Digitalisierung steht im Mittelpunkt der Arbeit

Als ehemaliger Ford-Chef war der Transit das größte Nutzfahrzeug für Sie. Entdeckt man als VDA-Präsident jetzt seine Liebe zum schweren Lkw? Ich hatte über den Transit - das meistverkaufte Nutzfahrzeug in Europa - einen guten Einblick in den Markt und die Kundenerwartungen. Die Nutzfahrzeug-IAA kenne ich natürlich seit vielen Jahren, weil Ford Aussteller war. Auch zum schweren Lkw hatte ich schon sehr früh eine Beziehung. Ich habe bei der Bundeswehr meinen Lkw-Führerschein gemacht und weiß auch, wie es hinter dem Steuer aussieht. Die volkswirtschaftliche Bedeutung von Nutzfahrzeugen ist enorm und wächst weiter. Auch die Technik, die in Nutzfahrzeugen drin steckt, ist faszinierend. Es gibt heute Trailer, die eine zusätzliche elektrische Achse bekommen, um noch effizienter zu werden. So etwas begeistert mich. Die Achse, die Sie ansprechen, muss mit dem Zugfahrzeug harmonieren. Sprechen Zugfahrzeug- und Trailerhersteller genug miteinander? Ja! Die Truck- und Trailerhersteller haben schon mehrfach auf der IAA Konzeptfahrzeuge gezeigt, die gemeinsam entwickelt wurden. Man redet also nicht nur miteinander, sondern es gibt echte Fortschritte bei der Aerodynamik - nicht nur beim Fahrerhaus, sondern auch beim Trailer. Auch der Austausch im VDA funktioniert. Das ist das Besondere am VDA: Wir sind nicht nur ein Verband der Pkw- und Truck-Hersteller. Auch die Hersteller der Aufbauten, Anhänger und die vielen Zulieferer sind dabei. Wir arbeiten jetzt gemeinsam an der Standardisierung einer Telematikschnittstelle zwischen Truck und Trailer. Zur IAA Nutzfahrzeuge in Hannover gehen zahlreiche elektrisch angetriebene Transporter an den Start. Sind Sie stolz darauf, dass es sich dabei auch um deutsche Produkte handelt und nicht nur um Fahrzeuge aus China? Vor zwei Jahren hatten wir noch viele Konzeptfahrzeuge. Jetzt präsentieren die Hersteller in allen Gewichtsklassen serienreife Fahrzeuge mit alternativen Antrieben. Es gibt außerdem viele Möglichkeiten zu Probefahrten - je zur Hälfte klassische Antriebe sowie E-Mobilität. Es freut uns sehr, dass die Unternehmen all das auf der IAA zeigen und damit eine enorme Vielfalt schaffen. Wie stehen Sie persönlich zur E-Mobilität? Ganz wichtig ist, dass der Strom aus regenerativen Quellen kommt. Nur dann hat man etwas für die Umwelt getan - und dann befürworte ich das auch. Gerade im urbanen Umfeld ist E-Mobilität die entscheidende Technologie, um Emissionen zu reduzieren. Was sieht der VDA beim Schwerverkehr als denkbare Alternative - sind Sie am Ende Fan des Oberleitungs-Lkw? Beim mittleren Verteiler-Lkw bis 26 Tonnen ist die Elektrifizierung möglich und auch sinnvoll. Beim Schwerverkehr auf der Strecke wird der Diesel auf absehbare Zeit die Hauptantriebsart sein. Es ist gut, dass die Hersteller auch hier Alternativen entwickeln. Aber es wird noch eine Zeit brauchen, bis der Durchbruch kommt. Ich sehe zunächst Chancen für den Gasantrieb, also LNG oder CNG. Langfristig sind die Brennstoffzelle oder auch Biofuels im Fernverkehr denkbar. Zum Thema Oberleitung: Es ist gut, dass getestet wird, um Erfahrungen zu sammeln. Es stellt sich allerdings die Frage, ob die EU-Staaten wirklich eine flächendeckende Infrastruktur aufbauen können. Nur wenn Oberleitungen europaweit an Fernstraßen vorhanden sind, ergibt das Sinn. Das wäre eine sehr große und kostspielige Aufgabe. Die EU-Klimaziele halten Sie für zu ehrgeizig. Der VDA schlägt -7 und -12 Prozent für 2025/2030 vor, statt wie von der EU gefordert, -15 und -30 Prozent. Die entgegnet, dass die Ziele lange genug bekannt waren. Im Nutzfahrzeugsektor gab es bisher, anders als bei den Pkw, keine CO2-Regulierung. Die EU-Kommission muss wissen: Nutzfahrzeuge sind anders als Pkw. Beim Lkw haben Wirtschaftlichkeit und Effizienz aus Kundensicht immer höchste Priorität. Daran haben die Hersteller stets gearbeitet und in den vergangenen Jahren rund ein bis zwei Prozent Effizienzsteigerung pro Jahr erreicht. Nicht durch Business as usual, sondern durch enorme Anstrengungen beim Antrieb, bei der Aerodynamik und beim Gewicht. Aber die Minderungsziele der EU sind äußerst ambitioniert. Hinzu kommt, dass wir die "Absprungbasis" noch gar nicht kennen. Erst 2020 wird bekannt sein, von welchem Niveau aus wir die Minderung erreichen müssen. 15 Prozent CO2-Reduzierung von 2020 bis 2025 - das ist in dieser kurzen Zeit nicht zu schaffen. Ich halte die Ziele für unrealistisch - und sage das auch. Aber den Weg dorthin, Stichwort "Vecto", halten Sie für den richtigen? Zwei Dinge sind ganz wichtig: Erstens, dass wir wirklich eine gemeinsame, transparente Basis haben. Das ist Vecto (siehe dazu Bericht auf Seite 101, Anm. d. Red.) - und dieses Tool ist prima. Es kann die verschiedensten Varianten abbilden. Und zweitens sollten Politik und Industrie transparent miteinander umgehen und die Emissionsziele gemeinsam vereinbaren. Wir müssen diskutieren, was erreichbar ist und welcher Weg am besten dorthin führt. Und was letztlich auch vom Kunden akzeptiert wird. Denn vieles ist möglich, aber nicht alles trägt der Kunde mit. Kommt aus diesen Überlegungen auch die Ablehnung des VDA gegenüber Fahrverboten und blauer Plakette? Es doch geht um die Verbesserung der Luftqualität in Städten. Sehen wir uns zunächst einmal die Fakten an. Seit 1990 sind die Stickoxid- Emissionen des Straßenverkehrs um 70 Prozent gesunken. Wir hatten vor Kurzem noch 90 Städte, in denen die Stickoxid-Grenzwerte überschritten wurden. Aktuell sind es 65 und nur wenige sind wirklich kritisch. Die Maßnahmen, die wir eingeleitet haben, wirken. In wenigen Jahren werden noch fünf bis sechs Städte mit Grenzwertüberschreitungen übrig bleiben. Deswegen ein flächendeckendes Fahrverbot mit blauer Plakette einzuführen, halte ich für absolut nicht angemessen. Wir müssen uns auf diese Städte konzentrieren: Verflüssigung des Verkehrs, saubere Busse und Taxis, mehr Elektromobilität - das sind Maßnahmen, die dafür sorgen, dass die Grenzwerte eingehalten werden. Sie sind sich also nach wie vor sicher, dass - trotz einiger anders lautender Gerichtsurteile - auch künftig Fahrverbote vermieden werden können? Es gibt bessere Instrumente, um die Vorgaben zu erreichen. Das sieht auch die Bundesregierung so. Deshalb arbeiten wir in Fragen der Mobilität eng mit den Städten zusammen und bieten unsere Hilfe an, Lösungen zu finden, die dazu führen, dass Fahrverbote nicht kommen müssen. Zurück zum Lkw. Welche Potenziale zur Schadstoffreduzierung haben Themen wie Lang-Lkw oder Aerodynamik? Beide Konzepte haben viel Potenzial, um Emissionen zu reduzieren. Es hakt aber jeweils an den politischen Rahmenbedingungen. Für Lang-Lkw gibt es in Deutschland ein begrenztes Straßennetz. Jede neue Route für Lang-Lkw muss genehmigt werden. Das ist viel Aufwand. Auch der grenzüberschreitende Einsatz in Europa ist nicht reibungslos möglich. Ähnliches gilt für Aerodynamik. Hier könnten Heckflossen am Trailer den Luftwiderstand und damit CO2 reduzieren. Aber solche Komponenten sind bis heute nicht genehmigungsfähig, weil Rechtsvorschriften noch nicht angepasst wurden. Sie sehen also: Auch die Politik muss noch mehr tun. Muss nicht vielleicht auch der VDA im Bereich Kommunikation Nutzfahrzeuge künftig mehr tun? Jede Kommunikation kann besser werden, da darf man sich nie zurücklehnen. Gerade bei Nutzfahrzeugen geht es darum, aufzuklären. Alle reden über Pkw, bei Fragen zum Lkw muss man meistens mehr erklären. Das tun wir, sei es beim Lang-Lkw, bei Abbiegeassistenten, beim Platooning oder bei der CO2-Regulierung für schwere Nutzfahrzeuge. Zu all diesen Themen erhebt der VDA seine Stimme für die Nutzfahrzeugindustrie. Inzwischen sind viele Fahrerassistenzsysteme bestellbar. Geht der Verbraucher die Entwicklung mit und kauft? Wir sehen, dass die Ausstattung - bei Pkw und Nutzfahrzeug - immer hochwertiger wird. Damit werden auch immer mehr Assistenzsysteme gekauft. Die Kunden sind sehr daran interessiert. Insbesondere wenn sie so ein modernes Fahrzeug einmal gefahren und die Assistenzsysteme ausprobiert haben. Und darüber kann man die Leute ans Thema autonomes Fahren heranführen? Die Entwicklung verläuft ja nicht so rasant, dass man schon morgen auf der Rücksitzbank sitzen und Zeitung lesen wird. Die Systeme kommen schrittweise in den Markt. Fahrzeuge werden immer mehr untereinander und mit der Infrastruktur kommunizieren. Das schafft mehr Sicherheit, macht den Verkehr flüssiger und spart CO2. Manch einer sieht diesen generellen Sicherheitsgewinn noch nicht. Deswegen werden wir nicht müde, die Chancen solcher Technologien aufzuzeigen. Wie sehr muss sich der VDA mit dem Thema Digitalisierung auseinandersetzen? Digitalisierung steht im Mittelpunkt unserer Arbeit, denn sie ist ein Megatrend, der weltweit und marktgetrieben wirkt. Das Thema wird in dreierlei Richtung eine riesige Rolle spielen: Innerhalb des Verbandes - das geht beim Papier los und hört bei der Kommunikation nicht auf. Dann geht es um die Vernetzung mit unseren Mitgliedern über die Digitalisierung und drittens natürlich die Digitalisierung, wenn es um Verkehrskonzepte geht - und darum, das mit den verschiedenen Stakeholdern, seien es Politik oder Verbände, in Einklang zu bringen. Gibt es konkrete Beispiele? Platooning ist ein wichtiges Beispiel dafür, dass wir bei der Digitalisierung mit vielen Partnern zusammenwirken. Die Hersteller und Zulieferer arbeiten an der Technologie, die Nutzungskonzepte entwickeln sie gemeinsam mit den Spediteuren. Die Politik wird ebenfalls gebraucht, damit auch die rechtlichen Grundlagen für Platooning passen. Weitere Beispiele sind Trailertelematik, Standards für digitale Produktionslogistik oder das Datenkonzept Nevada, das die Verwendung von Daten aus dem Fahrzeug regeln soll. Wir arbeiten intensiv an der Digitalisierung der Industrie mit. Nehmen wir an, das autonom fahrende Fahrzeug kommt bald. Was passiert dann mit den konventionellen Fahrzeugen? Wir werden auch 2025, 2030 immer noch viele Fahrzeuge haben, die nicht automatisiert fahren. Dazu gehören natürlich auch die Oldtimer. Und genau darin liegt eine Herausforderung für die neue Technologie. Autonome Fahrzeuge müssen auch Verkehrsteilnehmer, die nicht autonom unterwegs sind, erkennen und mit ihnen interagieren. Das sind nicht nur der ältere Pkw oder Lkw, sondern auch Fahrradfahrer oder Fußgänger. Dazu wird gerade das Regelwerk für autonomes Fahren der Zukunft erarbeitet. Entscheidend ist, dass sich dieses neue Verkehrssystem Schritt für Schritt entwickeln kann. Noch ein Wort zur IAA. Sie sagen, dass bei den Testfahrten der Anteil alternativer Antriebe bei 50 Prozent liegt. Ist das auf den Messeständen so? Wir haben aktuell über 2100 Aussteller, also mehr als vor zwei Jahren. Die IAA-Ausstellungsfläche ist mit gut 280.000 Quadratmeter sehr gut gebucht. Wir gehen mit großer Zuversicht nach Hannover. Natürlich werden auf den Ständen auch neue Fahrzeuge mit modernen Dieselmotoren gezeigt. Das interessiert die Kunden nach wie vor. Aber die klare Botschaft ist, dass alternative Antriebe jetzt alltagstauglich werden. Das werden die Aussteller zeigen und die Besucher können diese Fahrzeuge auch selbst erleben. Was können denn die Besucher der IAA Nutzfahrzeuge 2018 an Neuem in Hannover erwarten? Wir stellen die New Mobility World diesmal noch stärker in den Vordergrund. Es wird erstmals in Hannover einen eigenen NMW-Ausstellungsbereich geben, die Expo. Dort präsentieren sich verschiedenste Unternehmen und Branchen, von Start-ups bis Telekommunikation. In der NMW Live können die Besucher neue Technologien und Fahrzeuge hautnah erleben. Und im Forum finden zahlreiche Panel-Diskussionen mit über 100 Rednern statt. In der NMW werden die Ideen für Transport und Mobilität der Zukunft gezeigt, diskutiert und erlebt. Das ist ein einmaliges Konzept. Was die Konjunktur betrifft, sehen Sie positive Vorzeichen? In der Tat! Der Nutzfahrzeug-Markt wächst weltweit. China hat in den ersten Monaten um acht Prozent bei den schweren Nutzfahrzeugen zugelegt. In den USA stehen plus 18 Prozent zu Buche, auch in Europa läuft das Nutzfahrzeuggeschäft gut. Brasilien und Indien sind wieder da - die Nachfrage wächst dort zweistellig. Das gibt Rückenwind für die IAA. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier "IAA" www.verkehrsrundschau.de/dossiers Vita Bernhard Mattes1956 in Wolfsburg geboren, studierte Wirtschaftswissenschaften an der Universität Hohenheim. Von 1982 bis 1999 hatte er verschiedene Funktionen im Vertrieb der BMW AG inne. Danach wechselte Mattes in den Vorstand der Ford-Werke AG. Von 2002 bis 2016 war er Vorsitzender der Geschäftsführung der Ford-Werke GmbH und zudem seit 2006 Vice President der europäischen Ford Customer Service Division. Ab 1. Januar 2017 ist er Mitglied des Aufsichtsrats der Ford-Werke GmbH.Seit dem 1. März 2018 ist Mattes nach einstimmiger Wahl Präsident des Verbands der Automobilindustrie (VDA) und folgte damit Matthias Wissmann, der sein Amt nach elf Jahren nach Beendigung seines Vertrages niederlegte. gg