Die Schlagloch-Ignorierer

Der Atron ist der Brasilien-LKW schlechthin: Die Mercedes-Benz-Hauber prägen seit Jahrzehnten das Straßenbild. Und stehen weiter ihren Mann: 2012 zogen Euro-5-Motoren ein, 2014 ABS, womit der Atron wieder auf dem Stand der Zeit ist. Wenngleich seine Blütephase im städtisch geprägten Süden vorbei ist. Mit der ins Lange übersetzten Sechzehngang-Handschaltung und der AP-Achse kann der Atron keine Verbrauchsrekorde einfahren und in den immer enger werdenden Ballungsräumen steht er sich mit seiner langen Nase oft selbst im Weg. Aber Richtung Westen und Norden sind noch viele Straßen unbefestigt und LKW müssen teils auch auf den Acker. Da ist der Atron voll in seinem Element, zumal sein Wertverlust gegen null tendiert. "Ein vier Jahre alter, gepflegter und sofort verfügbarer Atron-Hauber bringt praktisch den Neupreis", kennt Mercedes-Benz-do-Brasil-Marketingleiter Jörg Radtke die Realität. Allein von der 1635S-Zugmaschine mit großer Hütte und OM 457 LA-Motor laufen jährlich immer noch 1000 Einheiten vom Band, von den "kleineren" Versionen 1319 und 2324 mit kurzer Kabine sind es deutlich mehr. Ein typischer 1319-Pritschenwagen stand als Testwagen zur Verfügung. Ein Dreh am Zündschlüssel und der OM 924 LA erwacht klappernd zum Leben. Eigentlich erwartet man eher ein kräftiges Sechszylinder-Brummen, doch an der "Basis" muss der Vierzylinder genügen. Der hat mit den offiziellen 13,9 Tonnen keine Probleme, wenngleich er höhertourig gefahren werden will: Die 700 Newtonmeter Maximaldrehmoment liegen erst ab 1200 Touren an. Der lange Schaltstock führt direkt ins Getriebe und lässt sich entsprechend exakt handeln. Durch das Haubenkonzept genügen zwei Silentblöcke vorn und eine Blattfeder hinten, um trotz blattgefederten Achsen rundum sehr komfortabel unterwegs zu sein. Selbst grobe Schlaglöcher beeindrucken ihn kaum, auch weil die Lenkung eher "verzeihend", sprich etwas indirekt, ausgelegt ist. Angenehm ist auch das luftige Raumgefühl mit den steil stehenden Scheiben und der guten Durchstiegsmöglichkeit zwischen den Sitzen und der Armaturentafel, die aus einem Guss gemacht ist und der auch fieseste Löcher kein Knarzen oder Zirpen entlocken können. Zentral in der Mitte der Armaturentafel sitzt der viereckige Bordcomputerklotz. Dort liegt auch der Taster für die eher laue Motorbremse, den man ebenfalls noch gut erreicht. Die Scheinwerfer schaltet man per Kippschalter, der etwas ungünstiger liegt, und die Klimatisierung sollte besser ein Mitfahrer regeln, denn die liegt ergonomisch so ungünstig vor den Beinen des mittleren Sitzes, dass man als Lenker kaum an die Drehregler herankommt. Dafür bietet der Atron noch Ausstellfenster vorn und eine einfach zu hebende Dachklappe, mit denen sich die Luftzufuhr ganz simpel und rein mechanisch regeln lässt. Diese etwas hemdsärmelige Art macht ihn sympathisch und man erkennt bald, dass er für sein Umfeld eine Art Idealbesetzung darstellt: Er trampelt problemlos durch die fiesesten Schlaglöcher, ohne den Rücken des Fahrers zu sehr zu beanspruchen. Und die Haube stellt eine sichere Distanz zum umliegenden Verkehr her, auch wenn sie einem im Innenstadtgewühl manchmal etwas im Weg steht - da tritt der "leichte" 1319 so stark auf wie der große 1635. Die Zugänglichkeit zum Motor ist übrigens nicht besser als beim Frontlenker: Zwar gibt es in der Haube zwei extra Tritte, um von oben an die Maschine heranzukommen. Doch der OM 924 sitzt weit hinten in der Spritzwand. Alle Flüssigkeitsstände und Leitungen sind gut zugänglich, im vorderen Bereich steht aber die gekippte Haube immer im Weg. Aber sie macht eben den Unterschied! Gebaut wird der Atron im altehrwürdigen Werk São Bernardo do Campo bei Sao Paulo, das 1956 errichtet und seitdem immer wieder modernisiert wurde. Trotzdem atmen die Hallen teils noch den Duft der Aufbruchstimmung der Schwerindustrie in den Fünfzigerjahren, wenngleich auch hier Kollege Computer die meisten Abläufe übernahm. Aus einer anderen Welt: der Accelo Eine andere Welt empfängt einen in Juiz de Fora im Bundesstaat Minas Gerias, 500 Kilometer östlich von Sao Paulo. Das 1999 als PKW-Fabrik eröffnete Werk wurde 2009/10 auf LKW-Produktion umgestellt. 2011 startete die Montage, 2013 gingen Rohbau und Lackierung ans Netz. Dort laufen jetzt der Leicht-LKW Accelo und der Actros MP3 vom Band. Der Accelo fällt in die Kategorie der sogenannten "VUC (Vehiculos urbanes Caminhoes)", was übersetzt "LKW für den städtischen Verteilerverkehr" bedeutet. Die dürfen laut brasilianischem Gesetz maximal 2,1 mal 6,3 Meter messen. Da man diese Autos im ländlichen Bereich gern überlädt, entschied sich Daimler für eine Mischbauweise à la Axor, was den Accelo "massiv" vom asiatischen Ansatz des optisch ähnlichen Fuso Canter unterscheidet. Unter der Kabine sitzt der Atego-Rahmen samt großvolumigen OM 924 LA-Vierzylinder mit 156 PS, die beim 815 üppige 580 Newtonmeter und beim 1016 dann 610 Newtonmeter leisten. Die Nutzlasten betragen 8,3 respektive 9,6 Tonnen, was durch eine dritte Achse auf elf respektive 13 Tonnen erhöht werden kann. "Nachdem hier innerorts Steigungen und Gefälle von bis zu zwanzig Prozent bestehen, brauchen wir Drehmoment", erklärt Radkte die Auslegung. Das Leergewicht interessiert weniger. Außerdem denkt Daimler darüber nach, den Accelo komplett auf Blattfedern und Trommelbremsen umzustellen: Machbarkeit schlägt hier Standzeit: "Es macht nichts aus, dass das Auto zwei Stunden länger in der Werkstatt steht, wo die Beläge runtergerissen und wieder aufgenietet werden. Das ist billiger als schneller zu tauschende, teurere Scheibenbremsbeläge." Das Gleiche gilt für die Federung: "Nichts lässt sich leichter tauschen als eine Blattfeder. Gebrochenen Streifen raus, neuen Federstahl zurechtschneiden, einschieben und weiter geht's" kommentiert Radtke die Praxis. Als Testwagen trat ein 1016 mit 4,4 Meter Radstand und Kofferaufbau an, ausgeladen auf die offiziellen 9,6 Tonnen. Damit hat der daimler-typisch nagelnde OM 924 in der Ebene nicht viel Mühe. Zügig beschleunigt er die Fuhre, was im dichten Stadtautobahnverkehr Sao Paulos von Vorteil ist. Dass fast zehn Tonnen zu bewegen sind, spürt man an Steigungen: Lang gezogene Erhebungen bügelt der Frontlenker noch im Fünften, an größeren Steigungen muss man zurück in den vierten oder dritten Gang. Das Getriebe fordert dabei eher eine kräftige Hand. Vor allem beim Zurückschalten in den zweiten Gang gab sich die Box etwas kratzig. Der schwere Rahmen und die Blattfedern nehmen selbst übelste Schlaglöcher gelassen. Der Armaturentafel aus einem Guss ist dabei kein Knistern oder Knarzen zu entlocken, nur die permanent aufeinander arbeitenden Federbriden beklagen mit beständigem Knarzen und Quietschen den meist schlechten Fahrbahnzustand der brasilianischen Straßen. Ein Accelo muss zwanzig Jahre laufen Die Lenkung findet einen guten Kompromiss aus Exakt- und Gelassenheit und die Bremsen verzögern gleichmäßig und sanft. Neben dem Fahrersitz liegt der Hebel für den Federspeicher, der mit lautem Zischen klar macht, dass er die Fuhre auch an steilen Steigungen hält. Als Luxus in dieser Fahrzeugklasse dürfen die optionale Klimaanlage und der Bordrechner gelten, der sich mit dem klassischen quadratischen Wippschalter steuern lässt. Trotz zierlicher Kabine hat er ein "breites Kreuz", das in dieser Fahrzeugklasse bis zu zwanzig Jahre schleppen können muss. Kein Wunder, dass es da ein starkes Rückgrat braucht. Alle Tests und Fahrberichte seit dem Jahr 2008 für Premium-Abonnenten unter www.verkehrsrundschau.de/testdatenbank Technische Daten MotorVierzyl.-Reihen-Dieselmotor, Pumpe-Düse, Turbo, vier Vent. pro Zyl., LLK, Euro 5, Hubr.: 4801 cm3 , Leistung: 185 PS (136 kW) bei 2200/min., max. Drehm.: 700 Nm b. 1200-1600/min.Kraftübertragungman. Sechsgang-Schaltgetriebe, Übers. i=4,10Fahrwerk & Bremsenvorn: 4,5-t-Vorderachse, gekröpft, Parabelfedern, hinten: 9,8-t-AP-Achse, Trapezfedern, Trommelbremsen rundum, Motorbremse: Auspuffklappe, ABS SerieMaße & GewichteLxBxH: 8662x2428x2757 mm, Radst.: 5170 mm, zul. GG: 13.900 kg, Leergew. (Fahrgestell): 5000 kg, Wendekreis: 19,8 m, Tanks: 210 l Diesel, 25 l Adblue Technische Daten MotorVierzyl.-Reihen-Dieselmotor, Pumpe-Düse, Turbo, vier Vent. pro Zyl., LLK, Euro 5, Hubr.: 4801 cm3 , Leistung: 156 PS (115 kW) bei 2200/min., max. Drehm.: 610 Nm b. 1200-1600/min.Kraftübertragungman. Sechsgang-Schaltgetriebe, Übers. i=4,30Fahrwerk & Bremsenvorn: 4,5-t-Vorderachse, gekröpft, Parabelfedern, hinten: 6,4-t-Hypoidachse, Parabelfedern, Scheibenbremsen rundum, Motorbremse: Auspuffklappe, ABS SerieMaße & GewichteLxBxH: 7964x2184x3800 mm, Radst.: 4400 mm, zul. GG: 11.000 kg, Leergew. (Fahrgestell): 4950 kg, Wendekreis: 16,6 m, Tanks: 150 l Diesel, 25 l Adblue