Die Folterknechte Europas

Wenn man es denn (mehr oder minder stark ) übertrieben ausdrücken möchte, dann könnte man das Land Tirol als die Folterkammer Europas für das Transport- und Speditionsgewerbe bezeichnen. Denn die Palette an Maßnahmen, mit denen die Österreicher den Güterverkehr in den letzten Jahrzehnten gepeinigt haben, ist lang: angefangen bei den Öko-Punkten über die Brenner-Maut bis hin zum Nachtfahr- und dem sektoralen Fahrverbot. Diverse Brenner-Blockaden verschiedener Umweltgruppierungen nicht zu vergessen. Neues Folterinstrument erzeugt Protest Als neuestes Folterinstrument haben sich die Tiroler die Blockabfertigung ausgedacht. Anfangs war diese Maßnahme nur als Notlösung gedacht für Zeiten, in denen sich auch der Urlaubsverkehr durch das Inntal zwängt. Doch mittlerweile hört sich das anders an: "In diesem Jahr sind 20 bis 30 weitere Blockabfertigungen vorgesehen", heißt es in einer Mitteilung des Landes Tirol anlässlich eines im Januar gefassten Regierungsbeschlusses. Damit noch nicht genug: Tirol will die Daumenschrauben weiter anziehen und beabsichtigt die Einführung einer Korridormaut und einer Lkw-Obergrenze (siehe Seite 25). Für die Speditionen ist das alles kein Spaß. Die jüngsten Blockabfertigungen, bei denen nur 250 bis 300 Lkw pro Stunde die Inntalautobahn befahren dürfen, haben zu kilometerlangen Staus geführt. "Durch die Blockabfertigung werden unsere Rundläufe erheblich beeinträchtigt", sagt Georg Dettendorfer, Geschäftsführer der Johann Dettendorfer Spedition in Nussdorf am Inn. Über 191 Zugmaschinen verfügt die Unternehmensgruppe. Er hat mal den Umsatzausfall für seine Spedition aufgrund der Blockabfertigung am 26. Oktober berechnet: "Damals sind uns Umsätze in Höhe von 30.000 Euro entgangen." Das Unternehmen Josef Gschwendtner ist gleich doppelt betroffen. Zum einen hat das Transportunternehmen mit 20 Fahrzeugen seinen Sitz in Kiefersfelden, also direkt an der Grenze zu Österreich an der A 93. "Wenn einer unserer Lkw am Tag der Blockfertigung morgens Güter nach Rosenheim fährt und dann wieder Ware in unserem Lager aufnimmt, ist er wegen des Staus statt um 10 Uhr erst um 15 Uhr wieder zurück", sagt der geschäftsführende Gesellschafter Markus Gschwendtner. Zum anderen bezeichnet er Italien als "unsere Heimat", als das Land, wohin die meisten seiner Transporte gehen. "Wir können nur über den Brenner fahren. Und statt 13 Uhr beim Kunden sind wir bei Blockabfertigungen erst um 13 Uhr am Brenner", sagt der Spediteur. Er rechnet bei der Hälfte seiner Fahrzeuge mit Umsatzverlusten von 500 Euro. "Durch eine Blockabfertigung verlieren wir somit 5000 Euro an Umsatz", hat er berechnet. Die Maßnahme wird auch Thema sein auf dem Brenner-Gipfel am 5. Februar in München, der auf eine Initiative von Bundesverkehrsminister Christian Schmidt stattfindet (siehe Kasten Seite 26). Für Dettendorfer gibt es keine Zweifel, dass über die Einstellung der Blockabfertigung diskutiert werden muss. "Neben dem Umsatzverlust entstehen uns ja noch weitere Kosten", so der Unternehmer. Die Disposition ist damit beschäftigt, Ersatz zu finden für Lkw, die in den Staus stecken - in Zeiten von Laderaumknappheit ein Unterfangen, das viel Zeit kostet. Oder die Disponenten suchen nach Ausweichrouten. Die Folge: Mehrkilometer und somit ein höherer Spritverbrauch sowie zeitlich gesehen eine stärkere Beanspruchung der Fahrer. Tirol verlagert Staus nach Bayern Sebastian Lechner, Hauptgeschäftsführer des Landesverbandes Bayerischer Transport- und Logistikunternehmen (LBT), zeigt ebenfalls keinerlei Verständnis für die Tiroler. "Das ist doch nur eine Verlagerung der Probleme und damit der Staus auf die benachbarten Regionen", schimpft er. In dieser Form sei die Blockabfertigung "nicht akzeptabel". Er verweist auf die diversen Maßnahmen, die Tirol bereits beschlossen hat. Damit müsse irgendwann mal Schluss sein. Zum anderen hätte das Land bei vielen Maßnahmen einen Rückzieher machen müssen, weil sie nicht den Gesetzen entsprachen. "Zudem muss sich das Transportgewerbe nicht den Vorwurf gefallen lassen, nichts getan zu haben: 90 Prozent der Lkw auf der Brenner-Strecke sind bereits mit Euro 6-Motoren ausgerüstet", sagt Lechner. Gschwendtner setzt auch auf diese Lkw. "Wenn jetzt von einer neuen Maut die Rede ist, kann es nicht sein, dass die Unternehmen bestraft werden, die in umweltfreundliche Technologie investiert haben", sagt der Firmeninhaber. Die Autobahn durch das Inntal sei ohnehin die teuerste in Europa. Fast 100 Euro würden für die 110 Kilometer bis zum Brenner fällig, so Gschwendtner. Aber haben die Unternehmen womöglich zu wenig auf die Bahn gesetzt? Eine Alternative, die ja auch immer wieder vom Land Tirol genannt wird. "Dafür gibt es doch gar nicht die Kapazitäten: Es fehlt an Trassen, an Terminals und damit auch an entsprechenden Angeboten", sagt Sabine Lehmann, Geschäftsführerin des Landesverbandes Bayerischer Spediteure (LBS). Zudem müssten die Speditionen auch den Anforderungen an Zuverlässigkeit, Schnelligkeit und Wirtschaftlichkeit des Transports erfüllen. Da könne das Angebot der Bahn nicht immer mithalten. Die Rollende Landstraße (Rola) ist keine Alternative. "Die Kapazitäten sind nicht ausreichend", sagt Lehmann und schlägt vor, die Rola Trento-Regensburg wieder aufzunehmen. "Es gibt derzeit pro Tag etwa 20 Rola-Züge zum Brenner", ergänzt Lechner. Bei 20 Lkw pro Zug seien das nur 400 Stellplätze, die heute schon weitgehend belegt sind. Es würden auf der Inntalautobahn jedoch täglich bis zu 8000 Lkw fahren, sodass eine Erweiterung um wenige Züge kaum spürbar sein werde. Lehmann fordert von Tirol zudem genauere Zahlen: "Wenn die Transit-Lkw zur Kasse gebeten werden sollen, müssen wir auch wissen, wie viele der 2,25 Millionen Lkw pro Jahr tatsächlich Transitverkehr sind und wie hoch der Anteil des bilateralen Verkehrs mit Tirol ist - erst recht dann, wenn eine Korridormaut eingeführt werden soll." Trotz aller Widerstände: Alle Unternehmen und Verbandsvertreter zeigen Verständnis dafür, dass die Bevölkerung im Inntal unter dem zunehmenden Verkehr leidet. Aber: "Wenn es die eine, goldene Maßnahme gäbe, hätten wir die schon längst vorgeschlagen", sagt Lehmann und macht damit deutlich, wie schwer es ist, eine akzeptable Lösung zu finden. Dettendorfer regt an, das Nachtfahrverbot in Tirol aufzuheben oder zumindest zu verkürzen: "Dann verteilt sich der derzeitige Verkehr viel besser und kommt es zu weniger Staus." Unisono fordern die Wirtschaftsvertreter vom Brenner-Gipfel ein Ende der Blockabfertigung. "Mit den Blockabfertigungen ist keinem geholfen. Auch die Tiroler Wirtschaft leidet, weil ihre Ware im Stau steckt", sagt Dettendorfer. "Wir plädieren für die Einrichtung einer ständigen Arbeitsgruppe mit allen Beteiligten, die gemeinsam nach Lösungen sucht", sagt Lechner. Gemeinsam mit dem LBS hat der LBT diesen Vorschlag in einem Papier festgehalten, das dem bayerischen Innenminister im Vorfeld des Brenner-Gipfels zugesandt wurde. "Wir müssen auch unbedingt die Bahnvertreter einbinden, um hier neue und bessere Angebote machen zu können", sagt Lechner. Wahlen in Tirol als Bremser Doch ob der Brenner-Gipfel tatsächlich die Blockabfertigung beenden wird, da ist Lechner ziemlich skeptisch. Denn am 25. Februar 2018 sind Landtagswahlen in Tirol und im Herbst dann auch in Südtirol. "Es ist davon auszugehen, dass die amtierende Tiroler Regierung keine Zugeständnisse machen wird, um nicht ihre Wähler zu vergraulen", befürchtet Lechner. Die Tür zur Folterkammer würde damit also weiterhin offenstehen. Keine guten Aussichten für das Transportgewerbe. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Alpentransit www.verkehrsrundschau.de/dossiers Tirols Pläne zur Eindämmung der Tansit-Lkw Mehr Blockabfertigungen und eine hohe Korridormaut Sechs Mal haben die Tiroler bislang die Lkw in Kufstein angehalten und nur tröpfchenweise weiterfahren lassen. Bei dieser sogenannten Blockabfertigung gewährt die Tiroler Polizei nur 250 bis 300 Lkw pro Stunde die Weiterfahrt auf der Inntalautobahn."Die Erfahrungen aus den bisher durchgeführten Blockabfertigungen sind positiv: Der Verkehrsfluss wurde aufrechterhalten und die Verkehrs- und Versorgungssicherheit entlang der A 12 Inntalautobahn gewährleistet", sagt der Landeshauptmann von Tirol, Günther Platter. Was er verschweigt: Dafür blockierte auf deutscher Seite ein Lkw nach dem anderen die rechte Fahrbahnseite mit der Folge, dass der Rückstau sogar zu Beeinträchtigungen auf der A 8 zwischen München und Salzburg führte.Die Landesregierung in Tirol hat am 16. Januar den Beschluss gefasst, dass es in diesem Jahr 20 bis 30 weitere Blockabfertigungen geben soll. Damit noch nicht genug: Auf einem Verkehrsgipfel haben sich Tirol, Südtirol und Trentino für eine einheitliche Korridormaut ausgesprochen. Die soll noch bis Anfang März in Südtirol und dem Trentino in die Wege geleitet werden. Platter spricht sich zudem so rasch wie möglich für eine Lkw-Obergrenze auf der Inntalautobahn aus. Die soll bei maximal einer Million Lkw liegen. 2017 lag die Zahl der Transit-Lkw auf der A 12 bei 2,25 Millionen. cd Bundesverkehrsminister lädt nach München ein Das ist der (Brenner-) Gipfel Die Blockabfertigungen auf der Inntalautobahn an der Grenze zu Deutschland bleiben nicht ohne Wirkung. Die Politik in Deutschland hat reagiert und zu einem Brenner-Gipfel eingeladen.Am 5. Februar kommen die politisch Verantwortlichen nach München, um nach Lösungen zu suchen, wie man den Brenner-Korridor entlasten kann. Die Initiative geht von Bundesverkehrsminister Christian Schmidt (CSU) aus. Eingeladen sind seine Kollegen aus Österreich und Italien, Norbert Hofer und Graziano Delrio, sowie der bayerische Verkehrs- und Innenminister Joachim Herrmann (CSU), der Landeshauptmann von Tirol, Günther Platter, sowie Arno Kompatscher, Landeshauptmann der autonomen Provinz Bozen-Südtirol. "Weniger Staus, mehr Verkehrssicherheit und effizientere Verkehre über den Brenner", zählt Schmidt seine Ziele für den Brenner-Gipfel auf. "Lkw-Blockabfertigungen sind dabei keine akzeptable Lösung"; damit macht er deutlich, dass er diese Maßnahme nicht akzeptiert. Ihm schwebt eine "europäische Lösung" vor, mit der der grenzüberschreitende Schienengüterverkehr gestärkt und der Brenner-Korridor entlastet werden sollen. Als einzige konkrete Maßnahme nannte er die im "Masterplan Schienengüterverkehr" enthaltenen Vorschläge. cd

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