E-Freight soll endlich fliegen

Als Karl-Ulrich Garnardt Anfang 2011 nach mehr als zehn Jahren bei der Passage als Vorstandschef zu Lufthansa Cargo zurückkehrte, zeigte er sich beeindruckt von dem Qualitätsund Effizienzsprung, den der Frachtkranich in der Zwischenzeit gemacht hatte. Mit einer nennenswerten Ausnahme: Der Vision einer papierlosen Luftfracht sei man kaum nähergekommen, monierte er. Trotz aller Mühen hat auch Garnardt selbst in seiner dreijährigen Amtszeit den Durchbruch nicht geschafft. Wenn er am 1. Mai als Vorstand zur Passage zukehrt, hinterlässt er seinem Nachfolger Peter Gerber eine große Baustelle: E-Freight. Das gilt nicht nur für die Lufthansa Cargo, sondern für alle Airlines. Mit 10,2 Prozent auf "verfügbaren Routen" beziffert die internationale Luftfahrtorganisation Iata den Anteil der Sendungen, bei denen zumindest die Luftfrachtbriefe (Air Waybills) elektronisch übermittelt wurden. Ein Blick in die Iata-Statistik zeigt, dass es sogar noch deutlich schlechter aussieht. Von Januar bis November 2013 wurden weltweit 20,6 Millionen Luftfrachtbriefe ausgestellt. Davon stuft die Luftfahrtorganisation 7,6 Millionen als E-freight-fähig ein - also rund 37 Prozent. Die tatsächliche Zahl elektronischer Luftfrachtbriefe (E-AWB) lag bei 204.813. Gemessen an dem gesamten Potenzial sind dies gerade einmal 2,7 Prozent. Kein Wunder, dass die Iata den Anteil deutlich ausbauen will. Noch in diesem Jahr peilt sie 22 Prozent an, für 2015 sind 45 Prozent geplant und für 2016 sogar 80 Prozent. Gesetzliche Grundlagen stehen Es spricht einiges dafür, dass diese Ziele erreichbar sind. Denn die Airlines, Verlader und Spediteure ziehen verstärkt an einem Strang in Sachen E-Freight. Das war nicht immer so. Inzwischen bemüht sich die globale Luftfracht-Advisory-Gruppe (Gacag), in der neben der Iata der Weltspediteursverband Fiata, die International Aircargo Association (Tiaca) und das Global Shippers Forum mitarbeiten, das Thema E-Freight endlich zum Fliegen zu bringen. Die Strategie: den E-AWB als Einstieg in das komplexere Gesamtthema E-Freight ausrollen. Die gesetzlichen Grundlagen sind in vielen Staaten geschaffen. 85 Prozent der weltweiten Luftfracht werden einem Iata-Papier zufolge über Flughäfen in Ländern abgewickelt, in denen die Gesetze elektronische Transportdokumente zulassen. Als ein Hauptproblem galt bisher die zögerliche Haltung der Bric-Staaten in dieser Frage. Inzwischen laufen aber zumindest in Russland und China Projekte, die mit der Zulassung des E-AWB enden könnten. Lufthansa Cargo forciert Umsetzung Auch ein anderes Problem scheint gelöst. Die Iata brachte im vergangenen Jahr eine multilaterale Vereinbarung heraus, die klare Nutzungsstandards vorgibt. Per November 2013 hatten 53 Airlines und 411 Spediteure das Dokument unterzeichnet. Insgesamt decken diese Unternehmen 79 Prozent der Airlines und 41 Prozent der Luftfrachtspediteure ab. Der Effekt der Unterschrift: Jeder Unterzeichner kann mit den anderen Vertragsparteien E-AWB abwickeln, ohne sich bilateral über rechtliche Rahmenbedingungen und technische Standards einigen zu müssen. Lufthansa Cargo hat die Iata-Vereinbarung im Mai 2013 unterzeichnet und stellte damit eine entscheidende Weiche für den elektronischen Luftfrachtbrief von und nach Deutschland. In München startete der Frachtkranich im August 2013 mit der Anlieferung von Sendungen auf Basis des E-AWB. "Ende 2013 wurden schon 44 Prozent der E-AWB-offenen Sendungen papierlos angeliefert", berichtet E-Freight-Projektleiter Thorsten Friedrich. Was in München funktioniert, soll auch in anderen Stationen ausgerollt werden: Mitte des Jahres ist Frankfurt/Main an der Reihe. Um möglichst schnell eine große Durchsetzung zu erreichen, startet Lufthansa Cargo zunächst mit großen Kunden - und solchen Kunden, die dem Thema aufgeschlossen gegenüberstehen. Dabei hat das Unternehmen eine zentrale Forderung der Luftfrachtspediteure erfüllt und einen sogenannten "Single Process" implementiert. "Der Kunde sendet für alle Sendungen einen E-AWB an uns - und wir entscheiden, ob er ausgedruckt werden muss, weil zum Beispiel auf der Destination Ankunftsstation die Voraussetzungen noch nicht vorliegen", beschreibt Friedrich den Ablauf. Nicht möglich ist dagegen die ausschließliche Nutzung eines elektronischen Luftfrachtbriefs, etwa von und nach Festland-China, Brasilien oder in die GUS-Staaten. Internationale Speditionen gehen voran Entscheidender Punkt beim Einstieg in das Thema E-AWB ist die Abstimmung der Prozesse und Schnittstellen zwischen Kunden und Airline. Zwar sind zentrale Punkte in der Iata-Vereinbarung geregelt, aber für einen reibungslosen Start braucht es eine intensive Zusammenarbeit. Lufthansa Cargo bringt in Workshops daher die eigenen Verkäufer und Operationsexperten mit den relevanten Mitarbeitern des jeweiligen Kunden an einen Tisch. "Eine Umstellung kann von wenigen Tagen bis zu einem Jahr dauern - abhängig von der Systemlandschaft und den bisherigen Prozessen." Auch in den internationalen Speditionen arbeitet man an der Umsetzung des Themas. "Mit den meisten ,preferred Carriern' haben wir den E-AWB-Prozess schon implementiert - beginnend aus den entsprechenden Heimatmärkten. Ziel für 2014 ist es, dies entsprechend zu steigern und den E-AWB-Prozess schnell zu einem globalen Standard zu machen", sagt Thomas Mack, weltweiter Luftfrachtchef der Schenker AG. "Unsere Erfahrungen zeigen aber, dass einige Carrier noch nicht E-AWB-fähig sind", schränkt er ein. Skepsis bei etlichen Spediteuren Auch Schenker fordert von den Airlines als Voraussetzung den "Single Process": Mit dem Zeitpunkt der E-AWB-Aktivierung in einer Station mit einem Carrier will die Spedition kein Master Airwaybill (MAWB) in Form eines Papierdokumentes an die Airline mehr übergeben. Für den Fall, dass die Import-Anforderungen den MAWB als Papierdokument verlangen (Warschau-Szenario), erwartet Schenker, dass der Carrier "im Namen des Luftfrachtspediteurs" den MAWB als Papierdokument erstellt und diesen den entsprechenden Stellen vorlegt. Weitere Forderung ist: "DB Schenker wird E-Booking mit dem Carrier sukzessive als Anforderung für einen E-AWB-Start stellen. Dies aber nur unter der Beachtung der entsprechenden Priorisierung, zum Beispiel bei Umbuchungen", so der Luftfracht-Verantwortliche. Allerdings glaubt er, dass eine vollkommene Abschaffung des Master-Airwaybills als papiergestütztes Dokument in dem heutigen Sendungsbearbeitungsprozess nicht zu realisieren sei. Das liege zum einen an gesetzlichen Archivierungsrichtlinien, zum anderen an den vielen unterschiedlichen Funktionen, die der MAWB unter anderem bei der Sicherheitserklärung und Abrechnung erfüllt. Sowohl Mack als auch LH-Cargo-Mann Friedrich betonen die Vorteile von E-Freight und E-AWB. "Je früher wir elektronische Daten in guter Qualität im System haben, desto früher können wir mit unseren Prüfungen anfangen", sagt Friedrich. Zeitund kostenintensive manuelle Erfassungsprozesse entfallen. Und sind Änderungen der Daten durch den Kunden notwendig, kann er diese elektronisch übermitteln, anstatt die Dokumente über einen Kurier erneut physisch zuzustellen. Bei einer hohen Durchsetzung des E-AWB wären bei den Airlines sogar perspektivisch auch spätere Annahmeschlusszeiten denkbar. Für Schenker sind laut Mack "neben der Einsparung von Papier und einer Anpassung an elektronische Cargo-Prozesse insbesondere effiziente Sendungs-Bearbeitungsprozesse das Hauptziel für die Implementierung der E-Freight". Das Unternehmen verspreche sich davon nicht nur mehr Produktivität, sondern auch eine noch höhere Qualität. Laut Iata würde der E-AWB jährlich sogar 7800 Tonnen Papier einsparen. Das entspricht der Ladung von 80 komplett mit Papier gefüllten Boeing-747-Frachtmaschinen. Thorsten Hölser, Geschäftsführer des Speditionsverbandes Hessen/Rheinland-Pfalz, beurteilt das Ganze weniger enthusiastisch (siehe Kasten Seite 23). Er verweist nach wie vor auf ein Missverhältnis zwischen Ertrag und Nutzen für die Spedition. Hölser wörtlich: "Solange Luftfrachtspediteure weiterhin die E-Freight-Daten erfassen und mit einer AWB-Kopie sowie einem dicken Umschlag an Dokumenten die Sendungen bei den Airlines anliefern müssen, wird es keine rasche Durchdringung von E-Freight in der Luftfrachtbranche geben", stellt er klar. Glossar: Was die Begriffe bedeuten E-Freight:Ist der Oberbegriff für eine papierlose Abwicklung der umfangreichen Administrationsvorgänge und Datentäusche in der Luftfracht. Als "Gesamtkunstwerk" ist E-Freight hochkomplex. Das liegt daran, dass die Luftfrachtindustrie aus vielen Teilnehmern besteht: Absender, Empfänger, Spediteur, Airline, Handling Agent, Zoll, Sicherheitsunternehmen, LKW-Unternehmer und so weiter, die alle synchronisiert mit den gleichen elektronischen Informationen arbeiten müssen. Durchschnittlich 30 Dokumente müssen für eine Luftfrachtsendung erstellt und verteilt werden. Da die Branche global aufgestellt ist, müssen zudem unterschiedliche Gesetzgebungen und Abkommen beachtet werden.E-AWB:Der Luftfrachtbrief ist als "Contract of Carriage" ein zentrales Dokument in der Luftfracht und als solches gut als Einstieg in das komplexere Feld der E-Freight geeignet. Unter einem Luftfrachtbrief versteht man eine Urkunde, die zur Bestätigung der Menge, des äußeren Erscheinungsbildes und teilweise des Inhalts der übernommenen Luftfracht dient. Der Luftfrachtbrief dient als Empfangsbestätigung durch die Fluggesellschaft, Warenbegleit- und Sperrpapier.E-Booking:Die elektronische Buchung von Luftfrachttransporten hat schon eine vergleichsweise hohe Durchdringung - bei Lufthansa Cargo werden knapp sechs von zehn Frachtsendungen über elektronische Kanäle gebucht. Neben EDI-Lösungen der Airlines und deren Internetportalen gibt es unabhängige Buchungskanäle wie beispielsweise Traxxon.E-Pouch:Die Dokumententaschen in der Luftfracht enthalten Originaldokumente des Verladers wie etwa Rechnungen und Packlisten. Diese werden den Sendungen als Papiere beigelegt und sollen von den Airlines nicht geöffnet werden. Grund: Die Speditionen wollen ihren Carriern aus Wettbewerbsgründen Quellen und Ziele ihrer Sendungen nicht mitteilen. Die Airlines erbringen lediglich eine Art Post-Beistellservice. Für die Speditionen ist E-Pouch hingegen ein wichtiges Element von E-Freight. Um die E-Pouch auf globaler Ebene zu pushen, ist ein globales Dokumenten-Management-System eine Grundvoraussetzung. Ein solches Tool, welches Sendungsdokumente für alle transportbeteiligten Parteien verfügbar macht, rollt beispielsweise Schenker derzeit aus.E-CSD:Steht für "electronic Consignment Security Declaration" und umfasst sendungsspezifische Sicherheitsinformationen, die der Kunde den Airlines übermittelt. Beispielsweise umfasst das Dokument, wie, wann und von wem eine Sendung für den Transport sicher gemacht wurde. In Deutschland hat das Luftfahrtbundesamt E-CSD für Transporte aus Deutschland offiziell anerkannt. Lufthansa Cargo sowie Kühne + Nagel haben E-CSD in Deutschland erfolgreich getestet und eingeführt. hel

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