Wien. Der Fall um mutmaßliche Waggonüberladungen und manipulierte Frachtbriefe beim österreichischen Spediteur Gartner wirft immer neue Fragen auf. Insbesondere die Rolle der ÖBB-Gütersparte Rail Cargo Austria (RCA) scheint aufklärungswürdig: Wie die österreichische Tageszeitung „Der Standard“ kürzlich meldete, waren Prokuristen der Österreichischen Staatsbahn und ihrer Töchter seit 2009 von falsch deklariertem Frachtvolumen informiert. Anstatt die Vorgänge bei den Strafverfolgungsbehörden anzuzeigen, schloss die RCA mit Gartner einen neuen Vertrag.
Hintergrund der Vorwürfe gegen RCA ist eine Strafanzeige, die dem Landeskriminalamt Oberösterreich laut Meldungen des „Standards“ vorliegt: Demnach soll die Spedition Gartner gegenüber der RCA Containergewichte nach unten hin um jeweils rund zehn Tonnen pro Container abgeändert haben. Dadurch wurde ein geringeres Zuggewicht abgerechnet und die Spedition Gartner erwirtschaftete so einen illegalen Bonus. Die Staatsanwaltschaft Wels ermittelt wegen Verdachts des gewerbsmäßigen schweren Betrugs gegen mehrere Mitarbeiter der Gartner und deren Chef, Richard Gartner.
Bereits im Mai 2011 hatte der Waschmittelkonzern Procter & Gamble (P&G) wegen Ungereimtheiten im Frachtvolumen bei Bahntransporten nach Thessaloniki und in die Türkei Anzeige gegen die Gartner erstattet. Auch Bahntransporte für andere namhafte Kunden wie die Handelsketten Lidl, Aldi Süd und den Kunststoffhersteller Borealis soll Gartner falsch gewichtet haben.
Mit dem neuen Vertragsschluss mit Gartner sichert sich RCA laut „Standard“ seit Oktober 2011 zumindest für drei Jahre so viel an Zugfahrten und Ertrag, bis ihr – durch ständige Überladung bei den mit P&G-Waren gefüllten Ganzzügen nach Thessaloniki – entgangenes Geschäft kompensiert ist. Die Gartner KG zählt zu den größten Kunden von RCA im Containerverkehr nach Griechenland. Dem Vernehmen nach ist im Vertrag festgelegt, dass Gartner der RCA eine hohe Strafe zahlen muss, sogenannte Pönalezahlungen, falls der Vertrag vorzeitig innerhalb der drei Jahre beendet wird. Aus Insiderkreisen verlautete ebenfalls, dass von RCA hingegen bei weiteren Ungereimtheiten in der Containergewichtung nicht extra nachgeforscht werde.
Die ÖBB bestätigte das Volumen des neuen Gartner-Vertrags nicht und stellt Nebenabsprachen in Abrede. Man habe lediglich das Geschäft mit dem langjährigen Geschäftspartner neu aufgestellt, betont die ÖBB. Um Schadenersatzansprüche zu wahren, sei ÖBB/RCA als Privatbeteiligter an das laufende Verfahren der Staatsanwaltschaft Wels angeschlossen. (bw)
Deka 1803