Buße, Bußgeld und Moral

Die kleine Moral tötet die große", sagte Honoré Gabriel de Mirabeau (1749 bis 1791). Der französische Politiker und Aphoristiker, der zur Zeit der Aufklärung lebte, hat mit diesem Aphorismus eine zeitlos gültige These aufgestellt. Die Frage nach der Moral lässt sich auch heute an kleinen Dingen festmachen, wie zum Beispiel an der Frage, wie ein Unternehmer damit umgeht, wenn seine Fahrer Bußgeld zahlen müssen. Ein LKW-Fahrer hat beispielsweise einen Bußgeldbescheid bekommen, weil er die Bestimmungen zu den Lenk- und Ruhezeiten missachtet hat. Er legt diesen Bescheid seinem Chef vor und fragt, ob er vielleicht das Bußgeld übernimmt. "Ein guter Chef", sagen jetzt die einen, wenn er seinem Fahrer großzügig das Bußgeld bezahlt, "wohltätig und verständnisvoll". "Ein schlechter Chef!", wettern die anderen. Sie vertreten die Meinung, dass der Fahrer für sein Fehlverhalten bestraft werden muss und die Verantwortung für sein Handeln übernehmen muss. Ist das Tun oder das Lassen moralisch? Wie ist diese Frage nun moralisch zu bewerten? Handelt der Chef moralisch, der das Bußgeld bezahlt oder handelt derjenige Chef moralisch, der es ablehnt, die Bußgelder seiner Fahrer zu begleichen? Hilfestellung in dieser Frage leistet die philosophische Betrachtung. Die Philosophie lehrt, dass nicht die konkrete Handlung an sich moralisch ist, sondern vielmehr die moralische Absicht, die dahinter steht. Das folgende, zugegebenermaßen etwas drastische Beispiel macht diesen Zusammenhang deutlich: Schneidet ein Mensch einem anderen einen Finger ab, ist dieses Verhalten auf jeden Fall als unmoralisch zu bewerten. Der Missetäter wollte seinen Mitmenschen quälen und verstümmeln. Schneidet jedoch ein Arzt einem Patienten einen Finger ab, der bei einem Unfall übel gequetscht wurde, dann handelt er moralisch gut und richtig. Das Handeln des Arztes geschieht schließlich in der Absicht, dem Patienten zu helfen. Aber auch der Arzt kann in den Konflikt mit der Moral geraten. Nämlich dann, wenn er den Finger deswegen amputiert, weil er für die Amputation mehr Geld verlangen kann als mit einer den Finger erhaltenden Behandlung. In diesem Fall handelt der Mediziner aus Eigennutz - ein Motiv, das der Mensch zum Leben braucht, das aber häufig im Konflikt mit der Moral steht. Eigennutz kontra Moral In dem beschriebenen Beispiel muss der Arzt moralische Anstrengungen ergreifen, um Eigennutz und moralisches Handeln gegeneinander abzuwägen. Aus Sicht der Philosophie wirkt die Moral vor allem negativ - im Sinne von verhindernd. Die Moral sagt also: "Du sollst nicht ..." Während moralische Regeln allgemein gefasst sind, steht das Handeln stets im Bezug zu einem konkreten Ziel. Wer moralisch handelt, tut es also in der Regel in der Form, dass er sein konkretes Ziel hinterfragt und dann gegebenenfalls auf sein unmoralisches Handeln verzichtet. So einfach das klingt, so schwer ist das oft in die Tat umzusetzen. Überträgt man diesen Gedankengang auf den Umgang mit den eingangs genannten Bußgeldern, ist zu hinterfragen, wer in diesem Zusammenhang welche Zielsetzung verfolgt. Der Chef, der das Bußgeld für seinen Fahrer übernimmt, weil dieser Fahrer sich in der Vergangenheit als zuverlässig erwiesen hat und wirklich nur ganz selten einen Strafzettel mit nach Hause bringt, der kann durchaus moralisches Verhalten für sich in Anspruch nehmen. Wenn der Chef es nun zur Regel erhebt, die Bußgelder für alle Lenk- und Ruhezeitverstöße seiner Fahrer zu bezahlen, verlässt er den sicheren Boden der Moral. Wenn nämlich Fahrer häufig Verstöße begehen, weil sie wissen, dass die Strafzettel von der Firma übernommen werden, dann fördert der Vorgesetzte damit vorsätzliche Verstöße gegen Regeln und gefährdet in der Folge fahrlässig die Sicherheit der Allgemeinheit. Moralisch ist dieses Verhalten dann nicht mehr. Moralisch ist die Bußgeldübernahme auch dann nicht, wenn der Firmenchef die Bußgelder deswegen zahlt, weil er die Fahrer so schlecht bezahlt, dass ihnen die Strafen richtig weh tun. Womit wir wieder beim Thema Eigennutz angelangt wären. Zum Eigennutz zählt auch, wenn der Chef so enge Zeitvorgaben macht, dass die Lenk- und Ruhezeiten nicht eingehalten werden können und anschließend dann gönnerhaft die Bußgelder übernimmt. Genauso ist es aber andererseits ebenfalls als unmoralisch ist zu bewerten, wenn Fahrer mutwillig gegen Regeln und Vorschriften verstoßen und dann die Buße auf die Firma abwälzen wollen. Auch hier zeigt das Motiv des Handelns an, ob moralisch oder unmoralisch vorgegangen wird. Richter entscheiden pragmatisch Was sich, wie die Beispiele belegen, aus philosophischer Sicht als Bild mit vielen Facetten zeigt, das betrachten Richter eher emotionslos und entscheiden solche Fälle pragmatisch. Richter fragen in dem Beispiel der vom Chef übernommenen Bußgelder nicht nach der moralischen Dimension des Handelns. Sie betrachten es schlicht und ergreifend als Arbeitslohn, wenn ein Arbeitgeber, der ein Verkehrsgewerbe betreibt, die Bußgelder übernimmt, die gegen seine Fahrer wegen Verstößen gegen die Lenk- und Ruhezeiten verhängt worden sind (Bundesfinanzhof, Urteil vom 14.11.2013, Aktenzeichen VI R 36/12). Vorteile haben nur dann keinen Arbeitslohncharakter, wenn sie aus ganz überwiegend eigenbetrieblichem Interesse des Arbeitgebers gewährt werden, begründen die Richter ihre Entscheidung. Ein rechtswidriges Tun sei aber keine beachtliche Grundlage einer solchen betriebsfunktionalen Zielsetzung. An dieser Stelle ist man fast geneigt, den Richtern unmoralisches Handeln vorzuwerfen, stellen sie doch den Eigennutz des Staates in den Vordergrund - weil für das als Arbeitslohn ausbezahlte Bußgeld Steuern abgeführt werden müssen. Wer sich als Arbeitgeber mit solch kleinen Themen wie dem Bußgeld auseinandersetzt, der ist im Sinne von Mirabeau auf jeden Fall auf einem guten Weg: Denn wer die kleine Moral achtet, der wird die große Moral nicht töten.

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