Die neuen Mitnehmer

Die Idee zum Unternehmen Lieferlotse entstand, nachdem der Vater des Gründers ein altes Motorrad ersteigert hatte. Das Sammlerstück stand in Hamburg, doch der Käufer saß in Köln. Lange musste herumtelefoniert werden, bis ein Spezialist gefunden war, der das Bike mit einem passenden Anhänger befördern konnte. Das müsste doch einfacher gehen, dachte sich das Gründer-Team von Lieferlotse in Köln. "Die Idee war, für eine Sendung jemanden zu finden, der sie auf seinem Weg mitnehmen kann", erklärt Marcel Schmidt, der bei neuen Logistik-Start-up fürs Marketing zuständig ist. Das war vor gut anderthalb Jahren. Inzwischen wurde aus der Idee eine App: Sie macht - einfach gesagt - jedermann zum Paketboten. Wer eine Sendung zu verschicken hat, kann in der Lieferlotse-App das Ziel eingeben. Das sehen dann andere Nutzer, die vielleicht gerade das gleiche Ziel haben und sie mitnehmen können. So entstand eine Mitfahrzentrale für Gegenstände. Hat dieses Konzept Zukunft? Davon waren zumindest die Juroren eines Startup-Wettbewerbs überzeugt, der letztes Jahr von der internationalen Werbeagentur Publicis ausgerichtet wurde. Dort belegte das Kölner Start-up den zweiten Platz und gewann 200.000 Euro Anschubfinanzierung. Die Jury war prominent besetzt, unter anderem mit Vertretern von Schwergewichten wie Facebook und Google. Und dank der Kapitalspritze konnte das Lieferlotse-Team seine App zu Ende entwickeln. In einer Testversion läuft sie bereits, in rund drei Monaten will das Unternehmen Lieferlotse offiziell am Markt starten und dann auch die ersten (Mit-)Fahrten vermitteln. Das Unternehmen passt gut in das typische Muster eines Logistik-Start-ups. Die Gründer sind relativ jung, zwischen 35 und 42 Jahre alt, kommen allesamt nicht aus der Logistik - und geben das auch freimütig zu. Firmengründer Felix Hartmann ist von Haus aus Sozialarbeiter, Marketingmann Schmidt arbeitet in der Medienbranche. Die beiden kennen schon seit Jahren, den Rest des Gründerteams haben sie im Bekanntenkreis rekrutiert. Derzeit treiben alle Lieferlotse noch neben ihren normalen Jobs voran - nicht zuletzt, weil vier der Gründer Familien haben. Doch sobald der Dienst abhebt, wolle man sich ihm hauptberuflich widmen, heißt es. Kooperation statt Konfrontation "Momentan sind wir auf der Suche nach einem strategischen Investor aus der Branche", erklärt Schmidt. Am liebsten hätte das Team einen Logistiker an seiner Seite, der Kapital und Know-how einbringt, um die Güter-Mitfahrzentrale Wirklichkeit werden zu lassen. Deshalb schütteln die Gründer derzeit viele Hände. Unlängst haben sie zum Beispiel ihr Konzept bei einer Veranstaltung des Bundesverbandes der Kurier-Express-Post-Dienste (BdKEP) und von GS1 Germany in Köln präsentiert. Schmidt begründet solche Auftritte so: "Wir wollen uns zusammen mit der Branche entwickeln und zum Beispiel erfahren, welche Schnittstellen sie braucht." Er weist darauf hin, dass durch einen Service wie Lieferlotse für das gesamte Transportgewerbe neue Chancen entstünden. "Leerfahrten lassen sich reduzieren oder vermeiden, Taxifahrer können Sendungen transportieren, statt Standzeiten zu haben, Busse können zu Postbussen werden, Berufspendler zu Kurieren." Das sind ungewohnt sanfte Töne. Denn in der Vergangenheit positionierten sich viele Start-ups in der Logistik als aggressive Preisbrecher: Umzugsplattformen wie Move24 versprechen 70 Prozent geringere Kosten für die Kunden, und der Fahrdienst Uber macht etablierten Taxis vor allem über seine niedrigeren Tarife Konkurrenz. Diesen Weg will Lieferlotse nicht gehen. Die Gründer setzen auf Kooperation - und nicht auf Konfrontation. Man wolle die Preise "im Dialog mit der Branche" bilden, betont Schmidt. Das spiegelt sich auch im Geschäftskonzept wider: Anders als bei Uber, wo ein Algorithmus für die Fahrten knallharte Kampfpreise diktiert, will Lieferlotse den Preis für die Beförderung einer Sendung zunächst nur unverbindlich vorschlagen. Wie hoch diese Vorschläge dann sein werden, können die Unternehmensgründer noch nicht sagen. Die Ökonomie des Teilens Insgesamt sind viele Details zum Angebot von Lieferlotse noch vage. Sollen als Boten nur Privatleute fungieren oder kommen auch Profis zum Zug? Hat man als Kunden nur Privatleute wie Ebay-Verkäufer im Visier oder auch Unternehmen? Geht es in Richtung Güter-Mitfahrzentrale oder könnte Lieferlotse auch zu einer Frachtenbörse werden? Sowohl als auch, heißt es von den Gründern zu diesen Fragen. Mit definitiven Aussagen hält man sich dagegen noch zurück. "Vieles ist im Fluss", gibt Marketingchef Schmidt zu. Nur eines ist klar: Was Lieferlotse auszeichnet, sind zwei Dinge - zum einen die Abwicklung des gesamten Geschäfts über eine App und zum anderen die Konzentration auf die Ökonomie des Teilens" (Sharing Economy). Frei verfügbarer - und sonst frei bleibender - Laderaum in Lkw und Pkw soll mit anderen Menschen geteilt werden. Experten halten die Idee der sogenannten Crowd-Delivery, also der Zustellung durch die "Crowd" (Masse), grundsätzlich für chancenreich. Die Unternehmensberatung Oliver Wyman stuft sie in ihrer Studie "Transport & Logistics 2016" als wichtige Innovation ein, die das Zeug dazu hat, "die Struktur des Postwesens grundsätzlich zu ändern". Doch so gut die Idee auch sein mag - neu ist sie nicht. Deutsche Post DHL zum Beispiel hat schon vor vier Jahren, in 2013, in Stockholm ein Experiment in Sachen Crowd Delivery auf der letzten Meile gestartet. Getestet wurde damals ein Service namens MyWays, der genau das machte, was Lieferlotse nun vorhat: Sendungen von Privatleuten zustellen zu lassen. Der Test galt als Erfolg und wurde geplant nach drei Monaten wieder beendet. Zeitgleich versuchte sich ein deutsches Start-up namens BidCourier an dem Konzept. Wie erfolgreich, weiß man nicht. Otto Normalverbraucher wird Paketbote Auch in Österreich betreibt die Firma Checkrobin seit fast vier Jahren eine Mitfahrzentrale für Güter; und schon länger munkelt man über einen möglichen Einstieg auf dem deutschen Markt. Der Fahrdienst Uber bietet in einigen amerikanischen Großstädten ebenfalls Kurierfahrten an. Und nicht zuletzt Amazon hat 2015 einen Service namens "On My Way" angekündigt, mit dem Otto Normalverbraucher zum Paketboten gemacht werden sollte. Von dem Vorstoß war danach allerdings nicht mehr viel zu hören. Die letzte Meldung kam im Frühjahr 2016, und da hieß es aus Seattle nur noch, man wolle zusätzliche Fahrer anheuern, die auf eigene Rechnung arbeiten. Bei all diesen Projekten fällt eines auf: Die Idee, Logistikleistungen von der "Crowd" erledigen zu lassen, wird häufig groß angekündigt - und verschwindet dann wieder schnell aus den Schlagzeilen. Vielleicht auch um diesem Schicksal zu entgehen, stapeln die Kölner Newcomer lieber tief. Man sei "relativ zurückhaltend", heißt es. Auch dass andere Unternehmen schon ähnliche Ideen hatten, bestreitet Marketingmann Schmidt nicht, gibt aber zu bedenken: "Man muss nicht immer der Erste auf dem Markt sein." Er verweist auf den Essens-Lieferdienst Lieferando, der spät gestartet war und dennoch sehr erfolgreich ist. Aber was, wenn der Service in Deutschland trotzdem nicht abhebt? Dazu meint Schmidt: "Das Geschäftsmodell könnte auch interessant für Länder wie China sein, in denen es kein funktionierendes Postwesen gibt." Mehr zum Thema im Dossier "Logistik-Start-ups" www.verkehrsrundschau.de/dossiers Die Serie Neue Logistik-Start-ups Die Serie stellt in loser Folge Unternehmensgründungen aus Transport und Logistik vor- VR 46/2016: Die Mitfahrzentrale für Frachten Pamyra- VR 50/2016: Die Spedition der Zukunft InstaFreight- VR 4/2017: Der Landverkehrs-Marktplatz Cillox- VR 8/2017: Die Mitfahrzentrale Lieferlotse- VR 12/2017: B2C-Versand ins Ausland: Seven Senders

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