Düsseldorf. Mehr als zehn Jahre galt für Kunden des größten deutschen Online-Händlers Amazon ein eisernes Gesetz: Bestellungen über 20 Euro sind versandkostenfrei. Doch in dieser Woche hat der Internetriese ohne große Vorankündigung die Schwelle erhöht. Erst ab 29 Euro gibt es künftig die Lieferung gratis. Nur bei Büchersendungen ist die Zustellung auch weiterhin generell kostenlos.
Amazon ist Taktgeber
Der Schritt könnte Auswirkungen über Amazon hinaus haben, glaubt Kai Hudetz, der Geschäftsführer des auf den Online-Handel spezialisierten Kölner Forschungsinstituts ECC (E-Commerce-Center). „Alle, die im Online-Handel tätig sind, schauen auf Amazon wie das Kaninchen auf die Schlange. Amazon ist der Taktgeber“, meint er. Auch andere Internethändler könnten also bald ihre Reglungen anpassen.
Für nicht wenige Amazon-Kunden dürfte die Neuregelung lästig sein. „Viele von ihnen haben früher versucht, mit ihren Bestellungen über die 20-Euro-Schwelle zu kommen, um die Versandkosten zu sparen. Die Anhebung macht das schwieriger“, meinte Georg Tryba von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen.
Amazon selbst gab sich am Mittwoch wortkarg, was die Hintergründe der Entscheidung angeht. „Dies ist die erste Änderung unserer Versandkostenschwelle seit über zwölf Jahren“, betonte der Konzern lediglich. Während dieser Zeit habe das Unternehmen sein Angebot an Produkten, die kostenfrei versendet werden, um Millionen Artikel gesteigert.
Der Handelsexperte Hudetz hält die Entscheidung aber für strategisch nachvollziehbar. „Der niedrige Mindestbestellwert war für Amazon eine große Hilfe bei der Neukundengewinnung. Aber inzwischen gibt es nicht mehr viele Konsumenten, die noch nie bei Amazon gekauft haben“, meint er. Kritisch sei für den Online-Riesen vor allem die erste Zeit nach der Umstellung der Versandkostenbedingungen. „Die Frage ist, ob sich eine nennenswerte Kundenzahl so darüber ärgert, dass sie auch woanders kauft.“ Doch daran glaubt der Experte nicht.
Ganz ähnlich sieht das Gerrit Heinemann, der Leiter des eWeb Research Centers der Hochschule Niederrhein. „Das wird funktioniere“», sagt er. „Die Kunden werden sich nicht umorientieren. Sie haben nun nur einen Anreiz mehr, Prime-Kunde zu werden und dann hat Amazon sie im Sack.“
Das Stichwort Prime fällt oft, wenn man in diesen Tagen mit Handelsexperten über Amazon redet. Es ist eine Art Flatrate: Für 49 Euro im Jahr bekommen die Amazon-Kunden all ihre Bestellungen kostenlos zugesandt. Außerdem haben Prime-Mitglieder Zugang zu Amazons Video-on-Demand-Dienst und zu einer Art Online-Bibliothek für Amazons E-Reader Kindle. „Prime ist ein spannendes Geschäftsmodell für Amazon. Denn es stärkt die Kundenbindung deutlich“, betont Handelsexperte Hudetz.
Prime-Kunden brächten im Vergleich zu normalen Amazon-Kunden ein Vielfaches an Umsatz. Aber viele Verbraucher seinen bislang nicht bereit, 49 Euro im Jahr für den Service zu bezahlen. „Darum ist alles, was den Lieferdienst interessanter macht, für Amazon eine gute Sache“, meint Hudetz.
Chance für Wettbewerber
Natürlich könnten andere Online-Händler die Chance nutzen, sich auf Kosten des Marktführers zu profilieren - etwa durch den Verzicht auf Versandkosten. Doch glaubt Hudetz nicht daran, dass dies in großem Umfang geschieht. „Gerade Kleinbestellungen haben einen hohen logistischen Aufwand und können nicht wirklich rentabel bearbeitet werden“, meint er. Ein Stück weit sei der Schritt von Amazon aber eine Chance für den stationären Handel. Denn dadurch erhöhe sich dessen Wettbewerbsfähigkeit bei preisgünstigen Produkten. (dpa)