Automobillogistik

Automobillogistik Die Tigerstaaten von morgen Die Autoindustrie bricht zu neuen Ufern auf: Welche Staaten in Zukunft an Bedeutung gewinnen, welche verlieren. Und was dies für Logistikdienstleister in der Automobillogistik bedeutet, lesen Sie in Teil 5 der Serie. Wo leben die Autokäufer der Zukunft? Auf diese Frage gab es in den letzten Jahren scheinbar nur eine einzige Antwort: in den sogenannten BRIC-Staaten – Brasilien, China, Indien, Russland. Diese Schwellenländer wachsen seit Jahren rasant, alle OEM (Original Equipment Manufacturers, die Hersteller) und Zulieferer bauen dort in rasantem Tempo neue Fabriken auf und stricken Händlernetzwerke. Angelockt wurden und werden sie von Wachstumsnachrichten wie in China: 25 Prozent mehr verkaufte Autos in einem Monat! Seit Kurzem allerdings lässt die Euphorie etwas nach, weil einige der Boom-Regionen in die Krise geschlittert sind. Minus zehn Prozent beim Autoabsatz in Indien, negative Vorzeichen auch in Brasilien und Russland. Vor diesem Hintergrund fragen sich viele Autohersteller und Logistikdienstleister, in welchen Ländern sie in Zukunft neue Geschäfte machen können. Chinesen haben Fuß in der Tür Eine Antwort kommt jetzt von der Boston Consulting Group (BCG)in München. Die Unternehmensberatung hat in einer neuen Studie vier Regionen identifiziert, die als aussichtsreiche Kandidaten für die Autoländer der Zukunft gelten können (siehe Tabelle Seite 26): Nordafrika, der Mittlere Osten, die Andenstaaten sowie die sogenannte Asean-Region, zu der unter anderem Indonesien oder Malaysia gehören. Unter dem Schlagwort „Beyond BRIC“ (über BRIC hinaus) werden diese Gebiete zusammengefasst. Zugegeben, viele der dort aufgeführten Nationen sind bislang nicht gerade als Autoländer bekannt. In den Andenstaaten zum Beispiel werden aktuell gerade einmal 1,9 Millionen Fahrzeuge pro Jahr verkauft, Deutschland alleine kommt auf fast drei Millionen. Aber in Zukunft könnte es die Masse machen: Jedes fünfte Auto wird 2020 in den Beyond-BRIC-Staaten verkauft, prognostiziert die Unternehmensberatung BCG. „Die ganze Industrie schaut auf diese Märkte“, sagt Nikolaus Lang, Autor der Studie. Ein Indiz für das Interesse: BCG führt derzeit rege Gespräch mit mehreren Automobilherstellern und Zulieferern, die sich beim Sprung in die neuen Tigerstaaten beraten lassen wollen. Angesichts der schwächelnden Schwellenländer suchen sie nach Märkten, die mehr Potenzial haben. Besonders geschickt stellen sich dabei übrigens die Chinesen an: OEM aus der Volksrepublik haben in vielen aufstrebenden Ländern bereits einen Fuß in der Tür, in scheinbar bedeutungslosen Ländern wie Peru oder Ägypten gehören Marken wie Chery oder Geely schon zum Straßenbild. Aber welche Region ist für deutsche Unternehmen am interessantesten? „Ich würde mir zwei Märkte anschauen – Nordafrika und Asean. Die Regionen wachsen nachhaltig schneller als andere Schwellenländer“, ist Berater Lang überzeugt. Zu den Pionieren, die auf Nordafrika setzen, ge-hört zum Beispiel Renault. Für rund eine Milliarde Euro haben die Franzosen in Marokko die größte Autofabrik des afrikanischen Kontinents gebaut; wenn sie nächstes Jahr in Betrieb geht, laufen hier pro Stunde 60 Fahrzeuge vom Band. Und die marokkanische Regierung schaut sich angeblich schon nach einem zweiten OEM um, der im Land investieren will. Gefragt: Billig-Autos und Billig-Logistik Auf dem Zukunftsmarkt Asean dagegen hat sich Toyota einen Riesenvorsprung erarbeitet. Die Japaner stellen in Indonesien Motoren her, auf den Philippinen Getriebe und in Thailand Lenksäulen; zusammengebaut werden die Fahrzeuge ebenfalls in der Region. Wann wird der erste deutsche Automobilhersteller in den Beyond-BRIC-Staaten eine Fabrik eröffnen, die mehr als 100.000 Fahrzeuge pro Jahr produzieren kann? „Nach 2020“, schätzt Experte Lang. Sicher ist: Die neue Autowelt wird sich nicht mit europäischen Modellen erobern lassen, sondern nur mit Angeboten, die zum Geldbeutel der Käufer passen. Gefragt sind Billig-Autos – und Billig-Logistik! Die Unternehmensberatung BCG empfiehlt deshalb, den Preis der Fahrzeuge unter 10.000 Euro zu halten und jede nur erdenkliche Sparmöglichkeit zu nutzen. Das Auto für die Beyond-BRIC-Ära besteht aus einer minimalen Anzahl von Teilen, enthält nur wenig Elektronik, verträgt qualitativ schlechten Kraftstoff und schlechte Straßen. Dacia setzt auf lokale Spediteure Logistikdienstleister, die wissen wollen, welche Anforderungen sie in Übersee erwarten, sollten sich die Strategie von Dacia anschauen. Die Discountmarke vermeidet schlanke Versorgungskonzepte, die darauf ausgerichtet sind, Bestände niedrig zu halten und manuelle Arbeitsschritte zu eliminieren. Stattdessen werden bevorzugt in einem 20-Kilometer-Umkreis um das Werk Teile eingekauft. Um Frachtkosten zu sparen, werden möglichst große Volumina von Teilen transportiert, selbst wenn das bedeutet, im Werk Teile noch einmal von Hand umzuverpacken. Aber das fällt kaum ins Gewicht, da in den Produktionsländern menschliche Arbeitskraft günstig ist. Grundsätzlich arbeitet Dacia am liebsten mit kleinen, lokalen Speditionen zusammen; große Forwarder wie DHL kommen nicht zum Zug, allein schon deshalb, weil Teile ihrer Produktpalette (Luftfracht) überhaupt nicht benötigt werden. Logistikdienstleister, die Transporte mit Bahn und Schiff organisieren können, haben dagegen gute Karten, weil sie niedrigere Transportkosten versprechen. Dacia etwa befördert fertige Fahrzeuge innerhalb Europas per Binnenschiff. Allerdings sollten die Hoffnungen auf die sogenannten Beyond-BRIC-Staaten nicht überzogen werden. Auf mittlere Sicht bleiben auch die klassischen Schwellenländer interessant. Kein großer Hersteller oder Zulieferer zieht sich beispielsweise jetzt aus Indien zurück, nur weil der Neuwagenabsatz einmal schwächelt. Das ist aus Sicht der Planer nur eine Delle. „Unser Fokus liegt in erster Linie auf China“, bestätigt Ulrich Pfendt von Continental SMCA, einer Abteilung des Zulieferers, die die Logistik weltweit steuert und für die Auswahl neuer Standorte mitverantwortlich ist. Pfendt verweist auf das nach wie vor große Aufholpotenzial in der Volksrepublik: Dort kämen auf 1000 Einwohner nur rund 30 PKW – in Europa und den USA seien es über 500! Allerdings behält Continental nicht nur China, sondern den gesamten asiatischen Raum im Blick. In Thailand etwa ist man schon präsent und beliefert OEM, die dort für den Export produzieren. „Eine ähnliche Entwicklung erwarten wir eventuell auch in Vietnam“, so Pfendt, Director für internationale Logistik bei Continental Automotive. Zudem betreibt der Konzern Standorte in Malaysia und auf den Philippinen. „So sind wir gut aufgestellt, wenn es dort zu einer nennenswerten Produktion kommt.“ Die operative Logistik legt das Unternehmen in die Hände von bekannten internationalen Dienstleistern. Klar ist auch: Der Aufbruch in den neuen Boom-Regionen wird nicht einfach, vor allem für die Logistikdienstleister. Denn moderne Abläufe wie Just-in-Sequence, bei denen Material in der Reihenfolge der produzierten Wagen ans Band angeliefert wird, lassen sich in Ländern wie Indonesien oder Vietnam nicht ohne Weiteres umsetzen. „Die Logistik ist deutlich schwieriger“, räumt Berater Lang ein und gibt ein Beispiel: Toyota braucht in Asean pro produziertem PKW dreimal mehr Logistikmitarbeiter als in Japan oder den USA. Wer zum Beispiel Lieferketten von und nach Indonesien organisieren will, muss immer mit Störungen rechnen. Zollvorgänge können sich lange hinziehen, Container wochenlang im Hafen feststecken. „Die Logistikkosten sind in BRIC-Staaten höher“, bestätigt Ulrich Pfendt von Continental. Das sei allein durch Zölle – in China zum Beispiel 8 Prozent – bedingt, hinzu kämen höhere Verpackungskosten und der schlichtweg längere Transportweg. Dass Schwellenländer per se logistische Schwierigkeiten bereiten, bestreitet der Experte allerdings: „Mir sind keine innerasiatischen Probleme bekannt“, betont Pfendt. Das Unternehmen transportiert zum Beispiel jedes Jahr allein von einem Standort 2000 Containerladungen Waren von China nach Japan – ohne jegliche Beanstandungen seitens der Kunden. „Nur in Indien muss man mit infrastrukturbedingten Verzögerungen rechnen“, so Pfendt. Ein Beispiel seien überflutete Straßen, die LKW-Transporte vorübergehend unmöglich machten. Hier müsse man eben vorbeugen, indem dosiert Bestände vorgehalten werden, so Pfendt. Dennoch: Der Auto-Aufschwung von Ländern wie Iran, Argentinien oder Ägypten wird kommen, dafür spricht die wirtschaftliche Logik. Denn wer als Hersteller hier vor Ort produziert, zahlt weniger Zoll und das kann ein entscheidender Kostenblock sein: Südamerikanische Länder wie Kolumbien oder Venezuela belegen PKW mit Importzöllen zwischen 16 und 40 Prozent. Andererseits profitieren die Autoriesen von günstigeren Lohnkosten in den Low-Cost-Regionen. BCG schätzt, dass die Fertigung von Teilen in den Beyond-BRIC-Staaten 20 bis 30 Prozent billiger ist als in Europa. Logistikfirmen sollten sich auf diesen Trend zur „Lokalisierung“ einstellen. Wer in den Autoländern der Zukunft eine Rolle spielen will, muss vor allem eines: sich dort mit Tochtergesellschaften ansiedeln. ❙❚■ Constantin Gillies, freier Journalistw Die Serie In der Automobillogistik als Dienstleister erfolgreich punkten Die neuen Chancen und Herausforderungen im Automotive-Markt VR 5: Interview mit Schenker-Kontraktlogistik-Chef Thomas Böger VR 6: Best Practice: die Volatilität erfolgreich beherrschen VR 7: Umfrage: Was die OEM und Automobilzulieferer in der Logistik fordern VR 8: Automobilzulieferer im Fokus VR 9: Die Wachstumsmärkte in der Automobillogistik von morgen Termin: Jetzt vormerken! VR-Konferenz Automobillogistik „Perspektiven – die Herausforderungen in der Automobillogistik erfolgreich meistern“. Unter diesem Motto veranstaltet die VerkehrsRundschau – in Kooperation mit dem Verband der Automobilindustrie (VDA) – am 25. Juni 2014 in Stuttgart die erste „VR-Konferenz Automobillogistik“. Ziel der Veranstaltung ist der gezielte Austausch zwischen allen Gliedern in der automobilen Kette, um die Zusammenarbeit weiter zu stärken. Programminformationen folgen in Kürze. eh Interview „Der Trend geht zur lokalen Produktion“ Welche Länder wichtig werden, sagt Katharina Uribe Casillas, Vizepräsidentin Global Business Development Automotive bei K + N. Wo erwartet Kühne + Nagel (KN) in den kommenden Jahren besonders gute Chancen für Automobillogistiker? Katharina Uribe Casillas: China, Südamerika und Indien bleiben natürlich Wachstumsmärkte. Aber auch Länder in Osteuropa, die näher an die Europäische Union (EU) rücken, sind interessant: Polen, Ungarn oder die Ukraine etwa. Hier sind wir sowohl in der Produktionsversorgung aktiv als auch in der Ersatzteillogistik. Als weitere starke Wachstumsregion würde ich Mexiko nennen: In diesem und im nächsten Jahr werden dort mehrere Produktionsstätten neu eröffnet, von japanischen und koreanischen Firmen. Die Löhne sind günstig und die Infrastruktur gut. Eine neue Studie prognostiziert Ländern wie der Türkei oder Argentinien eine große Zukunft. Schätzen Sie das auch so ein? Wir sind dort präsent, aber es sind keine Fokus-Länder für unseren Automotive-Bereich. Stichwort Infrastruktur: Lässt sich in Schwellenländern überhaupt noch moderne Automobillogistik wie in Europa betreiben? Man muss das differenziert sehen: In Europa ist ein 200-Kilometer-Transport auf der Straße kein Problem, in einigen asiatischen Schwellenländern schon. In solchen Ländern vereinbaren wir mit den Kunden ganz andere Servicelevel und Durchlaufzeiten. Dort ist es außerdem wichtig, mit mehreren Standorten vertreten zu sein. Traditionell erschließt die Autoindustrie neue Märkte, in dem sie quasi fertige Fahrzeugbausätze dorthin verschifft (CKD-Verfahren). Bleibt das so? CKD ist immer nur eine Zwischenlösung, die auf zwei oder drei Jahre je nach Landesbestimmung begrenzt ist. In vielen Ländern werden OEM, die so arbeiten, nach einer gewissen Zeit steuerlich stark benachteiligt. Der Trend geht langfristig weg vom CKD und hin zur lokalen Produktion. cg „Beyond-BRIC“: Das sind die Boomländer von morgen Region 1. Mittlerer Osten 2. ASEAN-Nationen 3. Andenstaaten 4. Nordafrika Länder (wichtige sind gefettet) Iran, Saudi-Arabien, Türkei, Irak, Qatar, Syrien, Vereinigte Arabische Emirate Indonesien, Malaysia, Thailand, Philippinen, Singapur, Vietnam Argentinien, Chile, Kolumbien, Bolivien, Ecuador, Peru, Uruguay, Venezuela Algerien, Ägypten, Marokko, Libyen, Tunesien Verkaufte Neuwagen pro Jahr (2020) bis 5,8 Millionen 4,6 Millionen 2,9 Millionen 1,2 Millionen Jährliches Marktwachstum (2012–2020) 4,60 % 4,70 % 5,40 % 4,20 % Vorteile Die Türkei hat sich schon als Brückenkopf für die Automobilindustrie etabliert; 4000 Zulieferer sind rund um Istanbul und Bursa angesiedelt. Auf dem nationalen Markt sind vor allem Mittelklasse-Fahrzeuge gefragt, die Vereinigten Arabischen Emirate sind für Premiumhersteller interessant. Insgesamt ist das Wachstumspotenzial gut: 2020 werden im Mittleren Osten 5,8 Millionen Fahrzeuge verkauft – in Brasilien werden es zu diesem Zeitpunkt 5,2 Millionen sein. Eine Produktion in den ASEAN-Nationen bringt 20 bis 30 Prozent Kostenersparnis, außerdem fallen Importzölle weg und Firmen profitieren von lokalen Subventionen (Beispiel: In Thailand zahlt eine Firma die ersten acht Jahre keine Steuern). Die Zukunftsaussichten sind exzellent: 2020 werden in der Region 4,6 Millionen Neufahrzeuge verkauft – in Russland werden es zu diesem Zeitpunkt erst 4,4 Millionen sein. Die Anden-Anrainer erheben hohe Importzölle auf PKW – zwischen 16 und 40 Prozent. Deshalb wird eine lokale Produktion dort für OEM in Zukunft unerlässlich sein. Auf lange Sicht ist der Markt interessant: 2020 werden in den Andenstaaten mit 2,9 Millionen fast so viele PKW verkauft wie in Deutschland (3,6 Millionen). Als Produktionsstandort kommt vor allem Argentinien infrage. Der nordafrikanische Gürtel hat ein hohes Entwicklungspotenzial, weil die Länder den Zugang zum afrikanischen Markt eröffnen. Vor allem rund um Tanger hat sich schon eine Niedrigkosten-Zulieferindustrie entwickelt. Schwergewicht bleiben Algerien, Ägypten und Marokko: Hier werden 2020 etwa 90 Prozent aller Neuwagen verkauft. Schon heute dominieren französische Hersteller wie Renault und Peugeot den Markt. Quelle: Boston Consulting Group (BCG) „Die Logistikkosten sind in den BRIC-Staaten auf jeden Fall höher“ Ulrich Pfendt, Director für internationale Logistik Continental Automotive

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