Eine Branche ist wieder unter Spannung

Elektromobilitätsgesetz - kaum ein Politiker, der dieses Wort nicht ebenso nahtlos aussprechen kann, wie ein Stromauto antritt. Blühende Elektrolandschaften hatte man anfangs versprochen. Nach intensiver Ernüchterungsphase scheint nun wieder Spannung ins Thema "Mobil mit Strom" zu kommen. Insofern wundert es kaum, dass sich die nach eigenen Angaben weltgrößte Messe für Elektromobilität Ecartec in München gleich fünf ministerieller Schirmherrschaften erfreut. Man muss das allerdings relativ sehen: Gerade mal zwei Münchner Messehallen besetzen die Hersteller von Stromautos und Zubehör. Wobei man es als symbolisches Zeichen werten kann, dass auch der größte deutsche Hersteller - Volkswagen - vertreten ist und mit dem E-Golf gleich den Ecartec-Award abräumt. Generell liegt der politische Fokus immer noch stark auf den privaten Nutzern. "Dabei sehen wir im gewerblichen Bereich, auch bei kommunalen Fuhrparks, viel größeres Potenzial", betont ein Vertreter der Wirtschaftsförderung Nordrhein-Westfalen, als Land mit einem weitläufigen Gemeinschaftsstand auf der Messe präsent, auf dem von der Stromzapfstelle über Beratung bis hin zum Lastenrad-Pedelec der Firma Jewo-Mobil alles vertreten ist. Das sieht man auch beim Autohersteller Peugeot so, dessen brandneuer Partner Full Electric sich auf dem Stand des japanischen Ladesystemanbieters Chademo einen Platz mit dem Nissan E-NV200 teilt. Kampf ums Kabel: Typ 2 wird Standard Hier wird auch augenfällig, dass die Inbetriebnahme eines Elektromobils mehr ist als nur der Kauf. Man entscheidet sich wie beim Computer auch für ein Betriebssystem. Und hinter den Kulissen tobt just der Kampf ebendieser Systeme. Die Japaner würden gerne ihren Chademo-Gleichstrom-Schnellladestandard (ein Akronym, abgeleitet von den Worten Charge de Move) durchsetzen, mit dem man binnen einer halben Stunde dank 50 kW Power auf 80 Prozent der Lade kapazität kommt (siehe Test Nissan E-NV200 VR 41/2014). Allerdings ist die Gleichstrom-Ladetechnik auf der Infrastrukturseite teuer - so eine Säule kostet schnell 20.000 Euro, weil das Ladegerät hier integriert ist. Stromanbieter wie RWE - natürlich ebenfalls auf der Ecartec präsent - sehen die Chademo-Technik also eher als Ergänzung entlang wichtiger Verkehrsrouten, wo es auf schnelle Beladung ankommt. Beim Branchenprimus Mennekes, Namensgeber und Erfinder des sich zum EU-Standard entwickelnden Steckersystems Typ 2, erklärt Sprecher Burkhard Rarbach: "Unsere Wallboxen und Ladesäulen basieren auf vorhandener Haustechnik. Wer nicht unbedingt auf das ultraschnelle Laden angewiesen ist, der kann sich den Aufwand sparen." Falls nötig, lasse sich aber auch das Mennekes-System bis auf 43 kW-Schnellladung "tunen". Die meisten Autos stünden aber ohnehin die meiste Zeit des Tages. Die Reichweiten betrügen nicht mehr als 100 Kilometer täglich, gerade im gewerblichen Bereich, etwa bei innerstädtischer Belieferung. Um der umweltfreundlichen E-Mobilität zum Durchbruch zu verhelfen, brauche es einen Standard. Der ist seit März zumindest EU-weit festgelegt. Außerdem mahnt der Mennekes-Mann eine Art Strom-Roaming wie beim Handy an, damit man nicht unzählige Tankkarten mitführen muss. "Und natürlich braucht es fahrzeugseitig erschwingliche Lösungen", so der Strom-Experte. Das sieht man auch bei PSA so: "Wir bieten den Chademo-Anschluss optional an für den Berlingo für 650 Euro, denken aber, dass man auch mit der Standardtechnik klarkommt." Der Kauf eines Berlingo Electric beinhalte einen kostenlosen Check-Up der Infrastruktur nebst Umrüstung der 220-Volt-Steckdose auf den sichereren Industriestecker. Damit verkürze sich die Ladezeit von acht auf sieben Stunden dank 16 kW Leistung. Außerdem könne man mit dem bei Mennekes liebevoll als "Hausfrauenstecker" titulierten, um eine absichernde Konsole ergänzte Lösung, bei jeder Pause zwischenladen. Magische 30.000-Euro-Schallmauer So dürfte PSA mit dem auf der Technik des E-PKW I-On/C Zero basierenden, etwas drehmomentstärkeren, dafür an Nutzlast zum Standard 50 Kilo schwächeren Berlingo/Partner Electric nach dem polnischen Umrüster Komel derzeit eines der günstigsten Angebote bei E-Vans machen. "Wir starten bei 25.000 Euro inklusive Lithium-Ionen-Batterie", wirbt der PSA-Mann. Er gibt aber zu, dass die 170 Kilometer Reichweite ein ECE-Zyklus-Bestwert bei Idealbedingungen seien und man nicht ganz so viel Aufwand betrieben habe wie die etwas teurere Konkurrenz von Nissan Vis-a-Vis. Im E-NV200 mangelt es etwa nicht an einer Batteriekühlung beim Schnellladen. Im Winter wird der Akku mit Warmluft versorgt, ein Energiemanagement samt effizienter Kabinenheizung mindert Reichweitenschwund. Insgesamt machen diese Angebote einen deutlich gewerbetauglicheren Eindruck als VWs später, eher halbherziger Beitrag zum Thema: Der VW E-Load Up ist bisher das einzige elektrifizierte VW Nutzfahrzeug, das man (ab Dezember) kaufen kann, wohl unter der im E-Bereich magischen 30.000-Euro-Schallmauer. Fahren lässt sich der Frachtzwerg aber VW-typisch perfekt: strammer Antritt, leise Entfaltung der elektrischen Kraft, Rekuperation in mehreren Stufen je nach Verkehr, feiner Komfort und quirlig-verlässliches Handling. Ein echtes Nutzfahrzeug ist der E-Load Up aber nicht. Dafür künden Gerüchte von einer E-Version des VW Crafter, der 2016 ganz neu an den Start geht.Den Kontrast zum Up bildet der mit der RTHW Aachen klar als Nutztier konzipierte, ebenfalls ausgestellte Street scooter vom gleichnamigen Hersteller, der ebenso den schrulligen Charme der handgefertigten Kleinserie ausstrahlt wie der zur IAA vorgestellte Orten Elci (Bericht nächstes Heft). Business Case im Verteiler-Verkehr Einen anderen Weg geht der niederländische Elektro-Spezialist Emoss: Der rüstet kunden individuell neben DAF auch MAN mit offiziellem Segen um. Etwa den TGL als 12-Tonner für Tedi. "Der Antriebsstrang kommt raus und wird weiterverkauft, ein kompletter E-Antrieb kommt rein", erklärt der überzeugte Elektro-Pionier Mart Noordam, zu dessen Kunden auch Braugigant Heineken zählt. Für Kunden wie Discounter Tedi sei das eine klare Rechnung: Das Fahrzeug kostet in der Anschaffung zwar drei Mal so viel, richtig eingesetzt erreiche man aber nach fünf Jahren dank niedriger Betriebs- und Wartungskosten den Break-Even. Umso mehr, wenn man etwa auf den Lagerhallen seinen eigenen Solarstrom produziere. Außerdem könne man mit der Technik nicht nur im Hinblick auf künftige Abgasnormen langfristig rechnen: "Zehn Jahre hält die Batterie, den Elektromotor nehmen Sie mit in den nächsten Truck", schwärmt Noordam. "Mich wundert, dass das nicht mehr Logistiker probieren." Er spüre allerdings wachsendes Interesse, vor allem in Norwegen oder den Niederlanden, aber auch in Deutschland. Oder in der Schweiz, wo sich in der gleichen Fahrzeugklasse der Verteiler seit Kurzem Eforce One mit einer Elektroversion des Stralis als Lieferant der Brauerei Feldschlösschen versucht (in Deutschland bei Meyer Logistik, siehe VR 38). Der zum Standard gut 200.000 Euro teurere Eforce untermauert bei der ersten Runde einen weiteren Vorteil von E-Trucks: Spontaner zieht kein anderer 18-Tonner von der Ampel, leiser und komfortabler auch nicht. Gleiches gilt für den neuen Iveco Daily eine Klasse tiefer, der auch als 5-Tonner exzellente "Abfahrtsbedingungen" bietet und dessen auf der Ecartec zur Schau gestellte Batterietechnik auch eine Schweizer Connection hat: Spezialist Fiamm aus Stabio setzt bei den umweltfreundlichen, komplett recyclebaren Nickel-Sodium-Chlorid-Speichern auf sogenannte Supercaps, die für spontane Leistungsabgabe sorgen bei gleichzeitiger Schonung der Hauptzellen. Die Fahrzeugtechnik jedenfalls wirkt schon jetzt ausgereift. Jetzt muss nur noch in der deutschen Politik die Einsicht reifen, dass die Elektromobilität vor allem über den gewerblichen Bereich spannend werden könnte. Und wie man außer mit Schirmherrschaften fördert, da kann man ja mal die Holländer oder Franzosen fragen. Pedelec-Lastenräder Im Schatten der Debatten - E-Lastenräder als Alternative "Die großen Mengen werden wir mit Lastenrädern nie befördern können. Aber als Ergänzung zum Transporter finden wir das hochinteressant", resümierte Gerd Seber, Sustainable Development Manager des Paketdienstleisters DPD auf dem IAA Fachforum "Letzte Meile, effizient und emissionsfrei. Lastenräder in der City-Logistik". Das hatte der Bundesverband Paket und Expresslogistik Biek gemeinsam mit dem ökologischen Umweltverband VCD auf der IAA veranstaltet. Letzterer sorgte inmitten dieselbetriebener Lastwagen mit einer kleinen Ausstellung von elektrisch unterstützten Lastenrädern für eine Kuriosität. Eine Reporterin von Spiegel Online wollte es sich ebenso wenig nehmen lassen wie diverse Politiker, vorbeizuschauen. Gertrud Sahler, Abteilungsleiterin Verkehr im Bundesumweltministerium, etwa zeigte sich erstaunt über die Kapazitäten, die ein Lastenrad wie das Urban Arrow des gleichnamigen niederländischen Herstellers bietet. Exakt auf Palettenmaß kommt die Ladefläche vor dem Lenker des von einem kräftigen 250-kW-Bosch-Motor unterstützten Alu-Zweirad-Tiefladers, der bis zu 180 Kilo Nutzlast bietet und sich nach kurzer Gewöhnung erstaunlich leicht manövrieren lässt. Deutlich träger im Handling und fast wie ein kleiner Transporter mutet das dreirädrige Cyclo Cargo an, das mit 1,5 Kubik im eiförmigen Aufbau tatsächlich so viel Volumen packt wie ein paar Hallen weiter der VW E-Load Up - für 7500 Euro Komplettpreis samt tauschbarer Li-Io-Batterie. Auf drei Räder setzt auch das Triliner von Speedbike, das ebenfalls große Boxen schultert und hohe Kippsicherheit bietet. Das zierlich scheinende Postzustellrad von Gobax packt dank extrem robuster Bauweise und starkem E-Motor satte 200 Kilo und mutiert mit 90-Kilo-Anhänger zum Mini-Sattelzug. jr

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