"Das ist mein Leben"

Lkw-Fahren habe ihm Spaß gemacht, "und dann macht man das halt", sagt Ludger Dingwerth rückblickend. Am Anfang seien ihm die Aufträge so zugespielt worden, erzählt er. Als Subunternehmer ist er für die Bremer Warengesellschaft BWG gefahren. Schon nach einem Jahr kaufte er einen zweiten Lkw und stellte einen Fahrer ein. Für ihn selbst war es im selben Jahr 1980 nach einem schweren Lkw-Unfall mit dem Fahren vorbei. Er konnte nur noch Büroarbeit und Akquise machen, sehr lange vom Krankenbett aus. "Im Nachhinein war das vielleicht gut so", sagt Dingwerth heute. Andere würden am Anfang nur auf dem Bock sitzen und die Büroarbeit komme oft zu kurz. Dingwerths Unternehmen ist stetig gewachsen. Er hat fünf Niederlassungen in Beelen (Hauptsitz), Harsewinkel, Trier, Gera und Bremen. Um überall schnell vor Ort sein zu können, hat er 2009 auf dem Gelände in Beelen einen eigenen Flugplatz vorwiegend für Dienstflüge eröffnet. Auch das war schon immer eine seiner Leidenschaften. Dass er es so weit bringen würde, dass er sich diesen Traum erfüllen kann, hätte er nicht gedacht. "Das hätte auch schieflaufen können", resümiert er. Immer wieder habe es Zeiten gegeben, in denen man nicht gewusst habe, wie es weitergehe. "Ich hatte Glück, dass ich die richtigen Leute um mich versammeln konnte." Ein echter Familienbetrieb Zu der Mannschaft gehört auch die Familie. Ehefrau Christa leitet den einstigen Stammsitz in Greffen. Dingwerth ist froh, dass seine Frau mit im Geschäft ist. "Die Freundin, die ich 1979 hatte, ist abgehauen. Der wurde das alles zu viel", erinnert er sich mit einem Lächeln und fügt hinzu: "Die hat noch früh genug die Kurve gekriegt." Mit Christa hat er eine Tochter (32), die gelegentlich da sei und auch Lkw fahre. "Die interessiert sich schon dafür, wie es läuft", sagt Dingwerth, aber die wolle das nicht übernehmen. "Die hat einen Skipper geheiratet und ist viel auf dem Schiff unterwegs." Sohn Heiko (30) hingegen habe Spaß an der Arbeit im Unternehmen. "Der macht alles", lobt der Senior. Darüber sei er sehr glücklich. Familiäre Atmosphäre im Unternehmen Das "Familiäre" schließt bei Dingwerth die Mitarbeiter ein. So zumindest beschreibt es der 56-jährige Norbert Beermann, der mit ein paar Jahren Unterbrechung fast seit Anbeginn bei Dingwerth ist. Beermann hat bei Preuß in Bielefeld Berufskraftfahrer gelernt. "BKF-Ausbildung war zur damaligen Zeit eher die Ausnahme", hebt Dingwerth hervor. Samstags ist bei Dingwerth nicht viel los. "Am Freitagnachmittag sind alle zurück", sagt Niklas Voges, BKF-Azubi im dritten Lehrjahr, "die Dispo strengt sich an. Normalerweise klappt das immer". Sollte einem Fahrer mal ein bis zwei Stunden vor dem Ziel die Lenkzeit ausgehen, werde jemand losgeschickt, um ihn abzuholen. Jeder hat eigenen Lkw und Auflieger "Am Freitagnachmittag oder -abend stellen die Fahrer ihre Lkw am Firmengelände ab", erzählt Beermann, jeder habe seine eigene Zugmaschine, seinen eigenen Auflieger und seinen Parkplatz. "Ein paar Springer haben wir schon", ergänzt Dingwerth. Dazu zählt im Moment auch Zarah El Khaoula, die vor einem Jahr ihre BKF-Ausbildung abgeschlossen hat. "Ich will mal einen Mercedes", sagt sie zum Chef: "Wann bekomme ich einen?" - "Wenn Du versprichst, dass Du keinen Unfall mehr baust", antwortet Dingwerth. "Eins zu null für den Chef", sagt Azubi Voges und lacht. El Khaoula erzählt, dass sie "Mist gebaut" habe und der Lkw jetzt schon seit ein paar Wochen in der Werkstatt sei. Ihr selbst sei glücklicherweise nichts passiert. Wie Beermann und Niklas sei auch sie "familiengeschädigt", erklärt sie. Durch Eltern und Verwandtschaft haben alle drei schon früh in der Branche "Blut geleckt", wie Beermann es ausdrückt, "das lässt einen dann nicht mehr los." "Wir duzen uns hier alle", betont Voges. Manchmal freue man sich, weil man freitags schon früh reinkomme, "und dann bleibt man doch wieder hängen, weil der noch kommt und der noch kommt ...". Dingwerth ist das wichtig: "Wenn sich die Fahrer untereinander nicht kennen, dann geht das schief." Jeden Samstag werden die Lkw gewaschen "Hart arbeiten, hart feiern", gibt Beermann als Motto aus. Bei Dingwerth wird viel gefeiert. Firmenjubiläen, Geburtstage, Hochzeiten ... Hinter der Waschanlage gibt es einen gemütlichen Aufenthaltsraum mit Getränken, Stehtischen und einer Sitzecke zum Plaudern nach Feierabend. Außerdem hat Dingwerth dort ein paar liebevoll gepflegte Oldtimer geparkt. Niklas und Norbert Beermann trinken dort noch einen Kaffee mit den Kollegen von der Waschtruppe. Lkw-Waschen brauchen die Fahrer bei Dingwerth nicht. "Wir tanken nur noch voll und stellen unsere Lkw samt Ladung auf den Parkplatz", erzählt Beermann. "Nur zwei Fahrer haben samstags Rangierdienst. Das trifft jeden drei Mal im Jahr", erklärt er. Und: "Bei uns wird immer gewaschen, selbst bei Schnee, wenn nach ein paar Kilometern wieder alles versaut ist." Windkraft liefert den meisten Strom Wenn man als Fahrer am Sonntagabend oder Montagmorgen wieder antrete, "stehen die Lkw aufgereiht wie auf einer Perlenkette und abfahrbereit auf ihren Plätzen", beschreibt Beermann. Sie sind beladen und die Papiere sind im Fahrzeug. "Wir überprüfen die Papiere. Abfahrtkontrolle. Los geht's." Die eigene Tankstelle und die Waschanlage hat Dingwerth schon seit 1999. Er ist stolz darauf, dass er keinen Ölabscheider braucht, weil das Waschwasser in mehreren Stufen von Mikroorganismen gereinigt und wiederverwendet wird. Auf Umweltfreundlichkeit legt der Chef großen Wert. Schon 1997 wurde auf dem Firmengelände eine Windkraftanlage errichtet. "Die erste in der Gegend", sagt er. Mit dem Strom daraus könne er 70 Prozent des Bedarfs im Betrieb decken. Die Anlage habe sich schnell amortisiert. 2010 ließ Dingwerth die Dächer an allen fünf Standorten mit insgesamt vier Hektar Photovoltaik-Anlagen belegen. Dingwerth braucht viel Strom, denn das Transportgeschäft ist bei Weitem nicht alles, womit der Unternehmer Geld verdient. "Das macht höchstens 35 Prozent aus", sagt er. Zusätzlich verdient man mit dem An- und Verkauf von Fracht. Und schon seit 1988 gehören Packen und Sortimenterstellung zum Tätigkeitsbereich von Dingwerth, zum Beispiel für Aldi. Fast 20.000 Quadratmeter Lager- und Konfektionierfläche stehen allein in Beelen zur Verfügung. Zu den Kunden zählt Aumüller, Experte für Anlagenbau unter anderem für Mercedes, VW, Porsche, VW und Claas. Räderlogistik wie bei Lebensmitteln Als weiteres Geschäftsfeld hat Dingwerth 2012 die komplette Räderlogistik des Mähdrescher- und Traktorenherstellers Claas in Harsewinkel übernommen. "Claas hat das 100 Jahre selbst gemacht", erzählt Dingwerth. Er habe gewusst, dass Claas Platzprobleme habe. Und er hatte die Idee, ein System einzusetzen, das man in der Lebensmittel-Logistik schon lange verwende: NVE-Nummern auf jeden Reifen und jede Felge, "bei der Montage werden die beiden Nummern verheiratet und es entsteht eine neue für das Rad." Dadurch sei auch nach Jahren bei jedem Claas-Mähdrescher weltweit noch nachvollziehbar, woher jedes Teil kommt und welchen Weg es genommen hat. Das hat Claas offenbar überzeugt. Norbert Beermann und Niklas stehen jetzt draußen auf dem Parkplatz, plaudern mit der Chefin und trinken Kaffee vor den in der Sonne glänzenden MAN- und Mercedes-Trucks. Beermann und Voges ist MAN lieber, El Khaoula mag Mercedes. "Beide Marken haben was für die Fahrer gemacht", lobt Dingwerth, das sei nicht immer so gewesen. Seine Trucks haben allesamt Vollausstattung. Standheizung und -klimaanlage seien Standard. "Eben alles, was man für Fahrer kriegen kann, außer Spielereien", fasst er zusammen. Niklas drückt seine Zigarette am Asphalt aus und bringt die Kippe zum Mülleimer. Der Hof und jede Lagerhalle sind pikobello. Drinnen und draußen steht alles in Reih' und Glied. Der Chef legt großen Wert auf ein ordentliches Erscheinungsbild. "Jogginghosen sind verpönt", sagt Beermann. Das komme beim Kunden nicht gut an. Dass davon nicht nur der Chef profitiert, hebt Niklas hervor: "Wir werden vom Kunden fast immer freundlich empfangen und häufig bevorzugt behandelt. Bei Aldi begrüßt man uns mit Handschlag." "Und die Polizei kontrolliert Euch auch fast nie", fügt Dingwerth hinzu. 22 Auszubildende im Betrieb Trotz des guten Betriebsklimas, der modernen Büroräume und der bestens ausgestatteten Fahrzeuge ist Personalmangel auch für Dingwerth ein Thema: "Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, wir haben genug Leute zum Expandieren. Aber wir bilden viel aus. Und die meisten bleiben." 22 Azubis gibt es in allen Bereichen des Unternehmens, vier davon machen eine Ausbildung zum Berufskraftfahrer. Dingwerth geht hinunter ins 2004 erbaute Fachwerkhaus. "Hier feiern wir die größeren Feste", sagt er. Außerdem gibt es ein Gästezimmer und eine kleine Küche: "Im Winter kochen wir hier für die Wäscher und Packer, damit sie sich aufwärmen können." Dingwerth wendet sich zur großen Standuhr. Die beiden Gewichte für den Antrieb berühren schon beinahe den Boden. Dingwerth zieht sie an der Kette wieder nach oben, damit sie nicht stehen bleibt. "Ein paar Jahre lang kann ich schon noch hier rumlaufen", sagt der 60-Jährige. "Ich hoffe, mein Sohn drängt mich nicht zu früh raus. Das ist doch mein Leben." Mehr zum Thema im Dossier Unternehmensführung www.verkehrsrundschau.de/dossiers Firmengeschichte Vom Ein-Mann-Betrieb zum Unternehmen mit fünf Standorten1979 Ludger Dingwerth gründet das Unternehmen an der Ostortstraße in in Greffen1980 Der erste Mitarbeiter wird eingestellt und ein weiterer Lkw angeschafft. Verlegung des Firmensitzes in eine ehemalige Scheune an der Haller Straße1982 Der erste nagelneue Lkw wird angeschafft.1983 Entwicklung eines EDV-Programms für die Verzollung. Dingwerth ist erstes und einziges Unternehmen, das Grenzabwicklungen ohne Firmensitz in Grenznähe tätigt. Anschaffung des ersten Fernschreibers (Telex)1985 Umfirmierung vom Transportunternehmen zur Spedition mit Lagertätigkeit1987 Erwerb eines Grundstücks in der Fritz-Reuter-Straße. Bau einer Lagerhalle, eines Büros mit Sozialräumen und einer Rampenhalle1988 Erweiterung des Leistungsspektrums um Packen und Sortimenterstellung1989 Dingwerth erwirbt die Gordon GmbH in Rheine, firmiert sie um in Spedition Dingwerth GmbH und verlegt den Sitz nach Harsewinkel. Bau einer weiteren Halle mit Keller und Aufzug in Greffen1991 Erwerb eines Grundstücks im Industriegebiet in Beelen und Umbau des bereits vorhandenen Holzschuppens in eine Distributionshalle1992 Eröffnung einer Niederlassung in Niederfrohna bei Chemnitz und Übernahme des Fuhrparks der Firma Birkhaus Betten in Warendorf1993 Umzug des Hauptsitzes von Greffen nach Beelen1994 Fuhrparkerweiterung auf 14 Fahrzeuge und Hallenerweiterung in Beelen auf 5000 m2 ; die Belegschaft ist auf 25 Personen herangewachsen1996 Übernahme der Firma ARS in Niederfrohna (ehemals Samson in Warendorf)1997 Bau der ersten Windkraftanlage in Beelen, Verlegung der Niederlassung Niederfrohna nach Gera mit neuer Lager- und Logistikhalle1998 Übernahme des Fuhrparks der Firma Schwarze (Westfälische Kornbrennerei)1999 Errichtung einer ökologischen Waschanlage und einer Tankstelle2000 Ablösung des Werks-Lkw der Firma Claas Fertigungstechnik, neues Verwaltungsgebäude in Beelen, Inbetriebnahme der neuen Lager- und Logistikhalle in der Niederlassung Bremen2001 Ablösung des Lkw-Fuhrparks der Firma Gross Wellkistenwerk2002 Inbetriebnahme einer neuen Niederlassung in Trier/Föhren auf 3600 m22003 Erweiterung des Standorts Bremen auf 9000 m2 , Einführung eines Roboters für die Sortiment-Erstellung in Beelen2004 Fertigstellung des Fachwerkhauses auf dem Firmengelände in Beelen2005 Kapazitätserweiterung durch Integration der Mußmann-Mitarbeiter und Einbindung des Kundenstammes2007 Verdoppelung der Hallengröße in Trier/ Föhren auf 7200 m22008 Erwerb des 34.000 Quadratmeter großen Nachbarbetriebs2009 Fertigstellung des Sonderlandeplatzes für Werksflüge in Beelen2010 Die Dächer aller Niederlassungen werden mit Photovoltaik-Anlagen belegt.2011 Sohn Heiko Dingwerth tritt ins Unternehmen ein2012 Einrichtung des Reifen- und Felgenlagers auf 14.000 m2 , Übernahme der Räderlogistik der Firma Claas2014 Erweiterung des Standortes Beelen um 2100 Quadratmeter, Einbau einer Einfahrregalanlage für 1800 Europaletten in Föhren2015 Erweiterung des Standorts Gera um 1200 m22018 40 Lkw, 138 Mitarbeiter, fünf Standorte

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