Die Schlacht um die Online-Frische

Knackiges Gemüse, zartes Fleisch und frische Milch ohne langes Suchen im Supermarktregal und ohne nerviges Anstehen an der Kasse: einfach ein paar Mausklicks bequem auf dem Sofa sitzend erledigen und alles kommt direkt an die eigene Haustür. Im Herbst wird der Internethändler Amazon seinen Lebensmitteldienst Amazon Fresh in Deutschland starten. Das gilt unter Handelsexperten als ausgemacht. Das Unternehmen selbst nimmt zu den Gerüchten keine Stellung. Fast wie ein Zwischenschritt mutet da der Schnelllieferdienst Prime Now an, den Amazon nach Berlin nun Anfang August auch in München gestartet hat. Der neue Service bringt Bestellungen entweder innerhalb einer Stunde oder innerhalb eines wählbaren Zwei-Stunden-Fensters. Zum Produktangebot gehören auch Lebensmittel, wenn auch nicht das Vollsortiment eines Supermarktes. Als Verpackung dienen Papiertüten oder Isoliertaschen aus Kunststoff für gekühlte und gefrorene Produkte. Die Taschen nimmt der Fahrer nach der Lieferung wieder mit. Lastenfahrräder liefern Lebensmittel Die zuständigen Lieferpartner Interkep und System-Logistik setzen neben Lieferwagen auch elektrisch angetriebene Lastenfahrräder ein. Die Verteilung der Waren in München erfolgt aus einer Station mitten in der Stadt. Wie Amazon-Sprecher Stephan Eichenseher berichtet, gibt es dort ein komplettes Lager mit temperaturgeführten Bereichen. Im Berlin war der Dienst bereits im Mai gestartet. Der Test sei vielversprechend verlaufen und mache Spaß, ließ Amazon-Deutschland-Chef Ralf Kleber in einem Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung verlauten. Nun rüstest sich die Konkurrenz für die große Schlacht um die Online-Frische. Rewe-Chef Alain Caparros rechnet mit einem Sturm, der über den Markt fegen werde. Amazon werde den Verdrängungswettbewerb noch verschärfen. Schon jetzt reagieren Einzelhändler und Logistikdienstleister auf den bevorstehenden Markteintritt des US-Riesen. Die Post-Tochter DHL hat ihre Abendlieferungen auf ganz Deutschland ausgeweitet. Kunden des konzerneigenen Onlineshops Allyouneedfresh.de können in Städten ein zweistündiges Zeitfenster am Abend für die Lieferung der Bestellung wählen. Die Handelsunternehmen lassen sich bei dem Thema nicht in die Karten schauen. Ein Rewe-Sprecher erklärt auf Nachfrage, man wolle sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht äußern. Dabei gehört das Unternehmen zu den ersten, die einen eigenen Lieferdienst für den Versand von Lebensmitteln an die Haustür aufgebaut haben. Der Service wird mittlerweile in 75 Städten angeboten. In Österreich liefert die Rewe-Tochter Billa bereits täglich Lebensmittel mit eigenen Fahrern zu Kunden in ganz Österreich aus. "Wer mit dem Lebensmittelhandel im Internet die Nase vorne haben und langfristig Erfolg haben will, muss den besten Service bieten", schreibt Billa-Vorstand Josef Siess im aktuellen Geschäftsbericht der Rewe Gruppe. Österreich könnte da ein gutes Probeterrain sein. Schließlich seien die österreichischen Onlineshopper anspruchsvoller als ihre deutschen Nachbarn. Frische sei ein zentrales Thema, so Siess. Kaufland und Edeka rüsten auf Kaufland verrät immerhin, man arbeite an der Entwicklungvon E-Business-Aktivitäten. Edeka wollte "diese wettbewerbssensiblen Informationen" nicht preisgeben. Dabei erklärte Edeka-Chef Markus Mosa kürzlich, sein Unternehmen werde reagieren, sollte Amazon in den Markt einsteigen. Helfen könnte dabei die im Moment auf Eis gelegte Übernahme von Kaiser's Tengelmann. Dem Handelskonzern gehört der Lieferdienst Bringmeister.de und der würde mit der Übernahme an Edeka gehen. Der Handelsriese Real sieht sich gerüstet für E-Commerce mit Lebensmitteln. Die Übernahme des Online-Marktplatzes Hitmeister im März dieses Jahres sei ein klares Signal gewesen, den Onlinebereich zu stärken. Bei den Lieferungen setze Real weiter auf DHL. Fast alle Händler und Hersteller machen sich Gedanken zu dem Thema. Es geht schließlich um einen gigantischen Markt. Etwa 170 Milliarden Euro geben Verbraucher in Deutschland für Lebensmittel aus. Nur etwa ein Prozent des Geldes landet derzeit im Onlinehandel. Die aktuelle Verbraucherstudie des Bundesverbandes E-Commerce und Versandhandel Deutschland (BEVH) zeigt aber, dass der Onlinehandel mit Lebensmitteln an Fahrt gewinnt. In den ersten drei Monaten dieses Jahres legten die Umsätze um fast 25 Prozent zu. Mit einem Umsatz von 195 Millionen Euro im ersten Quartal 2016 spielt das Segment aber selbst beim Versandhandel mit einem Anteil von 1,5 Prozent derzeit noch eine Nebenrolle. Das dürfte auch ein Grund sein, warum sich die Unternehmen bedeckt halten. In dem Geschäft lässt sich schnell viel Geld verbrennen. Das zeigte etwa der Lieferdienst Bonativo, der im Juni den Betrieb einstellte. Das vom Internetkonzern Rocket Internet und von Tengelmann Ventures finanzierte Start-up startete 2015, habe aber die Erwartungen nicht erfüllt, heißt es als Begründung. Im vergangenen Jahr gab auch die Rocket-Tochter Shopwings nach nur zehn Monaten auf. Auch hier war Tengelmann einer der Geldgeber. Aldi testet das Geschäft derzeit nur in Großbritannien. Ein Einstieg in Deutschland scheint in weiter Ferne. Das Problem sind neben den fehlenden Umsätzen die Kunden, die günstige Lebensmittelpreise und kostenlose Lieferungen fordern. Beides lässt sich bei den geringen Margen im Lebensmitteleinzelhandel nicht umsetzen. Marktexperten sehen die gescheiterten Versuche als Beleg, dass der Markt nicht so einfach ist. "Wo Geld zu verdienen ist, zieht sich keiner freiwillig zurück", meint Professor Franz-Michael Binninger, Direktor des Instituts für Handelsmanagement der Hochschule für angewandtes Management in Ismaning (siehe Interview oben). Hier hat Amazon einen Startvorteil. Der Konzern kann Anfangsverluste für den neuen Dienst leichter wegstecken als die traditionellen Einzelhändler. Zudem gibt es bei den Lieferungen Synergieeffekte mit dem angestammten Versandgeschäft. Auch sind die Cross-Selling-Potenziale höher als bei der Konkurrenz. Hinzu kommt, dass durch den Abo-Dienst f Amazon Prime die Kunden über ihren Beitrag einen großen Teil der Logistikkosten bereits bezahlen. Gewinnen wird, wer die Logistik in den Griff bekommt: Kunden wollen ihre Waren in einem kleinen Zeitfenster geliefert bekommen. Zudem muss die Qualität stimmen (siehe Grafik Seite 23). Tests haben in der Vergangenheit immer wieder gezeigt, dass frische Lebensmittel teilweise verdorben ankamen oder die Kühlkette nicht durchgehend eingehalten wurde. "Auf jeden Fall gibt es hier Möglichkeiten für mittelständische Logistikunternehmen, vom kommenden Boom mit online eingekauften Lebensmitteln zu profitieren", prognostiziert Christian Kille, Professor an der Hochschule Würzburg, Institut für Angewandte Logistik IAL. "Die meisten Händler wollen keine eigenen Logistikstrukturen aufbauen. Dazu setzen sie auf Dienstleister", begründet der Marktkenner seine Einschätzung. Dafür sei den Händlern das Online-Lebensmittelgeschäft noch zu ungewiss und zu margenschwach. Klar werde ein Teil des Geschäftes bei Branchengrößen wie DHL landen, aber eben nicht alles. Punkten könnten die oft lokal tätigen kleineren KEP-Dienste mit der besseren Vor-Ort-Kenntnis. Daraus lassen sich zu den regionalen Gegebenheiten passende Lösungen für die letzte Meile und die Übergabe an den Kunden entwickeln. "Hier sind kreative Ideen gefragt, denn es macht einen Unterschied, ob ich in einer Einfamilienhaussiedlung oder in einem Hochhaus abliefere", weiß Kille. Weitere Möglichkeiten, die Handelskonzerne als Kunden zu gewinnen, böten innovative Konzepte. Beispielsweise wenn der Käufer die Möglichkeit erhält, seine Lieferung kurzfristig via App an einen anderen Lieferort zu routen oder mit der Bürobelieferung. "Viele kleine KEP-Dienste stammen aus dem B2B-Umfeld, daher kennen sie sich mit den Bürosituationen vor Ort aus", weiß der Wissenschaftler. Ein anderer Pluspunkt für kleinere aus dem Kuriergeschäft stammende Dienstleister sei ihre Flexibilität. Die Systeme der großen Spieler im KEP-Markt seien zu sehr auf den Transport von in Kartons verpackten Waren abgestimmt. Lebensmittel dagegen kommen in Tüten oder Thermoboxen. Allerdings mahnt Kille zur Eile, denn auch DHL und Co arbeiten an passenden Angeboten. Auch Hansgeorg Lohl vom Bundesverband der Kurier-Express-Post-Dienste (BdKEP) sieht Chancen für kleinere Dienstleister: "Amazon arbeitet bei Sameday-Lieferungen schon mit Mittelständlern zusammen, dafür braucht es kein nationales Netz". Sameday-Sendungen in einer Stadt könnten die Kuriere vor Ort abbilden. Der Einsatz von passiver Kühlung über Kühlboxen erspare die Investition in Kühlfahrzeuge. Sollten doch größere Netze gefragt sein, könnten Zusammenschlüsse wie Dailex eine Lösung sein. Zudem, so Lohl, sollte der Mittelstand nicht nur auf die großen Handelskonzerne schielen, sondern frühzeitig den Kontakt zu Start-ups im Onlinehandel suchen. Professor Kille sieht bei vielen neu gegründeten Lieferdiensten eine Diskrepanz zwischen Marketing und Logistik. "Die funktioniert zwar irgendwie, aber selten kosteneffizient". Hier haben Dienstleister einen Ansatzpunkt. Händler machen Logistik anfangs selbst Kritischer beurteilt Sven Kromer, Partner bei der Unternehmensberatung Kurt Salmon Germany, die Möglichkeiten der Dienstleister. Er schätzt die Chancen für ein Outsourcing der Logistikdienstleistungen in der ersten Stufe des Online-Verkaufs von Lebensmitteln als gering ein. "Wenn die Unternehmen an den Start gehen, wollen sie auf jeden Fall alle Fäden selbst in der Hand haben", sagt der Kurt-Salmon-Partner. Zu groß sei das Risiko, die Kunden mit schlechter Lieferqualität zu verprellen, bevor der Markt richtig durchstartet. Daher sei Logistik gerade zum Marktstart eine Kernkompetenz, bei der der Kundenservice und nicht das Kostenoptimum im Vordergrund stehe. "Das Risiko der Fremdvergabe ist zu hoch, weil in Deutschland für diesen Markt noch ein Netzwerk aus erfahrenen Anbietern mit entsprechenden Referenzen fehlt", ergänzt Kromer. Mittelfristig, wenn das Vertrauen der Verbraucher da ist und die Volumen steigen, sieht Kromer auch Chancen für Logistikdienstleister: "Die Skaleneffekte sind im Transport nicht so groß, dass die Händler das dauerhaft selber machen wollen". Den Anfang würden dabei die Trockensortimente machen. Wer dann ins Geschäft kommen wolle, benötige in jedem Fall Transporter mit Telematik für die Sendungsverfolgung, mobile Endgeräte für die Dokumentation der Warenübergabe und Fahrzeuge, die sich von der Seite beladen lassen. "Das geht mit Tüten und Kühlboxen schneller als über die Hecktür", erklärt Kromer. Amazon wird nach Einschätzungen aus der Branche wohl zunächst auf einen Mix aus eigenen Fahrzeugen und Dienstleistern wie DHL setzen. Demnach sollen in Berlin und München eigene Fahrzeuge stationiert werden. Bald könnten die grasgrünen Lieferfahrzeuge des Unternehmens für Lebensmittel zum Straßenbild gehören. In Großbritannien, das wegen der hohen Bereitschaft der Konsumenten, Lebensmittel online einzukaufen, als idealer Testmarkt gilt, setzt etwa der Einzelhändler Tesco auf eigene Fahrzeuge und eigene Fahrer. In Deutschland hat die Rewe Gruppe ihren eigenen Lieferdienst aufgebaut. Darüber hinaus arbeitet der Händler mit Logistikunternehmen wie Liefery zusammen. An dem Frankfurter Lieferdienst hat sich die Hermes Logistik Gruppe vor fast genau einem Jahr mit 28,5 Prozent beteiligt. Der Service Liefery kooperiert mit Kurierdiensten und Kurieren in 50 deutschen Städten, um Sendungen taggleich zuzustellen (siehe Kasten Seite 22). Für einen baldigen Start des Wettbewerbs spricht auch, dass die Unternehmen in den vergangenen Monaten verstärkt auf der Suche nach innenstädtischen Logistikimmobilien sind. In Berlin hat sich Amazon eine Logistikhalle mit 14.000 Quadratmetern Lagerfläche im Gewerbe- und Logistikpark Dock 100 gesichert. In München ist der Händler seit Kurzem sogar an zwei Standorten vertreten. Der Westen der bayerischen Landeshauptstadt wird von Olching im Landkreis Fürstenfeldbruck aus beliefert, für den Osten hat Amazon eine Logistikhalle im Gewerbegebiet Hüllgraben in Daglfing gemietet. Beide Verteilzentren haben eine Fläche von rund 15.000 Quadratmetern und sind nach Angaben aus dem Markt auch für frische Produkte geeignet. Andere Unternehmen rüsten sich ebenfalls für den Tag X. Der Projektentwickler Garbe Logistic baut derzeit für die Nagel Group in Schweitenkirchen in der Nähe von München ein Kühllager mit einer Gesamtfläche von rund 26.000 Quadratmetern. Die 48 Millionen Euro teure Investition soll im dritten Quartal 2016 fertig werden und stünde rechtzeitig für den Big Bang zur Verfügung. Der Standort an der A 9 zwischen Ingolstadt und München ermögliche eine schnelle Lebensmitteldistribution. Durchschnittlich 1000 Tonnen Lebensmittel aller Art und Temperaturklassen sollen dort pro Tag und im Dreischichtbetrieb umgeschlagen werden. Das wäre reichlich Munition für den Kampf um ein Stück des Online-Marktes für Lebensmittel. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Handelslogistik www.verkehrsrundschau.de/dossiers Strategien für die Frische Otto-Tochter Hermes lässt lieber andere für sich arbeiten Das Logistikunternehmen Hermes Germany ist seit vielen Jahren auch im Lebensmittelversand tätig. Bis auf wenige Sonderlieferungen für den TV-Shoppingsender "QVC" wurde das Kühl- und Frischesegment nach Angaben eines Unternehmenssprechers jedoch bisher ausgespart. Allerdings hat sich Hermes mit der Beteiligung an dem Frankfurter Lieferdienst Liefery bereits im Frische-Markt positioniert. Um die Logistikkosten in diesem Bereich im Griff zu behalten, konzentriere sich das Unternehmen weiterhin auf Lebensmittel, für die keine geschlossene Kühlkette notwendig sei. Das erlaube, den vergleichsweise geringen Anteil von Lebensmittellieferungen in das Volumen von über 300 Millionen Sendungen pro Jahr in Deutschland zu integrieren. Die Besonderheiten der Frischelogistik könnten Spezialisten wie Liefery besser leisten. Insbesondere müsse ein Logistiker in dem Bereich Same-Day-Services und Lieferungen innerhalb von engen Zeitfenstern anbieten können. Aufseiten der Versender sieht Hermes vor allem eine entsprechend eng geknüpfte Lager- und Bevorratungsstruktur als notwendige Infrastruktur an. ah

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