Die Schraube nicht überdrehen

In unserem Gespräch vor zwei Jahren erwarteten Sie eine Mautklasse für Euro 6 bis Herbst 2013. Bundesverkehrsminister Ramsauer ließ bei der Eröffnung der IAA Nutzfahrzeuge auch darauf hoffen. Jetzt steht der Januar 2015 als Einführungstermin fest. Wir hatten tatsächlich eine klare Zusage, deutlich früher über die LKW-Maut zu entscheiden. Die verzögerte Entscheidung hat die Branche enttäuscht. Die Folge war unter anderem ein enormer Vorzieheffekt in den letzten Monaten 2013, in denen massiv Euro 5 gekauft wurde. Das wäre vermeidbar gewesen, hätte man früher einen klaren Impuls für Euro 6 gegeben. Alle haben sich mehr Klarheit von der Politik gewünscht. Immerhin hat die Nutzfahrzeugindustrie Milliarden in Euro 6 investiert. Wie beurteilen Sie das erzielte Ergebnis? Die Politik war wohl selbst über das Wegekostengutachten überrascht: Im Ergebnis müssen nun die Mautsätze gesenkt werden. Daran führt rechtlich und politisch kein Weg vorbei. Wir beobachten aber mit Sorge den Versuch, die geringeren Einnahmen künftig durch die Anlastung externer Kosten und die Ausweitung auf die Bundesstraßen zu kompensieren. Und durch die Ausweitung auf leichtere Fahrzeuge. Hiergegen haben Sie sich stets ausgesprochen. Wir haben immer darauf hingewiesen, dass der regionale Güterverkehr und damit das deutsche mittelständische Transportgewerbe nicht zu stark belastet werden darf. Das gilt auch für die Ausweitung auf Bundesstraßen. Zusätzliche Belastungen muss das Gewerbe an den Kunden weitergeben, da die geringen Margen oft nichts anderes erlauben. Die Politik muss aufpassen, dass sie die Schraube nicht überdreht. Wenn ich vor allem von der Opposition Forderungen nach weiteren Abgaben höre, vermisse ich das wirtschaftspolitische Augenmaß. Gerade in ländlichen Regionen sind die kleinen und mittleren Unternehmen besonders auf den LKW angewiesen. Die Bundesstraßen-Maut trifft sie hart. Bei Konflikten wie diesen stehen alle mittelstandspolitischen Hymnen der Parteien im umgekehrt proportionalen Verhältnis zu den konkreten Verhaltensweisen. Falls es zur PKW-Maut kommt, tut sich eine Mautlücke von 3,5 bis 7,5 zGG auf. Sollte diese schnellstmöglich geschlossen werden? Von mir werden Sie keine Vorschläge hören, eine solche Lücke zu schließen. Aber es zeigt sich, dass hier ein Weg beschritten wird, der nicht vollständig zu Ende gedacht ist. Haben Sie als Bundesverkehrsminister damals auch mit einer PKW-Maut geliebäugelt? Ich habe mich damals bewusst gegen eine PKW-Maut entschieden. Jede Lösung, die nur ausländische Verkehrsteilnehmer belastet, hängt an engen europarechtlichen Restriktionen. Deswegen bin ich außerordentlich gespannt, wie dieser immanente Konflikt - auf der einen Seite deutsche Autofahrer nicht zu belasten, auf der anderen Seite größere Einnahmen zu erzielen und dann noch europarechtlich konform zu handeln - gelöst werden soll. Hier bewegt man sich auf sehr dünnem Eis. Gleichzeitig gelten Sie als Vater der LKW-Maut Ich habe mich als Minister 1993 sehr dafür eingesetzt, dass das Konzept der Eurovignette und der gleichzeitigen Absenkung der KFZ-Steuer für LKW als gemeinsames europäisches Konzept Konsens werden konnte. Einer der Beweggründe war, dass wir damals auf Autobahnen bereits einen Anteil ausländischer LKW von 40 Prozent hatten. Wenn man zu einer gerechten Anlastung der Wegekosten kommen möchte, ist das Grundprinzip der LKW-Maut richtig. Allerdings sind die Einnahmen aus der LKW-Maut genutzt worden, um Steuermittel aus dem Verkehrshaushalt abzuziehen. Das Investitionsniveau ist über die Jahre sogar abgesunken. Das war nicht Sinn der Sache. Wie lautet Ihre Bilanz über Ihren aktuellen Nachfolger nach knapp einem Jahr Amtszeit? Alexander Dobrindt hat einige dicke Bretter zu bohren. Er verantwortet ein sehr anspruchsvolles Ressort und ein großes Haus. Das ist umso schwieriger, wenn man ein vergleichsweise niedriges Investitionsniveau übernommen hat. Heute stehen dem Ministerium real etwa 30 Prozent weniger Mittel zur Verfügung als noch in den Neunziger-Jahren. Diese Lücke zu schließen, die in mehr als zehn Jahren entstanden ist, wird ein enormer Kraftakt. Wir unterstützen dieses politische Projekt nach Kräften. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt wird die IAA Nutzfahrzeuge eröffnen. Erwarten Sie sich konkrete Aussagen? Die IAA Nutzfahrzeuge ist die weltweite Leitmesse für Transport, Mobilität und Logistik. Nutzfahrzeuge leisten 70 Prozent des Straßengüterverkehrs. Ich gehe davon aus, dass Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt diese Bedeutung des LKW würdigt. Er wird sicher auch das große Zukunftsthema der Vernetzung ansprechen, das auf dieser IAA eine herausragende Rolle spielt. Im Vorfeld der IAA haben einige Unternehmen autonom fahrende Systeme vorgestellt. Bei der IAA PKW 2013 war Connected Car eines der Topthemen. Welche Rolle werden diese Themen in Hannover spielen? Das ist ein phantasieerregendes und hoch spannendes Thema - beim LKW wie beim PKW. Es wird noch einige Zeit dauern, bis wir vollautonome Fahrzeuge im Verkehr haben. Viele Elemente des teilautomatischen Fahrens gibt es bereits heute, etwa Spurhalteoder Bremsassistenten. Wir erleben eine unglaublich dynamische Entwicklung, auf die unsere Hersteller und Zulieferer erhebliche Investitionen konzentrieren. Nehmen Sie beispielsweise den Tagebau: Hier könnte man in Zukunft den Transport weitgehend fahrerlos organisieren. Auf der Autobahn werden sich LKW in der Zukunft auf der rechten Spur einordnen und dann über eine längere Strecke selbstständig fahren können. Der Fahrer muss zwar präsent sein, kann aber andere Aufgaben erledigen. Nach einer bestimmten Strecke übernimmt er wieder die Kontrolle, um etwa von der Autobahn abzufahren. Das ist für den LKW und den PKW noch ein visionäres Szenario - aber durchaus eine konkrete Utopie. Daimler hat sein System des autonom fahrenden Trucks mit der Jahreszahl 2025 überschrieben. Realistisch? Das ist eine realistische Perspektive. Unsere Hersteller machen enorme Fortschritte. Wir haben bereits vor einem Jahr bei der IAA gesehen, wie eine Oberklasselimousine eines unserer Hersteller über 100 Kilometer vollständig autonom unterwegs war. Bis zum Durchbruch eines solchen Systems sind aber noch Hürden zu nehmen. Welche Voraussetzungen braucht es hierfür? Wir müssen technisch und digital noch weitere Entwicklungsstufen erreichen, um Fehler zu vermeiden und Risiken zu minimieren. Zudem müssen europäische und nationale Normen angepasst werden, damit ein Fahrzeug, das zeitweise nicht vom Fahrer gesteuert wird, in die Rechtsordnung passt. Ebenso sind Haftungsfragen zu klären. In England werden bereits autonom fahrende PKW zugelassen, in den USA fahren ganze Flotten dieser Fahrzeuge. Wir stecken noch in kritischen Grundsatzdiskussionen, ob man so etwas überhaupt möchte. Wird Deutschland von der Entwicklung abgehängt? Nein. Da mache ich mir keine Sorgen. Unsere Unternehmen sind innovativ und führend bei diesen Technologien. Alle großen Hersteller und Zulieferer sind an der Entwicklung dran. Auch die Politik hat das automatisierte Fahren auf der Agenda. Der angelsächsische Teil der Welt und der europäische, speziell wir Deutschen, haben hier unterschiedliche Herangehensweisen. Die Amerikaner sehen fast ausschließlich die Chancen und vernachlässigen manchmal Risiken. Wir diskutieren zuerst die Bedenken und dann die Chancen. Jeder motiviert sich auf eine andere Weise. Aber auch so schaffen wir regelmäßig Höchstleistungen. Auch im Transportgewerbe gibt es große Bedenken gegen den selbstfahrenden LKW. Dafür gibt es keinen Grund. Im Gegenteil: Der Beruf des Kraftfahrers wird attraktiver. Er kann weitere Aufgaben übernehmen und den gesamten Ablauf der Logistikkette besser managen. Ich bin mir sicher: Die neuen Möglichkeiten dieser Technologie werden auch die Skeptiker am Ende überzeugen. Ein anderes - ebenfalls heftig diskutiertes - System in der Erprobung ist der Lang-LKW. Der Feldversuch hat Halbzeit. Alles, was wir aus dem Feldversuch wissen, spricht für den Lang-LKW. Es bedarf weiterhin einer näheren Beschäftigung damit. Wir hoffen, dass die Debatte mit weniger Vorurteilen und dafür konstruktiver geführt wird. Dies ist möglich, wie sich bei unserem Nutzfahrzeug-Symposium in Frankfurt gezeigt hat. Dort hat der grüne Politiker und Vorsitzende der Heinrich-Böll-Stiftung, Ralf Fücks, seiner Partei empfohlen, den Lang-LKW neu zu beurteilen. Das Potenzial, Kraftstoff einzusparen und die Verkehrsbelastung zu verringern, ist schließlich unbestreitbar. Es ist deshalb unverständlich, warum eine Reihe von Bundesländern immer noch an der Ablehnung des Lang-LKW hängt. Es ist an der Zeit, dass Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg sich dem Lang-LKW öffnen und Autobahnstrecken freigeben. Es gibt auch aus der SPD Signale, dass sich die Partei neu mit der Frage beschäftigt, wenn die Ergebnisse des Feldversuchs positiv ausfallen. Wenn der SPD-Vorsitzende sagt, Betriebsrat der Nation zu sein, genüge nicht, dann ist das ein Grund für die SPD, sich solchen Themen aufgeschlossener zu öffnen. Beim Thema Längen gab es Hoffnungen auf mehr Flexibilität durch neue Vorgaben der EU. Ganz so ist es ja nicht gekommen. Grundsätzlich geht das, was Rat und Parlament beschlossen haben, in die richtige Richtung. Anhänger können verlängert, Fahrerhäuser dynamischer konstruiert werden. Allerdings hätten wir uns einen noch größeren Schritt gewünscht - vor allem beim grenzüberschreitenden Verkehr mit Lang-LKW. Jetzt kommt es entscheidend darauf an, dass Brüssel die Neuerungen in den Typprüfungsvorschriften entsprechend ausgestaltet. Bei den CO2-Vorgaben scheinen die starren Grenzwerte vom Tisch zu sein? In Brüssel hat man jetzt verstanden, dass es bei Nutzfahrzeugen keine starren Grenzwerte geben kann. Dazu sind die Fahrzeuge zu unterschiedlich. Mehr, als starre Grenzwerte das könnten, sorgt der Markt bei Nutzfahrzeugen für ständig sinkenden Kraftstoffverbrauch. Ich bin gespannt, wie die neue Kommission an das Thema herangeht. Politiker werben gerne mit pauschalen Überschriften für sich. Insofern besteht immer noch die Gefahr, dass der eine oder andere Kommissar trotzdem noch versuchen möchte, analog zur PKW-Regulierung vorzugehen. Wie zufrieden sind Sie mit dem Buchungsstand der IAA Nutzfahrzeuge? Wir sind sehr zufrieden. Die Zahl der Aussteller liegt mit 2064 um acht Prozent über dem Stand von 2012. Wir stellen eine noch größere Internationalisierung fest, beispielhaft zu sehen an Dongfeng aus China und Hyundai aus Südkorea. Beide sind erstmals in Hannover mit eigenen Ständen präsent. Also ein starkes Wachstum aus Asien, vor allem aus China? Genau. Ich gehe davon aus, dass sich das Interesse asiatischer Unternehmen an der IAA in den kommenden Jahren weiter verstärken wird. Für die chinesischen Hersteller und Zulieferer ist es allerdings eine Herausforderung, die hohen Qualitätsanforderungen des europäischen Marktes zu erfüllen. Aber es wagen sich immer mehr von ihnen auf den europäischen Markt. Ich bin überzeugt, dass wir in zehn Jahren eine Reihe chinesischer Unternehmen auf der IAA Nutzfahrzeuge in Deutschland sehen werden. Der Wettbewerb wird schärfer, aber die deutschen Nutzfahrzeugunternehmen haben beste Chancen, ihren Vorsprung im Heimatmarkt zu halten oder auszubauen. Die europäischen Hersteller dominieren noch den Weltmarkt. Wie wird sich das Marktgefüge in den nächsten Jahren ändern? Ihre Wettbewerbsposition ist stark. Aber mit Blick auf die nächsten zehn Jahre müssen wir uns im Klaren sein, dass die Zahl der Wettbewerber zunehmen wird. In den großen Schwellenländern entstehen neue Wachstumspotenziale, vor allem für preisgünstige Fahrzeuge. Dann wird man sehen, ob die Kooperationen der europäischen Hersteller mit Unternehmen aus den Schwellenländern diesen Bedarf erfüllen können. Die technologisch anspruchsvollen Nutzfahrzeuge für den westeuropäischen Markt werden nur als abgespeckte Version eine Chance haben, in bestimmten Schwellenländern verkauft zu werden. Der europäische Nutzfahrzeugmarkt bleibt damit technologisch das Maß der Dinge. Eines der potenziellen Wachstumsländer ist gerade im Zentrum einer großen Krise. Welche Auswirkungen hat das Russland-Thema auf die Geschäfte Ihrer Mitglieder? Die Dynamik in den BRIC-Staaten hat insgesamt deutlich nachgelassen. Derzeit bleibt nur das "C", also China, auf Wachstumskurs. Die Krise in der Ukraine und die Sanktionen machen uns natürlich Sorgen. Wobei Russland schon vor dem Ausbruch der politischen Krise von einer konjunkturellen Schwäche erfasst wurde. Das hat sich sowohl auf den LKW- als auch auf den PKW-Markt ausgewirkt. Die Trailerhersteller sind dabei am stärksten betroffen, weil Russland hier teilweise bis zu zehn Prozent des Gesamtabsatzes ausmacht. Haben russische Aussteller oder Besuchergruppen abgesagt? Nein, das ist nicht der Fall. Wir haben ja kein sanktionsbewehrtes Geschäft. Aber die Abwertung des Rubels, die Abschwächung der russischen Wirtschaft und die zunehmende Tendenz, protektionistisch zu intervenieren, machen die Situation auch für russische Unternehmen nicht leicht. Verschiedene Ihrer Mitglieder haben große Sparprogramme aufgelegt. Das trifft den Einkauf, dadurch auch die Logistikdienstleister. Die sollen andererseits die produzierten Nutzfahrzeuge kaufen. Wie stellt sich beim VDA dieser Spannungsbogen dar? Es betrifft ja auch die Zulieferer und deren Dienstleister. Die klügste Entscheidung unserer Mitglieder war es, in der Wirtschaftskrise antizyklisch zu handeln. In den Jahren 2008 und 2009 wurden die Stammbelegschaften an Bord gehalten, Forschungs- und Entwicklungsausgaben nicht gekürzt. Das war eine mutige und nachhaltig gute Entscheidung. Momentan steht die Automobilindustrie gut da. Gerade dann muss man auf seine Kosten achten. Wer seine Kosten nicht im Griff hat, kommt in schlechten Zeiten in eine miserable Lage. Das gilt für Hersteller, Zulieferer und Logistikdienstleister gleichermaßen. Nur wer immer wieder Effizienzpotenziale sucht und ausschöpft, bleibt wettbewerbsfähig. Auch die Transportunternehmen arbeiten ständig daran, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Als Kunden der Nutzfahrzeughersteller fordern sie daher immer effizientere Fahrzeuge - die sie auch bekommen. Vita Matthias Wissmann Am 15. April dieses Jahres feierte der Präsident des Verbands der Automobilindustrie (VDA), Matthias Wissmann, seinen 65. Geburtstag. Der gebürtige Schwabe wurde in Ludwigsburg geboren, studierte Rechtswissenschaften, Politologie und Volkswirtschaft in Tübingen, war Bundesvorsitzender der Jungen Union, CDU-Bundesvorstand und Präsident der Union Junger Christlicher Demokraten. Von 1976 bis 2007 saß er im Bundestag, war 1983 bis 1993 wirtschaftspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und 1991 bis 2007 stellvertretender Landesvorsitzender der CDU Baden-Württemberg. 1993 übte er fünf Monate lang das Amt des Bundesforschungsministers aus, bevor er von 1993 bis 1998 Bundesverkehrsminister wurde. Dem folgten weitere politische Ämter. Seit 1. Juni 2007 ist er Präsident des VDA. Der Verband veranstaltet die IAA PKW und IAA Nutzfahrzeuge. bb

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