Eine Sperrung und ihre Folgen

Selten genug, dass es die Logistik in die Schlagzeilen der 20.00-Uhr-Nachrichten schafft. Dem Containercarrier "Ever Given" ist das gleich mehrfach gelungen: festgefahren im Suez-Kanal und mittlerweile befreit. Danach ebbte das allgemeine Interesse blitzartig ab. Doch für die Betroffenen beginnt die eigentliche Arbeit erst jetzt. So darf das Schiff immer noch nicht weiterfahren. Denn die Kanalbehörde fordert wegen der Blockade des Kanals Schadenersatz in Milliardenhöhe. Derzeit liegt der Containercarrier im Großen Bittersee zwischen dem nördlichen und südlichen Teil des Suez-Kanals (Stand 14. April). Eine Weiterfahrt ist erst bei einer Einigung in Sicht. Die könnte sich noch längere Zeit hinziehen. Die Sach- und Rechtslage ist zudem nicht eindeutig. Die Reederei hat Havarie grosse angemeldet. Aber liegt dieser Fall überhaupt vor? Zu vernehmen war auch, dass der Kapitän zu schnell unterwegs war: Mit 13 Knoten soll er mit der Ever Given im Kanal gefahren sein. Erlaubt sind aber nur acht Knoten. Auch soll er zu nah am Ufer gefahren sein. Laut Expertenmeinung könnte so eine Sogwirkung das Querstellen des Schiffes hervorgerufen haben. Unklar ist, welches Verschulden nun den Kapitän/die Reederei trifft und welches die Kanallotsen/die Suez-Kanal-Gesellschaft. Die Frage ist auch wichtig für hunderte Schiffe, die vor dem Kanal im Stau steckten oder den Umweg über das Kap der Guten Hoffnung genommen haben. Welche Auswirkungen hat aber nun der Kanalstau auf Spediteure und Auftraggeber/Empfänger? Wer haftet? Wir haben mit Axel Salzmann einen Experten zu verschiedenen Problemstellungen befragt. Salzmann ist Leiter Kompetenzzentrum für das Straßenverkehrsgewerbe und Logistik bei der Kravag-Logistic Versicherungs-AG. Ladung auf der Ever Given Die Auslieferung der Ladung der Ever Given verzögert sich, die Ankunft in den Bestimmungshäfen ist ungewiss. Was muss der Spediteur unternehmen, damit er nicht haftbar gemacht wird? Salzmann: Grundsätzlich bestehen für den Spediteur eine unverzügliche Informationsverpflichtung und gegebenenfalls die Einholung von Weisungen. Was die Haftung anbelangt, besteht objektiv ein Transporthindernis, beziehungsweise ein Schadenfall liegt vor. Muss der Spediteur eventuelle Zusatzkosten tragen? Nein, das ist in den Allgemeinen Deutschen Spediteurbedingungen 2017 (ADSp 2017) in Ziffer 17 "Aufwendungs- und Freistellungsansprüche" geregelt. Dort heißt es in Ziffer 17.1 und 2, dass der Spediteur Anspruch auf Ersatz der Aufwendungen hat, die er für erforderlich halten durfte und nicht zu vertreten hat. Dabei handelt es sich insbesondere um Beiträge zu Havereiverfahren, Detention- oder Demurrage-Kosten sowie Nachverpackungen zum Schutz des Gutes. Aber auch für Frachten, Wertnachnahmen, Zölle, Steuern oder sonstige Abgaben oder Spesen (siehe Kasten Seite 45). Ladung auf wartenden Schiffen Auf einem der Schiffe, die warten mussten, befindet sich beispielweise ein Container mit Litschis aus China. Die sind jetzt großenteils verdorben. Der Großhandel verklagt den Spediteur. Muss in diesem Fall der Spediteur haften? Nein, nach der Rechtsprechung kann dies vermutlich ausgeschlossen werden. Auch hier gilt, dass der Spediteur seinen Auftraggeber unverzüglich informieren und sich eventuell Weisungen einholen muss, denn es bestand objektiv ein Transporthindernis. In Analogie der Rechtsprechung durch Transporthindernisse durch Streiks auf der Straße ist davon auszugehen, dass der Spediteur nicht haftet. Wie kann sich der Spediteur absichern? Die beste Absicherung des Spediteurs ist die unverzügliche Information des Auftraggebers über das Transporthindernis und die anschließende Kommunikation, ob und wie tatsächlich eine Abhilfemöglichkeit oder eine Beschleunigung des Transportgutes objektiv möglich ist. Schiffe umfahren Afrika Eine Reederei hat von der Sperrung des Suez-Kanals erfahren. Ein Ende der Sperrung ist zu dem Zeitpunkt ungewiss. Deshalb leitet die Reederei verantwortungsbewusst das aus Asien kommende Schiff rechtzeitig über Südafrika (Kap der Guten Hoffnung) um. Die Fahrt dauert zehn bis 14 Tage länger. Als die Sendung, die für einen Aktionsverkauf bestimmt ist, am Bestimmungsort in Deutschland ankommt, ist der Termin vorbei und die Konkurrenz hat das Geschäft gemacht. Die Waren sind nur mit exorbitant hohen Nachlässen zu veräußern. Wer haftet für den Schaden (Verzögerungsschaden/Vermögensschaden)? Obwohl im Seeverkehr keine festen Ankunftszeiten zugesagt werden, sondern das Prinzip ETA (estimated Time of Arrival - voraussichtliche Ankunftszeit) praktiziert wird, gilt: Grundsätzlich ist auch hier der Spediteur verpflichtet, unverzüglich den Auftraggeber zu informieren und sich gegebenenfalls Weisungen einzuholen. Nach dem Sachverhalt hat der Reeder eigenverantwortlich entschieden. Ob der Verzögerungsschaden tatsächlich durch die längere Fahrt entstanden ist oder auch bei der geplanten Route über den Suez-Kanal entstanden wäre, ist offen. Letztlich lag ein objektives Beförderungshindernis vor, sodass mit großer Wahrscheinlichkeit ein Haftungstatbestand auszuschließen ist. Ist der Spediteur in der Haftung, sollte die Reederei Zusatzkosten für die Umfahrung Afrikas (bis 14 Tage längere Seefahrt) berechnen? Nein. Auch das regeln die ADSp 2017 eindeutig. Dort heißt es in Ziffer 17.3, dass Spediteure von Aufwendungen wie Frachtforderungen, Beiträgen zu Havereiverfahren, Zöllen, Steuern und sonstigen Abgaben zu befreien sind, wenn sie der Spediteur nicht zu vertreten hat. Situation in den Bestimmungshäfen Da die Häfen der Hamburg-Antwerpen-Range durch die Ballung der Schiffe überfüllt sind, entschließt sich die Reederei, Container bereits früher als geplant zu löschen und auf dem Landweg zum Bestimmungshafen oder direkt zum Empfänger zu transportieren. Wer trägt die Kosten? Auch in dieser Fallvariante besteht für den Spediteur ein Anspruch auf den Ersatz der Aufwendungen immer dann, wenn entsprechende Weisungen eingeholt wurden. Oder nach den vorliegenden Umständen die entsprechenden Aufwendungen notwendig waren. Wurden Fixkosten vereinbart und keine Weisung eingeholt, ist die Weitergabe zusätzlicher Kosten vertraglich zunächst etwas komplizierter. Auch hier gilt der Grundsatz, dass unkalkulierbare Kosten auch vom Auftraggeber zu tragen sind. Gerichtsentscheidungen werden dauern Wann ist mit Entscheidungen zu rechnen, wer letztendlich für die Schäden durch die Ever Given aufzukommen hat? Bei Schadenfällen mit internationalen Seeverkehren zeigt die Erfahrung, dass die Bearbeitungszeiten und speziell die Aufklärung der Ursächlichkeit für den Schadenfall oftmals viele Jahre in Anspruch nehmen. So zum Beispiel bei dem Zerbrechen und Untergang des Containerschiffs, der "MOL Comfort", im Jahre 2013 im Arabischen Meer. Konkret bei der Sperrung des Suez-Kanals gibt es derzeit viele Hinweise, dass womöglich die zu hohe Geschwindigkeit des Schiffes oder die Besonderheiten der Wasserverdrängung durch ungewöhnliche Windsituationen hauptursächlich für die Strandung der Ever Given waren. Insofern wird es sehr, sehr lange dauern, bis - falls wirklich ein Haftungstatbestand vorliegt - die Abwicklung realisiert sein ist. Ein Ausgleich kommt vermutlich nicht ohne zwei Gerichtsinstanzen aus. Wer entscheidet darüber? Letztlich werden zivile Gerichte über eine derartige Haftung des Spediteurs zu entscheiden haben. Mehr zum Thema unter #SafetyinderSchifffahrt www.verkehrsrundschau-plus.de/hashtag In Kürze Seefrachtspediteure, die Container auf den Schiffen stehen hatten, die von der Sperrung des Suez-Kanals betroffen waren, sollten jetzt reagieren, um jegliche Haftung auszuschließen. Betroffen sind auch Ladungen auf den Schiffen, die im Stau standen oder den Umweg über das Kap der Guten Hoffnung genommen haben. Vita Axel Salzmann Rechtsanwalt Axel Salzmann leitet das Kompetenzzentrum für das Straßenverkehrsgewerbe und Logistik für die Kravag-Logistic Versicherungs-AG in Hamburg. Salzmann lehrt als Professor an der Fachhochschule-Westküste in Heide im Fachbereich Wirtschaft/Recht Transportrecht und Riskmanagement. Maßgeblich hat er an vielen rechtlichen Entwicklungen in der Logistik mitgearbeitet, zum Beispiel an den Allgemeinen Deutschen Spediteurbedingungen (ADSp) 2017, an den Logistik-AGB 2019 und an deren Vorgängerversionen.

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