Die Rekord-Bescherung

Die Deutschen werden in diesem Jahr jeden fünften Euro für Weihnachtsgeschenke im Internet ausgeben, insgesamt 16 Milliarden Euro. Das sagt eine Studie im Auftrag der Gutscheinplattform RetailMeNot voraus. Damit steht Online-Händlern ein echtes Rekord-Weihnachtsfest ins Haus. Doch nicht nur ihnen, sondern auch den Paketdiensten, die alle Präsente zum Kunden bringen. Die Branche wappnet sich für den Ansturm. Branche bald am Limit "Wir rechnen mit dem stärksten Geschäft seit unserer Gründung", sagt Ingo Bertram von Hermes Europe. Der Paketdienst rechnet mit 20 Prozent mehr Sendungen als im Vorjahr, über zwei Millionen Haushalte werden die Hermes-Boten pro Tag anfahren. Aktuelle Daten deuten darauf hin, dass diese Rekordwerte wohl erreicht werden. "Wir hatten im Oktober teilweise Volumina wie 2015 zu Weihnachten", berichtet er. Träfen die Prognosen ein, bewege man sich bald "am Limit". Bei allen Marktgrößen laufen die Vorbereitungen auf Hochtouren. "Wir beschäftigen rund 10.000 Aushilfskräfte extra, 10.000 zusätzliche Fahrzeuge für die Paketzustellung kommen zum Einsatz", so eine Sprecherin von Deutsche Post DHL. Über diese saisonalen Maßnahmen hinaus baue der Konzern schon länger seine Kapazitäten aus. Seit Anfang 2015 seien im Unternehmensbereich Post/E-Commerce/ Paket rund 22.000 neue unbefristete Stellen geschaffen worden. Alles in allem sei man sicher, dass auch in der diesjährigen Weihnachtszeit rund 90 Prozent der DHL Pakete ihren Empfänger bereits am nächsten Werktag erreichen würden. Die Bonner Zentrale rechnet kurz vor Heiligabend mit acht Millionen Sendungen pro Tag - doppelt so viele wie an normalen Tagen.Beim Konkurrenten DPD in Aschaffenburg stockt man das Personal ebenfalls kräftig auf. Bis zu 4000 zusätzliche Kräfte sind vor den Festtagen in Umschlag und Zustellung im Einsatz. Sie stammen zum Teil von Personaldienstleistern, zum Teil handelt es sich um schon bekannte Saisonkräfte. Zusätzliche Fahrzeuge für den Fernverkehr stellen die Partnerspeditionen zur Verfügung, in der Auslieferung werden Mietfahrzeuge eingesetzt. Ähnlich geht GLS vor: Der Paketdienst hat über Zeitarbeitsfirmen 1000 zusätzliche Mitarbeiter für die Depots beschafft, außerdem haben einige Flüchtlinge hier eine Anstellung gefunden. "Wenn es hart auf hart kommt, kann es sein, dass sogar die Kollegen aus dem Büro in der Halle mithelfen", lacht Sprecherin Anne Putz. Es sei schon vorgekommen, dass Depotleiter Sendungen mit dem eigenen Fahrzeug ausgeliefert hätten. Dafür, dass genug Zustellpersonal zur Verfügung steht, sind eigentlich die GLS-Transportpartner verantwortlich. "Aber natürlich wissen wir, dass Fahrermangel ein Thema ist", sagt sie. Zustellkräfte aus dem EU-Ausland Übrigens endet der Weihnachtsstress für die KEP-Dienste nicht an Heiligabend. Denn nach dem Fest folgt in der Regel noch eine zweite Paketwelle - wenn die Verbraucher unerwünschte Artikel zurückschicken oder Gutscheine einlösen, die unterm Baum lagen. Deshalb erhalten die Paketdienste ihre erhöhten Kapazitäten auch nach dem Fest aufrecht, Hermes zum Beispiel bis zum 15. Januar. Bedeutet der Weihnachtsrausch auch eine Bescherung für kleinere Transportdienstleister? Dazu zunächst eine schlechte Nachricht: Die großen Paketdienste haben ihre zusätzlichen Kapazitäten für das diesjährige Weihnachtsgeschäft schon lange eingekauft. Das überrascht nicht, schließlich können Zusteller nicht wie eine Lampe an- und ausgeknipst werden. Hermes etwa rekrutiert seine Kräfte zunehmend im EU-Ausland. Das bedeutet, dass vor dem ersten Kundeneinsatz ein Deutsch-Crashkurs absolviert werden muss. Schließlich stellt der Fahrer des Lieferfahrzeugs "das Gesicht zum Kunden" dar und an dieser Front kann sich kein KEP-Konzern allzu große Patzer leisten. Die gute Nachricht ist, dass im Paketgeschäft die Nachfrage nach Subunternehmern steigt. "DPD ist kontinuierlich auf der Suche nach neuen Partnern", bestätigt Sprecher Peter Rey. Interessierte Transporteurfirmen könnten im Internet Kontakt aufnehmen (www.dpd.com/de/home/ueber_dpd/zustellpartner_werden). "Wer Transportleistungen anbietet, kann sich auf jeden Fall melden", sagt auch Hermes-Sprecher Bertram (tinyurl.com/hermespartner). GLS sucht ebenfalls neue Transportpartner, Unternehmer können sich bei den Depots melden oder ein Internetformular nutzen (gls-group.eu/DE/de/transportpartner). Höhere Preise zahlen die Branchengrößen in der Weihnachtszeit allerdings nicht. Die Aussage von DPD und GLS lautet: Partnerunternehmen können nur mehr Geld machen, indem sie größere Mengen übernehmen, wobei DPD einräumt, dass "individuell auch gesonderte Vereinbarungen in Bezug auf die Weihnachtszeit" existierten. Kuriere müssen umdenken Können auch klassische Kurierdienste vom E-Commerce-Boom profitieren? "Es gibt auf jeden Fall Chancen", sagt Andreas Schumann, Vorsitzender des Bundesverbandes der Kurier-Express-Post-Dienste (BdKEP), Berlin. Doch er schränkt ein: Beim hochstandardisierten Massenpaket könnten die Kurierdienste den Großen nicht das Wasser reichen, so Schumann. Besser seien die Chancen, wenn es um neue Service-Angebote gehe wie die City-Lieferung innerhalb von zwei Stunden oder in definierten Zeitfenstern. Schumann sieht indes eine Hürde. "Um das Geschäft zu machen, müssen die Kurierdienste komplett umdenken." Der klassische Kurier bedient Geschäftskunden, die tagsüber anzutreffen sind; zudem basiert seine Kalkulation auf einer Fahrt von A nach B. Sollen Internetbestellungen zugestellt werden, gilt es, Abläufe zu ändern. Plötzlich sind regelmäßige Touren mit etlichen Stopps gefragt - vor allem gegen Abend. Und nicht zuletzt gibt es eine ideologische Barriere. "Viele Kuriere sehen sich einfach nicht als Paketdienst", gibt Schumann zu bedenken. Sein Resümee: "Nur wer den kulturellen Schwenk schafft, bekommt etwas vom E-Commerce-Geschäft ab." Alles in allem kommt aus der KEP-Branche zum Weihnachtsgeschäft aber Zuversicht: Wir schaffen das! Skeptische Töne sind selten. Nur DPD sagt, dass ein extremer Wintereinbruch vor den Festtagen alle Paketdienste vor eine große Herausforderung stellen könnte. Doch ob das Weihnachtsgeschäft wirklich reibungslos über die Bühne geht, bleibt unsicher. "Das Grundproblem liegt darin, dass sich im B2C-Geschäft das Sendungsaufkommen nicht planen lässt", gibt Horst Manner-Romberg, Unternehmensberater aus Hamburg, zu bedenken. Angenommen, ein großer Elektronikmarkt wirbt vor dem Fest mit besonders günstigen Flachbildfernsehern, könnten Kunden scharenweise zugreifen und die Logistiker schnell vor Probleme stellen. "Das Aktionsgeschäft der Händler produziert exorbitante Spitzen", so Manner-Romberg. Dann könne es schnell sein, dass eine Wechselbrücke nicht mehr ausreicht oder es an einer anderen Stelle Kapazitätsengpässe gibt. "Das wird hier und da ganz schön krachen", erwartet der Experte. Die Mär vom Paket-Chaos Und zwar nicht nur auf der letzten Meile, sondern entlang der Transportkette. So kam es in 2015 in einigen Paketshops der Deutschen Post zu besonderen Zuständen. Ausgerechnet zum Beispiel in einer Bonner Filiale bot sich folgendes Bild: Nicht zustellbare Pakete stapelten sich im Verkaufsraum des Schreibwarenladens und jeder Kunde, der zum Postschalter wollte, musste sich zwischen den Kartons vorbeischlängeln. Anhand der Firmenlogos auf den Paketen ließ sich zum Teil deutlich erahnen, was sich darin befand. Es gab keine Sicherheitsmaßnahmen, es wäre ein Leichtes gewesen, sich ein Paket zu schnappen und zu gehen ... Horror-Szenarien von einem bundesweiten Paketchaos sind aber überzogen. "Bei den Dienstleistern gibt es kein homogenes Leistungsbild", wendet Manner-Romberg ein. Will sagen: Die Situation wird sich je nach Region und Subunternehmern anders darstellen. In einer Stadt mögen die Kapazitäten ausreichen, in einer anderen könnte das Netz überfordert sein und Pakete sich bis nach dem Fest verspäten. Den Schwarzen Peter nur den Paketdiensten zuzuschieben, greift sowieso zu kurz. "Manchmal hapert es auch seitens der Händler bei der Kommissioniergeschwindigkeit", weiß Manner-Romberg. Wenn zwischen dem Kaufen-Klick und dem Versandstart drei Tage vergingen, könne das kein Paketdienst wieder rausreißen. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier KEP www.verkehrsrundschau.de/dossiers