Die Folgen der Katastrophe

Die Trümmer sind noch nicht alle weggeräumt in Genua, wo am 14. August 2018 ein 250 Meter langes Teilstück der innerstädtischen Autobahnbrücke A 10 einstürzte. "Während die Behörden an einem Krisenplan arbeiten, ist der Transit in den Westen nur durch die Metropolregion oder einen Umweg von über 100 Kilometern möglich", schildert Maurizio Fasce die Situation für den Lkw-Verkehr des wichtigsten Containerhafens in Italien. Der Regionaldirektor der Spedition A. Hartrodt, die in Genua ihre Zentrale für den Mittelmeerraum und Südafrika hat, bittet Kunden um Geduld: "All das wird erhebliche Verspätungen, Extrakosten - die derzeit absolut nicht vorhersagbar sind - und zahlreiche andere Unannehmlichkeiten verursachen, die völlig außer Kontrolle sind", warnte der Italiener unmittelbar nach der Katastrophe. "Logistische Wunder" könne er nicht versprechen. Straße und Schiene betroffen Das sogenannte Polcevera-Viadukt, besser bekannt als Ponte Morandi, war die Verbindung zwischen zwei Hafenteilen: dem Voltri Terminal Europa (VTE) des Betreibers PSA im Westen sowie den Terminals östlich im Stadthafen in Sampierdarena. "Täglich befuhren 800 bis 1000 Lkw die Brücke", sagte Paolo Emilio Signorini der VerkehrsRundschau. Als Präsident der Hafensystemverwaltung des westlichen Ligurischen Meeres ist er seit Dezember 2016 für Genua, Savona und Vado Ligure verantwortlich. Noch nie stand er vor so großen Herausforderungen wie jetzt. Weil die Brücke auf Gleisen zusammengebrochen ist, steht die wichtigste Schienenverbindung zu den meisten Containerterminals nicht zur Verfügung. Signorini hofft, dass die Trasse innerhalb eines Monats wieder in Betrieb gehen kann. Bis dahin müssen pro Tag 1000 Lkw zusätzlich zu den 6000 eingesetzt werden, die ohnehin schon auf den Straßen der Hafenstadt unterwegs sind, schätzen Experten. Behörden und Hafenverwaltung arbeiten gemeinsam mit Genueser Hafen- und Logistikunternehmen unter Hochdruck an Lösungen. Dabei bringt sich Fasce nicht nur seitens A. Hartrodt ein, sondern auch für den Genueser Speditionsverband Spediporto, dem er bis März 2016 drei Jahre lang als Präsident vorstand. Binnen Jahresfrist soll eine neue Brücke stehen. Autobahnbetreiber Autostrade per l'Italia hat angeboten, das Viadukt wiederaufzubauen. "Es war eine der wichtigsten Verkehrsinfrastrukturen auf europäischer Ebene", betont Fasce. Um den Stau in Genua abzumildern, wird ein Frachtkorridor über das Firmengelände des Ilva-Stahlwerks eingerichtet. Die Strecke verläuft parallel zur Brücke. "Damit sie täglich 500 bis 800 Lkw aufnehmen kann, muss die Asphaltdecke mit höchster Priorität erneuert werden", erklärt Fasce. Über die Brücke benötigten Lkw nach Signorinis Angaben durchschnittlich 30 bis 45 Minuten, Stau gab es immer. Ob sich die Fahrtzeit zwischen den Terminals erhöht, kann der Hafenchef noch nicht sagen: "Wir müssen bis zum Ferienende Anfang September abwarten." So lange gibt es in Genua deutlich weniger Verkehr, ein kleines Glück im Unglück. Auswirkungen auf ganz Europa Unterdessen stellt sich das Güterverkehrsgewerbe auf Behinderungen ein. Das Transport- und Logistikunternehmen Fercam mit Sitz in Bozen und 63 Zweigstellen in Italien bietet am Standort Genua Transport- und Distributionsleistungen an. "Unsere Niederlassung liegt westlich der Brücke, bei den Verteilerverkehren in Richtung Innenstadt werden wir jetzt alternative Zufahrtswege befahren", erklärt eine Unternehmenssprecherin. Bei den Komplettladungsverkehren sei für die Strecke von der Toskana über Genua in Richtung Frankreich mit einem Umweg von rund 70 Kilometern zu rechnen, "aber die Mehrzeit dafür ist aktuell schwer abzuschätzen". Der Hafen arbeitet seit einigen Tagen rund um die Uhr, um den Verkehr dorthin möglichst nicht zu behindern. Stärker betroffen ist die Ost-West-Achse. Die Morandi-Brücke war die Hauptverbindung nach Frankreich und Spanien. Dieser Verkehr muss durch die Stadt umgeleitet werden. "Es führt aktuell bereits zu Verkehrsproblemen, die nach der Urlaubszeit noch zunehmen werden", sagt Massimo Faggin, Geschäftsführer bei Alpensped. Die Mannheimer Spedition bietet unter anderem Italien-Transporte an. In den nächsten Wochen rechnet der gebürtige Italiener mit weiteren Auswirkungen der Katastrophe, weil in Genua ein Teil des Schienennetzes verschüttet ist. "Der Lkw-Bedarf rund um Norditalien wird somit für circa zwei Monate steigen. Das könnte einen leichten Lkw-Engpass bei internationalen Verkehren von und nach Italien als Folge haben", meint er. Für Alpenspeds Transportstrecken erwartet er allerdings höchstens kurzzeitige Schwankungen und insgesamt "keine großen Probleme für das laufende operative Geschäft". Zusammenhalt ist wichtig Für den europäischen Fernverkehr empfiehlt Autostrade per l'Italia, Genua und Ligurien weitläufig zu umfahren. Alternativrouten auf der Nord-Süd-Achse sind die A 1 Mailand-Neapel oder die Adria-Autobahn A 14 Bologna-Taranto. Das Verkehrsministerium in Rom hat am Unglückstag eine Inspektionskommission beauftragt, innerhalb von 30 Tagen die Unfallursachen zu prüfen. Doch längst hat Verkehrsminister Danilo Toninelli von der Fünf-Sterne-Bewegung die private Betreibergesellschaft als Schuldigen ausgemacht. In der Zwischenzeit sitzen in Genua Spediteure, Lkw-Transporteure, Schiffsagenten und Terminalbetreiber gemeinsam mit Vertretern von Hafenverwaltung und Behörden am Tisch. Vor Kurzem wurde unter anderem vereinbart, Zollformalitäten zu erleichtern, um den Warenfluss zwischen dem Hafen und den Zolllagern im Hinterland zu beschleunigen. Solidarität und gegenseitige Unterstützung werden jetzt großgeschrieben, selbst unter Wettbewerbern. "Die Situation zum eigenen Vorteil zu nutzen, ist völlig abwegig", stellt Spediteur Fasce klar. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Italien www.verkehrsrundschau.de/dossiers