"Die Logistik braucht die Frauen"

Am Anfang habe sie das typische Doppelleben geführt - vormittags Geschäftsfrau, nachmittags Hausfrau und Mutter", erinnert sich Barbara Gressel-Kolb. "Am Anfang", das war 2003, als sie in die Geschäftsführung der Gressel Spedition mit Sitz in Neustadt/Aisch eingetreten ist. Ursprünglich hatte die 47-Jährige Bankkauffrau gelernt, ein Einstieg in den vom Vater gegründeten Betrieb stand nicht oben im Lebensplan. Doch dann kam alles anders: Gressel-Kolb übernimmt die Co-Geschäftsleitung und hilft dabei, die Spedition zum breit aufgestellten Logistikdienstleister auszubauen. Zunächst arbeitet die Mutter dreier Kinder (damals drei, sieben und neun Jahre alt) in Teilzeit, heute ist sie rund um die Uhr für den Betrieb im Einsatz. Der Fuhrpark ist von zwei Fahrzeugen im Jahr 1990 auf 67 gewachsen, der Familienbetrieb hat neue Lagerhallen errichtet, das Geschäft mit Mehrwertdiensten ausgebaut. Allein unter Männern Ist sie im Alltag alleine unter Männern? "Nicht ganz, es gibt Verwaltungsmitarbeiterinnen, und eine weibliche Mitarbeiterin sitzt sogar auch auf dem Stapler. Aber es stimmt schon: Die meisten Kontakte hat man mit Männern", sagt Gressel-Kolb. Dass Frauen in der hemdsärmeligen und manchmal ruppigen Logistikbranche im Nachteil sind, findet sie nicht. "Gerade in schwierigen Verhandlungen geht es gesitteter zu, wenn weibliche Teilnehmer mit am Tisch sitzen." Außerdem könnten Frauen leichter einen persönlichen Draht zu Gesprächspartnern finden, so Gressel-Kolbs Erfahrung. "Ich frage auch mal nach der Familie oder der Frau, damit tun sich männliche Kollegen schwerer." Weiblichen Nachwuchskräften will sie mit auf den Weg geben: "Man muss nicht der harte Hund sein, man kann es mit weiblicher Güte schaffen." Wichtig sei allerdings, sich nicht ausnutzen zu lassen. "Irgendwann muss man auf den Tisch hauen und sagen 'So wird das jetzt gemacht!'" Gressel-Kolb befindet sich da noch ganz klar in der Minderheit - zumindest in der Transport- und Logistikbranche, wo der Anteil der Frauen nach wie vor unterhalb der 40-Prozent-Marke liegt. Und in den Führungspositionen sieht es noch ungleicher aus: Nach einer Untersuchung der Bundesvereinigung Logistik (BVL) von 2012 werden gerade einmal rund zehn Prozent Frauen in gehobenen Branchen-Positionen beschäftigt. Neuere Zahlen liegen nicht vor. Thomas Wimmer, Vorsitzender der BVL-Geschäftsführung, geht allerdings davon aus, dass sich an diesem Anteil nicht wirklich etwas geändert habe. Hoffnung macht , dass sich in den logistikorientierten Studiengängen laut Wimmer heute ebenso viele Frauen wie Männer befinden. "Wenn die Unternehmen des Wirtschaftsbereichs Logistik also qualifizierte Frauen gezielt ansprechen und angemessen auf das steigende weibliche Interesse an einer Tätigkeit in Supply Chain Management und Logistik reagieren, können sie Wettbewerbsvorteile erschließen", ist sich der BVL-Chef sicher und ergänzt: "Es gibt für Unternehmen verschiedene Stellschrauben, um für weibliche Fachund Führungskräfte attraktiver zu werden. Neben dem Offensichtlichen, wie einer familienfreundlichen Unternehmenskultur mit flexiblen Arbeitszeiten, zählen dazu auch Dinge wie die Angleichung der Einkommen oder Vereinbarungen zur Chancengleichheit." Persönliches Umfeld muss mitspielen Dass in der Logistik lediglich rund zehn Prozent aller Führungskräfte weiblich sind, hat natürlich einen einfachen Grund: Die Belegschaften insgesamt sind männlich dominiert. So lag bei den versicherungspflichtigen Berufskraftfahrern der Frauenanteil im Jahr 2016 bei gerade einmal 1,7 Prozent, in der gesamten Logistik erreicht die Quote immerhin 40 Prozent. Hier wirkt also einerseits sicher noch das alte Image von der "schmutzigen" Branche nach, andererseits sorgen Bremsfaktoren von außen dafür, dass sich nichts ändert: Firmenchefs, die zwar "Diversity" predigen, aber sie nicht leben, oder auf einer Anwesenheitskultur beharren, in der sich Familie und Karriere für Frauen eben doch schlecht vereinbaren lassen. Das ist aber nur ein Teil der Wahrheit. Ganz wesentlich ist zum Beispiel, wie das persönliche Umfeld, in der sich die jeweilige Frau bewegt, die Karriere unterstützt. Darauf verweist Monika Henn, Diplompsychologin und Management-Trainerin von Henn Consulting in Bonn: "Es braucht zum Beispiel einen Partner, der bei der Karriere unterstützt und kein Problem damit hat, weniger erfolgreich zu sein - und einen verständnisvollen Freundeskreis", weiß sie. Gerade von weiblichen Bekannten werden erfolgreiche Frauen oft ausgegrenzt, beobachtet Henn häufig. Wie können sich weibliche Mitarbeiter in einer hemdsärmeligen Branche wie der Logistik, in der mitunter ein rauer Umgangston gepflegt wird, behaupten? "Sicher nicht, indem sie wie Männer werden", meint Henn. Professorin Caprice Weissenrieder von der Frankfurt University of Applied Sciences sagt: "Dass Frauen am Ende ihre Weiblichkeit verlieren, muss nicht sein". Weissenrieder muss es wissen. Die Wissenschaftlerin erforscht, welche Faktoren den Aufstieg von Frauen verhindern oder aber begünstigen. Der Rat der Expertin lautet: Frauen sollten an ihrer Aufstiegskompetenz arbeiten, sich Dinge zutrauen, netzwerken und Unterstützer suchen. Sie sollten sich für Machtspiele und Widerstände wappnen, aber nicht ihre Authentizität verlieren. "Vielleicht wird die ganze Branche ja auf allen Ebenen für Frauen attraktiver, wenn es morgen nicht mehr so zugeht wie fallweise heute", sagt Business-Coach Henn. Fast noch wichtiger aber ist, dass die Betriebe an den Rahmenbedingungen arbeiten. So haben viele Unternehmen zum einen die Förderung von Frauen lange Zeit nicht ernst genug genommen und gar nicht oder erst spät damit angefangen. Zum anderen ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familie oft nach wie vor schwierig - wovon häufig insbesondere Frauen betroffen sind. Das ist das Ergebnis des Mittelstandsbarometers der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft Ernst & Young (EY), das im März 2018 veröffentlicht wurde. Für die Studie waren deutschlandweit 2000 mittelständische Unternehmen mit mindestens 20 Millionen Euro und höchstens einer Milliarde Euro Umsatz befragt worden. Frauen führen anders Führen Frauen eigentlich anders als Männer? Dazu gibt es viele wissenschaftliche Studien. "Frauen gehen anders mit Mitarbeitern um, respektvoller und kooperativer", hat zum Beispiel Management-Trainerin Monika Henn in Untersuchungen festgestellt. Bei weiblichen Führungskräften stünde eher das 'Wir gemeinsam' im Vordergrund, der klassische Chefstil mit seinen Machtsymbolen dagegen sei weniger anzutreffen. Zudem hat Henn in wissenschaftlichen Studien herausgefunden, dass leitende Mitarbeiterinnen bei sogenannten Führungskompetenzen besonders stark sind. Sie können Mitarbeiter gut motivieren und anleiten, vermitteln überzeugend Ziele und haben ein Gespür für das Team. Schwächer dagegen ausgeprägt ist die sogenannte Aufstiegskompetenz, also alles das, was die Karriere letztendlich voranbringt: Netzwerken, Pflege der richtigen Kontakte, Umgang mit Konkurrenz. "Frauen sind seltener Mitglied im 'Inner Circle', also in den Zirkeln der Macht", bestätigt die Wissenschaftlerin Weissenrieder. Ihre Forschungen belegen: "Politisches Geschick spielt dabei eine große Rolle, ebenso die Fähigkeit, Allianzen zu schmieden, das wird oft unterschätzt", gibt Weissenrieder als Beispiel. Politisch geschickte Personen seien zudem auch meist gute Beobachter. Sie registrieren, wie die erfolgreichen Manager miteinander umgehen, und lernen dadurch. Wichtigster Punkt, in dem viele weiblichen Führungskräfte Aufholbedarf haben, ist das Selbstmarketing. "Wenn einem Mann ein Projekt anboten wird, sagt er zu, auch wenn er vielleicht nicht alle nötigen Fähigkeiten mitbringt - Frauen sind hier oft zurückhaltender", beobachtet Weissenrieder. Diese meist unangebrachte Bescheidenheit zeige sich selbst in den Werdegängen von sogenannten Top-Frauen, ergänzt Business-Coach Henn. "Auf Nachfrage sagen viele 'Diese Position wurde mir angeboten'." Netzwerke für Unternehmerinnen Es gibt einige Netzwerke, in denen sich weibliche Führungskräfte austauschen können - was wichtig ist. "Denn Frauen, die zum Beispiel eine Transportfirma führen, stehen dreifach unter Druck. Sie sind nicht nur meist Mutter und Ehefrau, sondern halten in der Regel auch den Firmenbetrieb am Laufen", erklärt Susanne Spies. Spies weiß, wovon sie spricht. Seit dem Jahr 2006 organisiert die Projektleiterin bei der SVG Bundes-Zentralgenossenschaft Straßenverkehr, Frankfurt/Main, zweimal im Jahr eine Erfa für Unternehmerinnen im Transportgewerbe. "Wir wollen weiblichen Führungskräften in der Transportbranche die Möglichkeit geben, sich außerhalb der täglichen Pflichten fachlich und persönlich auszutauschen, um so bestimmte Dinge im Betrieb besser entscheiden und regeln zu können", erklärt Spies. Und diese Möglichkeit werde gerne angenommen. "Im Schnitt sind bei jedem Treffen 13 bis 15 Unternehmerinnen dabei, sogar noch fünf Frauen der ersten Stunde", erzählt Spies. Der Denkanstoß für die weibliche Erfa sei aber letztlich von ihrem Kollegen Ernst Mäußler gekommen, der seinerzeit als Berater der SVG viele Transportunternehmen von innen kennengelernt habe und dabei für sich mitgenommen habe: "Wenn die Frauen Betriebe führen, tun sie es klarer strukturiert. Sie sind offen für Veränderungen und Entwicklungen, haben bessere Empathiewerte und treffen klarere Entscheidungen." Bei so viel Lob wundert es nicht, dass Mäußler (heute Geschäftsführer des Transportnetzes Kolos) nach wie vor gerne die Unternehmerinnen-Erfa bei betriebswirtschaftlichen Themen unterstützt. "Weitere Unternehmerinnen auf der Erfa sind im Übrigen gerne willkommen", betont Spies. Das nächste Treffen, unter anderem zur EU-Datengrundschutz-Verordnung, ist Ende September in München geplant - Besuch des Oktoberfestes inklusive - so viel Spaß muss sein. Mehr zum Thema im Dossier Unternehmensführung www.verkehrsrundschau.de/dossiers Statement Zu dreckig, laut und einfach zu harsch? Die Logistik ist derzeit noch eine reine Männerdomäne. - Das ist Fakt! Aber wieso entscheiden sich nicht mehr Frauen für Berufe in der Logistik? Die Gründe dafür sind vielschichtig. Das breite gesellschaftliche Verständnis des Berufsbildes Logistik ist sicherlich auch dafür verantwortlich. Zum Beispiel ist der Stereotyp des Fernfahrers in einem dreckigen und lauten Arbeitsumfeld mit einem schroffen Umgangston in den Köpfen verankert. Auch wenn dieser Vorstellung sicher ein wahrer Kern innewohnt, so ist die Logistik viel mehr - intelligente Bedarfsplanung, optimierte Routenplanung und auch innovative Telematiklösungen Auch wenn sich in einzelnen Berufen der Logistik dem Anschein nach in den letzten Jahren ein Wandel durchzieht, so sind bislang nur rund zehn Prozent aller Führungspositionen in der Logistik weiblich besetzt. Gerade die Ergebnisse des Wettbewerbs Best Azubi aus den vergangenen Jahren zeigen, auf welches Potenzial sich die Logistik in den kommenden Jahren stützen darf. Und das sind - welch eine Überraschung - mehrheitlich junge Frauen. Die explizite Betrachtung weiblicher Berufskraftfahrer offenbart jedoch derzeit deutliche Schwachstellen. Die derzeit rund 9000 in Deutschland beschäftigten Lkw-Fahrerinnen haben mit einem prozentualen Anteil von 1,7 Prozent immer noch Exotenstatus, welches sich auch im Arbeitsalltag widerspiegelt. Mangelnde Ausstattung sanitärer Einrichtungen, nicht Familien-kompatible Arbeitszeitmodelle oder auch mangelndes Verständnis im direkten beruflichen Umfeld sind leider oftmals der Alltag. Um gerade den Mangelberuf des Berufsraftfahrers/der Berufskraftfahrerin zu stärken, müssen Frauen in den Fokus der Betrachtung gerückt werden. Umparken im Kopf ist gefragt!Der BWVL vertritt die Interessen von rund 1200 Unternehmen aller Größenordnungen aus Industrie und Handel in puncto Transport und Logistik. Mehr unter: www.bwvl.de Lea Metzler, Referentin des Bundesverbandes Wirtschaft, Verkehr und Logistik (BWVL)

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