Deutscher Feldversuch

Streng genommen haben wir uns bereits mit diesem Vorspann in die Nesseln gesetzt. Denn bei dem Wiesbadener Textilunternehmen will man von einem "Test" nichts wissen. "Das hier ist ein echter Business-Case", sagt Kay Simon, Leiter Mobilitätskonzepte bei Mewa. Mit ihm treffen wir uns - selbstverständlich unter Einhaltung aller derzeit geltenden Regularien - zur offiziellen Schlüsselübergabe für den Lkw bei Luzern in der Schweiz. Nach wie vor ist die Lage so, dass man in Deutschland quasi keine Wasserstoff-Lkw auf der Straße findet. Um das etwas zu präzisieren: Keiner der großen Hersteller hat es bislang geschafft, auch nur einen Prototyp medienwirksam in den Einsatz zu schicken. Die bisherigen, wenigen Modelle, als Beispiel sei ein H2-Müllsammler in Bremen genannt, stammen von Umrüstern, die in bestehende Fahrzeuge einen Brennstoffzellenantrieb einbauen. Mittlerweile gibt es seitens einiger Hersteller immerhin zaghafte Ankündigungen, wann denn ein erster Lkw mit Wasserstofftechnik erscheinen könnte. Wer aber die Brennstoffzellen so richtig in Aktion sehen will, muss in die Schweiz reisen. Hier läuft seit Herbst 2020 ein großes Pilotprojekt des südkoreanischen Autobauers Hyundai. Insgesamt 39 Lkw der Gattung "Xcient Fuel Cell" tummeln sich mittlerweile auf den eidgenössischen Straßen und sammeln eifrig Kilometer, einer davon nun auch für Mewa Textilmanagement. Das Wiesbadener Traditionsunternehmen hat sich den Nachhaltigkeitsbegriff sozusagen seit der Geburtsstunde breit auf die Fahnen geschrieben. Damals im Jahre 1908 gründete der sächsische Geschäftsmann Hermann Gebauer die "mechanische Weberei Altstadt", kurz Mewa. Ihm war es ein Groll gewesen, dass Unternehmen ständig dreckige Putztücher in den Müll warfen. Beseelt vom nachhaltigen Gedanken sollte seine Firma die dreckigen Lumpen nach Gebrauch wieder abholen, sie reinigen und dann wieder ausliefern. Eine Strategie, die sich beweisen sollte: Auch heute noch ist der Transport von Putztüchern und Arbeitskleidung das Kerngeschäft. Das Unternehmen ist auf stolze 45 Standorte in 14 Ländern gewachsen und bewirtschaftet einen Fuhrpark von 640 Lkw. "Der Hyundai wird von Anfang an auf verschiedenen Strecken eingesetzt, um möglichst viele Erfahrungen zu sammeln", berichtet Kay Simon. "Wir haben hier in der Schweiz einen Standort in Wynau mit 60 Mitarbeitern. Von dort aus beliefern wir unsere Kunden vorwiegend mit den Mehrwegputztüchern und auch Berufskleidern." Mewa ist eines der wenigen Unternehmen, das den Lkw im Solobetrieb ohne Anhänger einsetzt. Koreanische Präzisionsarbeit Noch ein paar Worte zum Fahrzeug: Wohl kaum einer hätte bei der Ankündigung 2019 geglaubt, dass der Hersteller tatsächlich die Lkw in Europa auf die Straße bringt. Man wurde schlussendlich eines Besseren belehrt. Wie alle Exemplare der ersten Modellgeneration (4x2-Konfiguration) hat der Brennstoffzellen-Lkw einen festen Kofferaufbau, es gibt ihn wahlweise auch noch mit Kühleinheit. In den sieben Tanks der Zugmaschine lassen sich gut 32 Kilogramm Wasserstoff speichern, die für eine Reichweite von rund 400 Kilometern reichen. Hyundai zufolge basiert dieser Wert auf der Kombination Zugmaschine und Anhänger - tatsächlich soll die Reichweite des Solo-Fahrzeuges noch höher liegen. Das maximale Transportgewicht ist abhängig von der jeweiligen Konfiguration des Kunden. Bei Mewa liegt es bei der Single-Variante bei knapp 5,6 Tonnen. Mit Anhänger darf das Gespann theoretisch maximal 36 Tonnen auf die Waage bringen. Hyundai arbeitet aktuell noch an einem Curtainsider und will noch in diesem Jahr eine 6x2-Variante mit einem Maximalgewicht von 40 Tonnen vorstellen. Länderfragen Nun stellt sich berechtigterweise die Frage, weshalb Mewa als deutsches Unternehmen den Wasserstoff-Lkw nicht einfach in Deutschland einsetzt? Kay Simon hat eine pragmatische Antwort parat: "Das geht in Deutschland schlicht nicht. Wir hätten gerne hier getestet, es mangelt aber alleine schon an der Infrastruktur." In der Tat finden sich in der gesamten Bundesrepublik lediglich sieben Tankstellen, die theoretisch in der Lage dazu wären, das 350-bar-System des Xcient Fuel Cell zu liefern. Alle anderen Zapfmöglichkeiten arbeiten mit 700 bar und sind damit vorwiegend für die Pkw-Branche geeignet. Auch der Aufbau einer eigenen Tankmöglichkeit liegt mit rund einer Million Euro Anschaffungs- und Unterhaltskosten weit von einer rentablen Kostenlinie entfernt. Ganz davon abgesehen ist es in Deutschland aktuell kaum möglich, grünen Wasserstoff zu erhalten. In der Schweiz hingegen finden sich etliche Wasserkraftwerke, die mittlerweile genügend davon produzieren können. Zum Tankproblem gesellt sich die Tatsache, dass der Hyundai Xcient Fuel Cell, wie jeder andere Lkw auch, regelmäßigen Service fordert. Das Auto wird seitens Hyundai in einem Kilometerleasingmodell mit Rundum-Betreuung inklusive Treibstoffkosten angeboten. Praktisch alle Arbeiten müssen in einer von Hyundai zertifizierten Werkstatt erledigt werden. Auch dieses Netz ist in Deutschland noch nicht vorhanden, wenngleich der Aufbau nicht das große Problem darstellen dürfte. Lange Rede, kurzer Sinn: Ein Wasserstoff-Lkw in Deutschland kommt für Mewa aktuell noch nicht infrage - und dennoch ist man bei dem Unternehmen zu Recht stolz auf den Schritt in die neue Technologie. "Wir haben nach einer echten grünen Lösung gesucht und die gibt es hier in der Schweiz", sagt Kay Simon. Obendrein ist die Teilnahme am Pilotprojekt im Ausland ein cleverer Schachzug: Mewa sichert sich einen Imagegewinn und kann mit einem kleinen Wissensvorsprung ins Rennen gehen, wenn die H2-Technik Deutschland erreicht. So sollte die Umrüstung des Fuhrparks hierzulande mit den bereits gesammelten Erfahrungswerten recht unaufgeregt zu absolvieren sein. Batterie und Wasserstoff Ebenjener Umrüstungsprozess ist bei dem Textilunternehmen bereits im vollen Gange. Zuletzt hat man batteriebetriebene Transporter einiger namenhafter Hersteller und Umrüster getestet - teils mit überzeugenden Ergebnissen, die vielleicht auch eine baldige Anschaffung zur Folge haben werden. Aktuell bereitet Mewa in Berlin den Aufbau eines City-Hubs vor, welches im Stile eines Mikrodepots gestaltet sein soll. Von hier aus, so die Idee, werden die Produkte mit einem elektrischen Transporter zum Kunden gebracht. Ein innovatives Konzept, das, dank der Kooperation mit einem norwegischen Stromanbieter, der seine Energie aus Wasserkraft gewinnt, im Transportbereich quasi CO2-neutral funktioniert. Insgesamt erstreckt sich der Wunsch nach Nachhaltigkeit natürlich auch noch auf die anderen Bereiche des Unternehmens. Mewa verfolgt die Strategie, vieles selbst zu lösen. Heißt beispielsweise: Die angesprochenen Mehrwegputztücher werden in der hauseigenen Weberei hergestellt. Nach Gebrauch landen sie in hauseigenen Kläranlagen und werden später dem Kreislauf wieder zugeführt. Der Schmutz aus den Kläranlagen landet in einer thermischen Aufbereitung, in der Strom für den Betrieb der Anlagen gewonnen wird. Ein aufwendiger, aber letztendlich recht nachhaltiger Kreislauf. Im Flottenbereich teilt Simon die Meinung vieler Kollegen: Auf der letzten Meile setzt man langfristig wohl auf die Batterie, im Fernverkehr ist Wasserstoff gegenwärtig alternativlos. Einen anderen Ansatz verfolgt Mewa allerdings bei den Brückentechnologien: Diese finden im Fuhrpark des Unternehmens nicht statt, ebenso wenig wie eine nachträgliche Kompensation von CO2-Emissionen durch Zertifikate. Man will den langen, aber grünsten Weg verfolgen. Gemeinsam mit Mewa haben wir uns auf einen engen Austausch verständigt. Deshalb werden wir regelmäßig über das Projekt in der Schweiz und alle (un-)schönen Aspekte berichten. Und wer weiß, vielleicht traut sich ja auch bald mal ein europäischer Hersteller mit seinem Brennstoffzellen-Lkw hinter dem Ofen hervor - und wenn's nur ein Prototyp ist ... Mehr finden Sie unter #BrennstoffzellenLkw www.verkehrsrundschau-plus.de/hashtag In Kürze Als er der VerkehrsRundschau in der Schweiz den ersten Wasserstoff-Lkw von Mewa vorführt, ist Kay Simon der Stolz anzusehen. Doch auch der Leiter Mobilitätskonzepte weiß nur zu gut: Der Lkw ist toll, aber auch eben nur ein ganz kleines Puzzlestück im Gesamtbild "Nachhaltiges Unternehmen".

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