Der 8,50-Euro-Schutz

Vorweg eine Klarstellung: Das neue Versicherungspaket zum Mindestlohngesetz (MiLoG), das die Raiffeisen- und Volksbanken-Versicherung (R+V) zusammen mit ihrer Tochtergesellschaft Kravag anbietet, ist kein Freibrief für Dumpinglöhne. Die Lösung, an der die Experten in Wiesbaden und Hamburg seit Herbst 2014 getüftelt haben, sichert Unternehmen der Güterverkehrsbranche gegen die neuen Haftungsrisiken ab, die sich seit Jahresanfang aus dem 8,50-Euro-Gesetz ergeben. Sie schützt Spediteure, Transporteure und Verlader indirekt vor der zivilrechtlichen Bürgenhaftung gemäß Paragraf 13 MiLoG. Kravag springt vereinfacht gesagt immer dann ein, wenn Mitarbeiter zum Beispiel eines insolventen Subunternehmers ihre Ansprüche auf Mindestlohnausgleich bei ihnen geltend machen. Vorerst nur für Verbände Gemäß MiLoG können sich Arbeitnehmer, die weniger als 8,50 Euro pro Stunde bekommen haben, nämlich aussuchen, ob sie die Differenz bei ihrem Arbeitgeber oder einem seiner Auftraggeber einklagen. Dies geht sogar drei Jahre rückwirkend. Der neue 8,50-Euro-Schutz greift rückwirkend zum 1. Januar 2015. "Er ist zunächst aber nur für Mitglieder des Bundesverbandes Möbelspedition und Logistik (AMÖ), des Bundesverbandes deutscher Omnibusunternehmer (BDO), des Bundesverbandes Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL), des Bundesverbandes Wirtschaft, Verkehr und Logistik (BWVL) sowie des Deutschen Speditions- und Logistikverbandes (DSLV) verfügbar", schränkt Axel Salzmann, Leiter des Kompetenzzentrums Straßengüterverkehr und Logistik bei Kravag, ein. Die Versicherungslösung besteht aus zwei Bausteinen: einer Warenkreditversicherung, die auf der ProfiPolice WKV plus der R+V basiert, und einer Erweiterung der Rechtsschutz-Kombi für Unternehmen des Straßenverkehrsgewerbes. Spediteure, Transporteure und Verlader können sich damit einerseits bei Lohnforderungen von Fremdpersonal absichern und andererseits unberechtigte Ansprüche in Straf- oder Ordnungswidrigkeitsverfahren abwehren sowie sich in arbeits- und verwaltungsrechtlichen Angelegenheiten gegen bestimmte Vorwürfe verteidigen. "Damit sind alle Streitigkeiten, die sich aus dem MiLoG für Unternehmen ergeben können, abgedeckt", verspricht Salzmann. Gewerbe bangt wegen Sammelklagen Innerhalb der Versicherungsbranche sind R+V und Kravag bisher die einzigen Anbieter, die Produkte an die rechtlichen Risiken des MiLoG angepasst haben. Die Güterverkehrswirtschaft interessiert vor allem die erweiterte Warenkreditversicherung. Angesichts der Rechtsunsicherheiten, die aufgrund der teilweise widersprüchlichen Auslegung der neuen Vorschriften durch die zuständigen Ministerien bestehen, fürchten Auftraggeber, dass spezialisierte Anwälte die Fehler bei der Umsetzung ausnutzen könnten, indem sie Sammelklagen unterbezahlter Arbeitnehmer anstreben. Wer den Nettoentgeltersatz leisten muss, kann später zwar auf den Subunternehmer zurückgreifen, der seinem Mitarbeiter unter 8,50 Euro pro Stunde bezahlt hat. Ob das deutsche Regressrecht ausreicht, wenn der eigentliche Schuldner seinen Firmensitz im Ausland hat, ist allerdings ungewiss. Zudem könnte eine zwischenzeitliche Insolvenz des Lohnprellers demjenigen, der für den Mindestlohn geradestehen musste, einen Strich durch die Rechnung machen. Die Voraussetzungen müssen stimmen R+V und Kravag versichern deshalb den Ausfall von Forderungen gegen Auftragnehmer, die den gesetzlichen Mindestlohn nicht oder zu spät gezahlt haben. Der Schutz greift aber nur, wenn das Unternehmen, das einen Auftrag ver- oder weitergibt, seiner Sorgfaltspflicht nachkommt. "Der Versicherungsnehmer muss seinen Vertragspartner sorgfältig auswählen, das Angebot auf Plausibilität prüfen und ihn danach dazu verpflichten, dass dieser und von ihm wiederum engagierte Subunternehmer sich an das MiLoG halten", betont Salzmann. Weiterhin bedarf es eines Nachweises, dass der Subunternehmer nicht von der Vergabe öffentlicher Aufträge ausgeschlossen ist. "Darüber hinaus kann es sinnvoll sein, zu vereinbaren, dass der Auftragnehmer den Auftraggeber von dessen Haftung für Ausgleichsansprüche auf Mindestlohn im Innenverhältnis freistellt - die Freistellungsvereinbarung ist für uns aber kein Ausschlusskriterium", so der Rechtsanwalt.P Weitere Voraussetzungen: Es muss ein rechtskräftiges Gerichtsurteil vorliegen, aus dem sich der zu zahlende Lohndifferenzanspruch des Arbeitnehmers ergibt. Das betroffene Unternehmen muss diesen Betrag zunächst einmal zahlen und schriftlich nachweisen können, dass es versucht hat, sich das Geld beim unmittelbaren Vertragspartner wiederzuholen. "Hat ein Geschäftspartner nach dieser Aufforderung seine Rechnung nicht bezahlt, erhält der Versicherungsnehmer bereits von Kravag umgehend die Entschädigung", erklärt Salzmann. Das Unternehmen, das die Forderung gestellt hat, müsse nicht etwa die Insolvenz des Geschäftspartners abwarten. Die Selbstbeteiligung liegt übrigens bei zehn Prozent des eingeklagten Lohnanspruchs beziehungsweise mindestens 500 Euro. Gefahren lauern bei Auslandsgeschäften Sinnvoll ist die erweiterte Warenkreditversicherung vor allem, wenn man häufig mit neuen Unternehmen zusammenarbeitet, über deren Bonität man wenig weiß. Vor allem bei Aufträgen an Transportunternehmer aus EU-Ländern, deren Lohnniveau weit unter 8,50 Euro pro Stunde liegt, besteht die Gefahr eines MiLoG-Rechtsstreits, der viel Geld und Zeit kosten kann. "Doch auch wer vorrangig langfristige Geschäftsbeziehungen pflegt und vor allem im Inland verkehrt, ist nicht zwingend auf der sicheren Seite", sagt Salzmann. Zum Beispiel sei vielen Marktteilnehmern unklar, wie Bereitschaftszeiten nach Inkrafttreten des MiLoG zu vergüten seien. "Wenn in drei Jahren das Bundesarbeitsgericht entscheidet, dass jede Art der Bereitschaft mit mindestens 8,50 Euro brutto pro Stunde zu vergüten ist, dann kommt auf die deutsche Frachtführer eine Lawine von Lohnnachzahlungen zu", warnt der Fachmann. Die Wahrscheinlichkeit eines Forderungsausfalls lasse sich noch nicht kalkulieren - selbst bei Rahmenverträgen. Rechtsschutz deckt mehrere Verstöße ab Der zweite Baustein des MiLoG-Versicherungspakets für Verbandsmitglieder, die Rechtsschutzversicherung, soll alle tatsächlichen oder behaupteten Verstöße gegen Pflichten abdecken, die sich seit Jahresbeginn aus dem MiLoG ergeben. Salzmann geht davon aus, dass Spediteuren, Transporteuren und Verladern wegen des gesetzlichen Mindestlohns künftig häufiger Ordnungswidrigkeiten und Straftaten vorgeworfen werden. Für den Fall, dass der Zoll einem Auftraggeber einen Verstoß gegen Paragraf 21 MiLoG ankreide, also ein Bußgeld drohe, greife die Ordnungswidrigkeiten- und Strafrechts-Rechtsschutzversicherung. Mittels der Arbeitsrechtsschutzversicherung können sich Versicherungsnehmer gegen unberechtigte MiLoG-Ansprüche eigener und fremder Arbeitnehmer verteidigen. Und die Verwaltungsrechtsschutzversicherung springt ein, wenn der Entzug öffentlicher Aufträge oder der Gewerbeerlaubnis droht. R+V und Kravag übernehmen eigenen Angaben zufolge jeweils die Gerichtsgebühren sowie die Kosten für einen Anwalt oder Inkassodienstleister in Höhe der Honorarvereinbarung. "Aus Erfahrungen mit Gerichtsverfahren in Bezug auf das Arbeitnehmerentsendegesetz wissen wir, dass häufig Lohnansprüche von rund 10.000 Euro eingeklagt werden und sich die Anwaltskosten in Zivilverfahren schnell auf bis zu 1500 Euro belaufen können", erklärt Salzmann. Hinzu kämen Gerichtsgebühren und oft die gegnerischen Anwaltskosten, was insgesamt das betroffene Unternehmen teuer zu stehen kommen könne. Prämien richten sich nach dem Umsatz Die Prämien für die Warenkreditversicherung und die Rechtsschutzversicherung zum MiLoG richten sich nach der Unternehmensgröße. Dasselbe gilt für die Deckungssumme. Für Kleinstunternehmen mit einem Jahresumsatz bis zu 500.000 Euro liegt die Entschädigungsgrenze bei Forderungsausfällen zum Beispiel bei 25.000 Euro pro Jahr. Bei großen Unternehmen mit einem Jahresumsatz bis zu 50.000.000 Euro trägt Kravag etwa Schäden in Höhe von bis zu einer Million Euro. "Mitglieder der kooperierenden Verbände erhalten übrigens bis zu 50 Prozent der vereinbarten Deckungssumme der Warenkreditversicherung beziehungsweise maximal 100.000 Euro zusätzlich ersetzt, wenn die vereinbarte Deckungssumme mal nicht ausreichen sollte", sagt Salzmann. Zahlen müssen Transporteure, Spediteure und Verlader mindestens 550 Euro netto pro Jahr. Am oberen Ende der Prämientabelle stehen 17.600 Euro netto pro Jahr. Die Rechtsschutzversicherung zum MiLoG kostet im günstigsten Fall 288 Euro netto im Jahr (Jahresumsatz von bis zu 500.000 Euro). Bei den Kravag-Kunden der teuersten Kategorie (Jahresumsatz von bis zu 50.000.000 Euro) schlägt dieser Service mit 5040 Euro pro Jahr zu Buche. Version für Nicht-Mitglieder ist geplant Die genannten Preise gelten ausschließlich für Verbandsmitglieder. Die Kooperation mit AMÖ, BDO, BGL, BWVL und DSLV sei ein Pilotprojekt, daher seien Anpassungen nicht auszuschließen, sagt Salzmann. Die Fachabteilungen bei R+V und Kravag arbeiten nach Aussage des Experten mit Hochdruck daran, dass in absehbarer Zeit auch Unternehmen, die keinem der genannten Verbände angehören, eine MiLoG-Versicherung abschließen können. "Das Paket mit den ausgehandelten Sonderkonditionen wird es in dieser Form aber vermutlich dann nicht geben", erklärt der Leiter Kompetenzzentrum Straßengüterverkehr und Logistik bei Kravag. Die Serie Das Mindestlohngesetz (MiLoG) richtig umsetzen - VR 12: Wie man Risiken aus dem MiLoG versichert- VR 13: Welche Zulagen und Zuschläge anrechenbar sind- VR 14: Was für Folgen es für Deals in Frachtenbörsen hat

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