffzellenstaplern samt der Wasserstoffinfrastruktur sowie für Genehmigungen und Gutachten aus dem"Leitfaden für den Einsatz von wasserstoffbetriebenen Flurförderzeugen" des Lehrstuhls fml an der TU München finden Sie auf VRplus, dem digitalen Angebot der VerkehrsRundschau unter:www.verkehrsrundschau.de/plus/H2stapler

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