Das ist Transport 4.0

Wer die Zukunft vorhersagen will, muss die Gegenwart verstehen. Zukunftsforscher sagen, dass rund 90 Prozent dessen, was in den letzten 30 Jahren Bestand hatte, auch in den nächsten 30 Jahren weiterbestehen wird. Nur rund zehn Prozent verändern sich, kommen neu hinzu. Neue Lösungen für Herausforderungen Mit Blick auf die Lkw-Transportbranche lässt sich also wohl mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass es auch in den nächsten Dekaden Lkw geben wird, die Waren von A nach B befördern müssen. Und das wohl, selbst wenn 3-D-Drucker im industriellen Maßstab zum Einsatz kommen. Wer wissen will, was sich ändern wird, muss einen Blick auf die aktuellen Hemmnisse der Branche werfen. Was funktioniert nicht oder wird zunehmend schlechter? Für welche Herausforderungen braucht es neue Lösungen? Kondensiert auf das Wesentliche gibt es vier Handlungsfelder: 1. Die Unternehmen finden keine Mitarbeiter, und wenn doch, sind diese häufig nicht ausreichend qualifiziert. Schon vor Jahren wurde die viel zitierte Bevölkerungspyramide in den Besprechungsräumen dieser Nation an die Wand geworfen. Niemand kann sagen, er hätte es nicht kommen sehen. Das hält aber auch keinen vom Lamentieren ab. Selbst wenn es schwer zu glauben ist: Deutschland steht erst am Beginn dieser Entwicklung. Es wird in den kommenden Jahren also noch viel schlimmer. Dabei kann sich jetzt schon kaum noch jemand für den Lkw-Fernverkehr begeistern. Die sogenannte "Trucker-Romantik" ist ein Begriff aus dem letzten Jahrtausend. 2. Mit dem Personal geht zudem das Knowhow für internationale Verkehre verloren. Der Fahrer findet sich im Ausland nicht mehr zurecht. Der Disponent kennt die Bestimmungen für Entsendung, Zoll & Co. nur noch lückenhaft, und wo es in Südspanien noch Rückladung gibt, bleibt für viele ein Geheimnis. 3. Nachhaltiges Handeln und Wirtschaften entwickelt sich vom Projekt einer "grünen Avantgarde" zu einem "Must-have" sowohl für die Akquise von Kunden als auch zur Gewinnung und Bindung von Mitarbeitern. Seit kurzer Zeit hängen selbst für kleine und mittelständische Betriebe Finanzierungskonditionen an der unternehmenseigenen Nachhaltigkeits-Berichterstattung. Die Anforderungen werden drastisch steigen. Das betrifft hauptsächlich den Fuhrpark, der auf alternative Antriebe umgestellt werden muss. Aber entgegen den Beteuerungen des Verkehrsministeriums scheitert der E-Lkw mit seiner Reichweite bis dato fast noch am Nahverkehr. Gleichzeitig muss man sich aber auch die Frage gefallen lassen, ob es überhaupt noch zeitgemäß ist, tausende Kilometer mit dem Lkw durch Europa zu fahren. 4. Die Digitalisierung schreitet voran und kommt dem Ziel scheinbar doch nicht näher. Immer umfassender werden die Anforderungen an unternehmensübergreifende Steuerbarkeit und Transparenz. Mit einer "Elektronisierung" des eigenen Unternehmens lässt sich diesem Trend kaum begegnen. Wer Kunden die Visibilität ihrer Sendungen entlang der Supply Chain bieten will, kann das nicht mehr allein. Die Vernetzung endet derzeit allzu oft noch an der Unternehmenstür. 5. Die Kosten laufen aus dem Ruder. Effizienz und Rentabilität können kaum im gleichen Maß gehoben werden. Gaskrise, Krieg, Inflation, Rezession, Konkurrenz aus Billiglohnländern und vieles mehr lassen die Produktionskosten weiterwachsen. Die Kosten sind allein in den vergangenen drei Jahren um über 30 Prozent gestiegen. Der ohnehin schon margenschwachen Branche gelingt es nicht mehr, mit dem reinen Lkw-Transport Geld zu verdienen. Industrialisierung des Mittelstands Diese Herausforderungen sind schon jeweils für sich genommen eine Herkulesaufgabe für jeden mittelständischen Betrieb. In Summe glauben nurmehr wenige Unternehmenschefs diese Probleme im Alleingang lösen zu können. Alle anderen suchen und brauchen neue Ideen und Konzepte. Was der Straßengüterverkehr in Zukunft benötigt, ist nichts weniger als die Industrialisierung des Mittelstandes. Fixkosten gilt es dafür zu reduzieren; Arbeitsschritte jenseits der eigentlichen logistischen Aufgabe müssen dafür aus den Transportunternehmen herausgelöst werden. Die Digitalisierung erlaubt es, Abrechnung, Buchhaltung, Mahnwesen und vieles mehr von externen Dienstleistern erledigen zu lassen. Das ermöglicht den Unternehmen effizientere Prozesse und eine Flexibilisierung der Kosten. Es ist doch Irrsinn, dass die Transportbetriebe die gleiche Kapazität im administrativen Bereich vorhalten - egal ob sie 20 Prozent mehr oder 20 Prozent weniger Transportvolumen haben. "Die Auftragslage könnte ja morgen wieder anziehen. Wer soll das dann abarbeiten?" So häufig die Denke. Die Top-15-Unternehmen im allgemeinen Ladungsverkehr*Rang Unternehmen Allgemeiner Ladungsverkehr (FTL) (in Mio. ?) Anteil an gesamtem Logistikumsatz des Unternehmens in Deutschland (in Prozent) Logistikumsatz des Unternehmens in Deutschland (in Mio. ?) Kommentar DQ Ressource Lkw effizienter nutzen Die Transportunternehmen brauchen mehr Kooperation und Systematisierung. Die Kundschaft verlangt nach umfassenden Serviceleistungen und einem vollständigen Leistungsportfolio. Der Verlader will keine 50 Spezialisten, einen für Skandinavien, einen für den Balkan und einen für Usbekistan. Er will ganz bequem eine Anlaufstelle. Kein Lkw-Spediteur kann jede Relation anbieten. Gemeinsam können das die Unternehmen schon. Im Stückgutbereich ist eine Welt ohne Netze kaum noch vorstellbar. Wieso glauben Transportunternehmer dass dies im Komplettladungsbereich nicht möglich ist? Die individuelle Expertise, der meist regional aufgestellten mittelständischen Unternehmen ergibt in der Gesamtheit ein Netz von Experten, an das internationale Großflotten nicht heranreichen. Damit aus diesem Netzwerk mehr als die Summe seiner Teile wird, ist aber eine weitere Systematisierung der Verkehre erforderlich. Die Ressource Lkw muss effizienter genutzt werden. Dazu muss die Einheit von Lkw, Trailer und Fahrer aufgebrochen werden. Staffel- und Begegnungsverkehre sind ein "Gamechanger" für die Rentabilität des Ladungsverkehrs. Gleichzeitig erlaubt die Planbarkeit von diesen Systemverkehren den Einsatz alternativer Antriebe. Die begrenzten Reichweiten spielen keine Rolle mehr und die Tank- oder Ladeinfrastruktur kann sehr gezielt entlang der Relationen wachsen. Zudem sind die Fahrer in einem festen Schichtbetrieb im Einsatz, vielleicht sogar in Teilzeit. Die neue Flexibilität macht es möglich. Mit solchen Szenarien finden sich auch wieder neue Fahrer. Vor Ort bleibt der mittelständische Spediteur im Kundenkontakt. Er ist weiterhin Problemlöser, aber auf völlig neuem Niveau. Keine Kundenanfrage bleibt unbeantwortet, kein Problem ungelöst. Batterien nach Portugal? Na klar! Gartenhäuser in Österreich an Privatkunden ausliefern? Natürlich! Notwendige Vision für Veränderungen Aber wer ist der Intermediär, der die Systematisierung vorantreibt und die Plattform für neue Transportkonzepte in den Markt bringt? Wer will und kann diesen Markt entwickeln? Zum Glück bleiben die Margen trotz aller Systematisierung im Lkw-Transport wohl zu gering, als dass sich finanzstarke Fonds und Venture Capitals in die Niederungen des Straßentransports begeben. Die Entwicklung kann also nur von Großflottenbetreibern oder finanzstarken Plattformen vorangetrieben werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass es der Vielzahl mittelständischer Betriebe gelingt, sich eigenständig zu organisieren, ist überschaubar, aber nicht ausgeschlossen. Es braucht nur einen Anstoß. Und den kann die derzeitige Krise bieten. Selten wurden die Probleme des Ladungsverkehrs klarer sichtbar. Nie war der Druck, etwas zu verändern, größer. Allen Prognosen zufolge wächst der Lkw-Verkehr in Europa weiter. Es wäre doch gelacht, wenn sich aus dieser Entwicklung für den Mittelstand kein Kapital schlagen lässt. Aber dafür braucht es eine Vision für die notwendigen Veränderungen von morgen. Jochen Eschborn, Vorstand Elvis

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