Pforzheim. Von den Standorten Leipzig oder Bad Hersfeld ist man Nachrichten über Arbeitsniederlegungen bei Amazon mittlerweile gewohnt. Am Amazon-Standort in Pforzheim, der erst im Herbst 2012 eröffnet wurde, war es bislang ruhig. Das könnte sich schnell ändern, wie die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi am Donnerstag mitgeteilt hat.
Die Gewerkschaft möchte, dass die 900 Amazon-Mitarbeiter des Logistikzentrums in Pforzheim nach Handelstarif bezahlt werden. Amazon Pforzheim sehe „derzeit keinen Anlass“, über den von Verdi geforderten Anerkennungstarifvertrag zu den Tarifverträgen des baden-württembergischen Einzel- und Versandhandels Verhandlungen zu führen, beklagt die Gewerkschaft in einer Mitteilung.
Amazon argumentiert, dass es sich bei Amazon Pforzheim GmbH um ein Logistikzentrum handelt, nicht aber um ein Unternehmen des Einzelhandels. Eine Sprecherin des Unternehmen erklärte gegenüber der VerkehrsRundschau, dass die Mitarbeiter des Lagers, anders als Verkäufer in einem Geschäft, keinen Kontakt zu Kunden hätten und auch keine Ausbildung für ihre Tätigkeit benötigten.
„Aufgrund dieser Verweigerung könnte es bald auch in der Pforzheimer Amazon-Niederlassung zu Streiks kommen“, droht dagegen die Gewerkschaft in ihrer Mitteilung. Der bei Verdi in Baden-Württemberg zuständigen Leiter des Fachbereichs Handel Bernhard Franke argumentiert für den Handelstarifvertrag: „Die Tarifverträge, die wir bei Amazon durchsetzen wollen, gelten für sämtlich Betriebe, Zweigniederlassungen und Filialen des Einzelhandel und des Versandhandels. Amazon ist völlig zweifelsfrei ein Versandhandelsunternehmen – Logistikdienstleistungen für andere Unternehmen spielen allenfalls eine geringfügige Rolle. Deshalb sind die Tarifverträge des Einzel- und Versandhandel eindeutig einschlägig.“
Die Arbeits- und Entlohnungsbedingungen bei Amazon liegen laut Verdi deutlich unter den Tarifsätzen der Versandhandelsbranche: Während im Einzel- und Versandhandel die wöchentliche Arbeitszeit 37,5 Stunden betrage, werde bei Amazon 38,75 Stunden gearbeitet. Amazon zahlt – weitgehend ohne Differenzierung zwischen verschiedenen Tätigkeiten – Stundenlöhne zwischen 9,85 Euro (Brutto) im 1. Jahr der Beschäftigung, im 2. Jahr 11,89 Euro, danach 12,23 Euro. Nach dem derzeitigen Flächentarifvertrag für den Einzelhandel würden vergleichbare Tätigkeiten – je nach Anspruch der Tätigkeit - im Versandlager mit Stundenlöhnen zwischen 11,51 Euro bis 13,69 Euro vergütet.
Amazon bestätigte das Einstiegsgehalt, verwies aber auf zahlreiche Zusatzleistungen wie Boni, Weihnachtsgeld, Mitarbeiteraktien, Gratis-Versicherungen, einen Pensions-Fonds und Mitarbeiterrabatte. „Man muss hier das Gesamtpaket betrachten“, erklärte eine Sprecherin. „Inklusive dieser Extras verdienen Mitarbeiter nach zwei Jahren durchschnittlich 2265 Euro brutto pro Monat. Viele der Extras, wie etwa die Mitarbeiteraktien, sind traditionellen Tarifverträgen unbekannt.“
Sie verwies darauf, dass laut einer aktuellen Studie vom Ifo-Institut und der Bertelsmann-Stiftung nur noch 35 Prozent der Unternehmen in Deutschland tarifgebunden seien. Amazon lehnt einen Tarifvertrag für Mitarbeiter ab. „Man muss keinen Tarifvertrag haben, um ein guter Arbeitgeber zu sein“, argumentiert die Amazon-Sprecherin.
Verdi-Vertreter Bernhard Franke weist dagegen darauf hin, dass Amazon von tarifvertraglichen Standards weit entfernt sei. „Das sieht man unter anderem daran, dass Amazon kein Urlaubsgeld und nur ein verschwindend geringes, sogenanntes Weihnachtsgeld bezahlt.“ Beschäftigte bei Amazon klagten zudem immer wieder über Leistungsdruck und akribischer Überwachung am Arbeitsplatz. (diwi)